Arzneimittel und Therapie

Cannabis als Antihypertonikum?

Widersprüchliche Daten zu kardiovaskulären Wirkungen von THC und CBD

Für Aufmerksamkeit hatte kürzlich eine Studie gesorgt, in der Cannabis-Zubereitungen bei Patienten ab 60 Jahren nach dreimonatiger Anwendung den Blutdruck signifikant gesenkt hatten. Ganz gleich, ob die Droge geraucht, inhaliert oder als öliges Produkt angewendet wurde – sowohl der systolische als auch der diastolische Wert nahmen deutlich ab. Wie sind diese Ergebnisse einzuordnen?

Das Online-Magazin Weedo (weed: engl. Gras), nach eigener Aussage Deutschlands führende Plattform für Hanf & CBD-Produkte, stellte als Reaktion auf die Veröffentlichung in einem Online-Beitrag fest: „Die kardiovaskuläre Sicherheit von Cannabis ist damit bewiesen. … Im Grunde müsste jetzt sofort eine alternative Cannabis-Therapie in das Gesundheitssystem eingeführt werden für Blutdruck-Patientinnen und -Patienten. Die Therapie mit Blutverdünnern birgt nämlich höhere Risiken als die Cannabis-Therapie“ [1]. Ob dies der richtige Weg ist, erscheint angesichts der Datenlage zweifelhaft. Denn laut einem wissenschaftlichen Statement der American Heart Association (AHA) aus dem vergangenen Jahr ist noch nicht eindeutig nachgewiesen, welchen Einfluss der Konsum oder die medizinische Anwendung von Cannabis auf das Herz-Kreislauf-System besitzt, ob beispielsweise Herzinfarkte oder Arrhythmien getriggert oder verschlimmert werden können. Ein Grund ist laut AHA die unzureichende Datenlage: Die meisten Studien zu dieser Thematik sind nur kurz, es handelt sich um epidemiologische Untersuchungen, oder die angewendeten Cannabis-­Produkte waren nicht standardisiert. Außerdem könnten Cofaktoren wie das Tabakrauchen zu Verzerrungen der Ergebnisse geführt haben. Gerade bei älteren Menschen sollten medizinische Cannabis-Produkte daher wegen möglicher schädlicher Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System mit Vorsicht angewendet werden [2].

Foto: microstock77/AdobeStock

Spärliche Datenlage

Auch zum Einfluss von Cannabis auf den Blutdruck ist die Datenlage eher spärlich. Einige Studien hatten eine Erhöhung des systolischen Blutdrucks nach Anwendung von Cannabis gezeigt [3 – 5]. Dies lässt sich mit der Aktivierung des Sympathikus durch Cannabis erklären (s. Abb.). Auch in der Fachinformation des Tetrahydrocannabinol(THC)- und Cannabidiol (CBD)-haltigen Fertigarzneimittels Sativex® Spray sind Hypertonie, Tachykardie und Palpitationen („Herzstolpern“) als gelegentliche Neben­wirkung mit einer Häufigkeit von ≥ 1/1000 bis < 1/100 aufgelistet [6]. Andere Studien zeigten keinen Effekt oder eine Abnahme des diastolischen Blutdrucks [7]. Diese Studien waren bei jüngeren Teilnehmern durchgeführt worden und hatten nur kurz­fristige Cannabis-Wirkungen auf den Blutdruck untersucht. Dagegen waren für die kürzlich publizierte viel dis­kutierte Studie einer israelischen Arbeitsgruppe 38 ältere Teilnehmer rekrutiert worden, denen Cannabis-Zubereitungen vor allem zur Linderung chronischer Schmerzen, da­runter Tumor- und neuropathischer Schmerzen, verordnet worden waren. Sie waren über 60 Jahre alt und Hypertoniker. Beim ersten Unter­suchungstermin und drei Monate danach wurden jeweils 24-Stunden-Blutdruckmessungen und Bluttests durchgeführt sowie EKG und weitere Parameter aufgezeichnet. Außerdem füllten die Teilnehmer bei der Abschlussuntersuchung einen Frage­bogen aus, in dem sie unter anderem Auskunft zu Nebenwirkungen, Krankenhausaufenthalten und Änderungen der Medikation geben sollten [8].

Abb.: Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) besitzen unterschiedliche, teils gegensätzliche Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. THC aktiviert das sympathische und hemmt das parasympathische Nervensystem. Das führt unter anderem zur Erhöhung der Herzfrequenz und des Sauerstoffbedarfs im Myokard. Dagegen senkt CBD die Herzfrequenz und den Blutdruck. Viele Cannabinoid-­Wirkungen sind derzeit noch nicht vollständig erforscht (vereinfachte Darstellung nach [2]).

Ergebnisse und Diskussion

26 Teilnehmer mit einem mittleren Alter von rund 70 Jahren beendeten die Studie. Die THC-Tagesdosis lag im Median bei 21,1 mg (Interquartils­abstand [IQR]: 12,75 bis 41,45), die für CBD bei 21,3 mg (7,75 bis 43,83). Zum Vergleich: beim Fertigarzneimittel Sativex® Spray werden als Tageshöchst­dosis zwölf Sprühstöße empfohlen, wobei ein Sprühstoß 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD enthält [6]. Mehr als drei Viertel (76,9%) der Teilnehmer hatten Cannabis als ölige Zubereitung einmal bis häufiger als dreimal pro Tag an­gewendet. Bei der Nachuntersuchung nach drei Monaten waren der systo­lische und diastolische Wert der 24-Stunden-Messung um 5,0 bzw. 4,5 mmHg gesunken (p < 0,001 für beide). Der Tiefpunkt (Nadir) war drei Stunden nach der Cannabis-Anwendung erreicht. Der Anteil der Normal-Dipper, also den Menschen, bei denen der Blutdruck nachts um 10 bis 20% unter den Tagesschnitt sinkt, stieg von 27,3% auf 45,5%. Bei den anderen Parametern (z. B. Lipid- und Elektrolytwerten, HbA1c, C-reaktives Protein, Leberfunktion) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Als häufigste Nebenwirkung hatten die Studienteilnehmer Schwindel angegeben.

Fazit für die Praxis

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass die meisten Teilnehmer wegen einer Hypertonie in Behandlung waren und ihre Blutdruckwerte im oder nahe dem Normbereich lagen. Die Studie kann deshalb keine Aussage darüber treffen, wie der Einfluss von Cannabis bei erhöhten Blutdruckwerten ausfallen würde. Eine mögliche Erklärung für den Effekt von Cannabis auf den Blutdruck könnte nach Meinung der Autoren auch seine analgetische Wirkung sein. Denn anderen aktuellen Untersuchungen zufolge können chronische Schmerzen zu Bluthochdruck und erhöhter Herz­frequenz führen. Die Herzfrequenz lag in der Studie nach dreimonatiger Cannabis-Anwendung zwar auch auf niedrigerem Niveau, der Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant (72,06 ± 11,67 vs. 70,82 ± 11,55, p = 0,02). Das Fazit der Autoren: Um die Sicherheit von Cannabis-Zubereitungen und ihre mögliche Effektivität beim Management des Bluthochdrucks bei Älteren einschätzen zu können, sind größere und randomisierte Studien notwendig. |


Literatur

[1] Israelische Forscher: Cannabis reduziert den Blutdruck bei Erwachsenen, Informationen der Weedo Lifestyle & Media GmbH, www.myweedo.de/gruene-seiten/forschung/israelische-forscher-cannabis-reduziert-blutdruck/, Abruf am 26. Mai 2021

[2] Page RL et al. Medical Marijuana, Recreational Cannabis, and Cardiovascular Health. A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation. 2020;142:e131–e152. doi: 10.1161/CIR.0000000000000883

[3] Ponto LLB et al. Effect of acute marijuana on cardiovascular function and central nervous system pharmacokinetics of [15o]water: effect in occasional and chronic users. J Clin Pharmacol 2004;44:751–66

[4] Jouanjus E et al. What is the current knowledge about the cardiovascular risk for users of cannabis-based products? a systematic review. Curr Atheroscler Rep 2017, doi: 10.1007/s11883-017-0663-0

[5] Kayser RR et al. Acute effects of cannabinoids on symptoms of obsessive-compulsive disorder: A human laboratory study. Depress Anxiety 2020. doi: 10.1002/da.23032.da.23032

[6] Fachinformation Sativex® Spray zur Anwendung in der Mundhöhle, Stand März 2015

[7] Karschner EL et al. Subjective and physiological effects after controlled Sativex and oral THC administration. Clin Pharmacol Ther 2011;89:400–7

[8] Abuhasira R et al. Cannabis is associated with blood pressure reduction in older adults – A 24-hours ambulatory blood pressure monitoring study. Eur J Int Med 2021; 86:79-85

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

Das könnte Sie auch interessieren

Wenn nichts mehr hilft, lindert Cannabis chronische Schmerzen und Krämpfe

Letzte Wahl

THC und CBD auf dem Prüfstand

Fahrtauglichkeit nach Cannabis-Konsum

Vergleich der therapeutischen Anwendung in Deutschland und der Schweiz

Cannabis als Arznei

Wie oral oder topisch angewandtes Cannabis helfen kann

Chronischen Schmerz besiegen

Daten zu Medizinischem Cannabis

Cannabinoide gegen Schlafstörungen einsetzen?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.