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Arzneimittel und Therapie
Migräneprophylaxe mit Magnesium?
Was eine Supplementierung leisten kann
Die derzeit wirksamsten Migräne-Arzneimittel bei akuten Attacken sind Triptane. Konkurrenz könnte in näherer Zukunft durch die in der EU noch nicht zugelassenen Wirkstoffe Lasmiditan (ein 5-HT1F-Agonist) oder „Gepante“, wie Ubrogepant und Rimegepant (CGRP-Rezeptor-Antagonisten), kommen. Keine Anwendung finden all diese Arzneistoffe im Rahmen einer Migräneprophylaxe: Diese ist indiziert, wenn die Migräne die Lebensqualität der Patienten sehr einschränkt, ein besonderer Leidensdruck besteht oder auch die Gefahr eines Schmerzmittel- bzw. Triptan-Übergebrauchs.
Wann eine Prophylaxe Sinn macht
Laut der aktuellen Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ (gültig bis 31. Dezember 2022) sollten Migräniker über eine Prophylaxe nachdenken, wenn sie
- an mindestens drei schweren Attacken pro Monat leiden,
- die Migräneanfälle regelmäßig länger als 72 Stunden dauern oder
- sie auf Akuttherapien (u. a. Analgetika, Triptane) nicht ausreichend ansprechen oder diese nicht vertragen.
Zur Prophylaxe raten die Leitlinienexperten auch dann, wenn die Häufigkeit der Migräneanfälle zunimmt, sodass die Patienten an mehr als zehn Tagen im Monat Migränemittel anwenden, sowie bei komplizierter Migräne mit langen Auren.
„Sinn der medikamentösen Prophylaxe ist eine Reduzierung von Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneattacken und die Prophylaxe des Kopfschmerzes bei Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln“, heißt es in der Leitlinie. Bessert sich die Anfallshäufigkeit aufgrund einer Prophylaxe um mindestens 50 Prozent, spricht man von einer Wirksamkeit der Migränevorbeugung. Neben aus anderen Therapiegebieten entlehnten und zur Migräneprophylaxe eingesetzten Wirkstoffen – wie die Betablocker Metoprolol oder Propranolol, der Calcium-Kanalblocker Flunarizin, Antiepileptika wie Topiramat oder Valproinsäure oder das Antidepressivum Amitriptylin – nutzen Neurologen seit einigen Jahren auch spezielle Antikörper, die sich gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide bzw. dessen Rezeptor richten, um Migräneanfällen bei ihren Patienten vorzubeugen (s. Kasten „Weitere Migräneprophylaktika“).
Weitere Migräneprophylaktika
Mit den innovativen CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide)-Antikörpern Fremanezumab (Ajovy®) und Galcanezumab (Emgality®) beziehungsweise dem CGRP-Rezeptor-Antikörper (Erenumab, Aimovig®) stehen seit wenigen Jahren speziell zur Migräneprophylaxe entwickelte Arzneimittel zur Verfügung. Punkten könnten sie vor allem durch eine gute Verträglichkeit und eine deswegen anzunehmende gute Therapietreue der Patienten sowie einen bei Ansprechen raschen Wirkeintritt (Aufdosieren wie bei Betablockern entfällt).
Zugelassen sind sie für Migränepatienten, die an mindestens vier Tagen pro Monat an Schmerzattacken leiden. Allerdings bedeutet das nicht, dass jeder Migräniker mit vier und mehr monatlichen Migränetagen sie automatisch erhält – denn der Gemeinsame Bundesausschuss hat beschlossen, dass Ärzte CGRP- bzw. CGRP-Rezeptor-Antikörper erst dann verordnen dürfen, wenn der Migränepatient zuvor mindestens fünf Wirkstoffe aus vier pharmakologischen Gruppen erhalten hatte, diese aber nicht halfen oder der Patient sie nicht vertrug. Zum Einsatz kommen hier vor allem Betablocker (Metoprolol, Propranolol), der Calcium-Antagonist Flunarizin, Antikonvulsiva (Topiramat, Valproinsäure) und Amitriptylin aus der Gruppe der Antidepressiva. Für sie liegen derzeit die besten Wirksamkeitsdaten vor. Leiden Patienten an chronischer Migräne – dies liegt ab 15 Migränetagen pro Monat vor –, sollen sie vor CGRP-Antikörper-Therapie zudem nicht auf Onabotulinumtoxin A angesprochen haben.
Leitlinie zu Magnesium zurückhaltend
Allen genannten Prophylaktika ist gemein: Sie sind verschreibungspflichtig. Doch können Migränepatienten eigentlich auch mit nicht verschreibungspflichtigen Mitteln Anfällen vorbeugen – mit Magnesium zum Beispiel? Auch hier haben die Leitlinien-Experten eine Meinung. Sie nennen Magnesium in einer Dosierung von zweimal täglich 300 mg als mögliche Migräneprophylaxe – allerdings mit „geringer Evidenzlage“. Sie raten jedoch nicht gänzlich von Magnesium ab. Ihre Zurückhaltung stützen die Leitlinienautoren auf zwei Studien – veröffentlicht 1996 in „Cephalagia“. In einer multizentrischen randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie untersuchten Wissenschaftler um Dr. Volker Pfaffenrath die vorbeugende Wirkung von zweimal täglich 10 mmol Magnesium bei Patienten mit zwei bis sechs Migräneanfällen pro Monat (ohne Aura). Die Migräneanamnese reichte mindestens zwei Jahre zurück. Sie erhielten sodann entweder zwölf Wochen lang Magnesium als Magnesiumaspartat Hydrochlorid 3-Hydrat oder Placebo. Magnesiumaspartat Hydrochlorid 3-Hydrat ist beispielsweise in Magnesiocard® 10 mmol Granulat (Verla) enthalten. 10 mmol entsprechen 243 mg Magnesium (Ion). Vor Studienbeginn hatten die Patienten vier Wochen lang auf ihre Migräne-Arzneimittel verzichtet.
Nicht besser wirksam als Placebo
Ziel war die Verringerung der Schwere und Dauer der Migräneattacken um mindestens 50% verglichen mit dem Ausgangswert. Ursprünglich sollten die Effekte bei 150 Patienten untersucht werden – die Wissenschaftler brachen die Studie nach einer Zwischenanalyse mit 69 Migränikern ab, 35 Patienten hatten Magnesium erhalten, 34 Placebo. Allerdings sprachen jeweils nur zehn Patienten auf die jeweilige Therapie an (28,6% unter Magnesium; 29,4% unter Placebo). Es zeigte sich verglichen mit Placebo kein Vorteil einer Magnesium-Therapie, hinsichtlich der Anzahl der Migränetage oder der Migräneattacken. Die Nebenwirkungsrate lag unter Magnesium höher als unter Placebo (45,7% vs. 23,5%). Überwiegend berichteten die Patienten unter Magnesium über leichte unerwünschte Ereignisse wie weichen Stuhl und Durchfall. Die Wissenschaftler schränkten die Ergebnisse ihrer Untersuchung ein. So hätten mehr als 50% der Teilnehmer bereits Prophylaktika (Betablocker, Calcium-Kanalblocker) erhalten. Möglicherweise seien also schwerpunktmäßig Migränepatienten in die Studie eingeschlossen worden, die auf keine Prophylaxe ansprächen. Zudem sei die Akutmedikation einer Attacke nicht einheitlich gewesen, da manche Patienten mit Beginn der Studie begonnen hätten, ihre Migräneanfälle mit Sumatriptan zu behandeln, was die Auswertung hinsichtlich der Dauer der Attacke beeinflusst haben könnte.
Weniger Attacken mit zweimal täglich 300 mg Magnesiumcitrat
In einer weiteren Studie, die zeitgleich publiziert wurde, kamen die Wissenschaftler um Dr. Andreas Peikert zu einem anderen Schluss: „Hochdosiertes orales Magnesium scheint wirksam in der Prophylaxe von Migräne zu sein.“ 81 Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren mit Migräne und einer mittleren Attackenfrequenz von 3,6 pro Monat hatten zwölf Wochen lang (nach vier Wochen medikationsfreier Zeit vor der Studie) täglich 600 mg (24 mmol) Magnesium (Trimagnesiumdicitrat) oral oder Placebo erhalten. Eingesetzt in der Studie wurde Magnesium Diasporal® N 300 Granulat (Protina). Bereits in den Wochen neun bis zwölf hatte unter Magnesium die Attackenhäufigkeit um 41,6% abgenommen, in der Placebogruppe um 15,8%. Auch die Anzahl der Tage mit Migräne verringerte sich unter Magnesium stärker (2,49 Tage weniger) als unter Placebo (1,16 Tage weniger), sie nahmen wie der Medikamentenverbrauch zur symptomatischen Behandlung in der Magnesium-Gruppe signifikant ab. Dauer und Intensität der Attacken und der Medikamentenverbrauch pro Attacke nahmen im Vergleich zu Placebo ebenfalls tendenziell ab, waren aber nicht signifikant. Dadurch, dass die Attackenhäufigkeit und die Zahl der monatlichen Migränetage sowie die gesamte Medikation zurückgingen, jedoch weder Medikation einer einzelnen Attacke noch die Dauer und Schwere einer Attacke, könne das „Alles-oder-nichts-Prinzip“ gelten: Einzelne Attacken können verhindert werden, doch wenn sie dennoch aufträten, seien Schwere und Dauer unverändert. Unerwünschte Ereignisse waren Durchfall (18,6%) und Magenreizungen (4,7%). Es gab den Wissenschaftlern zufolge keinen Zusammenhang zwischen Serum-Magnesium-Spiegeln vor Therapiebeginn und dem Ansprechen. Während der Studie wurde der Magnesium-Spiegel jedoch nicht bestimmt.
Ist es einen Versuch wert?
Wie Magnesium Migräneattacken reduzieren könnte, dazu stellen die Wissenschaftler Vermutungen an. So seien der blutdrucksenkende und der krampflösende Effekt von parenteralem Magnesium bei Eklampsie gut belegt. Die gefäßerweiternde und antiarrhythmische sowie plättchenhemmende Wirkung sollen sich möglicherweise positiv bei Herzinfarkt auswirken. Auch seien erfolgreiche Behandlungen akuter Migräneattacken und Clusterkopfschmerzen mit parenteralem Magnesium berichtet.
Somit ist die Datenlage dürftig – beide Studien sind relativ klein hinsichtlich der Probandenzahlen, einmal halfen 20 mmol (486 mg) Magnesium nicht, einmal reduzierten 24 mmol (600 mg) die Attackenhäufigkeit und den monatlichen Arzneimittelverbrauch. Einen Therapieversuch könnte es dennoch wert sein – die Nebenwirkungen sind bei der zweimal täglichen Dosierung von 300 mg überschaubar. Die Leitlinienexperten empfehlen Magnesium jedoch mit Zurückhaltung: „Wenn überhaupt wirksam, ist die Reduktion der Attackenfrequenz nicht sehr ausgeprägt oder die notwendigen Dosierungen werden wegen Diarrhöen nicht erreicht.“ |
Literatur
Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Migräne-und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), AWMF-Registernummer:030/057, Stand: Januar 2018
Pfaffenrath V et al. Magnesium in the prophylaxis of migraine - a double-blind placebo-controlled study. Cephalalgia 1996. doi: 10.1046/j.1468-2982.1996.1606436.x
Peikert A et al. Prophylaxis of Migraine with Oral Magnesium: Results From A Prospective, Multi-Center, Placebo-Controlled and Double-Blind Randomized Study. Cephalalgia 1996. doi: 10.1046/j.1468-2982.1996.1604257.x
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