Pandemie Spezial

COVID-19 und die Folgen

S1-Leitlinie zu Post-/Long-COVID soll Orientierung bieten

COVID-19 ist nicht nur eine akute Erkrankung, sondern kann zu lang anhaltenden Beschwerden führen. Mehrere Fachgesellschaften haben jetzt erstmals eine Leitlinie zu Post-/Long-COVID veröffentlicht. Sie ist als klinisch-praktischer Leitfaden gedacht.
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Die Beteiligung von mehr als 15 medizinischen Fachgesellschaften spiegelt bereits das breit gefächerte Spektrum der Ausprägungen wider, die Post/Long-COVID haben kann.

Für die Diagnose kann nach der Leitlinie eine der folgenden vier Kategorien herangezogen werden:

  • Symptome, die aus der akuten COVID-19-Phase oder deren Behandlung fortbestehen,
  • Symptome, die zu einer neuen gesundheitlichen Einschränkung geführt haben,
  • neue Symptome, die nach dem Ende der akuten Phase aufgetreten sind, aber als Folge der COVID-19 Erkrankung verstanden werden,
  • Verschlechterung einer vorbestehenden Grunderkrankung.

Die Häufigkeit des Post-COVID-Syndroms variiert je nach Patientenpopulation. Über alle Patienten hinweg wird eine Häufigkeit von bis zu 15% angenommen. Die Pathogenese ist nicht geklärt. Das Post-COVID-Syndrom gilt aktuell als multifaktoriell und ist nicht bei jedem Patienten gleich. Die Leitlinienautorinnen und -autoren vermuten, dass eine Persistenz des Virus oder von Virusbestandteilen über Wochen und Monate dabei eine Rolle spielen könnten. Als weitere mögliche Pathomechanismen werden langandauernde Gewebeschäden, Hyperkoagulabilität und Thrombosen sowie eine chronische Fehlfunktion des Immunsystems mit überschießendem Entzündungsgeschehen bzw. Autoimmunität in Betracht gezogen. Long/Post-COVID kann grundsätzlich sowohl nach leichten als auch nach schweren Verläufen auftreten. Bei Jüngeren stehen Symptome wie Husten, Luftnot oder Fieber im Vordergrund. Bei Älteren manifestiert sich ein ernsthafter Verlauf eher in einer kognitiven Verschlechterung, Verwirrtheit, Fatigue und Sturzgefahr. Eine Spontanheilung ist möglich, ebenso ein nach und nach deutliches Nach­lassen der Symptome.

Die S1-Leitlinie analysiert in einzelnen Kapiteln die derzeit noch recht spärliche Datenlage hinsichtlich der Symptome. Diese betreffen infektiologisch-immunologische, neurologische, pneumologische, HNO-spezifische, kardiologische und dermatologische, aber auch allgemeinmedizinische und psychische Aspekte.

Frühzeitig impfen?

Zahlreiche Studien belegen, dass das Virus bei Infizierten in verschiedenen Organen für mehrere Monate nachgewiesen werden kann. Dies gilt besonders für Patienten mit Immundefekten. Die beobachtete Viruspersistenz wird darauf zurückgeführt, dass der Körper das Virus nicht ausreichend eliminieren kann. Eine frühzeitige therapeutische Impfung von Patienten mit Post-/Long-COVID liegt deshalb nahe. Die Experten raten allerdings dazu, dies vorerst nur in Studien zu erproben, weil die Datenlage die Wirksamkeit der frühen Impfung aktuell nicht stützt. Routinemäßig empfiehlt die STIKO die Impfung Genesener derzeit nach sechs Monaten als einmalige Impfung.

Neurologische Probleme

Als häufigste neurologische Beschwerden nach durchgemachter COVID-19-Infektion führt die Leitlinie Fatigue, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Kopf- und Muskelschmerzen sowie anhaltende Geruchs- und Geschmacksstörungen an. Kognitive Defizite, die sowohl im subakuten Stadium als auch im weiteren Verlauf häufiger gefunden werden, betreffen das planerische Denken, die Konzen­tration, Gedächtnis- und/oder Sprachleistungen. Etwa drei Viertel der Patientinnen und Patienten, die eine Rehabilitation in Anspruch nehmen, klagen über entsprechende Beschwerden. Mit ihnen ist im Übrigen sowohl bei initial leichten als auch schweren COVID-19-Verläufen, subakut und später (Post-COVID) zu rechnen.

Viele leiden unter Fatigue

Zu den prominentesten Symptomen im Rahmen von Post-/Long-COVID gehört die Fatigue. Angesichts der Bedeutung wird sie in der Leitlinie gesondert in einem interdisziplinären Kapitel ab­gehandelt. Die Post-COVID-Fatigue verteilt sich über alle Altersgruppen mit einem leichten Überhang bei den weiblichen Patienten. Wie es zu dem Ermüdungssyndrom kommt, ist noch unklar. Akzeptiert ist aber wohl, dass sowohl eine Vielfalt COVID-19-bedingter Organschädigungen (z. B. in Lunge, Herz, Hirn, peripherem Nerven­system) als auch psychische Begleiterkrankungen in individuell unterschiedlichen Kombinationen für die Entstehung der Fatigue bedeutsam sind. Auch eine sogenannte „Low-grade-Inflammation“ bzw. eine Autoimmunantwort im Rahmen der Infektion könnte dabei eine Rolle spielen. Als Therapieziele werden die Linderung der Symptome und die Vermeidung einer Chronifi­zierung ausgegeben.

Folgen für Herz und Kreislauf

Kardiovaskuläre Komplikationen sind in den ersten sechs Monaten nach COVID-19 signifikant erhöht. Hierzu zählen besonders venöse Thrombosen, ischämische Schlaganfälle, Myokardinfarkte, Lungenembolien und auch das Auftreten einer Herzinsuffizienz (Post-acute COVID-19 syndrome). Die Inzidenz neu auftretender kardiovaskulärer Beschwerden ist direkt asso­ziiert mit dem Schweregrad der Akut­erkrankung.

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Therapieversuche mit Cortison

Atem- und unspezifische Beschwerden im Brustraum sind Symptome, die auch drei bis sechs Monate nach der Erkrankung häufig aufgeführt werden. Post-akut leiden viele Betroffene weiter an Husten und COVID-19-assoziierten Riechstörungen. Bei 80 bis 95% der Betroffenen soll das Riechvermögen aber innerhalb von ein bis zwei Monaten weitgehend wiederhergestellt sein. Eine spezifische Behandlung wird im Regelfall nicht für notwendig gehalten. Versucht werden kann ein strukturiertes Riechtraining, zur Behandlung mit intranasalen Corticosteroiden wird auf widersprüchliche Berichte verwiesen. Bei post-viralen persistierenden Hustenbeschwerden wird ein Versuch mit inhalativen Corticosteroiden mit oder ohne Bronchodilatatoren empfohlen.

COVID-Zehen und Haarausfall

Bemerkenswert bei den Hautveränderungen nach einer COVID-19-Infektion sind die sogenannten COVID-Zehen. Vor allem bei Jüngeren mit leichtem Krankheitsverlauf wurden bläuliche, kissenartige Verdickungen über den kleinen Zehen- aber auch Fingergelenken beschrieben, die häufig asymmetrisch und scharf begrenzt sind. In bis zu 25% der Fälle wird außerdem über vermehrten Haar­ausfall Wochen bis Monate nach Infektion berichtet. Die meisten Hautläsionen im Zusammenhang mit COVID-19 heilen spontan und ohne spezifische Behandlung in wenigen Wochen ab.

Psychische Probleme

Zahlreiche Studien zu COVID-19, meist mit Patienten nach stationärer Behandlung, bestätigen einen Zusammenhang von psychischen Problemen und einer SARS-CoV-2-Infektion. Nach einer Metaanalyse von 82 Studien über psychosomatische und psychiatrische Begleiterkrankungen bei SARS-CoV-Infektionen und COVID-19 sollen bei Überlebenden Symptome von Depression, Angststörungen und Stress (jeweils 23%), Schlafstörungen (26%) sowie posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS, 24%) beobachtet worden sein [Zhao 2021]. Mithilfe von spezifischen Scores und Indizes wurden auf verschiedenen Kontinenten (Amerika, Europa, Asien) zwischen drei Wochen und drei Monaten nach einer Erkrankung substanzielle Prozentsätze an Überlebenden mit Fatigue (60%), Schlafstörungen (40%), Depressionen (42%), Angststörungen (42%) und Stressymptomen (20%) ermittelt. Psychotherapeutische Behandlung kann angezeigt sein, bei schweren Formen von Depressionen und Angststörungen auch eine leitliniengerechte pharmakotherapeutische Mitbehandlung.

Zeit für Regeneration nehmen

In der Leitlinie wird dazu geraten, den Betroffenen ausreichend Zeit zur Regeneration zu gewähren. Ein überhastetes „zuviel Wollen” bringe keinen Benefit. Als Technik zur Wiedererlangung von Alltagsfähigkeiten führen sie das „Pacing”, also ein schrittweises Vorgehen an und nennen als Beispiele für den Beginn und den Ausbau der Belastung eine langsame Steigerung von Spaziergängen hinsichtlich Dauer und Tempo und bei der alltäglichen Belastung „vom Kochen zum Einkaufen“ und „vom Zusammenräumen zum Putzen“.

Alle Patientinnen und Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass nach COVID-19 fortdauernde Symptome auch nach mildem und moderatem Verlauf möglich sind, dass diese sich aber in den allermeisten Fällen im Verlauf von einigen Wochen, längstens Monaten, vollständig zurückbilden und meist keine bleibenden Schäden hinterlassen. Gesicherte therapeutische Interventionen beim Post-/Long-COVID sind nicht bekannt. Die Leit­linie liefert keine explizite Empfehlungen zu einzelnen Pharmakotherapien und rät diesbezüglich zu einer symptomorientierten, möglichst leitlinienadaptierten Behandlung.

Die nächste Überprüfung der Leitlinie ist für Juli 2022 geplant. |

Literatur

Koczulla AR, Ankermann T et al. S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID (Stand 12.07.2021), Versionsnummer: 1.0. AWMF-Register Nr. 020/027. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html

Apothekerin Dr. Helga Blasius

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