Arzneimittel und Therapie

Neue Therapieoption bei allergischen Augenbeschwerden?

Eine Einordnung zu Tacrolimus-haltigen Augentropfen

Tacrolimus ist den meisten Pharmazeuten lediglich zur Behandlung organtransplantierter Patienten oder einer atopischen Dermatitis bekannt. Dabei kann das Makrolid-Immunsuppressivum vielleicht noch viel mehr: In Form von Augentropfen wurde der Wirkstoff kürzlich zur ­Behandlung von allergischen Augenbeschwerden untersucht. Wie man die Studienergebnisse einordnen kann, erläutert Prof. Dr. Bettina ­Wedi, die für die Sektion Dermato­logie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) zuständig ist.

Tacrolimus, ein immunsuppressiver Calcineurin-Inhibitor, wurde erstmals 1994 in oraler Applikationsform von der FDA für die Transplantationsmedizin zugelassen. Seit 2002 wird Tacrolimus auch topisch als Salbe zur Behandlung der atopischen Dermatitis in Europa eingesetzt. Zubereitungen in weiteren Applikationsformen sind aufgrund der schlechten Löslichkeit des Wirkstoffes in Wasser limitiert.

Foto: hailey_copter/AdobeStock

Signifikante Symptomreduktion

In der Pressemeldung [1] eines österreichischen Biotech-Unternehmens vom 1. Juli 2021 wurden nun erste, vielversprechende Ergebnisse einer neuartigen, wässrigen Formulierung namens Tacrosolv in der Therapie der allergischen Konjunktivitis berichtet. Die verbesserte Löslichkeit wird laut dem Hersteller durch eine spezielle Technologie möglich, bei der pflanzliche Saponine (Glycyrrhizin aus Süßholzwurzel und Escin aus Rosskastanie) genutzt werden, um eine mizellare Lösung schwerlöslicher Wirkstoffe herzustellen. In einem vierarmigen Phase-II-Cross-Over-Studiendesign bekamen die Probanden mit Gräserpollenallergie-bedingter (Rhino-)Konjunktivitis täglich ein oder zwei Tropfen Tacrosolv- (50 µg/ml) bzw. Placebo-Augentropfen (3% Propylenglykol in Kochsalzlösung) über acht Tage appliziert [2]. Zuvor und an Tag 8 erfolgte dann eine standardisierte vierstündige Provokation mit Gräserpollen in der Vienna Challenge Chamber. Primärer Endpunkt war der Total Ocular Symptom Score, sekundäre Endpunkte waren Total Nasal Symptom Score, Total Respiratory Symptom Score, Nasal Airflow sowie Change in Ocular Redness Image Score 0 bis vier Stunden nach der Gräserpollenexposition [2]. Nach Angaben des Herstellers [1] führte die höhere Dosis (zwei Tropfen/Tag) zu einer statistisch signifikanten Reduktion der Augensymptome ab 3,5 Stunden nach der Provokation. Ein Vergleich der Symptome zwischen Tag 1 und Tag 8 zeigte im Vergleich zu Placebo eine signifikante Reduktion der Augensymptome. Unerwartet zeigte sich auch eine statistisch signifikante Reduktion der nasalen Symptome an Tag 8. Weitere Details stehen leider nicht zur Verfügung, da die Ergebnisse bisher nicht als Vollpublikation, sondern nur als Pressemitteilung verfügbar sind.

Blick in die Pathophysiologie

Die Pathophysiologie der allergischen (Rhino-)Konjunktivitis ist komplex: In der Frühphase dieser IgE-vermittelten Reaktion vom Soforttyp spielen Mastzellen eine entscheidende Rolle, die durch Calcineurin-Inhibitoren jedoch kaum beeinflusst werden. Die Spätphase – Stunden nach der Allergen­exposition – wird von angelockten Entzündungszellen wie Granulozyten (insbesondere Eosinophile), T-Lymphozyten und ihren Mediatoren dominiert. Die Standard-Pharmakotherapie der allergischen Rhinitis besteht aus topischen oder oralen H1-Antihistaminika in Kombination mit intranasalen Glucocorticoiden. Dabei blockieren H1-Antihistaminika die Wirkung des von Mastzellen ausgeschütteten Hist­amins, die Glucocorticosteroide wirken potent auf die Einwanderung und Funktion aller Zellen in der allergischen Spätphase. Bisher zugelassene Augentropfen mit H1-Antihistaminika oder Mastzellstabilisatoren (z. B. Cromoglicinsäure) müssen zwei- bis vierfach täglich appliziert werden, so dass die einmal tägliche Gabe eines oralen H1-Antihistaminikums, das nicht nur am Auge wirkt, präferiert wird [5].

Foto: privat

Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie,Medizinische Hochschule Hannover

Wie sind Nebenwirkungen einzuschätzen?

Die Wirkungen von Tacrolimus dagegen beruhen auf der Hemmung der Aktivierung von T-Lymphozyten. In Bezug auf den Wirkmechanismus lässt sich Tacrolimus mit Ciclosporin, einem weiteren Calcineurin-Inhibitor, vergleichen. Ciclosporin-haltige Augentropfen sind in 1- bis 2%iger Konzentration in Europa verfügbar und werden bei Erwachsenen und Kindern bei schwerer Keratokonjunktivitis, insbesondere zum Einsparen von Glucocorticosteroiden aufgrund des Glaukomrisikos, eingesetzt [3]. Ein Sicherheitssignal bei längerfristiger Applikation hat sich nicht gezeigt [4].

Bei der Applikation als Salbe auf der Haut verursacht Tacrolimus in den ersten Tagen der Behandlung sehr häufig Brennen, Juckreiz, Hitzegefühl und Rötung. Ob diese Nebenwirkungen auch am Auge auftreten, geht aus der Pressemitteilung nicht hervor.

Zudem ist bei der Behandlung der atopischen Dermatitis das Risiko einer Follikulitis und einer Herpesvirus-­Infektion erhöht [5]. Ob die topische Applikation am Auge mit vergleich­baren Risiken assoziiert ist, muss noch untersucht werden.

Systemische Bioverfügbarkeit unwahrscheinlich

Die längere orale Einnahme von Tacrolimus zur Steigerung der Immunsuppression bei Transplantierten war mit einem erhöhten Risiko zur Entwicklung von Lymphomen und malignen Hautveränderungen verbunden. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis, die mit Tacrolimus-haltiger Salbe (1 mg/g) behandelt wurden, konnten dagegen keine signifikanten systemischen Tacrolimus-Konzentrationen gefunden werden. Die Rolle der lokalen Immunsuppression ist nicht bekannt [5]. Da die Konzentration von Tacrolimus in Tacrosolv nach Angaben des Herstellers nur 2,5% bzw. 5% der Dosis der in Japan zur Behandlung der vernalen Konjunktivitis zugelassenen Tacrolimus-Augentropfen (1 mg/ml Suspension) beträgt, dürfte eine systemische Wirkstoffverfügbarkeit unwahrscheinlich sein.

Nasale Wirksamkeit lässt sich nur schwer beurteilen

Die Symptome der allergischen Rhinitis sind Niesen, Rhinorrhoe und nasale Obstruktion. Weitere Symptome betreffen das Auge (allergische Konjunktivitis), Jucken am Gaumen oder im Ohr, Überproduktion von Schleim auf der Nasenschleimhaut bzw. in den Nasennebenhöhlen, Müdigkeit, Geruchsverlust und Kopfschmerzen. Das Ausmaß des unerwarteten Effekts von Tacrosolv-Augentropfen auf die nasale Symptomatik lässt sich anhand der Pressemitteilung im Vergleich zu Placebo nicht wirklich beurteilen. Bisher ist der therapeutische Ansatz bei der allergischen Rhinokonjunktivitis eher umgekehrt: Bei ausreichender Behandlung der Nasenschleimhaut, z. B. mit einem topischen Glucocorticoidspray, wird auch das Auge effektiv mitbehandelt [5, 6].

Zu berücksichtigen ist auch, dass diese kurze Phase-II-Studie unter nicht realen Bedingungen in der Allergenexpositionskammer durchgeführt wurde. Bereits zuvor wurden Substanzen, die sich in einer Phase-II-Studie unter diesen Voraussetzungen erfolgreich gezeigt hatten, nicht weiterentwickelt, weil Phase-III-Studien unter realen Umweltbedingungen die Ergebnisse nicht bestätigen konnten [7]. Erstaunlich ist auch, dass selbst unter den gut kontrollierbaren Bedingungen einer Allergenexpositionskammer sich in vergleichbaren Studien hohe Placeboantworten fanden [7]. Derzeit akzeptiert die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) die Allergenexpositionskammer für Phase II-, aber nicht für Phase-III-Studien.

Ein Blick in die Zukunft

Zur abschließenden Beurteilung der Bedeutung von Tacrosolv-Augentropfen in der Therapie der allergischen (Rhino-)Konjunktivitis muss die Vollpublikation der Studienergebnisse abgewartet werden. Außerdem müssen die Ergebnisse placebokontrolliert unter realen Allergenexpositionsbedingungen und für einen längeren Zeitraum als nur für acht Tage verifiziert werden. Dies ist insbesondere auch im Hinblick auf potenzielle Neben­wirkungen wie bakterielle und virale Infektionen am Auge relevant.

Wenn sich die Wirksamkeit und Sicherheit der Tacrosolv-Augentropfen in weiteren Studien bestätigen lassen, stünde mit dieser neuartigen Formulierung eine – im Vergleich zu topischen Steroiden – möglicherweise nebenwirkungsärmere und – im Vergleich zu topischen Antihistaminika – praktikablere Therapieoption am Auge zur Verfügung. Die Prüfung der Formulierung direkt an der Nasen- und auch Bronchialschleimhaut wäre folgerichtig, müsste dann aber auch im Head-to-Head-Vergleich mit topischen Glucocorticosteroiden Überlegenheit zeigen, um zu einem Paradigmenwechsel in der Therapie der allergischen Entzündung führen zu können. |

Literatur

[1] Marinomed Biotech AG gibt vielversprechende Topline-Daten der klinischen Phase-II-Studie mit Tacrosolv zur Behandlung von allergischer Rhinokonjunktivitis bekannt. Pressemitteilung der Marinomed Biotech AG, 1. Juli 2021

[2] Therapeutic Effect of Tacrosolv in Patients With Allergic Rhinoconjunctivitis. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04532710, Abruf am 28. Juli 2021

[3] Leonard A. Management of vernal keratoconjunctivitis. Ophthalmol Ther 2013;2:73-88

[4] Barber LD et al. Phase III safety evaluation of cyclosporine 0.1% ophthalmic emulsion administered twice daily to dry eye disease patients for up to 3 years. Ophthalmology. 2005;112:1790–1794

[5] Bjermer L et al. The complex pathophysiology of allergic rhinitis: scientific rationale for the development of an alternative treatment option. Allergy Asthma Clin Immunol 2019;15:24

[6] Fachinformation Protopic® 0,01% Salbe, Stand: August 2020

[7] Michael S. Blaiss. Evolving paradigm in the management of allergic rhinitis-associated ocular symptoms: role of intranasal corticosteroids, Current Medical Research and Opinion 2008;24:3,821-836

[8] Pfaar O et al. Placebo effects in allergen immunotherapy-An EAACI Task Force Position Paper. Allergy 2021;76(3):629-647

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