Arzneimittel und Therapie

Venlafaxin am auffälligsten

Welche Antidepressiva in der Frühschwangerschaft das Fehlbildungsrisiko erhöhen

Antidepressiva werden auch bei Schwangeren angewendet. Bisher liegen nur begrenzte Informationen über die Risiken der einzelnen Substanzen für bestimmte Defekte vor. Außerdem wurden zugrunde liegende Störfaktoren (Grunderkrankungen, soziale und ethnische Aspekte) aktuell noch nicht beachtet. In der bisher größten Fallkontrollstudie werden erste Unterschiede deutlich.

Etwa 6 bis 8% aller werdenden Mütter in den USA bekommen Antidepressiva. Einerseits ist eine adäquate Behand­lung der Depression für die Gesundheit von Mutter und Kind, die Qualität der Vorsorge und die Mutter-Kind-Bindung wichtig. Andererseits ist das Wissen über die Risiken einer Medikation für das Kind nicht differenziert genug. Hier ist weitergehende Forschung wichtig, um evidenzbasierte Empfehlungen für die klinische Praxis und die Behandlungsentscheidung entwickeln zu können.

In der National Birth Defects Prevention Study (NBDPS) wurden von 1997 bis 2011 in zehn Staaten der USA die Geburten von Kindern mit definierten schweren Missbildungen dokumentiert (Lebend- und Totgeburten sowie Abbrüche). Insgesamt waren 30.630 Geburtsfehler aufgetreten. Retrospektiv wurden die Mütter telefonisch befragt, ob sie bestimmte Antidepressiva (Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin, Venlafaxin und Bupropion) drei Monate vor der Empfängnis bis zum Ende der Schwangerschaft eingenommen hatten. 1562 Frauen (5,1%) gaben eine Einnahme von Antidepressiva in der Frühschwangerschaft an. In der Kontrollgruppe mit 11.478 Frauen mit gesund geborenen Kindern waren 467 (4,1%) exponiert.

Die Auswertung erfolgte in zwei Richtungen: In Setting 1 wurden Frauen mit antidepressiver Medikation während der Frühschwangerschaft mit solchen Frauen verglichen, die weder vor noch während der Schwangerschaft Antidepressiva eingenommen hatten. Zugrunde liegende, verzerrende Faktoren, die das Risiko für eine Therapie mit Antidepressiva erhöhen, wurden evaluiert und die Ergebnisse zumindest teilweise dahingehend korrigiert. Dazu zählten: Die ethnische Herkunft, der Body-Mass-Index (BMI) in der Schwangerschaft, höhere Bildung sowie Rauchen oder Alkohol in der Frühschwangerschaft. Unter den SSRI (selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) zeigten Paroxetin und Fluoxetin die höchsten Werte für die angepasste Risikowahrscheinlichkeit (aOR) für spezifische Fehlbildungen auf (z. B. abnormer Pulmonalvenenrückstrom nach Fluoxetin: aOR = 2,56; 95%-Konfidenzintervall: 1,10 bis 5,93), gefolgt von Citalopram und Sertralin. Für Escitalopram ergab sich kein Anstieg, jedoch wurde der Wirkstoff auch von den wenigsten Frauen eingenommen. Venlafaxin war am auffälligsten - durch eine Einnahme des SNRI in der frühen Schwangerschaft stieg das Risiko für eine Vielzahl von Defekten (z. B. Herzfehler, Defekte am Gehirn und Wirbelsäule, Lippen- und Gaumenspalten). Teilweise wiesen die berechneten adjustierten Odds Ratios Werte zwischen 3,34 bis 5,26 auf.

Retinoide: Schwangerschaft auch Jahre später noch melden

Aktuell gibt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bekannt, dass die Wirksamkeit des Schwangerschaftsverhütungsprogramms unter oral angewandten Retinoiden überprüft werden soll. Dazu sind alle Patientinnen und Angehörige der Gesundheitsberufe angehalten, sämtliche Schwangerschaften, die während oder im relevanten Zeitraum nach der Anwendung oraler Retinoide (Acitretin: bis zu drei Jahre nach Therapieende, Alitretinoin und Isotretinoin: bis ein Monat nach Therapieende) einmal jährlich unter dem Aktenzeichen „75.02-5221-2020-07/00141/RET“ an das BfArM oder die Arzneimittelkommission zu melden. Topisch angewandte Retinoide sind davon nicht betroffen.

Retinoide: Aktualisierte Maßnahmen zur Schwangerschaftsverhütung, BfArM-Meldung vom 7. Januar 2021

Krankheit oder Antidepressivum – was ist schuld?

In Setting 2 wurden Frauen, die Antidepressiva in der Frühschwangerschaft eingenommen hatten, mit Frauen verglichen, bei denen die Einnahme außerhalb der Frühschwangerschaft lag. Hier waren die Assoziationen zwischen SSRI und Fehlbildungen deutlich abgeschwächt, vor allem, was die kardialen Defekte betraf. Dagegen blieb das Risiko unter SSRI für Defekte, die nicht das Herz betrafen, in gleicher Höhe bestehen. Dadurch stärkt sich der Verdacht, dass kardiale Fehlbildungen wahrscheinlich eher auf die Grunderkrankung, für die das Anti­depressivum verordnet worden war, zurückzuführen sind und SSRI mög­licherweise nur das Risiko für nicht kardiale Fehlbildungen erhöhen.

NBDPS ist die erste Studie, die zumindest teilweise die Verzerrung durch begleitende Aspekte berücksichtigt. Da die Studie nicht dafür ausgelegt war, die Effekte der jeweiligen Grunderkrankung zu berücksichtigen, sind die Aussagen diesbezüglich limitiert. Weitere Untersuchungen müssen die Daten bestätigen. |
 

Literatur

Anderson KN et al. Maternal Use of Specific Antidepressant Medications During Early Pregnancy and the Risk of Selected Birth Defects. LAMA R 2020, 2453 E1-E10

Apothekerin Gundula Henschel

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