Infektiologie

Dem „Würgeengel“ die Macht nehmen

Die hochansteckende Diphtherie nicht vergessen

In Deutschland treten nur noch vereinzelte Fälle der hochansteckenden Diphtherie auf, doch aus Osteuropa oder Ländern der Dritten Welt, in denen Diphtherie endemisch auftritt, könnte die Krankheit – auch wegen ungenügender Durchimpfungsraten bei Erwachsenen – auch in Deutschland wieder eingeschleppt werden. Manifestiert sie sich als schwere Rachenentzündung und breitet sich auf Kehlkopf und die Schleimhäute im Rachen aus, kann das zu lebensgefährlichen Erstickungsanfällen führen, weshalb sie auch früher als „Würgeengel“ bezeichnet wurde.

Bei Diphtherie handelt es sich um eine akute Erkrankung, die durch Diphtherie-Toxin-produzierenden Stämme von Corynebacterium (C.) diphtheriae verursacht wird, in einigen Fällen auch durch C. ulcerans oder C. pseudotuberculosis.

Corynebakterien sind fakultativ anaerobe, unbewegliche, nicht Sporen bildende, häufig keulenförmige, grampositive Stäbchen. Die Übertragung von Corynebacterium diphtheriae erfolgt normalerweise über Tröpfchen­infektion, eine direkte Übertragung durch Hautläsionen ist jedoch ebenso möglich. Unter schlechten Hygienestandards ist sogar eine indirekte Übertragung durch kontaminiertes Material möglich. C. ulcerans wird nur sehr selten von Mensch zu Mensch übertragen. Häufiger erfolgt eine Infektion durch Kontakt mit einem infizierten Tier (z. B. Hund oder Katze) oder durch den Verzehr unpasteurisierter Milchprodukte. C. pseudortuberculosis hat sein natürliches Reservoir in Schafen und Ziegen, sodass eine Infektion beim Menschen extrem selten auftritt [1]. Bei dem von C. diphtheriae gebildeten Bakterientoxin handelt es sich um ein Exotoxin, welches aus zwei Untereinheiten besteht. Untereinheit A greift in die Proteinbiosynthese ein und bringt diese zum Erliegen, was zum Zelltod führt [2]. Da C. diphtheriae auf Schleimhäuten kolonisiert, kommt es nach Freisetzung des Zytotoxins zunächst zu charakteristischen Läsionen der befallenen Schleimhäute. Nach Absorption des Toxins sind jedoch auch andere Organe betroffen [3].

Foto: Science Photo Library/Collection Abecasis

Emile Roux bei der Vorbereitung eines Diphtherie-Impfstoffs. Der franzö­sische Arzt, Bakteriologe und Immunologe Emile Roux (1853 – 1933) arbeitete mit Louis Pasteur zusammen und war 1887 einer der Mitbegründer des Pasteur-Instituts. In einer Veröffentlichung von 1888 über die Ursache der Diphtherie identifizierte er Corynebacterium diphtheriae als Auslöser und entwickelte erfolgreich ein Serum zur Behandlung der Krankheit.

Verbreitung

Im Laufe der Geschichte war Diphtherie eine der am meisten gefürchteten Infektionskrankheiten weltweit, die verheerende Epidemien mit Sterblichkeitsraten bis zu 50% verursachte. Betroffen waren hauptsächlich Kinder. Die Sterblichkeitsrate in Europa war während des Ersten Weltkriegs auf etwa 15% gesunken, was hauptsächlich auf die weit verbreitete Anwendung der Diphtherie-Antitoxin-Therapie zurückzuführen war. Impfstoffe auf der Basis von Diphtherie-Toxinen waren Ende der 1940er-Jahre in Europa und Nordamerika erhältlich und reduzierten nachweislich Ausbrüche in geimpften Bevölkerungsgruppen. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen traten bis zur Durchführung eines erweiterten Immunisierungsprogramms im Jahr 1974 jedes Jahr schätzungsweise eine Million Fälle von Diphtherie auf, darunter 50.000 bis 60.000 Todesfälle. In den Jahren 1980 bis 2000 konnte die Gesamtzahl der Diphtherie-Fälle um mehr als 90% reduziert werden. Schätzungen zufolge erhalten ca. 86% aller Kinder weltweit die empfohlenen drei Dosen eines Diphtherie-Impfstoffes im Säuglings­alter. In Gebieten mit nicht geimpften Kindern werden immer noch Sterblichkeitsraten über 10% gemeldet. In Zonen mit gemäßigtem Klima treten die meisten Fälle im Herbst und Winter auf, in wärmeren Klimazonen während des ganzen Jahres [4]. In Deutschland wurde die Diphtherie-Impfung im Jahre 1974 von der Ständigen Impfkommis­sion (STIKO) als Standardimpfung in den Impfkalender für Säuglinge und Kinder aufgenommen (Westdeutschland), in der DDR gab es bereits eine Pflichtimpfung seit 1961 [1]. In den Jahren 2017 bis 2019 wurden zwischen zehn und 30 Diphtherie-Fälle pro Jahr gemeldet [5]. 2020 wurden 16 Diphtherie-Erkrankungen an das Robert Koch-Institut übermittelt, darunter 15 Fälle von Hautdiphtherie und ein Fall respiratorischer Diphtherie [10].

Diagnose und Symptomatik

Die Diagnose der Diphtherie erfolgt in erster Linie über das klinische Bild. Labordiagnostisch kann die Absicherung durch Nachweis von Erreger und Diphtherietoxin aus Rachen-, Nasen- oder Wundabstrichen mittels kulturellem Nachweis bzw. PCR/Immunpräzipitationstest erfolgen [1].

Differenzialdiagnostisch muss eine respiratorische Diphtherie z. B. unterschieden werden von Streptokokken-induzierter oder viraler Pharyngitis und Tonsillitis, Pseudokrupp, oraler Candidiasis oder Adenovirus-Infektionen.

Nach einer Inkubationszeit von zwei bis fünf Tagen treten erste Symptome auf. Klinisch unterscheidet man je nach Manifestationsort zwei Formen der Diphtherie:

  • respiratorische Diphtherie unterteilt in Tonsillen-/Rachendiphtherie, Kehlkopfdiphtherie und nasale Diphtherie
  • Haut-/Wunddiphtherie

Bei der respiratorischen Diphtherie sind Rachen, Kehlkopf, Tonsillen sowie die Nase betroffen. Meist treten zunächst Halsschmerzen mit Schluckbeschwerden auf, dazu kommt Fieber bis zu 39 °C. Im weiteren Verlauf kommt es zu Heiserkeit und Schwellung der Lymphknoten am Hals. Die Verengung der Atemwege führt zu krankhaften Atemgeräuschen. Ein grau-weißer bis bräunlicher Belag (Pseudomembran) auf den Tonsillen bis hin zu Gaumen und Zäpfchen ist Kennzeichen einer Tonsillitis/Pharyngitis, welche meist innerhalb von zwei bis drei Tagen auftritt. Charakteristisch ist ein süßlicher Mundgeruch. Entsprechend der Lokalisation der Symptome wird diese Form der respiratorischen Diphtherie als Tonsillen- oder Rachendiphtherie bezeichnet.

Ist der Kehlkopf betroffen, stehen Heiserkeit bis hin zum Verlust der Stimme, bellender Husten und Atemnot im Vordergrund. Häufig treten beidseitig von den Lymphknoten ausgehende Ödeme an Ohr, Kinn, Hals und Nacken auf. Diese sogenannte Kehlkopfdiphtherie tritt vor allem bei Kindern auf und kann durch Verlegung der Atemwege zu Zyanoseanfällen und Koma bis hin zum Erstickungstod führen.

Sehr selten tritt eine nasale Diphtherie auf, dann vor allem bei Säuglingen oder Kleinkindern. Kennzeichen sind ein blutiger Ausfluss aus der Nase sowie weißliche Flecken an der Nasenscheidewand.

Tritt eine Haut- oder Wunddiphtherie nach Bagatellverletzungen oder Insektenstichen auf, entstehen schmierige Beläge auf Haut- und Schleimhaut. Diese stellen eine mögliche Infektionsquelle für eine respiratorische Diphtherie dar, sowohl für den betroffenen Patienten als auch für enge Kontaktpersonen. In westlichen Staaten entstehen Hautdiphtherie-Fälle meist unter schlechten Hygienestandards, wie z. B. durch Obdachlosigkeit, Alkoholabhängigkeit oder Drogenmissbrauch.

Als Komplikation der lokal begrenzten Formen kann es zu einer toxischen Diphtherie kommen. Am häufigsten betroffen sind Myokard (Myokarditis mit Arrhythmien bis hin zum kardiogenen Schock) und periphere Nerven (Lähmungen von Gesichts-, Rumpf- und Atemmuskulatur).

Patienten sind ansteckend, solange der Erreger nachweisbar ist, meist zwei bis vier Wochen. Durch antibiotische Behandlung kann diese Dauer auf zwei bis vier Tage verkürzt werden.

Eine Erkrankung mit Diphtherie führt nicht zu einer bleibenden Immunität, sodass man mehrfach an Diphtherie erkranken kann. Die Letalität der Diphtherie liegt bei 5 bis 10%, bei Kindern unter fünf Jahren oder Erwachsenen über 40 Jahren bei 20 bis 40% [1].

Therapie

Goldstandard für die Behandlung der respiratorischen Diphtherie ist die Gabe von Diphtherie-Antitoxin (DAT). Diphtherie-Toxin, das bereits in die Wirtszellen gelangt ist, bleibt aber vom Diphtherie-Antitoxin unberührt. Daher sollte dies bereits bei Verdacht auf Diphtherie verabreicht werden. Da es sich bei Diphtherie-Antitoxin um Immunglobuline vom Pferd handelt, muss mit einer anaphylaktischen Reaktion gerechnet werden. Bei einer Hautdiphtherie ist die Gabe von Diphtherie-Antitoxin im Allgemeinen nicht nötig. Zur Eradikation der Diphtherie-Bakterien erfolgt die Gabe von Penicillin oder Erythromycin über 14 Tage [1, 4].

Impfung ist der beste Schutz

Die Impfung gegen Diphtherie gehört gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu den Standardimpfungen. Jeder Säugling sollte nach Vollendung des zweiten Lebensmonats eine Grundimmunisierung erhalten. Die Gabe von drei Impfdosen erfolgt gemäß Impfkalender [6] im Alter von zwei Monaten, vier Monaten und elf Monaten. Bei Frühgeborenen sollte aufgrund des noch nicht ausgereiften Immunsystems eine zusätzliche vierte Dosis im Alter von drei Monaten verabreicht werden. Im Vorschulalter (fünf bis sechs Jahre) erfolgt die erste Auffrischung, eine zweite im Alter von neun bis 17 Jahren, danach sind Auffrischungen alle zehn Jahre ausreichend.

Eine Impfung ist auch bei allen anderen Personen indiziert, die keine oder nur eine unvollständige Grundimmunisierung erhalten haben, oder wenn die letzte Auffrischimpfung mehr als zehn Jahre zurückliegt. Es gilt, dass jede Impfung zählt und eine einmal erfolgte Grundimmunisierung auch bei Intervallen, die mehr als zehn Jahre betragen, nicht wiederholt werden muss. Das heißt, es werden nur fehlende Impfungen der Grundimmunisierung vervollständigt. Ungeimpfte oder Personen mit fehlendem Impfnachweis erhalten zwei Impfungen im Abstand von vier bis acht Wochen und eine dritte Impfung sechs bis zwölf Monate nach der zweiten Impfung [7].

Der Diphtherie-Impfstoff enthält ein Toxoid (inaktiviertes Diphtherie-Toxin des C. diphtheriae) welches zur Produktion von Antikörpern gegen das von C. diphtheriae, C. ulcerans und C. pseudotuberculosis produzierte Diphtherie-Toxin führt. Während der Impfstoff für Säuglinge und Kleinkinder ca. 20 IE Diphtherie-Toxin enthält, wird ab einem Alter von fünf Jahren ein reduzierter Toxoid-Gehalt von ca. 2 IE Diphtherie-Toxin verwendet.

Auf einen Blick

  • Diphtherie wird durch das Bakterium C. diphtheriae verursacht.
  • Diphtherie-Toxin greift in die Proteinbiosythese ein.
  • Bei der respiratorischen Diphtherie sind Rachen, Kehlkopf, Tonsillen sowie die Nase betroffen.
  • Die Therapie erfolgt mit Diphtherie-Antitoxin und Gabe von Antibiotika.
  • Impfung mit Toxoidimpfstoff gehört zur Standardimpfung der STIKO.

Beobachtungen haben gezeigt, dass Personen, die durch eine frühere Impfung bereits gegenüber Diphtherie-Toxin sensibilisiert wurden, häufiger Nebenwirkungen bei der Impfung zeigen. Darüber hinaus konnte in Studien belegt werden, dass ab einem Alter von fünf Jahren die niedrigere Dosierung eine ausreichende Immunität hervorruft, unabhängig davon, ob die geimpfte Person vorher schon ein Toxoid erhalten hat [7]. Eine Impfung kann auch in der Schwangerschaft erfolgen, im ersten Drittel der Schwangerschaft sollte eine Impfung aber nur bei dringender Indikation erfolgen. Da es in diesem Zeitraum häufig zu Spontanaborten kommt, könnten diese sonst fälschlicherweise mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden [8]. Da die Impfung nur vor den Symptomen einer Diphtherie schützt, nicht aber vor der Infektion, können auch geimpfte Personen Keimträger sein [7]. Diphtherie-Impfstoffe (z. B. Boostrix, Hexyon, Infanrix, Repevax, Revaxis, Td-Immun) werden in Deutschland ausschließlich als Kombinationsimpfstoffe angeboten, die zumindest noch vor Tetanus schützen [9] (tabellarische Übersicht über die Impfstoffe siehe: Fischer S. Tetanus-Gefahr ist nicht gebannt: Mit aktiver Immunisierung gegen die gefürchteten Toxine. DAZ 2021, Nr. 36, S. 44). |

Literatur

 [1] Ratgeber Diphtherie. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), Stand: 10. Januar 2018, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Diphtherie.html;jsessionid=77C5B379CFCEF76CAEC1AA5B2DAB712B.internet071#doc2374528bodyText7

 [2] Diphtherietoxin. Lexikon der Biologie, Spektrum.de, www.spektrum.de/lexikon/biologie/diphtherietoxin/18476

 [3] Factsheet about diphtheria. European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), www.ecdc.europa.eu/en/diphtheria/facts

 [4] Diphtheria vaccine: WHO position paper. Weekly epidemiological record 2017;31:417–436, World Health Organiza­tion (WHO)

 [5] Infektionsepidemiologische Jahrbücher 2017, 2018, 2019, Robert Koch-Institut (RKI), www.rki.de/DE/Content/Infekt/Jahrbuch/jahrbuch_node.html

 [6] Impfkalender der Ständigen Impfkommission 2020/21. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) 2020;34:6

 [7] Schutzimpfung gegen Diphtherie: Häufig gestellte Fragen und Antworten. Robert Koch-Institut (RKI), Stand 20. November 2019, www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Diphtherie/FAQ-Liste_Diphtherie_Impfung.html

 [8] Kann in der Schwangerschaft und Stillzeit geimpft werden? Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), Stand 26. März 2020, www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/AllgFr_AllgemeineFragen/FAQ08.html

 [9] Tetanus-Impfstoffe. Informationen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoffe/diphtherie/diphtherie-node.html

[10] Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten für 2020. Stand: 1. März 2021, Robert Koch-Institut (RKI), www.rki.de/DE/Content/Infekt/Jahrbuch/Jahrbuch_2020.pdf?__blob=publicationFile

Apothekerin Dr. Sabine Fischer

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