Arzneimittel und Therapie

Typ-1-Diabetes: Heilung in Sicht?

Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib verlangsamt kurzfristig Zerstörung der Betazellen

In einer aktuellen Phase-II-Studie konnte gezeigt werden, dass eine 26-wöchige Therapie mit dem Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib die Funktion der Betazellen bei neu diagnostizierten Typ-1-Diabetikern aufrechterhalten kann – die Dauer des Effekts war jedoch begrenzt.

Beim Typ 1 eines Diabetes mellitus kommt es durch Autoimmunprozesse zu einer Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen des Pankreas. Der daraus resultierende absolute Insulin-Mangel zwingt die Betroffenen zu einer lebenslangen exogenen Insulin-Zufuhr. Trotz Insulin-Therapie wird jedoch nur selten eine Euglyk­ämie erreicht, das Risiko für Langzeitfolgen bleibt bestehen. Um den Krankheitsverlauf besser kontrollieren zu können, hat sich die Wissenschaft in den letzten Jahren darauf fokussiert, die Betazell-Funktion durch verschiedene Immuntherapien zu erhalten. Ein möglicher neuer Behandlungsansatz im Kampf gegen Typ-1-Diabetes ist Imatinib (Glivec®). Der Tyrosinkinase-Inhibitor wurde ursprünglich zur Behandlung von Patienten mit Philadelphia-Chromosom(bcr-abl)-positiver (Ph+) chronisch myeloischer Leukämie (CML) entwickelt. Mittlerweile wurden die Indikationsgebiete auf andere Krebserkrankungen erweitert. Die Wirkung von Imatinib ist vielversprechend – so konnte in präklinischen Studien gezeigt werden, dass Imatinib sowohl die pankreatische Betazellfunktion als auch die Insulin-Sensiti­vität verbessern kann.

Foto: Tortuga/AdobeStock

Ob man tatsächlich mit einer Imatinib-Therapie die Kurve bekommen und einen drohenden Typ-1-Diabetes abwenden kann, müssen weitere Studien zeigen.

Imatinib im Test

In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II-Studie von Gitelman et al. wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von Imatinib bei Typ-1-Diabetikern untersucht. Die Studie wurde an neun klinischen Zentren – acht davon in den USA, eines in Australien – durchgeführt. Der Studienzeitraum war von Februar 2014 bis Mai 2016. Insgesamt wurden 67 neu diagnostizierte (< 100 Tage) Typ-1-Diabetiker im Alter von 18 bis 45 Jahren in die Studie eingeschlossen. 2 : 1 randomisiert erhielten 45 Teilnehmer neben dem Standard-Diabetes-Management über 26 Wochen viermal täglich 100 mg Imatinib oral und 22 Probanden ein Placebo. Sowohl zu Beginn der Studie als auch drei, sechs, zwölf, 18 und 24 Monate danach wurde die C-Peptid-Antwort zwei Stunden nach einer gemischten Mahlzeit bestimmt. Neben dem Glucose-Stimulus reagieren die Betazellen des Pankreas auch auf die enthaltenen Fett- und Aminosäuren und produzieren zunächst Proinsulin. Dieses wird dann in das blutzuckersenkende Insulin und C-Peptid (engl. connecting peptide) gespalten. Im Vergleich zum Insulin weist C-Peptid eine etwa zehnmal längere Halbwertszeit auf, was es zu einem guten Biomarker für die Funktionsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse und deren Insulin-Produktion macht.

MMTT und C-Peptid-Messung

Mithilfe des mixed meal tolerance test (MMTT), der vor allem in klinischen Studien eingesetzt wird, kann die Funktion der Betazellen bestimmt werden. Dafür müssen die Probanden nüchtern eine Flüssigkeit zu sich nehmen, die – anders als beim oralen Glucosetoleranztest – Proteine, Kohlenhydrate und Fette enthält. Anschließend wird über zwei Stunden alle 30 Minuten Blut entnommen. Neben dem Glucosestimulus reagieren die Betazellen des Pankreas auch auf die enthaltenen Fett- und Aminosäuren und produzieren zunächst Proinsulin. Dieses wird dann in das blutzuckersenkende Insulin und C-Peptid (engl. Connecting-Peptide) gespalten wird. Im Vergleich zum Insulin weist C-Peptid eine etwa zehnmal längere Halbwertzeit auf, was es zu einem guten Biomarker für die Funktionsfähigkeit der Bauchspeicheldrüse und deren Insulinproduktion macht. Liegt der gemessene C-Peptid-Wert bei Erwachsenen unter 0,2 nmol/l, müssen diese Insulin exogen zuführen. Kein Bedarf besteht ab Werten über 0,5 nmol/l, Werte zwischen 0,2 und0,5 nmol/l befinden sich im Graubereich.

Kein anhaltender Therapieerfolg

In die Auswertung gelangten die Daten von 43 Teilnehmern der Verumgruppe (ein Studienabbruch, ein Todesfall) und 21 Probanden der Placebogruppe (ein Studienabbruch). Im primären Endpunkt nach einem Jahr konnte festgestellt werden, dass die Patienten der Imatinib-Gruppe im Vergleich zu Placebo eine signifikant stärkere Antwort des C-Peptids auf die Mahlzeit zeigten. Die Konzentrationen lagen im Mittel bei 0,583 nmol/l in der Imatinib-Gruppe versus 0,489 nmol/l in der Placebo-Gruppe; die mittlere Differenz zwischen beiden Gruppen lag bei 0,095 (p = 0,048). Dieser positive Effekt konnte jedoch im weiteren Verlauf der Studie nicht aufrechterhalten werden – nach 24 Monaten war kein Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen mehr feststellbar. Als sekundärer Endpunkt wurde auch die Verträglichkeit der Therapie untersucht. Während des 24-monatigen Follow-up berichteten 71% der mit Imatinib behandelten Patienten über unerwünschte Arzneimittelwirkungen vom Grad zwei oder höher; in der Placebo-Gruppe waren es 59%. Am häufigsten wurde über gastrointestinale Beschwerden, insbesondere Übelkeit, geklagt. Insgesamt benötigten 38% der Patienten der Imatinib-Gruppe eine temporäre Dosisanpassung; sechs Teilnehmer mussten die Behandlung sogar vorzeitig beenden.

Fazit

Eine 26-wöchige Imatinib-Therapie kann für die Dauer von zwölf Monaten die autoimmuninduzierte Zerstörung der Betazellen des Pankreas bei frühzeitig diagnostiziertem Typ-1-Diabetes verlangsamen. Ein länger andauernder Erfolg der Therapie konnte in dieser Studie jedoch nicht gezeigt werden. Es sind weitere klinische Studien mit größeren Studienpopulationen notwendig. Offen bleibt auch, welche Dosis von Imatinib am effektivsten ist und wie lange die Therapie fortgeführt werden muss – zudem müssen mögliche Toxizitäten untersucht werden. |

Literatur

Altmeyer P, Schröder-Bergmann SL. C-Peptid. Altmeyers Enzyklopädie. www.altmeyers.org/de/innere-medizin/c-peptid-111464#authors, Abruf am 13. Oktober 2021

Cervonie B. A Mixed Meal Tolerance Test for Clinical Trials. Informationen der Verywell Dotdash, Inc. www.verywellhealth.com/what-is-a-mixed-meal-tolerance-test-4151260, Abruf am 13. Oktober 2021

C-Peptid. Informationen des Zentrums für Diagnostik GmbH am Klinikum Chemnitz, www.laborchemnitz.de/leistungen/leistungsverzeichnis/detail/leistung/c-peptid, Abruf am 13. Oktober 2021

Diabetes mellitus Typ 1.Informationen des DocCheck Flexikons, https://flexikon.doccheck.com/de/Diabetes_mellitus_Typ_1, Abruf am 16. August 2021

Gitelman SE et al. Imatinib therapy for patients with recent-onset type 1 diabetes: a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9:502-514

Glivec. Produktinformation der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/glivec-epar-product-information_de.pdf, Abruf am 16. August 2021

Apothekerin Dr. Martina Wegener

 

Enttäuschendes Ergebnis

Ein Gastkommentar

Ob Imatinib wirklich den erhofften Therapiedurchbruch für Typ-1-Diabetiker im Frühstadium bedeutet, erläutert Prof. Dr. Andreas Fritsche, Stellvertretender Leiter des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen.

Prof. Dr. Andreas Fritsche

Die Studie zeigt einen der vielen Versuche, die abnehmende und versiegende Insulin-Sekretion bei Typ-1-Diabetes aufzuhalten und damit dessen Entstehung zu verhindern. Frühere Studien mit unterschiedlichsten Therapieansätzen waren bisher leider überwiegend erfolglos. In der vorliegenden Studie wurde der Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib zu diesem Zweck beim Menschen getestet. Wie er die Betazellen schützen soll, ist noch nicht ausreichend geklärt, die Hypothesen zu reduziertem Betazellstress und verbesserter Insulin-Sensitivität stammen aus Tierstudien.

Der primäre Endpunkt dieser Studie (Insulin-Sekretion gemessen mit C-Peptid nach einem Mahlzeitentest) ist problematisch. Der Goldstandard zur Messung der Insulin-Sekretion ist der hyperglykämische Clamp oder intravenöse Glucose-Toleranztest. Am zweitbesten ist der orale Glucose-Toleranztest geeignet. Der hier verwendete Mahlzeitentest ist zwar physiologisch – aber höchst variabel, was die Insulin-Sekretion betrifft. Außerdem sollte die Insulin-Sekretion immer auf die gerade vorherrschende Insulin-Sensitivität korrigiert werden, was in der vorliegenden Studie nicht gemacht wurde. Somit kann man wenig mit dem primären Endpunkt anfangen, der dann auch noch nur marginal signifikant (p = 0,048) an einem von fünf Messzeitpunkten während zwei Jahren war. Meiner Meinung nach hätten zumindest alle Testzeitpunkte in einer gemeinsamen Analyse berücksichtigt werden müssen. Dann wäre jedoch kein Effekt von Imatinib auf die Insulin-Sekretion nachgewiesen worden. Dies passt zu den weiteren klinisch wichtigen Ergebnissen: Es gab keinen Unterschied in der Insulin-Dosis und im HbA1c-Wert zwischen der Placebo- und Imatinib-Gruppe. Insgesamt ist das Ergebnis der Studie für mich enttäuschend, was den Erhalt der Insulin-Sekretion bei autoimmunem Typ-1-Diabetes angeht. Die Autoren der Studie schlagen für die Zukunft Studien mit einer längeren, sogar jahrelangen Imatinib-Therapie vor – und das auch bei Kindern. Das halte ich nach den vorliegenden Ergebnissen für nicht gerechtfertigt. Mein persönliches Fazit wäre vielmehr, dass sich eine Imatinib-Therapie höchstwahrscheinlich nicht für eine Progressionsverzögerung des Typ-1-Diabetes eignet.

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