- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 42/2021
- Wie viel ist angemessen
Standespolitik
Wie viel ist angemessen?
Welche Maßstäbe bei den Rücklagen der Apothekerkammern gelten
In einem Urteil vom 22. Januar 2020 [1] befasste sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit den Beitragsbescheiden zweier Industrie- und Handelskammern (IHK), welche wegen überhöhter Rücklagen und unzulässig erhöhten Eigenkapitals als rechtswidrig eingestuft wurden. Während ein früheres Urteil des BVerwG aus dem Jahr 2015 [2] sich noch zurückhaltender geäußert hatte, wonach es sich bei der Bildung von angemessenen Rücklagen um den Bestandteil einer geordneten Haushaltsführung handele und allgemeingültige Wertungsmaßstäbe (z. B. Gebot der Schätzgenauigkeit) zu berücksichtigen seien, kommt das jüngere Urteil zu einer deutlich strengeren Einschätzung: Nach den Leitsätzen des Urteils wird durch die Befugnis, im jährlichen Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) angemessene Rücklagen vorzusehen, keine Ausgleichsrücklage nach einem Vielfachen des prognostizierten Einnahmeausfalls abgedeckt. Zudem bedürfe die Erhöhung des festgesetzten Kapitals in der Kammerbilanz eines sachlichen Grundes im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Die zentrale Rechtsvorschrift, welche das BVerwG herangezogen hat, ist § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG): Demnach ist die Kammer verpflichtet, vor Beginn eines jeden Wirtschaftsjahres einen Wirtschaftsplan aufzustellen und ihre Tätigkeit daran auszurichten. Dabei muss die Kammer auch den durch die Beiträge der Kammermitglieder zu deckenden Bedarf, ausgerichtet an den geplanten Tätigkeiten, Einnahmen und Ausgaben, prognostizieren. Nach Bewertung des BVerwG sind die Kammern gemäß der Vorschrift des IHKG bei ihrer Tätigkeit zur Sparsamkeit verpflichtet und dürfen kein Vermögen bilden. Im Wortlaut soll der Wirtschaftsplan der IHKs „nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen“ aufgestellt und ausgeführt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHGK).
Was lässt sich aus dem IHK-Urteil für die Apothekerkammern ableiten?
Insgesamt ist dem BVerwG-Urteil aus 2020 zu den Beiträgen von IHKs einerseits zu entnehmen, dass die Bildung einer Ausgleichsrücklage zur Vorsorge konjunktur- und branchenbedingter Beitragsschwankungen zwar gerechtfertigt sein kann, aber mit einem entsprechend detaillierten Haushaltsplan sachlich und der Höhe nach begründet werden muss. Andererseits sollten eventuelle Jahresüberschüsse grundsätzlich dazu verwendet werden, die Aufgabenerfüllung der Kammer zu finanzieren und die Beiträge der Kammerzugehörigen entsprechend zu mindern. Doch welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Urteil möglicherweise für die Apothekerkammern?
Fest steht zunächst, dass die wesentlichen Rechtsquellen, auf welche sich das Urteil stützt, dem IHKG entnommen sind. Insofern ist das Urteil auf die Apothekerkammern nicht unmittelbar anwendbar. Denn im Kammerrecht wird zwischen den Industrie- und Handelskammern einerseits und den Berufskammern andererseits unterschieden. Zu den Berufskammern zählen unter anderem die Heilberufskammern, welche wiederum in die Kammern der Ärzte und der Apotheker unterteilt sind. In allen Bundesländern werden die Kammern der Heilberufe in einem gemeinsamen Gesetz geregelt, so z. B. in Baden-Württemberg im sog. Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württemberg (HBKG). Das HBKG regelt im 4. Abschnitt den Haushalt der Kammern: Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 müssen die Kammern die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen durch Beiträge der Kammermitglieder (Umlage) beschaffen, soweit sonstige Einnahmen nicht zur Verfügung stehen, wobei die Umlage nach Maßgabe der Beitragsordnung erhoben wird. Die Vertreterversammlung beschließt aufgrund des Voranschlags des Haushaltsausschusses den Haushaltsplan sowie Art und Höhe der Umlage gemäß § 24 Abs. 1 HBKG, welche der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. Daneben regelt das HBKG des Weiteren das Genehmigungsverfahren bei der Aufsichtsbehörde, den Jahresabschluss mit Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sowie das Einsichtsrecht der Beitragspflichtigen in den Kammerhaushalt. Im Zusammenhang mit den Finanzen der Apothekerkammer – hier am Beispiel Baden-Württemberg – erlassen die Kammern weitere Vorschriften (Satzungen), z. B. zur Zahl der Mitglieder und Wahl des Haushaltsausschusses sowie Rechten und Pflichten des Haushaltsausschusses und seiner Mitglieder und zur Prüfung des Jahresabschlusses. Die Hauptsatzung [4] der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg regelt in den §§ 12 und 13 den Jahresabschluss und die Aufgaben des Haushaltsausschusses. Allerdings werden weder in der Hauptsatzung noch in der Beitragsordnung [5] die Angemessenheit der Beitragshöhe, die Bildung von Kammerrücklagen oder der Umgang mit eventuellen Haushaltsüberschüssen thematisiert. Eine dem IHKG vergleichbare Vorschrift zur sparsamen Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans findet sich nicht.
Großzügige Rücklage bilden oder Auszahlungen an Mitglieder tätigen?
Die Corona-Pandemie hat jedoch deutlich aufgezeigt, dass außergewöhnliche Situationen zu überdurchschnittlichen Haushaltsüberschüssen führen können: So hat die Landesapothekerkammer (LAK) Baden-Württemberg auf der diesjährigen Delegiertenversammlung mitgeteilt, dass sie einen Corona-bedingten Haushaltsüberschuss in Höhe von rund 1,2 Millionen Euro zu verzeichnen hatte [6]. Die deutlichen Einsparungen ergaben sich insbesondere im Bereich von Fort- und Weiterbildungen aufgrund der Umstellung auf wendiger kostenintensiver Webinare gegenüber Präsenzveranstaltungen, sowie bei der Gremienarbeit und bei standespolitischen Terminen, bei denen sich die Ausgaben für Reisen, Räume, Druck und Porto spürbar reduziert haben. Auf diese besondere Situation der Pandemie war verständlicherweise niemand vorbereitet, so dass eine zu diesem Thema speziell einberufene Arbeitsgruppe der LAK Baden-Württemberg darüber zu entscheiden hatte, auf welchem Weg der Überschuss den Kammermitgliedern zurückgezahlt werden konnte. Als Kompromissvorschlag zwischen insgesamt drei möglichen Vorgehensweisen wurde der Delegiertenversammlung ein Modell präsentiert, wonach zwei Drittel des zu verteilenden Überschusses für die Reduzierung der Grundbeiträge und ein Drittel für die Reduzierung der Umlage verwendet werden sollen; diesem wurde mit großer Mehrheit zugestimmt. Aufgrund der fehlenden schriftlichen Regelungen in den entsprechenden Vorschriften wie HBKG, Hauptsatzung oder Beitragsordnung der LAK Baden-Württemberg wäre allerdings auch eine Entscheidung, aus dem Haushaltsüberschuss eine großzügige Rücklage zu bilden, denkbar gewesen.
LAK Baden-Württemberg zahlt 1,2 Millionen Euro an Mitglieder zurück
eda | Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg 2021 weniger Ausgaben verzeichnet als ursprünglich geplant. Auf der Delegiertenversammlung im vergangenen Juni wurde daher beschlossen, den Haushaltsüberschuss in Höhe von 1,2 Millionen Euro noch in diesem Jahr zur Reduzierung der Mitgliedsbeiträge und der Umlage zu verwenden.
Bei der Vorstellung des aktuellen Etatstands zeigte sich den Delegierten, dass man aufgrund der pandemischen Lage Kosten vor allem im Bereich Fort- und Weiterbildung (durch Umstellung auf Webinare) sowie bei der Gremienarbeit und bei standespolitischen Terminen deutlich eingespart hat. Hierzu zählen vor allem die Ausgaben für Reisen, Räume, Druck und Porto.
Insgesamt handelt es sich um 1,2 Millionen Euro, die man 2021 nicht ausschöpfen werde, hieß es vom Rechnungsführer. Was also tun? Eine spontan einberufene Arbeitsgruppe prüfte in den letzten Monaten, wie man mit dem Corona-bedingten Haushaltsüberschuss verfahren könnte. Schnell stand fest, dass man das nicht benötigte Geld noch in diesem Jahr an die Mitglieder zurückgeben möchte. Reduziert werden sollen demnach die Grundbeiträge, die alle Approbierten der Kammer jährlich zahlen, sowie die Umlage, die sich aus einem prozentualen Anteil des Umsatzes der Apotheken im Kammerbezirk ergibt.
Drei Modelle zur Diskussion
Hierzu wurden im Vorfeld der Delegiertenversammlung drei Modelle diskutiert: Erstens könnten 75 Prozent der Überschüsse auf die Umlage angerechnet werden und 25 Prozent auf den Grundbeitrag. Diesem Modell lag die Überlegung zugrunde, die nicht benötigten Beiträge anteilsmäßig so zurückzugeben, wie sie auch gezahlt wurden, also vor allem den Apothekeninhabern in Form des umlagebezogenen Beitrags, der nach wie vor den Großteil der Kammereinnahmen ausmacht.
Andererseits könnten die Beitragsüberschüsse voll auf den Grundbetrag angerechnet werden. Damit würde jedes Kammermitglied in diesem Jahr nur 75 Euro zahlen – egal ob angestellt oder selbstständig, ob Teilzeit- oder Vollzeitkraft. Für die Arbeitsgruppe erschien dieses Modell verwaltungstechnisch am einfachsten umzusetzen und war von dem Gedanken getragen, dass in der Corona-Pandemie alle in Apotheken Beschäftigten gleichermaßen gefordert sind und die Leistungen der Kammer, die Corona-bedingt abgesagt werden mussten, in gleichem Maße allen Mitgliedern nicht zur Verfügung standen, weshalb eine gleichmäßige Entlastung aller Mitglieder erfolgen sollte.
Schließlich einigte man sich im Vorfeld der Delegiertenversammlung aber auf einen dritten Vorschlag, der vorsieht, dass zwei Drittel des zu verteilenden Überschusses für die Reduzierung der Grundbeiträge und ein Drittel für die Reduzierung der Umlage verwendet werden sollen. Dieses Modell stelle einen Kompromissvorschlag zum ersten und zweiten Vorschlag dar, so der Rechnungsführer. Es erfolge eine umfängliche Entlastung aller in der Krise geforderten Mitglieder, gleichzeitig solle jedoch auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass ein Großteil der Mehreinnahmen aus dem umlagebezogenen Beitrag stammt.
Daher empfahl man der Delegiertenversammlung das dritte Modell zum Beschluss. Mit Erfolg – dem Vorschlag stimmten 46 Delegierte zu, zwei waren dagegen, und drei enthielten sich.
Konkret wird der Haushaltsüberschuss in Höhe von 1,2 Millionen Euro allen Mitgliedern nun folgendermaßen zurückgezahlt:
Die Reduzierung der Umlage um 400.000 Euro erfolgt über eine einmalige Gutschrift im vierten Quartal 2021 auf die Umlagerechnung 2021 nach folgender Formel:
Letzter gemeldeter Umsatz der Apotheke × 400.000 Euro / gemeldeter Gesamtumsatz aller Apotheken in Baden-Württemberg für das Kalenderjahr 2020
So erhält jede Apotheke eine Gutschrift in Abhängigkeit ihres gemeldeten Umsatzes.
Die Reduzierung der Grundbeiträge um 800.000 Euro erfolgt über eine Neufestsetzung der Grundbeiträge für das Jahr 2021:
- Für Apothekerinnen und Apotheker, die mehr als 21 Stunden pro Woche beschäftigt sind, beträgt der Grundbeitrag für das Jahr 2021 114 Euro.
- Für Apothekerinnen und Apotheker, die nicht bzw. bis einschließlich 21 Stunden pro Woche beschäftigt sind, beträgt der Grundbeitrag für das Jahr 2021 78 Euro.
- Im Übrigen bleiben die Grundbeiträge unverändert.
Es existiert kein Routine-Vorgehen
Anhand dieses Beispiels lässt sich verdeutlichen, dass die Apothekerkammern in der Lage sind, mit unerwarteten Haushaltsüberschüssen verantwortungsvoll umzugehen. Zugleich offenbart sich jedoch auch, dass kein Routine-Vorgehen für außergewöhnliche Haushaltsbelange bei den Apothekerkammern existiert. Denn ebenso wie die Satzungen der LAK Baden-Württemberg sehen beispielsweise auch die Hauptsatzungen und Beitragsordnungen der Apothekerkammern des einwohnerstärksten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen – LAK Nordrhein [7] und LAK Westfalen-Lippe [8] – keine Regelungen zur angemessenen Höhe von Kammerrücklagen oder dem Umgang mit Haushaltsüberschüssen vor. Faktisch müssen sowohl der Jahresvoranschlag und die Umlagefestsetzung von der Vertreterversammlung einer Apothekerkammer genehmigt als auch der Jahresabschluss abgenommen werden. Sofern Überschüsse erzielt wurden, müsste die Vertreterversammlung ebenso über deren Verwendung entscheiden, ob beispielsweise eine Rücklage gebildet oder der Überschuss an die Mitglieder zurückgezahlt werden soll.
Eine dem IHKG vergleichbare Regelung findet sich in den Gesetzen der für diesen Beitrag näher betrachteten Heilberufskammern zwar nicht, dennoch sollte man annehmen, dass auch die Apothekerkammern sich einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung im Sinne ihrer Mitglieder verpflichtet fühlen und dies auch so praktizieren sollten. Das eingangs besprochene BVerwG-Urteil vom 22. Januar 2020 wäre somit, trotz der nicht unmittelbaren Anwendbarkeit, ein guter Anlass für alle Apothekerkammern, die Zulässigkeit und Angemessenheit von Kammerrücklagen zu thematisieren und entsprechende Grundsätze festzulegen, an denen sich die Haushaltsausschüsse orientieren können. Denn unvorhergesehene Ereignisse wie die Corona-Pandemie haben gezeigt, dass beherztes Handeln notwendig werden kann, um alle Betroffenen an Entlastungen zu beteiligen. |
Literatur
[1] Urteil des 8. Senats vom 22. Januar 2020 – BVerwG 8 C 9.19
[2] Urteil des 10. Senats vom 9. Dezember 2015 – BVerwG 10 C 6.15
[3] Gesetz über das Berufsrecht und die Kammern der Heilberufe in der Fassung vom 16. März 1995 (GBl. S. 314), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Februar 2021 (GBl. S. 77).
[4] Hauptsatzung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vom 08.10.1997, zuletzt geändert durch Satzung vom 17.10.2018.
[5] Beitragsordnung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vom 6. August 1998, zuletzt geändert durch Satzung vom 08.07.2021.
[6] Corona-bedingter Haushaltsüberschuss, LAK Baden-Württemberg zahlt 1,2 Millionen Euro zurück, DAZ online, 24.06.2021.
[7] Hauptsatzung der Apothekerkammer Nordrhein vom 12. Juni 1996; Beitragsordnung der Apothekerkammer Nordrhein, Bekanntmachung der Apothekerkammer Nordrhein vom 18. November 2020.
[8] Hauptsatzung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe vom 7. Dezember 1994; Beitragsordnung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe vom 6. Dezember 1995.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.