Arzneimittel und Therapie

Der Zöliakie den Kampf ansagen

Ein Blick auf innovative Therapieansätze

Die Gluten-Unverträglichkeit (Zöli­akie) ist eine chronische, durch T-Zellen vermittelte Autoimmunerkrankung, die mit lebenslanger Unverträglichkeit gegen das in Getreide vorkommende Klebereiweiß einhergeht. Die Symptome von Magen-Darm-Beschwerden bis hin zur Mangelernährung sind belastend - und es wird intensiv nach neuen Behandlungsmöglichkeiten gesucht.

Die Beschwerdesymptomatik ist bei Betroffenen ganz unterschiedlich. Bei der sogenannten klassischen Zöliakie besteht diese aus Durchfall, abdominellen Schmerzen sowie Gewichtsverlust und reicht bis zu einer komplexen Mangelernährung durch eine gestörte Aufnahme der Nährstoffe. Aber auch sogenannte subklinische Verläufe sind möglich, in denen diese klassischen Symptome gänzlich fehlen [1].

Foto: Dragana Gordic/AdobeStock

In vielen Getreidearten ist Gluten das wichtigste Speicherprotein. Der Anteil an Klebereiweiß ist entscheidend für die Backeigenschaften eines Getreidemehls. Da es darüber hinaus ein guter Emulgator und Träger für Aromastoffe ist, geliert und Wasser bindet, wird Gluten bei Fertiggerichten und Saucen sowie in der Lebensmitteltechnologie häufig als Hilfsstoff eingesetzt.

Mehr als zehn Brotkrumen am Tag führen bereits zu Beschwerden

Mit einer Prävalenz von circa 0,7 bis 1,0% tritt die Zöliakie verhältnismäßig häufig auf [2]. Epidemiologische Studien zeigen auch eine Zunahme der Inzidenz, die man derzeit auf sich ändernde Umweltfaktoren wie weizenreiche Ernährung, vermehrten Antibiotikagebrauch in der Kindheit, Dauer der Stillzeit zurückführt, die in ihrer Gesamtheit als „westlicher Lebensstil“ zusammengefasst werden [3, 4, 5]. Die bislang einzig erfolgreiche Strategie zur Therapie der Zöliakie ist das vollständige Meiden von Gluten im Rahmen einer strikt Gluten-freien Diät. Die noch tolerierte Gluten-Menge pro Tag, die nach Dosisfindungsstudien nicht oder nur sehr selten zu Schleimhautschäden führt, liegt bei weniger als 10 mg Gluten pro Tag bei Erwachsenen. Auf Nahrungsmittel umgesetzt entspricht das etwa zehn Brotbröseln oder einem Drittel eines Croutons oder einem Teil einer Nudel. Praktisch müssen damit alle Gluten-haltigen Getreide (Weizen, Dinkel, Grünkern, Roggen, Gerste, Triticale, Khorasan-Weizen [Kamut®], Emmer, Einkorn) und daraus hergestellte Produkte gemieden werden. Somit ist die Teilnahme Betroffener am „normalen“ gesellschaftlichen Leben eine echte Herausforderung und manchmal auch unmöglich [6].

Zöliakie schädigt die Dünndarmzotten

In der Nahrung enthaltenes Gluten bzw. Gluten-Fragmente gelangen durch die Darmschleimhautbarriere hindurch in die Mukosa. In der Mukosa werden diese Eiweiße durch das Enzym Transglutaminase 2 so verändert, dass eine hohe Bindungsaffinität zu einem speziellen Subtyp von HLA-Rezeptoren, den Subtypen DQ2 und -DQ8, entsteht. Diese HLA-Komplexe befinden sich auf antigenpräsentierenden Zellen des angeborenen Immunsystems (s. Abb.). Die Präsentation der modifizierten Gliadin-Fragmente durch die HLA-Epitope führt über die Aktivierung von T–Lymphozyten zu einer komplexen Entzündungskaskade, deren Endpunkt schließlich eine strukturelle Schädigung der Dünndarmschleimhaut ist. Typischerweise findet sich in der histopathologischen Untersuchung eine Destruktion der Dünndarmzotten, die sogenannte Zottenatrophie.

Abb.: Pathogenese der Zöliakie und mögliche therapeutische Targets. Gluten gelangt entlang der Schleimhautzellen in die Mukosa und wird durch das dort vorhandene Enzym Transglutaminase 2 deaminidiert. Dabei wird ein Gluten-Transglutaminase-Komplex gebildet, der eine hohe Affinität zu HLA-DQ2- und -DQ8-Rezeptoren auf antigenpräsentierenden Zellen hat. Diese lösen die Aktivierung von T-Lymphozyten aus, die wiederum eine Entzündung und Zottenatrophie initiieren. Der Gluten-Abbau kann bereits im Darmlumen durch Endopeptidasen (Glutenasen) geschehen (oben links), damit wird die luminale Konzentration von Gluten gesenkt. Durch Stabilisierung der Tight-Junctions mit dem Zonulin-Antagonisten AT-1001 kann die Durchlässigkeit der Zellzwischenräume vermindert werden. In der Mukosa kann eine spezifische Toleranz induziert werden mittels immunmodulierender Milch- und Glycol­säure(PLGA)-Nanopartikel (TAK-101), die mit dem Weizenprotein Gliadin beladen sind (unten rechts). Ebenfalls im Bindegewebe kann mit ZED1227 die Transglutaminase 2 inhibiert werden, so dass eine Komplexierung mit Gluten und die Bindung dieses Komplexes an die HLA-Rezeptoren der antigenpräsentierenden Zellen vermieden wird. Es kommt zu keiner Immunaktivierung. Alle genannten Therapeutika mit Ausnahme von AT-1001 befinden sich derzeit in Phase-II-Studien. Die Effektivität von AT-1001 wird in einer Phase-III-Studie untersucht.

Therapeutika dringend gesucht

Die heftige intestinale Entzündungsreaktion langfristig zu kontrollieren, ist das Ziel der Suche nach medikamentösen Therapiemodalitäten, denn bisher ist der klinische Bedarf nicht gedeckt. Die Forschung zur Pathophysiologie mit den neuen Erkenntnissen zur Bedeutung der Transglut­aminase hat zahlreiche mögliche Therapieansätze gezeigt, die nun in Phase-II- sowie einer Phase-III-Studie getestet werden. Ein möglicher Therapieansatz ist der Abbau des Glutens bereits im Darm durch sogenannte Endopeptidasen (Glutenasen, s. Abb.). In den entsprechenden Phase-II-Studien konnte zwar eine Linderung von Zöliakie-­typischen Beschwerden gezeigt werden, dieser Ansatz hatte aber keinen Einfluss auf die Gluten-induzierte Gewebedestruktion [7, 8].

Kein Durchdringen

Eine weitere interessante Option ist die Blockade der Translokation von Gluten durch die Epithelbarriere in die Mukosa. Diese beruht unter anderem auf einer erhöhten Epithelpermeabilität mit gestörter Funktion der Tight-Junctions-Proteine, welche die Durchlässigkeit von Zellzwischenräumen regeln und somit auch eine passive Diffusion zwischen einzelnen Zellen ermöglichen können [5]. Hier hat der sogenannte ZOT(Zonula Occludens Toxin)-Rezeptor eine pathologische Bedeutung. Eine Reduktion der Durchlässigkeit der Tight-Junctions über die Blockade des ZOT-Rezeptors kann durch das Zonulin-Analogon AT-1001 (Larazotid acetat) erreicht werden (s. Abb.). AT-1001 bewirkt zwar keine signifikante Abnahme der Dünndarmpermeabilität, zeigte jedoch in Phase-II-Studien vielversprechende Ergebnisse zur Beschwerdesymptomatik der Probanten [9]. Daher wurde in diesem Jahr eine Phase-III-Studie initiiert, deren Ergebnisse mit Spannung erwartet werden.

T-Zell-Aktivität herunterfahren

Einer der interessantesten, wenngleich bislang noch wenig klinisch erforschten therapeutischen Strategien ist die Induktion einer immuno­logischen Toleranz gegenüber Gluten. In der erst kürzlich veröffentlichten Phase-IIa-Studie mit Gliadin beladenen Nanopartikeln aus einem Milch- und Glycolsäure-Co-Polymer (TAK-101) konnte in der Wirkstoffgruppe nach einer 14-tägigen intravenösen Gabe bei akzeptablem Nebenwirkungsprofil eine Abnahme antigenspezifischer T-Zell-Aktivität nachgewiesen werden [10]. Zusätzlich zeichnete sich ein Mukosa-protektiver Effekt ab, welcher im Vergleich zur Placebogruppe jedoch nicht signifikant war. Eine weitere Phase-II-Studie mit einer Gesamtdauer von 26 Wochen befindet sich nun in Planung.

Hemmung der Transglutaminase 2

Die Inhibition der Transglutaminase-2-Aktivität ist ein vielversprechender therapeutischer Ansatz, dessen Effektivität in einer jüngst im New England Journal of Medicine publizierten Studie belegt werden konnte. Die Transglutaminase 2 katalysiert die Deamidierung der Aminosäure Glutamin und den Transfer von protein­gebundenen Glutamin-Resten auf primäre Amine. Dadurch wird die Affinität zu den HLA-Molekülen gesteigert. Dies führt schließlich über eine Aktivierung von T-Helferzellen und T-Effektorzellen auch zu einer Immunantwort gegen das körpereigene Enzym Transglutaminase 2. Dieser T-Zell-Antwort wird eine maßgebliche Rolle in der Gewebedestruktion zugeschrieben [11]. In der Proof-of-Concept-Studie der Arbeitsgruppe um Detlef Schuppan gelang es, durch Inhibition der Transglutaminase 2 mittels des oral einzunehmenden Wirkstoffes ZED1227 die Zöliakie-spezifischen Beschwerden der Probanden unter einer sechswöchigen Gluten-Belastung mit 3 g Gluten täglich zu reduzieren und die Lebensqualität anzuheben. Bemerkenswert war, dass auch das Ausmaß der Zotten­atrophie signifikant reduziert werden konnte [12]. Damit ist ZED1227 das bisher einzige Zöliakie-Therapeutikum, welches neben einer Linderung der Krankheitssymptome auch eine Abnahme der Gewebezer­störung erreichte. In einer weiteren Phase-III-Studie, die sich noch in Planung befindet, sollen diese Effekte nun über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht werden.

Ein Blick in die Zukunft

Ohne Zweifel kann ZED1227 nicht eine Gluten-freie Diät ersetzen. Bei bewussten Diätfehlern oder unklarer Situation („Enthält die Speise im Restaurant Gluten?“) könnte aber für Betroffene eine größere Freiheit entstehen. Die orale Transglutaminase-Inhibition ist somit mit hohen Er­wartungen als Hoffnungsträger der medikamentösen Zöliakie-Therapie verknüpft: Arzneistoffe können bei Zöliakie aber nur dann zur echten Alternative einer Gluten-freien Diät werden, wenn sie die Integrität der Dünndarmschleimhaut trotz Gluten-Belastung langfristig aufrechterhalten können. Ob ZED1227 diese Erwartungen erfüllen kann, muss zukünftig gezeigt werden. |

Literatur

 [1] Lebwohl B, Rubio-Tapia A. Epidemiology, presentation, and diagnosis of celiac disease. Gastroenterology 2021;160:63-75

 [2] Singh P, Arora A, Strand TA et al. Global prevalence of celiac disease: Systematic review and meta-analysis. Clin Gastroenterol Hepatol 2018;16:823-36.e2

 [3] Catassi C, Gatti S, Lionetti E. World perspective and celiac disease epidemiology. Dig Dis 2015;33:141-146

 [4] King JA et al. Incidence of celiac disease is increasing over time: A systematic review and meta-analysis. Am J Gastroenterol 2020;115:507-525

 [5] Schuppan D, Junker Y, Barisani D. Celiac disease: From pathogenesis to novel therapies. Gastroenterology 2009;137:1912-1933

 [6] Lee A, Newman JM. Celiac diet: Its impact on quality of life. J Am Diet Assoc 2003;103:1533-1535

 [7] Murray JA, Kelly CP, Green PHR, et al. No difference between latiglutenase and placebo in reducing villous atrophy or improving symptoms in patients with symptomatic celiac disease. Gastroenterology 2017;152:787-798.e2

 [8] Syage JA et al. Latiglutenase treatment for celiac disease: Symptom and quality of life improvement for seropositive patients on a gluten-free diet. GastroHep 2019;1:293-2301

 [9] Leffler DA et al. Larazotide acetate for persistent symptoms of celiac disease despite a gluten-free diet: A randomized controlled trial. Gastroenterology 2015;148:1311-1319.e6

[10] Kelly CP et al. Tak-101 nanoparticles induce gluten-specific tolerance in celiac disease: A randomized, double-blind, placebo-controlled study. Gastroenterology 2021;161:66-80.e8

[11] Jabri B, Sollid LM. Tissue-mediated control of immunopathology in coeliac disease. Nat Rev Immunol 2009;9:858-870

[12] Schuppan D et al. A randomized trial of a transglutaminase 2 inhibitor for celiac disease. N Engl J Med 2021;385:35-45

[13] Lebwohl B et al. Mucosal healing and risk for lymphoproliferative malignancy in celiac disease: A population-based cohort study. Ann Intern Med 2013;159:169-175

[14] Rubio-Tapia A et al. Mucosal recovery and mortality in adults with celiac disease after treatment with a gluten-free diet. Am J Gastroenterol 2010;105:1412-1420

Prof. Dr. med. Andreas Stallmach, Dr. med. Kathleen Lange, Klinik für Innere Medizin IV, Universitätsklinikum Jena

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