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Beratung

Wenn es kein Halten mehr gibt

Kinder leiden häufig unter Durchfall

 Durchfall ist eine der häufigsten Erkrankungen im Kindesalter. Obwohl die Erkrankung in den meisten Fällen harmlos ist, sollten doch einige Dinge beachtet werden. Wie erkenne ich, ob ein Kind dehydriert ist? Wie sieht die richtige Therapie aus? Und wer sollte unbedingt zum Arzt geschickt werden? | Von Sabine Fischer

Weltweit gibt es jedes Jahr fast 1,7 Milliarden Fälle von Durchfallerkrankungen bei Kindern, und sie sind die zweithäufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren. Jedes Jahr sterben etwa 525.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfall. Dabei sind Durchfallerkrankungen sowohl vermeidbar als auch behandelbar. So kann ein erheblicher Teil der Durchfallerkrankungen durch sicheres Trinkwasser und angemessene sanitäre Einrichtungen sowie Hygiene verhindert werden [1]. Trotz der guten hygienischen Verhältnisse, unter denen der Großteil der Bevölkerung in Deutschland lebt, ist die akute infektiöse Gastroenteritis eines der häufigsten Krankheitsbilder bei Kindern, wobei Säuglinge und Kleinkinder am stärksten betroffen sind. Die häufigsten Verursacher von Durchfallerkrankungen bei unter Fünfjährigen sind Norovirus- (Inzidenz 595/100.000) und Rotavirus- (300/100.000), aber auch Campylobacter- und Salmonelleninfektionen (122 bzw. 69/100.000). Die Definition der akuten Gastroenteritis erfolgt klinisch als verminderte Stuhlkonsistenz sowie eine erhöhte Stuhlfrequenz. Zusätzlich können auch Fieber und Erbrechen auftreten. Im Allgemeinen verläuft die Erkrankung eher mild, Dehydration und Elektrolytentgleisung können aber im schlimmsten Fall zur Krankenhauseinweisung führen. Vor allem bei Säuglingen muss auf Anzeichen einer Dehydration geachtet werden (s. Tab. 1). Ein besonders hohes Risiko besteht in den ersten sechs Lebensmonaten oder bei einem Gewicht unter 8 kg. Kinderärzte empfehlen deshalb eine stationäre Aufnahme bei infektiösen Durchfallerkrankungen in den ersten zwei Lebensmonaten [2].

Tab. 1: Anzeichen einer Dehydratation in Abhängigkeit vom Schweregrad (nach [3]). Für Kinder zwischen diesen Altersgruppen gibt es keine Standardschätzungen, je nach klinischem Befund sollten die Werte zwischen denjenigen angesetzt werden, die für Säuglinge und für Jugendliche angegeben sind.
Schweregrad
Flüssigkeitsmangel in ml/kg (Körpergewicht in %)
Symptome
gültig für Patienten mit einem Serum-Natrium-Spiegel im Normbereich
Kleinkinder
Jugendliche
schwach
50 (5%)
30 (3%)
typischerweise minimal Befunde, aber eventuell leicht trockene bukkale Schleimhäute, vermehrter Durst, leicht verminderte Urinmenge
mittelschwer
100 (10%)
50 bis 60 (5 bis 6%)
trockene bukkale Schleimhäute, Tachykardie, geringe oder gar keine Urinausscheidung, Lethargie, eingesunkene Augen und Fontanelle, Verlust von Hautturgor
schwer
150 (15%)
70 bis 90 (7 bis 9%)
wie bei mittelschwer
hinzu kommt schneller, fadenförmiger Puls; keine Tränen, Zyanose, schnelle Atmung, verzögerte Rekapillarisierungszeit, Hypotonie, fleckige Haut, Koma

Diagnose

Da die meisten Erkrankungen selbstlimitierend sind und die Ergebnisse einer mikrobiologischen Stuhluntersuchung keinen Einfluss auf die Behandlung haben, ist eine solche im Allgemeinen nicht angezeigt. Nur beim Vorliegen relevanter Grunderkrankungen wie chronisch-entzündlichen Darm­erkrankungen, bei Patienten mit Immundefizienz, blutiger Diarrhö, bei schweren, zur Hospitalisierung führenden Krankheitsverläufen, vor Einleitung einer antibiotischen Therapie oder wenn der Verdacht auf einen epidemiologischen Zusammenhang bei einer Häufung von Fällen besteht, sollte eine Erregerdiagnostik durchgeführt werden [2]. Ansonsten erfolgt die Diagnosestellung anhand einer anamnestischen Befragung (s. Abb.).

Abb.: Fragebogen zur Anamnese bei Durchfallerkrankungen (nach [4])

Therapie

Rehydration

Wichtigste Maßnahme ist der Ausgleich von Flüssigkeits- und Elektrolytverlust. Dieser erfolgt zunächst in Form oraler Rehydration mit einer Glucose-Elektrolytlösung [2]. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat dazu eine Empfehlung für eine Standardrezeptur oraler Rehydrationslösungen ausgesprochen (s. Tab. 2) [5], der Saltadol® Elektrolyt Pulver zur Herstellung einer Lösung zum Einnehmen entspricht. Viele andere Fertigpräparate orientieren sich an dieser Standardrezeptur (z. B. Elotrans®

, Oralpädon®, Diar­rhoesan® Elektrolyt). Steht kein Fertigpräparat zur Verfügung, kann stattdessen Tee (z. B. verdünnter Schwarztee, Fenchel- oder Kamillentee) mit einer Prise Salz und ein bis zwei Teelöffeln Traubenzucker verabreicht werden. Babys, die normalerweise gestillt werden, sollten weiterhin Muttermilch bekommen. Bei Bedarf kann zusätzlich Mineralwasser oder Tee ergänzt werden [6]. Coffein-haltige Getränke, Limonaden oder Fruchtsäfte sollten bei Dehydration nicht zur oralen Rehydration verwendet werden. Zwar werden diese Getränke geschmacklich gut von Kindern toleriert, jedoch enthalten sie zu wenig Natrium, oft sehr viel Zucker, sind hyper­osmolar und weisen einen stark variablen Basengehalt auf. Leidet das Kind nicht nur unter Durchfall, sondern auch unter Erbrechen, erfolgt die Flüssigkeitsgabe in kleinen Portionen von ca. 5 ml. Diese können alle ein bis zwei Minuten mittels Löffel oder Spritze angeboten werden. Eine intravenöse Rehydration erfolgt nur in schwerwiegenden Fällen (bei Scheitern einer oralen oder nasogastralen Rehydration, bei Schockzustand, bei schwerer Dehydration > 9% des Körpergewichts, bei Symptomen eines Darmverschlusses oder galligem Erbrechen) [2].

Tab. 2: Zusammensetzung der oralen Rehydrationslösung gemäß WHO [5]
Bestandteil
g/l
%
Bestandteil
mmol/l Wasser
Natriumchlorid
2,6
12,683
Natrium-Ionen
75
Glucose, wasserfrei
13,5
65,854
Chlorid-Ionen
65
Kaliumchlorid
1,5
7,317
Glucose, wasserfrei
75
Trinatriumcitrat, Dihydrat
2,9
14,146
Kalium-Ionen
20
Citrat
10
gesamt
20,5
100,00
Gesamtosmolarität
245

Hat das Kind Appetit, sollte zunächst stärkereiches und fett- bzw. reizstoffarmes Essen angeboten werden. Gut geeignet sind Zwieback, Toast, Salzstangen, Reis, Karottenbrei, Kartoffelpüree oder Brühe mit Nudeln oder Reis. Blähendes Gemüse oder gebratene Speisen sind hingegen ungeeignet. Flaschenkinder sollten verdünnte Milch erhalten [6].

Wann mit dem Kind zum Arzt?

Gemäß der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin [11] sollte ein Arzt aufgesucht werden, wenn ...

  • das Kind jünger als sieben Monate ist oder weniger wiegt als 8 kg (besonders Frühgeborene),
  • das Kind eine andere bekannte Grundkrankheit hat, besonders am Darm, der Niere oder eine Stoffwechsel­erkrankung,
  • hohes Fieber auftritt (> 39,5 °C),
  • das Kind auffälliges Verhalten zeigt wie Hinfälligkeit, Gereiztheit, schrilles Schreien, Trinkschwäche,
  • sehr zahlreiche und große Mengen wässrigen Stuhls auftreten z. B. mehr als acht bis zehn Stühle pro Tag,
  • das Kind an unstillbarem Erbrechen leidet,
  • trotz Zeichen der Austrocknung das Kind die Trink­lösung verweigert,
  • das Kind an blutigen Durchfällen leidet (mehr als einzelne Blutfäden),
  • sich der Zustand des Kindes trotz Gabe der Trink­lösung verschlechtert oder sich die Eltern überfordert fühlen.

Medikamentöse Therapie

Zusätzlich zu Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich kann die Gabe von Probiotika erwogen werden. Diese sollen die Erkrankungsdauer verkürzen, die Schwere der Symptome reduzieren und die Ansteckungsfähigkeit für die Umgebung vermindern. Trotz geringer Evidenz hierfür empfiehlt die European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition in ihrer Leitlinie die Gabe von Lactobacillus GG und Saccharomyces boulardii [2].

Die Gabe von Antiemetika wird bei akuten Durchfallerkrankungen nicht empfohlen. Dimenhydrinat reduziert zwar das Erbrechen, führt aber nicht zu einer Verbesserung der Rehydration. Zusätzlich erschwert der sedierende Effekt die Gabe von Flüssigkeit [2]. Aufgrund des Potenzials für schwerwiegende Nebenwirkungen vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern unter drei Jahren hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits im Jahr 2017 festgelegt, dass Dimenhydrinat bei einer banalen akuten infektiösen Gastroenteritis nicht eingesetzt werden soll [7].

Auf einen Blick

  • Durchfall ist eine der häufigsten Erkrankungen im Kindesalter.
  • Im Allgemeinen ist die Krankheit selbstlimitierend.
  • Wichtig ist der Ausgleich von Flüssigkeit und Elektrolyten.
  • Die Gabe von Probiotika kann in Betracht gezogen werden.
  • Antiemetika und Loperamid sind nicht zu empfehlen.

Für den Wirkstoff Racecadotril ist die Studienlage heterogen. Da das Präparat jedoch hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils als sicher eingestuft wird, kann es zur Behandlung von Durchfall eingesetzt werden. Das Prodrug Racecadotril wird im Körper in Thiorphan umgewandelt, welches als Enkephalinase-Inhibitor in die Flüssigkeitsregulierung des Darms eingreift. Enkephaline verringern die Abgabe von Wasser und reduzieren dadurch den Durchfall. Der Abbau von Enkephalinen erfolgt durch Enkephalin­asen. Werden diese gehemmt, bleibt der antisekretorische Effekt der Enkephaline in der Darmschleimhaut länger erhalten, so dass der Stuhl verdickt [8]. Racecadotril steht als Vaprino® bzw. Diaverde® mit 100 mg/Kapsel für die Selbstmedikation nur für Erwachsene zur Verfügung. Wegen des hohen Wirkstoffgehalts sind die 100-mg-Kapseln nicht für Säuglinge, Kinder und Jugendliche geeignet. Für diese Patienten gibt es spezielle Formulierungen von Racecadotril: Tiorfan® Granulat zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen und Filmtabletten. Sie stehen für Kinder ab drei Monaten zur Verfügung, unterstehen aber zum Teil der Verschreibungspflicht. Für Kinder ab dem vollendeten zwölftem Lebensjahr und mindestens 27 kg Körpergewicht wurde Racecadotril in einer Einzeldosis von 30 mg je abgeteilter Form zur Herstellung einer Suspension und in einer Gesamtmenge von bis zu 540 mg je Packung aus der Verschreibungspflicht entlassen, sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen angegeben ist, dass die Anwendung auf Kinder ab dem vollendeten zwölftem Lebensjahr beschränkt ist [9, 10].

Loperamid wird bei Kindern aufgrund seines Risikoprofils nicht empfohlen. Zwar kann es die Durchfalldauer verkürzen, jedoch kann es vor allem bei jüngeren Kindern zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen. Ebenso wenig ist die Gabe von Antibiotika im Allgemeinen sinnvoll. Lediglich bei vermuteter bakterieller Genese oder entsprechender Auslandsanamnese (Malariagebiet?) kann der Einsatz von Antibiotika in Betracht gezogen werden [2]. |

Literatur

 [1] Diarrhoeal Disease, Key facts. Informationen der World Health Organization (WHO), Stand: 2. Mai 2017, www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/diarrhoeal-disease

 [2] Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. S2k-Leitlinie der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) et al. AWMF-Registernummer 068-003, Stand: März 2019

 [3] Cellucci MF. Dehydration bei Kindern. MSD Manual Ausgabe für medizinische Fachkreise, www.msdmanuals.com/de-de/profi/p%C3%A4diatrie/dehydratation-und-fl%C3%BCssigkeitstherapie-bei-kindern/dehydration-bei-kindern

 [4] Koletzko S. Akute infektiöse Durchfallerkrankungen im Kindesalter. Dtsch Arztebl Int 2009;106(33):539-547, DOI: 10.3238/arztebl.2009.0539

 [5] Oral rehydration salts production of the new ORS. Informationen der World Health Organization (WHO), Stand: 2006, http://whqlibdoc.who.int/hq/2006/WHO_FCH_CAH_06.1.pdf

 [6] Durchfall. Informationen des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, www.kinderaerzte-im-netz.de/erste-hilfe/sofortmassnahmen/durchfall/, Abruf am 7. Oktober 2021

 [7] Anhörung: Orale und rektale Darreichungsformen Dimenhydrinat-haltiger und Diphenhydramin-haltiger Antiemetika für Kinder bis drei Jahren. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 9. August 2017, www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/RisikoBewVerf/a-f/antihistaminika-stp-bescheid.pdf?__blob=publicationFile&v=4)

 [8] Racecadotril. Informationen der Gelben Liste, www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Racecadotril_48344, Abruf am 7. Oktober 2021

 [9] Racecadotril. Informationen der Roten Liste online, Abruf am 7. Oktober 2021

[10] Änderung der AMVV – Neuregelung ab März: Racecadotril ab zwölf Jahren für die Selbstmedikation zugelassen. Meldung auf DAZ.online vom 24. Februar 2016, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/02/24/racecadotril-jetzt-ab-zwolf-jahren-fur-die-selbstmedikation-zugelassen

[11] Elterninfo „Mein Kind hat Durchfall“. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, www.dgkj.de/eltern/dgkj-elterninformationen/elterninfo-durchfall, Abruf am 20. September 2021

Autorin

Dr. Sabine Fischer ist Apothekerin aus Stuttgart. Seit dem Pharmaziestudium in Freiburg und einer Promotion in Tübingen arbeitet sie an einer PTA-Schule und in öffentlichen Apotheken. Nebenbei schreibt sie als freie Journalistin.

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