Fehlermanagement

Erstverschlimmerung …

… ist nicht nur in der Homöopathie ein Thema

Durch die Anwendung von Fluorouracil-Creme bei aktinischer Keratose können schmerzende und brennende Wunden entstehen. Nach Behandlungsende sind diese auch noch ein bis zwei Monate sichtbar. Werden Patienten nicht über diese Nebenwirkung informiert, kann dies zu großer Verunsicherung führen, wie ein Fall aus CIRS-NRW zeigt. Bei der Entstehung dieses Medikationsfehlers spielen sowohl individuelle Aspekte als auch systemische Aspekte wie der Informationstransfer an Teilzeitkräfte eine Rolle. Dem Apothekenleiter kommt hier die Schlüsselrolle zu, gemeinsam mit seinem Team für die jeweilige Apotheke passende Maßnahmen umzusetzen. / Von Oliver Schwalbe 
Foto: nmann77/AdobeStock

Im vorliegenden Fall wurde ein älterer Patient in der Apotheke nicht über die korrekte Anwendung und über die Entstehung einer Wunde durch die Fluorouracil-haltige Creme Efudix® ­informiert. Dies führte zu Verunsicherung beim Patienten.

Topisch angewendetes Fluorouracil

Das Zytostatikum Fluorouracil wird topisch zur Behandlung von präma­lignen Hautveränderungen wie der aktinischen Keratose eingesetzt. Die Behandlung mit fünfprozentiger Fluorouracil-Creme führt im Vergleich zu anderen topischen Anwendungen mit Imiquimod oder Diclofenac zu besseren therapeutischen Resultaten [1]. Nach Aufbringen der fünfprozentigen Creme können an der erkrankten Hautstelle Veränderungen wie Rötung, Bläschenbildung, Ulzeration und Absterben des behandelten Gewebes auftreten. Diese heilen nach Therapieende ab. Die Behandlung von aktinischen Keratosen erfolgt in der Regel ohne Verband. Zu beachten ist ferner: Fluorouracil darf als Zytostatikum nicht mit der intakten Haut, den Schleimhäuten oder mit den Augen in Kontakt kommen. Deswegen erfolgt die Applikation mit den in der Arzneimittelpackung mitgelieferten Fingerlingen. Zusätzlich sollte darauf geachtet werden, dass Kinder und Tiere gut vor dem Arzneimittel geschützt werden. Dem Institute for Safe Medication Practices liegt ein Bericht vor, dass ein Hund seinen mit Fluorouracil-Creme behandelten Besitzer abgeschleckt hat und damit einen schweren gesundheitlichen Schaden davongetragen hat [2].

CIRS-NRW

CIRS-NRW steht für Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen. Es handelt sich um ein internetgestütztes Berichts- und Lernsystem zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung. CIRS-NRW soll dazu beitragen, dass über kritische Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. Somit sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden. Die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe sind Partner von CIRS-NRW – gemeinsam mit den Ärztekammern, den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenhausgesellschaft NRW. Die Professionen Arzt und Apotheker treffen insbesondere im Medikationsprozess aufeinander. Die beidseitige Sensibilisierung für Medikationsfehler sowie die gegenseitige Kenntnis der organisatorischen Strukturen in Arztpraxis und Apotheke tragen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei. Das sektoren- und professionsübergreifende Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW ist in Deutschland einzigartig.

Was waren die beitragenden Faktoren?

In der Apotheke war Efudix® bereits mit einem entsprechenden Infoeintrag ausgestattet worden (möglicher Wortlaut: „Wichtig für Beratung: 1. es entsteht eine Wunde/Blase, das ist normal, 2. kein Pflaster aufkleben“).

Diese Sicherheitsbarriere war im vorliegenden Fall aber nicht ausreichend, um den Medikationsfehler zu ver­hindern. Ein relevanter Faktor, der zu diesem Fehler beigetragen hat, war sicherlich die fehlende Informationsweitergabe aus der Teamsitzung an die in Teilzeit arbeitende Apothekerin. Gerade der Informationstransfer an Kolleginnen und Kollegen, die nicht täglich in der Apotheke sind, stellt eine Herausforderung dar. Eine weitere mögliche Erklärung für derartige Medikationsfehler ist die sogenannte Alarm-Müdigkeit. Dem pharmazeutischen Personal werden so viele Meldungen im Laufe des Apothekenalltages eingeblendet, dass einzelne Meldungen weggeklickt werden.

CIRS-Fall-Nr. 204393: Fehlender ­Hinweis auf Wirkungsweise führt zur Patientenverunsicherung

Was ist passiert?
Abgabe Efudix® Creme (5% Fluoro­uracil) ohne Hinweis, dass eine Wunde entsteht und man die Stelle nicht mit einem Pflaster abdecken darf.

Was war das Ergebnis?
Patient sehr verunsichert, weil die Stelle sich verschlechtert hat.

Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?
Dieses Problem ist nicht zum ersten Mal in unserer Apotheke aufgetreten. Beim letzten Mal wurden die Mitarbeiter auf der monatlichen Besprechung informiert und es wurde ein Info-Eintrag bei dem Artikel gemacht, der bei der Abgabe automatisch aufblinkt. Die betroffene Mitarbeiterin hat allerdings an dieser Besprechung nicht teilgenommen (Teilzeit).

Welche Faktoren trugen zu dem Ereignis bei?

  • Kommunikation
  • Ausbildung und Training
  • Organisation

Welche Maßnahmen können abgeleitet werden?

Als Apothekenleiterin oder Apothekenleiter sollten Sie auf der einen Seite im Gespräch die individuelle Verantwortung jedes Teammitglieds für die Beratung bei Abgabe von Arzneimitteln verdeutlichen. Nach der Leitlinie der Bundesapothekerkammer sind dies bei Erstverordnung ­insbesondere [3]:

  • Informationen zur Dosierung, Anwendung und Anwendungsdauer bei Efudix®: Zweimal täglich auftragen, dazu die der Packung beiliegenden Fingerlinge nutzen. Gewöhnlich dauert die Therapie bei aktinischen Keratosen zwei bis vier Wochen. Eine vollständige Abheilung der Läsionen kann unter Umständen erst nach ein bis zwei Monaten sichtbar werden.
  • Wirkungen und Nutzen des Arzneimittels: Das Arzneimittel zerstört gezielt das Gewebe der Krebsvor­stufe. Diese Behandlung hat im Vergleich mit anderen the­rapeutischen Optionen die besten Ergebnisse gebracht.
  • Häufige und relevante unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Creme kann schmerzen und brennen! Entzündung der Haut ist gewollt! Halten Sie durch! Geduldig bleiben! Es lohnt sich!
  • Sachgerechte Aufbewahrung und Entsorgung des Arzneimittels: Bitte so lagern, dass Kinder und auch ­Tiere mit der Creme nicht in Berührung kommen.

Auf der anderen Seite sollten im Ablauf in der Apotheke „systemische Maßnahmen“ vorbereitet werden. Definitiv handelt es sich bei Efudix® um ein erklärungsbedürftiges Arzneimittel. Deswegen könnte für den Patienten zusätzlich zur mündlichen Beratung schriftliches Material vorbereitet werden. Wichtig ist es, sich im Vorfeld Gedanken über den Informationstransfer in der Apotheke zu machen. Dieser reicht vom Ausdruck eines Protokolls der Teamsitzung für jedes Teammitglied und entsprechender Ablage bis hin zur Einführung von digitalen Plattformen für die Zusammenarbeit wie z. B. Microsoft Teams. |

Literatur

[1] Berman B. Treatment of actinic keratosis. UpToDate®. Stand 18. Februar 2021, www.uptodate.com/contents/treatment-of-actinic-keratosis

[2] Keep topical fluorouracil far away from pets! https://consumermedsafety.org/medication-safety-articles/item/892-keep-topical-fluorouracil-far-away-from-pets, Informationen der ConsumerMedSafety.org, Stand:23. April 2021

[3] Kommentar zur Leitlinie der Bundesapothekerkammer. Information und Beratung des Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln auf ärztliche Verordnung. Stand: 13. November 2019

Autor

Dr. Oliver Schwalbe war nach einem Stu­dium der Pharmazie sieben Jahre als Versorgungsforscher tätig. Seit 2012 ist er Abteilungsleiter Ausbildung, Fortbildung und Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Apothekerkammer West­falen-Lippe (AKWL). Seit 2020 ist er Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AKWL für Versorgungsforschung in der Apotheke.

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