Arzneimittel und Therapie

Omega-3-Fettsäuren: Die Zweifel bleiben

Verhindern sie nun kardiovaskuläre Ereignisse oder nicht?

Fisch ist gesund, vorrangig wegen der enthaltenen mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die Idee, eben diese Omega-3-Fettsäuren isoliert und gezielt zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einzusetzen, hat in der Vergangenheit allerdings mehr Tiefen als Höhen erfahren. Glänzende Ausnahme: die europäische Zulassung und Markteinführung von Vazkepa® in diesem Jahr. Das Rx-Arzneimittel mit Icosapent-Ethyl soll bei Statin-behandelten Patienten den Triglyceridspiegel weiter senken und helfen, kardiovaskulären Ereignissen vorzubeugen. Die Zulassungsstudie erntete in der Fachwelt viel Applaus, aber auch Kritik.

Nahrungsergänzungsmittel auf Basis von Fischöl werden gern gekauft mit der Erwartungshaltung, „Hirn und Herz“ etwas Gutes zu tun. Die Hoffnungen haben sich in den vergangenen Jahren jedoch zerstreut. So kam ein Cochrane-Review zu dem Schluss, dass die Zufuhr von Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf Todesfälle und kardiovaskuläre Ereignisse haben [1]. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) sprach sich im März 2019 gegen den Einsatz entsprechender Präparate in der Sekundärprävention aus [2]. Doch Fischöl ist nicht gleich Fischöl. So gelangte die EMA zwei Jahre später zu einem anderen Urteil, als sie dem Präparat Vazkepa® die Zulassung erteilte.

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Fisch ist gesund, Fischölkapseln auch?

Hoch gereinigt und hoch dosiert

Vazkepa® enthält den Wirkstoff Icosapent-Ethyl, einen Ethylester und Prodrug der Omega-3-Fettsäure EPA, die aus einer Kette von 20 Kohlenstoffatomen mit fünf Doppelbindungen besteht. Das Rx-Arzneimittel basiert im Gegensatz zu rezeptfreien Fischöl-Kombinationen ausschließlich auf chemisch modifizierter EPA in hoher Dosierung und enthält keine weiteren Omega-3-Fettsäuren wie DHA. Die Anwendung erfolgt laut Zulassung zur Verringerung des kardiovaskulären Risikos bei Erwachsenen, die ein hohes kardiovaskuläres Risiko sowie erhöhte Triglyceridwerte (≥ 150 mg/dl bzw. ≥ 1,7 mmol/l) haben und bereits mit einem Statin behandelt werden [3]. Es muss eine nachgewiesene kardiovaskuläre Erkrankung vorliegen oder ein Diabetes mellitus und mindestens ein weiterer kardiovaskulärer Risikofaktor.

Eine Packung Vazkepa® enthält 120 Weichkapseln (pro Kapsel 998 mg Icosapent-Ethyl) und kostet im Verkauf 268,96 Euro. Bei einer empfohlenen Dosierung von zweimal täglich je zwei Kapseln ist mit jährlichen Therapiekosten von 3227 Euro zu rechnen – eine Summe, die nur durch einen deutlichen Nutzen zu rechtfertigen ist. Die Zulassungsstudie REDUCE-IT schürte zumindest hohe Erwartungen.

Großer Beifall für REDUCE-IT

An der Doppelblind-Studie REDUCE-IT nahmen fast 8200 Probanden teil, die bereits mit Statinen behandelt wurden (LDL zwischen 41 und 100 mg/dl), aber noch erhöhte Triglycerid-Werte über 135 mg/dl zeigten [4]. Sie nahmen über eine mediane Dauer von knapp fünf Jahren zweimal täglich 2 g reines EPA (Vazkepa®, Amarin) ein. Die Placebogruppe erhielt Mineralöl-Kapseln. Im Ergebnis konnte das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis in der Verumgruppe signi­fikant um 25% gesenkt werden. Die Studienautoren betonten den primären p-Wert von 0,00000001, der auf eine äußerst hohe statistische Signifikanz hinweist [5]. Auch der wichtigste sekundäre Endpunkt aus harten klinischen Ereignissen, nämlich Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulär bedingtem Tod, hatte einen p-Wert mit sechs Nullen hinter dem Komma. Die absolute Risikoreduktion betrug 4,8%, was einer Number Needed to Treat (NNT) von nur 21 entspricht.

Hinter dem Erfolg von Icosapent-Ethyl wird ein mulitfaktorieller Wirkmechanismus vermutet, darunter eine Verbesserung des Lipoproteinprofils mit einer Reduktion der triglyceridreichen Lipoproteine sowie entzündungshemmende und antioxidative Effekte. Auch eine Thrombozytenhemmung wird diskutiert, was neben den erwünschten Effekten auch Blutungen als Nebenwirkung erklären könnte.

Ernüchterung durch STRENGTH

Die Fachwelt war begeistert von den Ergebnissen – bis die STRENGTH-­Studie die Euphorie bremste. In der von AstraZeneca finanzierten Phase-III-Studie erhielten mehr als 6500 Teilnehmer mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ein ähnliches Präparat wie in der REDUCE-IT-Studie, ebenfalls in einer Dosierung von 4 g täglich über eine mediane Dauer von 42 Monaten [6]. Das in dieser Studie eingesetzte Präparat Epanova® enthält im Gegensatz zu Vazkepa® allerdings eine Mischung aus EPA und DHA. Es ergab sich am Ende kein signifikanter Unterschied im Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse im Vergleich zu Placebo, in diesem Fall Maisöl. Die Studie wurde wegen Wirkungslosigkeit im Januar 2020 vorzeitig gestoppt.

Ist das Placebo schuld?

In der Fachwelt wurde intensiv darüber diskutiert, warum zwei derart ähnliche Präparate in Studien zu solch entgegengesetzten Ergebnissen führen konnten. Ein Grund wurde in der Zusammensetzung gesucht, so liegt in Epanova® wie schon erwähnt eine Mischung von EPA und DHA vor. Vazkepa® enthält mit Icosapent-Ethyl dagegen reine EPA und führte nach zwölf Monaten Behandlung zu deutlich höheren EPA-Spiegeln. Es stand die Frage im Raum, ob DHA möglicherweise den Effekt von EPA teilweise aufhebt. Eine Post-hoc-Analyse der STRENGTH-Studie konnte keinen Hinweis dafür finden, dass diese Theorie stimmt [7].

Im Kreuzfeuer der Kritik steht aber vor allem die Wahl des Placebos in der REDUCE-IT-Studie: Mineralöl könnte die Statin-Resorption negativ beeinflusst haben und selbst eine proinflammatorische Wirkung entfalten, lautet der Verdacht [5]. In der Placebogruppe ergab sich daraus möglicherweise ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, was zu einem falsch-­positiven Ergebnis für Icosapent-Ethyl geführt haben könnte.

Es gibt auf nationaler wie internationaler Ebene Stimmen, die die Verwendung von Omega-3-Fettsäure-Produkten zur Senkung des kardiovaskulären Risikos aufgrund des unklaren Benefits nicht empfehlen. Auch das für seine kritische Haltung bekannte Arznei-Telegramm ist noch nicht überzeugt und rät auch angesichts der hohen Kosten vom Präparat Vazkepa® ab [8]. Die Haltung „Schaden kann es ja nicht“ ist in diesem Fall nicht angebracht: Sowohl in der REDUCE-IT- (5,3% versus 3,9%) als auch in der STRENGTH-Studie (2,2% versus 1,3%) wurde eine Zunahme von Vorhofflimmern in der Interventionsgruppe beobachtet.

Metaanalyse verspricht Klarheit

Die widersprüchlichen Studienergebnisse haben zu erheblicher Unsicherheit geführt. Vor wenigen Wochen ist eine Metaanalyse [9] erschienen, die endlich Licht ins Dunkel bringen sollte, ob Omega-3-Fettsäuren denn nun tödliche und nicht tödliche kardio­vaskuläre Folgen verhindern können (s. auch Gastkommentar von Prof. Dr. Dietmar Trenk auf der nächsten Seite). Ausgewertet wurden 38 randomisierte kontrollierte Studien, darunter auch REDUCE-IT und STRENGTH. Im Ergebnis verringerten Omega-3-Fettsäuren die kardiovaskuläre Sterblichkeit und senkten das Risiko für kardiovaskuläre Ergebnisse wie nicht tödliche Myokardinfarkte. Der Effekt war bei der EPA-Monotherapie ausgeprägter als bei EPA + DHA. Unerwünschte Wirkungen wie Vorhofflimmern und Blutungen wurden durch die Metaanalyse bestätigt. Die Studienautoren, darunter auch der Erstautor der REDUCE-IT-Studie, Prof. Dr. Deepak L. Bhatt, Boston, Massachusetts, geben als Limitation aber zu bedenken, dass ein Großteil des gezeigten Nutzens auf das in REDUCE-IT verwendete EPA-Präparat zurückzuführen ist und die Studien REDUCE-IT und JELIS, die ebenfalls einen Benefit für den Wirkstoff Icosapent-Ethyl belegten, höchstes Gewicht in der EPA-Auswertungsgruppe hatten.

Schon in Leitlinien verankert

In den USA ist Icosapent-Ethyl unter dem Namen Vascepa® als Zusatztherapie zu einer Diät zur Reduzierung des Triglyceridspiegels schon seit 2013 zugelassen. Bisher war es eher ein Nischenprodukt [5]. Im Dezember 2019 wurde die Indikation auf Patienten mit kardiovaskulärem Risiko erweitert. Die American Heart Association (AHA) empfiehlt die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren in Form eigens dafür zugelassener Medikamente in einer Tagesdosis von 4 g für Patienten mit Hypertriglyceridämie und hohem kardiovaskulärem Risiko [10]. Auch in der europäischen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Dyslipid­ämien, herausgegeben von der European Society of Cardiology (ESC) und European Atherosclerosis Society (EAS) [11], bzw. in den deutschen Kommentaren dazu [12] spielt Icosapent-Ethyl schon seit 2019 allein aufgrund der optimistisch stimmenden Ergebnisse der REDUCE-IT-Studie und noch vor der Zulassung von Vazkepa® eine Rolle. Für Patienten mit mindestens hohem Risiko und Triglyceridwerten zwischen 1,5 und 5,6 mmol/l (135 bis  499 mg/dl) unter Statin-Therapie wird die zusätzliche Einnahme von zweimal täglich 2 g EPA empfohlen (IIa-Empfehlung). |

Literatur

 [1] Abdelhamid AS et al. Omega-3 fatty acids for the primary and secondary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev 2018;7:CD003177.

 [2] Moll D. Chemisch modifizierte Omega-3-Fettsäure zur Zulassung empfohlen. Beitrag auf DAZ.online vom 10.02.2021, verfügbar unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/02/10/chemisch-modifizierte-omega-3-fettsaeure-zur-zulassung-empfohlen (letzter Aufruf am 14.10.2021)

 [3] Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Vazkepa®, Stand: März 2021, verfügbar unter https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/vazkepa-epar-product-information_de.pdf (letzter Aufruf am 14.10.2021)

 [4] Bhatt DL et al. Cardiovascular risk reduction with icosapent ethyl for hypertriglyceridemia. N Engl J Med 2019;380:11–22

 [5] Böhm S, Hughes S. REDUCE-IT Studie: Beginnt mit hochdosiertem EPA „eine neue Ära“ in der kardiovaskulären Prävention? Beitrag auf Medscape.com vom 12.11.2018, verfügbar unter https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4907428 (letzter Aufruf am 14.10.2021)

 [6] Nicholls SJ et al. Effect of High-Dose Omega-3 Fatty Acids vs Corn Oil on Major Adverse Cardiovascular Events in Patients at High Cardiovascular Risk. JAMA. 2020;324(22):2268-2280

 [7] Hughes S. STRENGTH-Analyse entflammt die Debatte um kardiovaskulären Benefit von Omega-3-Fettsäuren neu. Beitrag auf Medscape.com vom 29.06.2021, verfügbar unter https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4910116 (letzter Aufruf am 14.10.2021)

 [8] Icosapent-Ethyl (Vazkepa) zur kardiovaskulären Prophylaxe? a-t 2021; 52: 67-8

 [9] Khan SU et al. Effect of omega-3 fatty acids on cardiovascular outcomes: A systematic review and meta-analysis. EClinicalMedicine 2021;38:100997.

[10] Skulas-Ray AC et al. Omega-3 fatty acids for the management of hypertriglyceridemia: a science advisory from the American heart association. Circulation 2019;140(12):e673–e91

[11] 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. European Heart Journal 2020;41,111-188

[12] Weingärtner O et al. Kommentar zu den Leitlinien (2019) der ESC/EAS zur Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien. Kardiologe 2020;14:256–266

[13] Pressemitteilung des Pharmaunternehmens Amarin vom 06.08.2020, verfügbar unter https://www.globenewswire.com/news-release/2020/08/06/2074320/18362/de/Amarin-k%C3%BCndigt-Pl%C3%A4ne-zur-Maximierung-des-Blockbuster-Potenzials-von-VASCEPA-Icosapent-Ethyl-in-Europa-an.html (letzter Aufruf am 14.10.2021)

Apothekerin Rika Rausch

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