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Beratung

Einfach nur vergesslich oder schon dement?

Unterstützung von Kunden mit Gedächtnisproblemen

Der 84-jährige Lothar erhält jeden Freitag um 8.00 Uhr von einer Nichte eine SMS, mit der sie ihn an die Einnahme der wöchentlichen Vitamin-D-­Dosis erinnert. Er findet es eigentlich normal, in seinem Alter vergesslicher zu sein als früher. Doch manchmal fragt er sich, ob er vielleicht doch an Demenz leidet? | Von Claudia Bruhn

Alt zu werden und dabei geistig fit zu bleiben – das wünschen sich viele Menschen. Bei Gesunden wird das Nachlassen der geistigen Funktion allgemein als Teil des physiologischen Alterungsprozesses betrachtet, genauso wie die Abnahme der Hormonproduktion, die Faltenbildung oder das Ergrauen der Haare. Wann genau dieser Prozess beginnt, lässt sich nur schwer abschätzen und hängt wahrscheinlich von verschiedenen Faktoren ab. Die Ergebnisse der deutschen LIFE-Adult-Studie mit gesunden Teilnehmern im Alter zwischen 40 und 79 Jahren legen die Vermutung nahe, dass subjektiv empfundene Gedächtnisstörungen verbreitet sind. Von den mehr als 8800 Befragten klagten 53% über Gedächtnisprobleme in irgendeiner Form. Dabei war es unerheblich, ob die Teilnehmer Akademiker waren oder nicht (53,1% vs. 52,9%). Auch zwischen den Altersgruppen zeigten sich nur marginale Unterschiede (z. B. 54,3% bei 40- bis 49-Jährigen, 53,3% bei 70- bis 79-Jährigen), ebenso zwischen Frauen und Männern (52,6% vs. 53,4%). In der Gesamtgruppe der von Gedächtnisproblemen Betroffenen gaben rund 18% an, dass sie deswegen entweder schon einen Arzt konsultiert hatten oder das beabsichtigen [1]. Aktuell wird in Fachkreisen diskutiert, ob subjektive Klagen über eine Verschlechterung der Gedächtnisleistung ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenzerkrankung sind. Die Autoren eines aktuellen Reviews fordern, Gedächtnisprobleme bei Älteren nicht länger als harmlose altersbedingte Phänomene oder Symptome einer Depression zu betrachten [2].

Definition und krankheitsbedingte Ursachen

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP) definieren in ihrer S2e-Leitlinie „ Diagnostik und Therapie von Gedächtnis­störungen bei neurologischen Erkrankungen“ den Terminus Gedächtnisstörung als Oberbegriff für alle Einbußen des Lernens, Behaltens und des Abrufs gelernter Information. Dieser Begriff sei jedoch sehr unspezifisch, da er nichts über die Ursache dieser Störung aussage und auch nicht darüber, ob es sich um isolierte Gedächtnisprobleme handelt oder ob diese in Kombination mit anderen kognitiven Störungen auftreten. Zu den häufigsten Krankheits-­assoziierten Ursachen von Gedächtnisproblemen zählen neurologische Erkrankungen wie Schädel-Hirn-Traumata, akute zerebrovaskuläre Erkrankungen wie beispielsweise ischämische Infarkte oder Subarachnoidalblutungen, multiple Sklerose, chronischer Alkoholmissbrauch, Epilepsien, Delir oder Hirntumore. Aber auch psychiatrische (z. B. Schizophrenie und Depression) oder internistische Erkrankungen (z. B. Störungen der Schilddrüsenfunktion, Hypotonie, Hypertonie, Elektrolytverschiebungen wie Hyponatriämie, Infektionskrankheiten oder Vitaminmangel [z. B. Vitamin B12]) können zu Gedächtnisproblemen führen [3]. Bei der Beratung in der Apotheke ist dann ein umgehender Arztbesuch zu empfehlen, wenn Kunden über akute Gedächtnisprobleme, die beispielsweise mit Schwindel oder Konzentrationsstörungen verbunden sind, berichten. Aber auch bei anhaltendem „schleichenden“ Gedächtnisverlust ist eine ärztliche Abklärung empfehlenswert [4, 5].

Abgrenzung zur Demenz

Demgegenüber definieren die Fachgesellschaften Demenzen als Krankheitsbilder, bei denen es zum Abbau und schließlich zum Verlust kognitiver Funktionen und Alltagskompetenzen kommt. Neben der Demenz bei der Alzheimer-Krankheit sind verschiedene weitere Formen bekannt, die nach ihrer Ätiologie eingeteilt werden, beispielsweise die vasku­läre Demenz, die frontotemporale Demenz oder die Demenz bei Morbus Parkinson. Bei der Alzheimer-Krankheit stellt die Gedächtnisstörung das Leitsymptom dar, bei anderen Demenzformen können andere Beschwerden im Vordergrund stehen. Dazu zählen Einschränkungen der Orientierungs-, Kommunikations- und Entscheidungsfähigkeit, der Verlust von Persönlichkeitsmerkmalen, Antriebslosigkeit, Ängstlichkeit oder Veränderungen der emotionalen Kontrolle (z. B. Wutausbrüche). Für die Diagnose Demenz müssen die Sym­ptome über mindestens sechs Monate bestanden haben [4].

Arzneimittel als Ursache

Während die genannten möglichen Ursachen für Gedächtnisprobleme der ärztlichen Abklärung vorbehalten sind, liegt die Kompetenz der Apotheke in der Beratung der Patienten zu Arzneimitteln als Ursache sowie in der Empfehlung von Präparaten zur Prophylaxe oder unterstützenden Behandlung.

Bei akut aufgetretenen Symptomen könnten neu verordnete Medikamente die Ursache sein, sodass ein Hinterfragen der aktuellen Medikation eine Lösung sein kann. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Berichte über Arzneimittel oder ganze Wirkstoffgruppen, die die kognitiven Funktionen beeinträchtigen können. Für viele von ihnen konnte in Studien jedoch kein Beleg dafür gefunden werden. So waren beispielsweise Statine unter Verdacht geraten, Gedächtnisprobleme auszulösen. Eine 2019 publizierte prospektive Beobachtungsstudie mit 1037 70- bis 90-jährigen Australiern konnte jedoch keinen Zusammenhang finden. Für einzelne Patienten wurde sogar ein neuroprotektiver Effekt von Statinen postuliert [6]. Auch bei Protonenpumpeninhibitoren (PPI) hatten einige Studien einen Zusammenhang zu Gedächtnisproblemen und sogar Demenz vermutet, die Datenlage war jedoch widersprüchlich. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse, die elf Beobachtungsstudien mit mehr als 642.000 Patienten ausgewertet hatte, fand sich jedoch kein erhöhtes Demenzrisiko unter PPI-Einnahme [7].

Aktuell sind vor allem Krebsmedikamente als mögliche Auslöser kognitiver Beeinträchtigungen in den Fokus geraten. Dafür wurde der Begriff Cancer-related cognitive impairment (CRCI) geprägt. Es handelte sich dabei über­wiegend um Patienten, deren Tumore nicht im Zentral­nervensystem lokalisiert waren wie beispielsweise Brustkrebs, aber auch Betroffene unter Hormontherapien oder zielgerichteten Krebstherapien [8].

Probleme bei Opioiden, Hypnotika, Anticholinergika

Eine australische prospektive Studie mit mehr als 2200 Teilnehmern zwischen 65 und 69 Jahren hatte untersucht, ob die Langzeiteinnahme von Opioiden negative Einflüsse auf die kognitiven Funktionen besitzt. Ab einer bestimmten Dosierung zeigten ältere Patienten darin signifikant schlechtere Ergebnisse im Minimal-Mental-Status-Test als Teilnehmer ohne Opioid-Einnahme [9]. Generell problematisch für die kognitiven Funktionen sind Anticholinergika, aber auch Sedativa und Hypnotika, die wegen ihrer sedierenden Effekte bei Älteren nur zurückhaltend und nur so lange wie unbedingt notwendig eingesetzt werden sollten [10]. Eine 2020 publizierte dänische Beobachtungsstudie fand jedoch keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Benzo­diazepinen und Z-Substanzen und dem Demenzrisiko, im Gegenteil: Bei Patienten mit hohen Dosierungen war das Demenzrisiko sogar verringert [11].

Welche Mittel können helfen?

Sofern der nachlassenden Gedächtnisleistung im Alter keine der genannten schwerwiegenden Ursachen zugrunde liegen, können einige rezeptfreie Präparate unterstützend empfohlen werden (s. Tab.). Auch eine prophylaktische Anwendung ist möglich. Nicht für alle Geriatrika oder Nahrungsergänzungsmittel, die zur Verbesserung der Hirnleistung oder als Anti-Aging-Produkte angeboten werden, liegen aussagekräftige Studien vor. Besonders umfangreich und positiv ist die Datenlage zum Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761®, zu dem in Studien bei regelmäßiger Anwendung eine verbesserte Gedächtnisleistung, gesteigerte Arbeitsleistung sowie verbesserte Konzentrationsfähigkeit nachweisbar waren.

Auch eine Vielzahl von Nahrungsergänzungsmitteln werden angeboten. Relativ neu auf dem Markt ist Spermidin, bei dem die Vorbeugung des kognitiven Abbaus durch Unterstützung der körpereigenen Autophagie funktionieren soll. Citicolin (Cytidin-5’-diphosphocholin) ist als Lecithin-­Vorstufe am Aufbau und der Reparatur von Zellmembranen beteiligt und außerdem eine Vorstufe des Neurotransmitters Acetylcholin [12].

Tab.: Rezeptfreie Präparate gegen Vergesslichkeit (Auswahl)
Hauptinhaltsstoff
Präparate (Beispiele)
Anwendungsgebiete nach Herstellerangaben
Citicolin, Vitamine, Folsäure, Uridinmonophosphat u. a.
Neurologes® concept Kapseln (NEM)
für eine normale Funktion des Nervensystems
Deanol, Cholin, Vitamine u. a.
Vitagerin® forte Weichkapseln (NEM)
traditionelles Arzneimittel zur Besserung des Allgemeinbefindens
Ginkgo-Extrakt
Tebonin® forte, Gingium®, Rökan®
Filmtabletten
hirnorganisch bedingte geistige Leistungseinbußen u. a.
Ginsengwurzel-Extrakt
Orgaplasma® Tabletten, Ginseng SL Hartkapseln
zur Stärkung und Kräftigung bei Müdigkeits- und Schwächegefühl, nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit
Knoblauchpulver
Kwai® forte 300 mg Tabletten
zur Vorbeugung von Arteriosklerose
Pyritinol
Encephabol® überzogene Tabletten
chronische, hirnorganisch bedingte Leistungsstörungen
Spermidin
Spermidine Life® Kapseln (NEM)
Unterstützung der Zellerneuerung (Autophagie)

Was kann man sonst noch tun?

Bei der Beratung in der Apotheke können auch einige allgemeine Ratschläge gegeben werden. So ist eine ausgewogene, vitaminreiche Ernährung mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren sowie ausreichendes Trinken auch für die Gehirnfunktionen wichtig. Risikofaktoren, die sich vor allem negativ auf die Durchblutung auswirken können (z. B. Rauchen) sollten minimiert und Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Hypertonie – aber auch Hypotonie – optimal behandelt werden. Geistige Aktivität und Gedächtnistraining halten das Denken fit. Nicht unterschätzt werden sollte mit zunehmendem Alter und vor allem nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben der zwischenmenschliche Kontakt. Dafür ist es auch wichtig, das Nachlassen von Sinnesfunktionen wie Gehör und Sicht sowie auch die Mobilität durch entsprechende Hilfsmittel zu unterstützen [5, 13]. |

 

Literatur

[1] Luck T et al. Memory-related subjective cognitive symptoms in the adult population: prevalence and associated factors – results of the LIFE-Adult-Study. BMC Psychology 2018;6:23

[2] Jonker C et al. Are memory complaints predictive for dementia? A review of clinical and population-based studies. Int J Geriatr Psychiatr 2000;15:983-991

[3] Thöne-Otto A et al. Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen bei neurologischen Erkrankungen. S2e-Leitlinie, Stand: 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, www.dgn.org/leitlinien

[4] Demenzen. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und weiterer Fachgesellschaften, Stand Januar 2016

[5] Lennecke K, Hagel K. Selbstmedikation für die Kitteltasche. 7. Aktualisierte Auflage 2020, Deutscher Apotheker Verlag

[6] Samaras K et al. Effects of statins on memory, cognition, and brain volume in the elderly. J Am Coll Cardiol 2019; 74(21): 2554-2568

[7] Khan MA et al. No association linking short-term proton-pump inhibitor use to dementia: systematic review and meta-analysis of observational studies. Am J Gastroenterol 2020;115(5):671-678

[8] Lange M et al. Cancer-related cognitive impairment: an update on state of the art, detection, and management strategies in cancer survivors. Ann Oncol 2019;30:1925-1940

[9] Neelamegam M et al. The effect of opioids on the cognitive function of older adults: results from the Personality and Total Health through life study. Age and Ageing 2021;50(5):1699-1708

[10] Geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis. S1-Leitlinie, Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM), AWMF-Registrierungsnummer: 053-015, Stand Mai 2018, verlängert bis 31. Januar 2022

[11] Osler M et al. Associations of benzodiazepines, Z-drugs, and other anxiolytics with subsequent dementia in patients with affective disorders: A nationwide cohort and nested case-control study. Am J Psychiatry 2020;177(6): 497-505

[12] Fach- und Gebrauchsinformationen der genannten Präparate

[13] Müller I, Felchner C. Vergesslichkeit. www.netdoktor.de/symptome/vergesslichkeit/, Abruf am 3. November 2021

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin und Autorin in Berlin.

Seit 2001 schreibt sie Beiträge für Zeitschriften des Deutschen Apotheker Verlags sowie für medizinische Fach­verlage.

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