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Ernährung
Das Zukunfts-Rezept
Nachhaltige Kost fördert die Gesundheit
Die Ernährung hat viel Gutes an sich. Denn sie ist lecker, ihre Zubereitung kann Spaß machen, außerdem bringt sie Menschen zusammen. Aber wenn sie zu Weihnachten dazu missbraucht wird, familiäre Differenzen zu glätten, indem die Mäuler der Streithähne mit Fleisch gestopft werden, rächt sie sich in der perfidesten Weise, die vorstellbar ist. In den besinnlichsten Stunden serviert sie dem Familienkreis ihre globalen Probleme quasi vor der Nase:
Erstens: Die durchschnittliche Ernährung schadet dem Planeten. In Deutschland verursacht die Landwirtschaft circa zwölf Prozent aller Treibhausgasemissionen. Davon sind 70 Prozent direkt auf die Tierhaltung zurückzuführen. Laut einem Bericht der vereinten Nationen trägt die Tierhaltung global zu 15 Prozent aller Emissionen bei.
Zusätzlich zum CO2-Ausstoß fallen Wälder und Wiesen der Landwirtschaft zum Opfer und verlieren ihre Fähigkeit, CO2 zu speichern. Weltweit werden rund zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Flächen für die Tierhaltung benötigt [1].
Zweitens: Die Ernährung ist für viele Menschen knapp. Derzeit sind rund 820 Millionen Menschen von Hungersnöten betroffen. Trotzdem wächst die Weltbevölkerung stetig. Schätzungen zufolge werden auf dem Planeten bis 2050 zehn Milliarden Menschen leben [2].
Drittens: Ungesunde Ernährung schadet der Gesundheit. Sie verursacht eine höhere Morbidität und Mortalität als Alkohol, Drogen, ungeschützter Geschlechtsverkehr und Tabakmissbrauch zusammen [3]. Mehrere Milliarden Menschen ernähren sich ungesund oder übermäßig.
Die Lösung: Ernährung umstellen
Um für diese drei Probleme eine Lösung zu entwickeln, fand sich die EAT-Lancet Kommission zusammen. Die globale Non-Profit-Organisation setzt sich aus 37 Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zusammen. Die Forscher wollten auf evidenzbasierter Grundlage einen Ernährungsplan finden, mit dem sich sieben (und bald zehn) Milliarden Menschen gesund ernähren können, ohne den Planeten zu zerstören. Ihr Ergebnis: Die Planetary Health Diet, also die Diät für planetare Gesundheit.
Die Planetary Health Diet sieht vor, dass wir unseren Obst-, Gemüse-, Nuss- und Schalenfruchtkonsum verdoppeln und gleichzeitig unseren Fleisch- und Zuckerkonsum halbieren. Der Plan lässt sich durch einen Teller abbilden (s. Abb. 1): Die eine Hälfte des Tellers füllen Obst und Gemüse, auf der anderen Hälfte finden sich Vollkorngetreide, Pflanzenproteine (z. B. Bohnen, Linsen oder Nüsse) und ungesättigte Pflanzenöle. Hinzu kommen moderate Mengen Fisch, Fleisch und Milchprodukte und nur kleine Mengen von zugesetztem Zucker und stärkehaltigem Gemüse. Der Plan ist recht flexibel und berücksichtigt persönliche sowie kulturelle Vorlieben. Veganismus und Vegetarismus können eine Konsequenz des Plans sein, müssen es aber nicht. Die Autoren schreiben: Würde man die Planetary Health Diet unverzüglich umsetzen, würde dies schätzungsweise jährlich elf Millionen Menschen das Leben retten.
Weitere unbedingt notwendige Maßnahmen sind für die EAT-Lancet Kommission, die Vernichtung von Nahrungsmitteln dramatisch zu reduzieren und die Produktion nachhaltiger auszurichten.
Schon jetzt im Beratungsgespräch nutzen
Der Pharmazeut Prof. Dr. Martin Smollich leitet die Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck. Die DAZ-Redaktion wollte von ihm wissen, was ernährungsmedizinisch von der Planetary Health Diet zu halten ist.
DAZ: Herr Professor Smollich, ist die Empfehlung „Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse verdoppeln, Fleisch und Zucker halbieren“ aus medizinischer Sicht zu einfach gedacht?
Smollich: Nein, das ist ein sehr guter Ansatz. Erst 2019 hat eine Analyse der Universität Oxford gezeigt, dass gesundheitsförderliche Lebensmittel gleichzeitig auch diejenigen Lebensmittelgruppen sind, die ökologisch am besten sind (s. Abb. 2). Ein Konflikt besteht eher darin, dass die Planetary Health Diet in einigen Punkten von den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) abweicht: Die meisten Empfehlungen ähneln sich sehr. Doch die EAT-Lancet Kommission empfiehlt im Rahmen der Planetary Health Diet viel weniger Fleisch und Eier als die DGE.
DAZ: Woher kommen die Unterschiede?
Smollich: Das hat keine ernährungsmedizinischen, sondern kulturelle und ökonomische Gründe. Ich denke, es wäre ein großer Schritt, wenn sich die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihren Empfehlungen der Planetary Health Diet annähern würde. Nebenbei: Selbst die Umsetzung der konservativen DGE-Empfehlungen würde in Deutschland bedeuten, den Fleischkonsum zu halbieren.
DAZ: Könnte es sein, dass die planetare Ernährung bei bestimmten Patientengruppen, die einen erhöhten Nährstoffbedarf haben, hinderlich wäre?
Smollich: In der Realität ist eine gute Ernährungsberatung sowieso immer individuell. Wer berät, behält zwar einen groben Plan wie z. B. die Planetary Health Diet im Hinterkopf. Allerdings berücksichtigt er dann individuelle, medizinische Aspekte wie Unverträglichkeiten, Arzneimitteleinnahmen oder Komorbiditäten. Hinzu kommen geschmackliche Vorlieben und der Lebensrhythmus des Patienten. Dahingehend passt er die Empfehlungen an. Insofern gibt es ohnehin keine allgemeingültigen Ernährungsempfehlungen.
DAZ: Könnten Apotheker mehr Einfluss auf die Ernährung der Bevölkerung nehmen?
Smollich: Ich bin mir nicht sicher, ob die Apotheke dafür die geeignete Umgebung bietet, da hier die Ernährung selten eine Rolle spielt – außer bei der Beratung von Menschen mit Erkrankungen wie Diabetes, Gicht, Krebs oder metabolischem Syndrom.
DAZ: Was wäre, wenn Apotheken die Ernährungsberatung als bezahlte Dienstleistung im Kontext von Erkrankungen anbieten könnten?
Smollich: Wenn man über pharmazeutische Dienstleistungen oder die neue Approbationsordnung für Apotheker nachdenkt, wäre es durchaus sinnvoll, das Angebot der Ernährungsberatung auszubauen. Aber schon jetzt gibt es natürlich die Möglichkeit, die Ansätze der Planetary Health Diet in das Beratungsgespräch einzubeziehen.
DAZ: Wie meinen Sie das?
Smollich: Es könnte für einige Patienten ein zusätzliches Argument sein, ihre Ernährung umzustellen. Gemüse, Hülsenfrüchte und regionale Getreideprodukte fördern die Gesundheit und schonen gleichzeitig die Ressourcen des Planeten (s. Abb. 2). Gesund und nachhaltig ist kein Zielkonflikt, sondern ein zusätzlicher Motivator. In der Beratung kann man das Patienten, denen das wichtig ist, erklären.
DAZ: Aktuell ist in der Bereichsweiterbildung „Ernährungsberatung“ für Apotheker die Planetary Health Diet nicht einbezogen. Sollte sich das ändern?
Smollich: Ich finde schon. Auch wenn die Weiterbildung nur 100 Stunden umfasst und damit nur einen groben Überblick ermöglicht, sollte die Planetary Health Diet im Curriculum angesprochen werden.
DAZ: Danke Herr Professor Smollich. Wir reden später weiter, aber erst nach dem nächsten Absatz.
Zugang zu gesunder Ernährung erschwert
Mitte September 2021 veröffentlichte Smollich ein Interview mit der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates Alena Buyx auf seiner Website „ernaehrungsmedizin.blog“ [4]. Buyx erklärt darin, dass das Essen nicht nur Privatsache ist. „Meine Ernährung hat viele Effekte nach außen: Krankheitskosten, soziale Kosten oder ökologische Kosten“, so Buyx. Diese Kosten würden von der Gesellschaft mitgetragen.
Im Interview sprach sich die Medizinethikerin dafür aus, dass der Staat eingreifen müsse, um den Menschen die Wahl für eine gesunde Ernährung zu erleichtern. Dieses Vorgehen wird auch als „Nudging“ bezeichnet, zu Deutsch: anstupsen. Der Begriff stammt aus der Verhaltensökonomie und beschreibt, mit welchen Techniken Marketingabteilungen seit jeher arbeiten, um Konsumenten zum Kauf anzuregen. In Folge dessen ist der Zugang zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in Deutschland erschwert. Dies stellte der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) in einem Gutachten fest. Meist dominieren Softdrinks und Fastfood das Angebot. Zudem ist Ungesundes oft günstiger [5]. Fastfood-Hersteller werben intensiv und richten sich dabei oft direkt an Kinder. Ein Forschungsprojekt der Universität Hamburg zeigte, dass im Schnitt ein Kind in Deutschland täglich 15 Werbungen für ungesunde Lebensmittel sieht [6].
Im Koalitionsvertrag einigte sich die neue Bundesregierung aus SPD, Grüne und FDP, bis 2023 eine Ernährungsstrategie zu entwickeln. Unter anderem möchte sie die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung aktualisieren, um regionale und ökologische Erzeugnisse auszubauen.
Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an unter 14-Jährige richtet, soll es in Sendungen und Formaten für Kinder nicht mehr geben.
Experten sehen das Marketing auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Tiktok als größeres Problem. Hier werben private Nutzer gegen Geld der Firmen (Influencer) gezielt für Kinder. Dieses Marketing in den Sozialen Medien wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt.
Das Ein-Teller-Prinzip
Das Teller-Prinzip, mit dem die „Planetary Health Diet“ arbeitet, ist in der Ernährungsberatung nicht neu. Schon 2011 präsentierte die Universität Harvard dieses simple Konzept – den Ein-Teller-Check. Heute berufen sich viele Ernährungsberater und Nahrungsergänzungsmittelhersteller (z. B. Precon®) auf das Modell. Ist diese Mahlzeit gesund? Dann sieht der Teller ungefähr so aus: Die eine Hälfte des Tellers nehmen Obst und Gemüse ein. Auf einem Viertel finden sich Produkte aus Vollkorngetreide, in einem weiteren Viertel gesunde Proteine. Hinzu kommen pflanzliche Öle und Wasser.
Obst statt Traubenzucker aus der Offizin
Als der Deutsche Ethikrat das Interview von Smollich und Buyx auf der Plattform „Twitter“ verbreitete, folgten Hass-Kommentare von Bürgern, die sich von den Vorschlägen der Medizinethikerin in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlten. Auch über Anreize und Freiheit beim Essen sprach die DAZ-Redaktion daher mit Professor Martin Smollich.
DAZ: Sollten Apotheken gegen Fastfood- und Softdrink-Hersteller zurückschlagen, indem sie selbst „Nudging“ betreiben, also Poster zu gesunder Ernährung aufhängen und Flyer auslegen?
Smollich: Nudging bedeutet, Entscheidungsumgebungen so zu gestalten, dass es leichter fällt, sich eher gesundheitsförderlich zu verhalten – ganz ohne Verbote. Ein typisches Beispiel wäre Nudging in Kantinen: Fastfood wird nicht verboten, aber es steht in der letzten Ecke und auf dem Weg dorthin kommt man an einem tollen Salatbüffet vorbei, das außerdem noch viel günstiger angeboten wird. Da Apotheken ja keine typische Ernährungsumgebung bieten, sind die Nudging-Möglichkeiten hier minimal.
DAZ: Was könnten Apotheken stattdessen tun?
Smollich: Ein Anfang könnte sein, Kindern statt Traubenzucker lieber etwas Gesundes anzubieten. Man könnte Patienten auch mit gesunden Kochrezepten unterstützen.
DAZ: Ihr Interview mit Frau Buyx „Ernährung ist nicht nur Privatsache“ sorgte für Wirbel im Netz. Woher kam das?
Smollich: Es ist wie beim Impfen oder vielen anderen Debatten: Eine Entscheidung, die ich für ausschließlich privat halte, kann sehr wohl auf die Umwelt einwirken. Niemand von uns lebt allein auf einer einsamen Insel, insofern betreffen meine persönlichen Entscheidungen immer auch andere. Das hören viele Menschen nicht gern. Die Entscheidung für eine bestimmte Ernährung ist für die meisten Menschen etwas höchstpersönliches. Das ist es, aber nicht ausschließlich.
DAZ: Wie meinen Sie das genau?
Smollich: Mit meiner Ernährung treffe ich auch eine Entscheidung über Produktionsbedingungen, ökologische Effekte oder das Tierwohl. Wer Ernährungsverantwortung übernimmt, berücksichtigt auch diese Facetten. Das gilt übrigens nicht nur für das Individuum, sondern gleichermaßen für die Lebensmittelwirtschaft und die Ernährungs- bzw. Gesundheitspolitik.
DAZ: Aber kann der einzelne Konsument mithilfe seiner Ernährung Einfluss auf das Weltklima nehmen?
Smollich: Mit diesem Argument könnten Sie ebenso vertreten, dass Sie nicht zur Wahl gehen – Ihre einzelne Stimme wird schließlich nicht die Bundestagswahl entscheiden. Natürlich ist die absolute Effektstärke des Einzelnen gering. Aber in der Summe macht es eben doch einen Unterschied. Wem Klimaschutz wichtig ist, der kann vor der Bedeutung der Ernährung nicht die Augen verschließen. Neben Mobilität und Heizung ist die individuelle Ernährungsentscheidung die wichtigste Stellschraube, mit der Einzelpersonen Einfluss auf das Klima nehmen können.
DAZ: Was wäre Ihr Erfolgsrezept, um die Deutschen zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung zu motivieren?
Smollich: Eine ökologische Ernährung ist gleichzeitig gesünder [7]. Das heißt vor allem: weniger tierische Lebensmittel, saisonales und regionales Gemüse und Obst bevorzugen, Lebensmittelabfälle konsequent reduzieren. Aber eine echte Ernährungswende kann nur gelingen, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen drastisch ändern. Die geeigneten Maßnahmen zur wirksamen Verhältnisprävention liegen mit den Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung seit 2020 auf dem Tisch. Ohne Ernährungswende scheitert nicht nur die Energiewende. Auch der Vormarsch ernährungsbedingter Krankheiten bleibt ungebrochen.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |
Literatur
[1] Lieben von M. Klimawandel auf dem Tisch - Sojabulette statt Sonntagsbraten. Deutschlandfunk 2021, Sendung vom 12. September, www.deutschlandfunk.de
[2] Entwicklung der Weltbevölkerung von 2010 bis 2100 (in Milliarden). Prognose des Statista Research Department, 08.November 2021
[3] Healthy Diets From Sustainable Food Systems - Food Planet Health. Zusammenfassender Bericht der EAT-Lancet Commission 2019, eatforum.org
[4] Smollich M. Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx: „Essen ist nicht nur Privatsache“. Interview vom 13. September 2021, www.ernaehrungsmedizin.blog
[5] Politik für eine nachhaltigere Ernährung - eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten. Gutachten des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Juni 2020.
[6] Efferz T. Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV, Projektbericht an der Universität Hamburg, März 2021
[7] Clark MA et al. Multiple health and environmental impacts of foods. PNAS 2019, doi.org/10.1073/pnas.1906908116
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