Pandemie Spezial

Corona-Impfstoffe aus China

Was bislang zu den Kandidaten aus dem Reich der Mitte bekannt ist

Mit dem zunehmenden Druck, der auf der Versorgung mit COVID-19-Impfstoffen in der EU und in Deutschland lastet, rücken auch Vakzine aus Russland oder China stärker in den Fokus. Beide Länder haben sich mit ihren Impfstoffprojekten seit Beginn der Pandemie medial enorm in den Vordergrund gespielt und sind mit zweifelhaften „Notfallgenehmigungen“ vorgeprescht. Die Transparenz der Entwicklungsprojekte lässt jedoch zu wünschen übrig, sodass die Skepsis im Westen bleibt. Dieser Beitrag fokussiert auf die Kandidaten aus dem Reich der Mitte. Zu Sputnik V siehe Seite 22.

Nach Angaben der WHO befinden sich aktuell 63 Impfstoffkandidaten in der klinischen Testung und 174 in präklinischer Entwicklung. Zur Klassifizierung der Kandidaten in Phase III der klinischen Erprobung siehe Tabelle.

Blackbox China

Neben Russland und Indien macht sich auch China Hoffnungen auf eine baldige internationale Zulassung heimischer COVID-19-Impfstoffkandidaten. Aktuell befinden sich sechs in Phase III der klinischen Erprobung. Die Entwicklungsprojekte werden allerdings von vielen Experten ebenso wie die russischen als „Blackbox“ angesehen. Von den vier inaktivierten Impfstoffen stammen zwei von der China National Biotec Group (CNBG, Teil des staatlichen Unternehmens Sinopharm), und zwar zusammen mit dem Wuhan Institute of Biological Products bzw. dem Beijing Institute of Biological Products, einer von dem Privatunternehmen Sinovac Biotech und einer vom Institute of Medical Biology und der Chinese Academy of Medical Sciences. Hinzu kommen ein Adenovirus-Vektor-Impfstoff von CanSino Biologics sowie ein rekombinanter Subunit-Impfstoff, der von Anhui Zhifei Longcom Biopharmaceutical und dem Institut für Mikrobiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam entwickelt wurde (Tab.). Letzterer, der ein gereinigtes Stück des Virus verwendet, um eine Immunantwort auszulösen, ist erst kürzlich in Phase-III-Studien eingetreten.

Im Vorgriff auf die finalen Ergebnisse haben die chinesischen Behörden im letzten Sommer bereits drei COVID-19-Impfstoffe für den Notfalleinsatz von Gruppen mit höherem Infektionsrisiko zugelassen. (Zu weiteren Zulassungen in anderen Ländern siehe Tab.) Im Folgenden ein Blick auf die drei Kandidaten, die aktuell im Fokus stehen.

Foto: chokniti – stock.adobe.com

Convidecia von CanSino Biologics

Der rekombinante Adenovirus-Vektorimpfstoff Convidecia (Ad5-nCoV), der von CanSino Biologics und Forschern vom Beijing Institute of Biotechnology und der Academy of Military Medical Sciences entwickelt wurde, nutzt das Adenovirus 5 (Ad5) als Transportvehikel für die genetische Information des Spike-Proteins von SARS-CoV-2, das auch in Sputnik V verwendet wird. Nachdem das chinesische Militär den begrenzten Einsatz der Kandidatenvakzine am 25. Juni 2020 als „besonders benötigtes Medikament“ genehmigt hatte, begann CanSino Biologics im August 2020 mit der Durchführung von Phase-III-Studien in Ländern in Mittel- und Südamerika sowie in Pakistan und Russland. Ergebnisse stehen noch aus.

BBIBP-CorV von Sinopharm

BBIBP-CorV beruht auf einem Virus, das aus einem Patienten in China isoliert und im Labor unter Verwendung von Zelllinien gezüchtet und inaktiviert wurde. Zur Verstärkung der Immunantwort enthält die Vakzine zusätzlich ein Aluminiumhydroxid-Adjuvans. Das Kürzel leitet sich von den Entwicklern ab, der China National Biotec Group (gehört zu Sinopharm) und dem Beijing Institute of Biological Products. Ermutigendes zu BBIBP-CorV gab es im Oktober letzten Jahres. Nach vorläufigen Daten aus einer randomisierten, doppelblinden, placebo-kontrollierten Phase-I/II-Studie (ChiCTR2000032459), die am Shangqiu City Liangyuan District Center for Disease Control and Prevention in der Provinz Henan, China, durchgeführt wurde, hatte der chinesische COVID-19-Impfstoffkandidat bei allen Empfängern eine Antikörperantwort ausgelöst. Die Studie war nicht darauf ausgelegt, die Schutzwirkung des Impfstoffs vor einer COVID-19-Erkrankung zu bewerten. Weitere Informationen dazu, ob er gegen SARS-CoV-2-Infektionen sicher und wirksam ist und wie lange die Schutzwirkung aufrechterhalten wird, sollten die Ergebnisse einer großen Phase-III-Studie mit BBIBP-CorV liefern, die im Juli in den Vereinigten Arabischen Emiraten gestartet wurde (NCT04510207).

Am 31. Dezember gab die chinesische National Medical Products Administration bekannt, dass sie die bedingte Genehmigung für das Inverkehrbringen des COVID-19-Impfstoffs des Beijing Biological Products Institute erteilt hat, einen Tag, nachdem das Unternehmen den Antrag gestellt hatte. Die Corona-Vakzine, die als erste die behördliche Zulassung in China erhalten hat, soll laut Xinhua News „allen Chinesen kostenlos zur Verfügung gestellt werden“. Die Zulassung beruht auf der Angabe des Unternehmens, dass sein Impfstoff in einer Phase-III-Studie eine Wirksamkeit von 79,34% gezeigt habe und sicher sei. Ausführ­liche Daten wurden noch nicht veröffentlicht.

Janssen-Impfstoff ante portas

Als nächster Kandidat, der in der EU die Hürde der Zulassung nimmt, kommt am ehesten der Impfstoff Ad26.COV2.S von Janssen (Johnson & Johnson) infrage, für den die EMA am 1. Dezember den Rolling Review gestartet hat. Am 5. Februar 2021 hat Johnson & Johnson bei der US-FDA einen Antrag auf eine Notfallzulassung (EUA) gestellt, der Ende Februar in dem zuständigen Fachgremium beraten werden soll. Dies kann durchaus als Zeichen dafür gewertet werden, dass das Unternehmen sich datenmäßig „stark“ genug fühlt. Ein Antrag auf bedingte Zulassung für die Europäische Union bei der EMA soll „in den kommenden Wochen“ folgen. Es wäre der erste in den USA und der EU zugelassene Impfstoff, der nur einmal verimpft werden muss.

CoronaVac von Sinovac

Die in Peking ansässige Firma Sinovac Biotech hat kürzlich die Ergebnisse ihrer im Juli 2020 gestarteten Phase-III-Studien bekannt gegeben, die in Brasilien (NCT04456595), der Türkei (NCT04582344) und Indonesien (NCT04508075) durchgeführt wurden.

In den Studien in Brasilien und der Türkei wurde die Wirksamkeit des Impfstoffkandidaten bei Beschäftigten im Gesundheitswesen bewertet, die COVID-19-Patienten behandeln. In Brasilien betrug die Wirksamkeitsrate gegen COVID-19 14 Tage nach der Impfung mit zwei Impfstoffdosen nach einem Zeitplan von 0 und 14 Tagen über alle Fälle 50,6%, hinsichtlich der Fälle, die eine medizinische Behandlung erforderten, 83,7% und bezüglich Krankenhausbehandlung und schweren/tödlichen Fällen 100,0%. In der türkischen Studie mit Beschäftigten im Gesundheitswesen (erste Stufe) und der allgemeinen Bevölkerung (zweite Stufe) lag die Wirksamkeitsrate für die COVID-19-Prävention 14 Tage nach der Zwei-Dosis-Impfung basierend auf einer Analyse von 29 Fällen bei 91,25%. Am 5. Februar erteilte die chinesische Arzneimittelbehörde (NMPA) eine bedingte Marktzulassung für CoronaVac, nachdem die Vakzine bereits im Juni letzten Jahres eine Notfallgenehmigung erhalten hatte.

Was sind die Daten wert?

Eines wird aus dieser grob kursorischen Übersicht bereits klar: Für eine Marktgenehmigung in der EU dürfte die Datenlage bis auf Weiteres noch nicht ausreichen, zumal es in Fachmedien des Öfteren Verwirrung hinsichtlich nicht übereinstimmender Wirksamkeitswerte der Unternehmen und der Validität der Studien gab. Man halte sich strikt an internationale Standards sowie einschlägige Gesetze und Vorschriften, hatte ein Sprecher der National Medicinal Products Administration zuletzt am 13. November 2020 beteuert. China und Russland sehen sich hinsichtlich des Belegs der Wirksamkeit und Sicherheit wegen der schon früh erteilten Notfallgenehmigungen für Sputnik V und EpiVac-Corona (Russland) im August bzw. Oktober 2020 sowie für drei chinesische Impfstoffe im Sommer letzten Jahres (siehe Tab.) durchaus im Vorteil. Hierüber wurden die Vakzine nämlich außerhalb klinischer Studien bei Freiwilligen und Risikogruppen über Monate hinweg schon breit eingesetzt. Beide Länder haben immer wieder betont, dass sich ihre Vakzine bei diesen Einsätzen als sicher und wirksam erwiesen hätten.

Tab.: COVID-19-Impfstoffkandidaten in Phase III der klinischen Erprobung (Stand 26. Januar 2021)
Impfstofftyp (Anzahl)
Entwickler / Unternehmen
Status quo
DNA (1)
AG0301 COVID-19 Vaccine
AnGes, Inc. Clinical Development
Phase-II/III-Studie (NCT04655625) an 500 gesunden Freiwilligen in Japan
mRNA (3)
BNT162b2 (Comirnaty®)
Biontech / Pfizer
(Deutschland/USA)
Bedingte EU-Zulassung am 21. Dezember 2020
Weitere Notfallzulassungen in über 30 Ländern
Phase-III-Studie (NCT04368728) mit 44.000 Teilnehmern
95% Wirksamkeit beim Verhindern der Erkrankung
mRNA-1273 (COVID-19 Vaccine Moderna)
Moderna / National Institute of Allergy and Infectious Disease (NIAID)
(USA)
Bedingte EU-Zulassung am 6. Januar 2021
Weitere Notfallzulassungen in mehr als zehn Ländern
94,5% Wirksamkeit bzgl. Verhinderung einer COVID-19-Erkrankung und 100% bzgl. Verhinderung einer schweren COVID-19-Erkrankung
Phase-III-Studie (NCT04470427) mit 30.000 Teilnehmern in den USA
CVnCoV
CureVac
(Deutschland)
Seit Dezember 2020 globale Phase-IIb/III-Studie HERALD (NCT04652102) mit mehr als 35.000 Teilnehmern
Phase-III-Studie mit der Universitätsmedizin Mainz an Mitarbeitern im Gesundheitswesen (NCT04674189)
Einreichung zur Zulassung voraussichtlich nicht vor dem zweiten ­Quartal 2021
Proteinuntereinheiten (3)
NVX-CoV2373
Novavax
(USA)
Seit 3. Februar 2021 Rolling-Review durch die EMA
Seit September 2020 Phase-III-Studie (NCT04583995) in UK
Nach vorläufigen Ergebnissen Wirksamkeit von 89,3%
CoVLP
Medicago
(Kanada)
Seit Ende November Phase-III-Studie (NCT04636697) mit knapp 31.000 Teilnehmern in den USA und Kanada
Subunit-Impfstoff (Antigen und Adjuvans)
Anhui Zhifei Longcom Biopharmaceutical / Institute of Microbiology, Chinese Academy of Sciences
(China)
Seit 22. November 2020 Phase-III-Studie (ChiCTR2000040153) mit 29.000 Teilnehmern in China
Virale Vektoren (4)
AZD1222 (COVID-19 Vaccine AstraZeneca)
Astra-Zeneca / Oxford University
(Schweden/UK)
Bedingte EU-Zulassung am 29. Januar 2021
Weitere (Notfall-) Zulassungen in mehr als 20 Ländern, u. a. Notfallzulassung für die Lizenzversion „Covishield“ des Serum Institute of India in Indien am 2. Januar 2021
gemittelte Wirksamkeit laut EU-Zulassung von 59,5%
Phase-III-Studien COV001, COV002, COV003 und COV005
Ad26.COV2.S (JNJ-78436735)
Janssen (Johnson & Johnson)
(USA)
Seit 1. Dezember 2020 Rolling-Review durch die EMA
Zulassungsantrag wird für Februar 2021 erwartet
Antrag auf Genehmigung zur Notfallanwendung (Emergency Use Authorization, EUA) bei der US-FDA am 4. Februar 2021
Seit Anfang August Phase-III-Studie (NCT04505722, ENSEMBLE) mit 60.000 Teilnehmern
Nach Interims-Analyse mit fast 44.000 Patienten Wirksamkeit von 66% (57% in Südafrika, 66% in Lateinamerika, 72% in den USA)
Gam-COVID-Vac (Sputnik V)
Gamaleya Research Institute
(Russland)
Notfallzulassung in Russland am 11. August 2020
Weitere (Notfall-) Zulassungen in 17 Ländern, darunter Ungarn
Scientific Advice bei der EMA, aber noch kein Antrag auf Zulassung
Seit Ende August Phase-III-Studie (NCT04530396) mit 40.000 Teilnehmern.
Laut Zwischenergebnissen 91,6% Wirksamkeit
Convidicea (Ad5-nCoV)
CanSino Biologics / Beijing Institute of Biotechnology, Academy of Military Medical Sciences
(China)
Spezielle „Militär“-Zulassung am 25. Juni 2020 in China
Seit Ende August Phase-III-Studie (NCT04526990) mit 40.000 Teilnehmern in mehreren Ländern
Inaktiviertes Virus (5)
inactivated Novel Coronavirus Pneumonia (COVID-19) vaccine (Vero cells)
Sinopharm/Wuhan Institute of Biological Products
(China)
Notfallzulassung in China
zwei Phase-III-Studien (NCT04510207, NCT04612972) mit insgesamt über 50.000 Teilnehmern
Laut Zwischenauswertung Wirksamkeit von 79%
BBIBP-CorV
Sinopharm/Beijing Institute of Biological Products
(China)
Bedingte Zulassung in China am 31. Dezember 2020
Notfallzulassungen in weiteren elf Ländern, darunter Ungarn
zwei Phase-III-Studien (NCT04560881, NCT04510207) mit insgesamt 48.000 Teilnehmern
CoronaVac
Sinovac
(China)
Notfallzulassung in China am 22. Juli 2020
Bedingte Zulassung in China am 5. Februar 2021
Notfallzulassungen in sechs weiteren Ländern
Phase-III-Studien (NCT04456595, NCT04508075, NCT04582344, NCT04617483, NCT04651790) u. a. in Brasilien seit 21.07.2020 (Partnerschaft mit Instituto Butantan), insgesamt knapp 30.000 Teilnehmer, laut Zwischenergebnissen Wirksamkeit zwischen 50% und 91%
inaktivierter Impfstoff
Institute of Medical Biology und Chinese Academy of Medical Sciences
(China)
Phase-III-Studie (NCT04659239) mit 34.000 Teilnehmern in Brasilien und Malaysia
Covaxin (BBV152)
Bharat Biotech/ Indian Council of Medical Research / National Institute of Virology
(Indien)
Notfallzulassung in Indien am 3. Januar 2021
Seit dem 12. November 2020 Phase-III-Studie (NCT04641481) mit 25.800 Teilnehmern, noch keine Ergebnisse zur Wirksamkeit veröffentlicht

Quellen: WHO (Stand 26. Januar 2021), vfa, Regulatory Affairs Professionals Society (RAPS)

EU beharrt auf Phase III

Trotzdem ist kaum zu erwarten, dass die europäischen Arzneimittelbehörden ihre strengen Standards für die offizielle Genehmigung von Vakzinen gegen das neuartige Coronavirus senkt. Die EMA pocht darauf, dass COVID-19-Impfstoffe sicher sein müssen und dass die Wirksamkeit in großen klinischen Studien überzeugend belegt werden muss. Nach Angaben des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller VFA haben sich neun westliche Pharmaunternehmen, die ihre Impfstoffe bereits mit Freiwilligen erproben, im September in einer Verlautbarung dazu bekannt, bei der Erprobung ihrer Impfstoffe hinsichtlich der Sicherheit und ethischer Standards keinerlei Kompromisse einzugehen und eine Zulassung nur auf Basis von Phase-III-Ergebnissen zu beantragen. Eine bedingte Zulassung ist deswegen gleichwohl möglich. Allerdings werden die Hersteller hiermit in die Pflicht genommen, fehlende Daten und Studienergebnisse innerhalb klarer Fristen nachzureichen, wie aus den Zulassungsbescheiden zu ersehen ist.

Mit Ungarn ist allerdings ein Land aus der gemeinsamen Impfstoff-Zulassungspolitik der EU ausgeschert. Das Land hat sowohl für Sputnik V als auch für BBIBP-CorV bereits eine nationale Notfallzulassung erteilt, um den russischen sowie den chinesischen Impfstoff für seine Bürger beziehen zu können, bevor es auf EU-Ebene so weit sein könnte.

Ein Türöffner für alle Impfstoffentwickler ist die wissenschaftliche Beratung seitens der Europäischen Arzneimittelagentur. Für rund 25 COVID-19-Vakzine wurde der Scientific Advice bei der EMA bereits in Anspruch genommen. Auch das Gamaleya National Centre of Epidemiology and Microbiology (Sputnik V), Cansino Biotech (Ad5-nCoV vaccine) und Sinovac Biotech (inaktiviertes Virus) haben diesen Service bereits genutzt. Ein Selbstgänger mit Blick auf die Zulassung ist das freilich noch lange nicht. |

Apothekerin Dr. Helga Blasius

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