Pandemie Spezial

No Covid – ein Irrweg

Ein Kommentar

Dr. Thomas Müller-Bohn, DAZ-Redakteur

Wissenschaft lebt vom Diskurs. Auch wenn manche Fakten sicher sind, kann über ihre Zusammenhänge und die Konsequenzen gestritten werden. Doch in einer so drängenden Situation wie der Corona-Pandemie hängt der Erfolg wesentlich von einer guten Strategie ab, die sowohl epidemiologisch als auch politisch überzeugen muss. Leider hat im Herbst eine solche Strategie in Deutschland und anderen europäischen Staaten gefehlt. Die Entscheidungsträger konnten oder wollten nicht sehen, wie sehr das Virus schon in der Welt verbreitet war, und haben die Möglichkeiten überschätzt, vorhersehbare Ausbrüche durch Überwachung und lokale Lockdowns einzudämmen. Eine konsequente Teststrategie zum Schutz der besonders Gefährdeten schien damit verzichtbar. Die Er­gebnisse sind viele Tote in Heimen und der jetzige Lockdown, aus dem so schwer herauszufinden ist. Der Kern des Problems liegt in der Überschätzung einer mittelalterlich anmutenden Containment-Strategie, die letztlich nur auf die Isolation von Infektionsverdächtigen setzt. Der Lockdown wird dann zum einzigen Werkzeug. Stattdessen gilt es zu akzeptieren, dass das Virus da ist, und dagegen mit modernen Instrumenten vorzugehen.

Doch die Idee, Covid-freie Zonen schaffen zu wollen, die sich ausdehnen ließen, liefe darauf hinaus, den Fehler des Herbstes zu wiederholen, allerdings mit noch krasseren Mitteln. Die Grenzen solcher Zonen wären nur mit drastischen Maßnahmen zu sichern, die sich ethisch und rechtlich höchst fragwürdig über soziale und wirtschaftliche Strukturen in einem dicht besiedelten Land hinwegsetzen. Die manipulative Idee, Menschen „freiwillig“ zu einer solchen Handlungsweise zu bringen, ist ein klassisches Instrument totalitärer Regime. Für diesen entsetzlich hohen Preis gäbe es vielleicht eine kurze Verschnaufpause im Kampf gegen das Virus, aber eher früher als später käme es – vielleicht sogar mutiert – zurück, und alles begänne von vorn. Ein solches Planspiel mag im Labor gelingen, vielleicht sogar für einige Zeit auf ein paar ent­legenen Inseln, aber sicher nicht im Herzen Europas. Wenn wir meinen, mit so primitiven Mitteln das Virus bezwingen zu können, unterschätzen wir seine Natur. Stattdessen brauchen wir eine Mitigation-Strategie mit geschickt an­gewendeten Tests, Luftfiltern, Masken, Abständen, Impfungen und gezielten Behandlungen. Die Erfolge der Hepatitis-C-Therapie im vorigen Jahrzehnt lassen hoffen, dass spezifische Virustatika letztlich den Erfolg bringen.

Doch das größte Problem scheint mir, dass wir überhaupt über eine so radikale Idee wie eine „No-Covid“-Strategie nachdenken. Denn gerade in einer schwierigen Lage sollten wir uns auf unsere grundlegenden Werte besinnen. Kein Zweck heiligt jedes Mittel. Gerade die vorigen Monate haben den Wert des persönlichen und sozialen Zusammenhalts überaus deutlich gemacht. Je länger der Lockdown dauert, umso wichtiger werden die psychischen Folgen. Die Menschen sind zermürbt. Es galt lange als wesentlicher Teil unserer Werteordnung, dass sich der Staat konsequent aus der persön­lichen Lebensgestaltung der Bürger heraushält und diese der Eigenverantwortung überlässt. Wenn die Entscheidungsträger dieses Ideal mehr beherzigt hätten, wären einige Fehler des Herbstes vielleicht sogar zu vermeiden gewesen. Anstatt unsere Werte infrage zu stellen, sollten wir sie als Orientierung für unsere Strategie nutzen.

Ausgangssperren oder Geschäftsschließungen, die sich nicht direkt auf die Infektionsorte beziehen, sondern indirekt Kontakte reduzieren sollen, durchbrechen eher die Moral als die Infektionsketten. Zielführend erscheinen konsequenter als bisher durchgeführte Tests an allen Orten, an denen enge Kontakte unver­meidbar sind. Statt immer wieder neue Verbote zu erlassen, gilt es die eigene Initiative und Verantwortung der Bürger zu nutzen. Eigenverantwortliche Selbsttests für alle Bürger sind längst überfällig, und weitere Testangebote in Apotheken könnten neue Öffnungsschritte möglich machen.

 

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