Infektiologie

Syphilis auf dem Vormarsch

Aktualisierte Leitlinie betont frühe Diagnostik und schnellen Behandlungsbeginn

Für 2019 meldete das Robert Koch-Institut einen Rekordwert an Syphilisinfektionen in Deutschland. Die aktualisierten Leitlinien beschreiben, welche neuen Möglichkeiten zur Diagnostik, Therapie und Prävention es gibt. Wichtig ist es dabei, auch den Partner zu informieren und zu behandeln. | Von Sabine Fischer

Syphilis (Lues venerea, harter Schanker) gehört zu den sexuell übertragbaren Infektionskrankheiten wie auch Gonorrhö oder Chlamydieninfektionen. Beim Erreger handelt es sich um Treponema pallidum, einen obligat pathogenen Keim aus der Familie der Spirochaetacea. Das gramnegative Bakterium kann außerhalb des Körpers nur kurze Zeit überleben, in gekühlten Blutkonserven konnten jedoch nach fünf Tagen noch vitale Erreger nachgewiesen werden [1].

Foto: Science Photo Library / Dennis Kunkel Microscopy

Treponema pallidum ist eine Spirochäte, ein spiralförmiges, korkenzieherförmiges Bakterium mit äußerer und zytoplasmatischer Membran, einer dünnen Peptido­glykanschicht und periplasmatischen Flagellen. Hier eine farbige raster­elektronenmikroskopische Aufnahme der gelb gefärbten gramnegativen Bakterien auf zwei Spermienköpfen.

Übertragungsweg

Am häufigsten wird Syphilis durch sexuellen Kontakt übertragen. Treponema pallidum gelangt durch Mikroläsionen der Haut oder Schleimhaut in den Körper. Das größte Risiko liegt dabei bei sexuellen Kontakten zwischen Männern vor. Im Jahre 2018 machten die durch Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) übertragenen Fälle 85% aller durch Geschlechtsverkehr übertragenen Infektionen aus, während der Anteil der durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragenen Infektionen lediglich 15% betrug. Theoretisch ist auch eine Übertragung durch Bluttransfusionen möglich. Durch die systematische Kontrolle der Blutspender konnte jedoch in Deutschland seit 20 Jahren kein Syphilisfall mehr auf eine Bluttransfusion zurückgeführt werden. Auch die Übertragung durch kontaminierte Gegenstände, wie Nadeln, spielt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Die Infektion eines ungeborenen Kindes durch eine infizierte Mutter über die Plazenta ist möglich. Durch das gesetzlich vorgeschriebene Screening in Deutschland können allerdings die meisten Fälle bei Schwangeren zuverlässig identifiziert und behandelt werden, bevor es zur Infektion des ungeborenen Kindes kommt. In Deutschland lag in den Jahren 2001 bis 2018 die Anzahl der bei Neugeborenen diagnostizierten Fälle gerade einmal zwischen ein bis sechs Fällen pro Jahr [1, 2].

Vorkommen

Jedes Jahr gibt es weltweit schätzungsweise sechs Millionen neue Fälle von Syphilis bei Personen im Alter von 15 bis 49 Jahren. Während in Ländern mit niedrigem und mitt­lerem Einkommen (LMIC) die Syphilis endemisch ist, konzentriert sich das Vorkommen von Syphilis in Ländern mit hohem Einkommen auf bestimmte Bevölkerungs­gruppen (z. B. Männer, die Sex mit Männern haben, transgender Frauen und Sexarbeiterinnen).

Weltweit werden jährlich über 300.000 Todesfälle bei Föten und Neugeborenen auf Syphilis zurückgeführt, wei­tere 215.000 Säuglinge sind einem erhöhten Risiko für einen frühen Tod ausgesetzt. Dies ist wahrscheinlich auf fehlende Tests beim ersten Besuch der Schwangerschaftsvorsorge, endemische Syphilisraten und die Nichtbehandlung der diagnostizierten Personen zurückzuführen [3].

In Deutschland ist Syphilis seit dem Jahr 2001 meldepflichtig. Im Jahr 2019 erreichte die Zahl der gemeldeten Fälle mit knapp 8000 Meldungen einen Höchststand (Inzidenz 9,5 Fälle pro 100.000 Einwohner). Dabei sind große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern zu beobachten. Die höchsten Inzidenzen wurden in Berlin (39,7) und Hamburg (24,5) registriert, Mecklenburg-Vorpommern (4,3) und Brandenburg (4,1) lagen am unteren Ende der Skala [4].

Diagnostik

Die Diagnosestellung der Syphilis erfolgt durch eine Kombination aus den klinischen Analysen der Haut- und Schleimhautbefunde mit einer bildgebenden Untersuchung der typischen Organveränderungen. Ergänzt werden diese durch die Labordiagnostik. Dazu gehören Liquordiagnostik, ein direkter Erregernachweis bei frühen Läsionen sowie der Nachweis von Treponemen-Antikörpern im Serum. In der aktualisierten Version der S2k-Leitlinie wurde der mikroskopische Erregernachweis durch einen Point-of-care-Test (Schnelltest aus ulzerierten oder nässenden Verletzungen) ersetzt, bei dem der Nachweis über Nuklein­säuren erfolgt und der hoch spezifisch und sensitiv ist [2, 5].

Abb.: Neu diagnostizierte Syphilis-Infektionen werden seit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) am 1. Januar 2001 nach § 7 Abs. 3 nicht namentlich an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet. Danach stieg die Zahl der gemeldeten Infektionen zwischen 2001 und 2004 zunächst, wobei sich dieser Anstieg auf Männer beschränkte. Zwischen 2004 und 2008 stabilisierten sich die Meldezahlen auf einem Niveau von ca. 4000 pro Jahr. 2009 sank die Zahl der gemeldeten Syphilis-Fälle, seit 2010 stieg sie annähernd kontinuierlich (nach [4]). Auch in Corona-Zeiten gibt es Syphilis-Fälle: Laut RKI lag die Zahl der monatlichen Syphilis-Meldungen bei ­Männern in den Lockdown-Monaten März bis Juni 2020 nur geringfügig unter den entsprechenden Vorjahreswerten.

Symptome

Die Inkubationszeit beträgt 14 bis 24 Tage, kann aber auch bis zu 90 Tage dauern. Nur bei ca. der Hälfte der Fälle kommt es auch zu Symptomen. Klinisch werden verschiedene Phasen der Syphilis unterschieden:

  • Frühsyphilis: bis ein Jahr nach Infektion
  • primäre Syphilis (Lues I): Krankheitsmanifestation ist am Ort des Eindringens lokalisiert
  • sekundäre Syphilis (Lues II): generalisierte Krankheitserscheinungen
  • Spätsyphilis: ab einem Jahr nach Infektion
  • tertiäre Syphilis (Lues III)
  • Neurosyphilis = quartäre Syphilis

Bei der primären Syphilis (Lues I) entsteht zunächst an der Stelle, an welcher der Erreger in den Körper eintritt, eine hirsekorngroße Papel, aus welcher dann ein scharf begrenztes Ulkus mit einem harten Rand (Ulcus durum) entsteht. Da eine Infektion meist beim Geschlechtsverkehr erfolgt, sind oft Penis bzw. Schamlippen betroffen. Hier sind die Ulzera im Allgemeinen schmerzlos. Je nach Art des Geschlechts­verkehrs können jedoch auch Lippen, Mundhöhle, Rachen, Anus oder Rektum betroffen sein. Diese extragenitalen Ulzera können schmerzhaft sein. Darüber hinaus kommt es zu einer Schwellung der benachbarten Lymphknoten, z. B. in den Leisten. Diese primären Symptome heilen in der Regel nach vier bis sechs Wochen ohne Behandlung ab. Allerdings ist ohne Therapie ein Voranschreiten der Krankheit möglich. Auch sind Patienten in dieser ersten Phase hochinfektiös.

Über Blut und Lymphsystem streut der Erreger nach vier bis zehn Wochen in den ganzen Körper. Diese Phase der sekundären Syphilis (Lues II) ist durch vielfältige Allgemeinsymptome wie Fieber, Müdigkeit, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen gekennzeichnet. Dazu kommt es zum Anschwellen vieler Lymphknoten. Im weiteren Verlauf treten verschiedene Hautveränderungen auf. Typisch ist ein masern­ähn­liches Exanthem ohne Juckreiz, welches Körperstamm, Handflächen und Fußsohlen betrifft, aber nicht darauf beschränkt ist. Später werden aus den Flecken häufig Knötchen oder Schuppen. Seitlich am Hals kann es zu einer Depigmentierung kommen („Halsband der Venus“). Mottenfraßähnlicher Haarausfall sowie das Auftreten von himbeer- bis blumenkohlähnlichen gutartigen Tumoren im Kopfhaar- und Bartbereich sind weitere potenzielle Symptome. In der Mundhöhle kann es zur Plaquebildung kommen, Mandeln und Rachen können gerötet sein. Die Hauterscheinungen verschwinden meist nach zwei Jahren. Patienten sind in diesem zweiten Krankheitsstadium infektiös. Erfolgt keine Therapie, kommt es nach einer längeren Phase (bis hin zu mehreren Jahren) ohne Symptome (Lues latens) zur tertiären Syphilis. Durch eine Behandlung in den früheren Phasen ist diese tertiäre Form heute sehr selten. Kenn­zeichen sind schwere Hautausschläge mit aufbrechenden Geschwüren sowie kardiovaskuläre Komplikationen, z. B. eine Spontanruptur der Aorta. Manifestieren sich die Symptome der Spätsyphilis am ZNS, spricht man von Neurosyphilis. Je nach Lokalisation am ZNS können unter anderem Bewegungsstörungen, einschießende Schmerzen in Unterbauch und Beinen, Krampfanfälle, Sehstörungen, Verhaltensänderungen, kognitive Defizite, sowie Harn- und Stuhlinkontinenz auftreten [1, 2].

Therapie

Mittel der Wahl zur Behandlung von Früh- bzw. Spätsyphilis ist die einmalige bzw. dreimalige intramuskuläre Gabe von Benzathin-Benzylpenicillin. Obwohl dieses schon seit über 70 Jahren zur Behandlung der Syphilis eingesetzt wird, sind keine relevanten Resistenzen bekannt. Die Auswertung von Studiendaten der Jahre 1965 bis 2014 zeigt für die einmalige Gabe von Benzathin-Benzylpenicillin eine Erfolgsquote von 90 bis 100%. Bei Penicillinallergie kann Doxycyclin über 14 bzw. 28 Tage gegeben werden. Die Therapie der Neurosyphilis erfolgt mit Penicillin G, Ceftriaxon oder Doxycyclin [2, 6].

Auf einen Blick

  • Syphilis ist eine durch Treponema pallidum ausgelöste sexuell übertragbare Infektion.
  • Die Inzidenz ist in Deutschland stark gestiegen.
  • Syphilis verläuft über mehrere Stadien (lokale Manifestation, dann systemisch, bis hin zu kardiovaskulären Symptomen und ZNS-Befall).
  • Mittel der Wahl ist Benzathin-Benzylpenicillin, damit können gute Behandlungserfolge erzielt werden.
  • Wichtigste Maßnahme zur Prävention ist die Verwendung von Kondomen.
  • Zur Unterbrechung von Infektionsketten müssen Sexualpartner der letzten drei (Primär­syphilis) bzw. zwölf Monate (Sekundärsyphilis) benachrichtigt werden.

Präventive Maßnahmen

Da das Bewusstsein in der Bevölkerung für das Vorhandensein von sexuell übertragbaren Infektionen eher gering ist (HIV stellt hier eine Ausnahme dar) sollte die Aufmerksamkeit für entsprechende Symptome gestärkt werden (s. Tab.). Die Risikofaktoren für den Erwerb einer sexuell übertragbaren Infektion entsprechen denen einer HIV-Infektion. Besteht der Verdacht einer Syphilisinfektion, muss der Patient unbedingt von der Notwendigkeit des Arztbesuchs überzeugt werden, gerade weil hier oftmals eine hohe Hemmschwelle besteht [1, 2].

Tab.: Symptome, bei denen man an Syphilis (T. pallidum) oder andere sexuell übertragbare Erkrankung (STI) denken und zu einem Arztbesuch raten sollte [7].
Symptome
mögliche Erreger einer sexuell übertragbaren Erkrankung
Schmerzhafte/unangenehme Blasenentleerung mit oder ohne Ausfluss
Chlamydia trachomatis, Mycoplasma genitalium, Ureaplasma urea­lyticum, Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis,Herpes simplex-Virus 1 und 2
vermehrter vaginaler Ausfluss
Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, Mycoplasma genitalium
anogenitales Ulkus, Paraphimose (Vorhaut kann nach dem Zurückschieben hinter die Eichel nicht mehr in ihre Ursprungsposition gestreift werden)
Chlamydia trachomatis, Haemophilus ducreyi, Treponema pallidum, Herpes-simplex-Virus 1 und 2
sonstige Hautveränderungen in der Anogenitalregion (anogenitale Warzen, Knoten, Papeln, Bläschen
Treponema pallidum, Herpes simplex-Virus 1 und 2, humane Papilloma-Viren (HPV), Molluscum-contagiosum-Virus (MCV), Krätzemilben, Filzlaus
Ausschlag (Exanthem und Enanthem)
Treponema pallidum, humanes Immundefizienz-Virus (HIV), Krätzemilben
Lymphknotenschwellung (Hals, Leiste)
Chlamydia trachomatis, Haemophilus ducreyi, Neisseria gonorrhoeae, Treponema pallidum, Herpes simplex-Virus 1 und 2, humanes Immun­defizienz-Virus (HIV)
Schwellung am Hodensack
Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Enterobakterie
Azyklische vaginale Blutung/Kontaktblutung
Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Trichomonas vaginalis, Mycoplasma genitalium
Unterbauchschmerzen bei Frauen, mit und ohne Schmerzen beim Sex
Chlamydia trachomatis, Mycoplasma genitalium, Neisseria gonorrhoeae
rektale Blutung, Defäkationsschmerz
Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Teponema pallidum, ­humane Papilloma-Viren (HPV)
Oberbauchbeschwerden
Hepatitis-A-, -B-, -C-Virus, Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae
Ikterus
Hepatitis-A-, -B-, -C-Virus

Die wichtigste Maßnahme zur Vermeidung der Syphilis ist – wie bei allen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) – die Verwendung von Kondomen. Da jedoch jeder Kontakt mit dem Erreger zur Infektion führen kann, ist z. B. auch eine Übertragung beim Küssen bei Vorliegen eines Ulkus möglich. Zur Unterbrechung von Infektionsketten ist es deshalb unerlässlich, nach erfolgter Diagnosestellung Sexualpartner zu benachrichtigen. Liegt eine Primärsyphilis vor, sollten die Sexualpartner der letzten drei Monate, bei einer Sekundärsyphilis die der letzten zwölf Monate benachrichtigt werden. Da die Benachrich­tigung der Partner durch die betroffene Person erfolgen sollte, muss dieser die Notwendigkeit der Maßnahme verdeutlicht werden. Hatten die Sexualpartner einen relevanten Erregerkontakt, kann eine Postexpositionsprophylaxe analog der Behandlung der Frühsyphilis mit Benzathin-Benzylpenicillin erfolgen. Aufgrund steigender Syphiliszahlen weltweit stellt sich die Frage nach einer Chemoprophylaxe für Personen mit hohem Risiko, z. B. durch die präventive Einnahme von Doxycyclin. Aufgrund der noch geringen Studiendaten, der zu befürchtenden zunehmenden Tetracyclin-Resistenz und der eventuellen Nebenwirkungen gibt es seitens der Leitlinie jedoch derzeit keine Empfehlung für eine solche Chemoprophylaxe . |
 

Literatur

[1] Ratgeber Syphilis. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Syphilis.html

[2] Diagnostik und Therapie der Syphilis. S2k-Leitlinie der DeutschenSTI-Gesellschaft (DSTIG) (federführend), Stand: Mai 2020, AWMF-­Registernummer 059/002

[3] Kojima N et al. An Update on the Global Epidemiology of Syphilis. Curr Epidemiol Rep 2018;5(1):24–38

[4] Jansen K. Syphilis in Deutschland 2019 – Neuer Höchststand von Infektionen. SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts (RKI) 2020;49:3-13

[5] NN. S2k-Leitlinie Syphilis aktualisiert. Deutsches Ärzteblatt online vom 15. Oktober 2020, www.aerzteblatt.de/nachrichten/117429/S2k-Leitlinie-Syphilis-aktualisiert

[6] Clement ME et al. Treatment of syphilis: a systematic review. JAMA 2014;312(18):1905-17

[7] Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik, Therapie. S2k-Leitlinie der Sektion Sexuelle Gesundheit der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG) (federführend), Stand: August 2018, AWMF-Registernummer 059/006

Autorin

Dr. Sabine Fischer ist Apothekerin aus Stuttgart. Seit dem Pharmaziestudium in Freiburg und einer Promotion in Tübingen arbeitet sie an einer PTA-Schule und in öffentlichen Apotheken. Nebenbei schreibt sie als freie Journalistin.

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