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Beratung

Ausgekämmt

Selbstmedikation bei Haarausfall – was ist empfehlenswert?

Ganz gleich ob erblich bedingt, kreisrund oder diffus, ob schleichend oder unvermittelt auftretend: Für übermäßigen Haarverlust gibt es immer einen Grund. Den zu finden, ist oft nicht einfach. Wenn bei der Beratung in der Apotheke der aktuelle Gesundheitszustand, die Medikation und das Auftreten von Alopezie in der Familie hinterfragt werden, ergeben sich häufig bereits Hinweise auf die mögliche Ursache des Haar­problems. | Von Claudia Bruhn

Wer zum Thema Haarausfall Rat in der Apotheke sucht, hat oft bereits Produkte aus dem Drogeriemarkt oder dem Internet ausprobiert. Punkten kann die Apotheke in der Beratung damit, dass sie über die Wirkstoffempfehlung hinaus individuell auf die Vorlieben der Kunden eingeht. So werden beispielsweise Senioren mit Multimedikation nicht begeistert von dem Angebot sein, täglich weitere zwei Kapseln gegen ihren Haarausfall einzunehmen. Dagegen könnten motorisch eingeschränkte Kunden die orale Anwendung bevorzugen, weil ihnen das Auftragen einer Lösung auf die Kopfhaut Schwierigkeiten bereitet. Wer die Haare nur ein- bis zweimal wöchentlich reinigt, wird womöglich Änderungen der Pflegeroutine, beispielsweise mit täglichen Haar­wäschen, schlecht akzeptieren.

Häufigste Form: androgenetische Alopezie

Der anlagebedingte Haarausfall (erblich-hormoneller Haarausfall, androgenetische Alopezie) ist die häufigste Form von Haarverlust. Sie tritt bei Frauen und Männern unterschiedlich in Erscheinung. Bei Frauen kommt es vor allem zur Ausdünnung der Scheitelregion. Dagegen lichten sich die Haare bei Männern überwiegend im Stirnbereich („Geheimratsecken“) und auf dem Hinterkopf. Bei Männern können diese Veränderungen bereits ab der Pubertät auftreten, bei Frauen beobachtet man sie am häufigsten vor oder während der Menopause. Als Ursache wird eine anlagebedingte Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber Androgenen, insbesondere Dihydrotestosteron, angenommen. Das Enzym 5α-Reduktase Typ II bildet in den Haarfollikeln Dihydrotestosteron aus Testosteron. Es wird für eine Verkürzung der Wachstumsphase der Haare, die Miniaturisierung der Haarfollikel und die Haarverdünnung verantwortlich gemacht. Das Wirkprinzip von Alfatradiol, das lokal angewendet werden kann (s. Tab. 1), soll auf der Hemmung dieses Enzyms in der Kopfhaut beruhen. Alfatradiol ist ein Stereoisomer des 17β-Estradiols, besitzt aber nur eine sehr geringe Affinität zu Estrogenrezeptoren. In vitro wurde außerdem eine Stimulation der proliferativen Aktivität von humanen Haarmatrixzellen durch Alfatradiol nachgewiesen. Eine sichtbare Wirkung ist frühestens nach einem Monat zu erwarten.

Physiologisch oder pathologisch?

Ein Verlust von bis zu 100 Haaren täglich wird als physiologisch eingestuft. Dieser Wert gilt jedoch nur bei regelmäßiger Haarpflege. Wer beispielsweise Corona-bedingt im Homeoffice arbeitet, wird vielleicht vorübergehend anstelle von täglichem Waschen, Föhnen und/oder Glätten nur ein- bis zweimal wöchentlich eine gründliche Haarreinigung durchführen. Bei dieser Gelegenheit fallen dann diejenigen Haare aus, die wegen der fehlenden mechanischen Beanspruchung noch etwas länger als normalerweise in der Kopfhaut verblieben sind. So können an einem Tag bis zu 250 Haare verloren gehen, wenn der Abstand zur vorangegangenen Haarwäsche fünf Tage beträgt [14]. Besteht der Verdacht auf eine chronische Erkrankung als Ursache des vermehrten Haarausfalls, sollte zum Arztbesuch geraten werden. So können beispielsweise sowohl Unter- als auch Überfunktionen der Schilddrüse zu unerwünschten Veränderungen der Haarstruktur und zu Haarausfall führen. Spezialisierte Hautärzte verfügen über ein breites Portfolio an Diagnostik-Methoden bei Haarausfall, wie Haarwurzelstatusanalyse (Trichogramm), Epilationstest oder digitaler Haarscan [14].

Daueranwendung notwendig

Weitere lokal anzuwendende Optionen sind die struktur­verwandten Wirkstoffe Aminexil und Minoxidil (s. Tab. 1). Minoxidil wurde zuerst als Antihypertonikum entwickelt und findet derzeit noch bei therapieresistenter Hypertonie Anwendung. Sein Wirkmechanismus bei Alopezie ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Man vermutet, dass es durch seine gefäßerweiternde Wirkung in der Peripherie die Mikrozirkulation an den Haarfollikeln erhöht und außerdem den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) stimuliert. Ein Nachwachsen der Haare an den lichten Stellen ist nach etwa drei bis vier Monaten zu beobachten. Etwa vier bis acht Wochen nach Therapiebeginn kann vermehrter Haarausfall auftreten, der ein Zeichen für das Ansprechen auf die Behandlung ist. Denn die nachwachsenden Haare schieben bereits abgestorbene Haare aus dem Follikel heraus. Wird die Behandlung unterbrochen, stellt sich nach drei bis vier Monaten der ursprüngliche Zustand wieder ein. Zubereitungen mit Minoxidil sind für Frauen niedriger dosiert als für Männer. Der Hintergrund ist, dass es aus Studien mit Frauen bei höheren Dosierungen Hinweise auf ein un­erwünschtes reversibles Haarwachstum im Gesicht gibt.

Tab. 1: Arzneistoffe und weitere Substanzen zur lokalen Anwendung in der Selbstmedikation (Auswahl, [3])
Hauptinhaltsstoff
Präparate (Beipiele)
Anwendungsgebiete
Anwendungshinweise
Alfatradiol
Ell-Cranell®, Pantostin®
leichte androgenetische Alopezie,
Männer und Frauen
einmal täglich (abends) mit Applikator auf die Kopfhaut auftragen, nach Besserung jeden zweiten bis dritten Tag
Aminexil
(Diaminopyrimidinoxid, strukturverwandt mit Minoxidil)
Vichy Dercos® Aminexil Clinical 5 Ampullen-Kur
(Kosmetikum)
nicht krankheitsbedingter Haarausfall,
Männer und Frauen
Standardanwendung: drei Ampullen/Woche, sechs Wochen lang, Intensivkur: eine Ampulle/Tag, sechs Wochen lang; im trockenen oder feuchten Haar verteilen
Coffein
Plantur® 39 Shampoo
(weitere Inhaltsstoffe: Tee-Extrakt, Dexpanthenol, Weizenprotein-Hydrolysat, Nicotinamid) (Kosmetikum)
feines brüchiges Haar
Anwendung über mindestens zwei bis drei Monate
Kreatin*
Ducray® Creastim Haarlotion
(weitere Inhaltsstoffe: Tetrapeptid, B-Vitamine) (Kosmetikum)
temporärer Haarausfall
dreimal wöchentlich zehn Sprühstoße in trockene oder feuchte Kopfhaut einmassieren, nicht ausspülen;
Anwendung über mindestens zwei Monate
Melatonin
Trichosense® Lösung
(weitere Inhaltsstoffe: Ginkgoblätter-Extrakt, Biotin) (Kosmetikum)
zur Pflege in frühen Stadien von Haarverlust / Haarver­dünnung
Lösung abends auf der Kopfhaut verteilen, Anwendung über drei Monate empfohlen
Minoxidil
Alopexy® 5% Lösung
(AM)
mittelschwere androgenetische Alopezie bei Männern zw. 18 und 65 Jahren
zweimal täglich auf die betroffenen Stellen der trockenen Kopfhaut auftragen und mit den Fingerspitzen verteilen
Minoxicutan® Spray
  • Frauen: 20 mg/ml
  • Männer: 50 mg/ml
androgenetische Alopezie bei Männern bzw. Frauen
Regaine®
  • Frauen 2% Lösung, 5% Schaum
  • Männer 5% Lösung, 5% Schaum
erblich bedingter Haarausfall
5%-Lösung (Männer) und 2%-Lösung (Frauen): zweimal täglich anwenden, Schaum 5%: bei Frauen einmal täglich, bei Männern zweimal täglich auf betroffene Stellen auftragen
Natriumthiocyanat
Thiocyn® Haarserum
(weitere Inhaltsstoffe: B-Vitamine)
(Kosmetikum)
nicht krankheitsbedingter Haarausfall; schütteres, lichteres oder dünner werdendes Haar
einmal täglich nach der Haarwäsche auf die Kopfhaut auftragen und einmassieren, mindestens vier bis sechs Monate regelmäßig anwenden
Redensyl™
(Wirkstoffkomplex aus Dihydroquercetin-Glucosid, Epigallocatechingallat-Glucosid, Glycin und Zink)
Sebamed® Anti-Haarverlust Intensiv Schaum
(weitere Inhaltsstoffe: Coffein, Nicotinsäurehexylester)
(Kosmetikum)
erblich bedingter Haarverlust
zweimal täglich in die Haare einmassieren, nicht ausspülen

Pflanzenextrakte gegen Haarausfall

In zahlreichen systemisch und lokal anzuwendenden Mitteln gegen Haarausfall sind Pflanzenextrakte enthalten. Dazu zählen vor allem Extrakte aus Ginkgo biloba, Säge­palme und Hirse, aber auch aus Grüntee, Rotklee, Traubenkernen, Bockshornkleesamen, Brennnessel und chinesischen Pilzen (s. Tab. 1, 2). Für die beanspruchten Wirkungen gibt es nur wenige Belege aus wissenschaftlichen Unter­suchungen [6]. Eine der wenigen Ausnahmen ist eine zwölfwöchige doppelblinde Studie, in der 65 Frauen Kapseln mit einer speziellen Hirseextrakt-Formulierung einnahmen. Die Dichte der Haare im Anagen- und im Telogenstadium (Wachstums- und Ruhephase) wurde mittels Phototrichogramm-Analyse bestimmt. Dabei zeigten sich Vorteile durch die Einnahme des Hirseextrakts [7].

Auch zu Sägepalmen-Extrakt wurden wissenschaftliche Studien veröffentlicht. In zwei kleineren Untersuchungen mit Männern mit milder bis moderater androgenetischer Alopezie zeigten sich positive Wirkungen [9, 10]. Sägepalmen-Extrakt wird wegen seiner antiandrogenen Wirkung, also der Hemmung der 5α-Reduktase, auch als Phytotherapeutikum zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie eingesetzt. Für die Wirkung in beiden Anwendungs­gebieten werden β-Sitosterol sowie auch freie Fettsäuren verantwortlich gemacht [13].

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Zählen bringt Klarheit Ein Verlust von bis zu 100 Haaren pro Tag ist physiologisch und kein Grund zur Besorgnis.

Haarausfall durch Mangelzustände

Für die Gesundheit und Vitalität der Haare ist eine Vielzahl von Vitaminen und Mineralstoffen notwendig. Die Zusammensetzung zahlreicher Produkte gegen Haarausfall beruht auf der Vorstellung, dass diese Substanzen mit der Nahrung nur unzureichend zugeführt werden (s. Tab. 2). Ein prominenter Vertreter ist Biotin, das in nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Nahrungsergänzungsmitteln sowie Lebensmitteln enthalten ist. Die Biotin-Zufuhr über die Ernährung wird in Deutschland als ausreichend eingeschätzt. In der Schwangerschaft sowie bei Einnahme bestimmter Medikamente wie der Antikonvulsiva Primidon, Carbamazepin und Valproinsäure kann jedoch eine Unterversorgung auftreten. Dagegen verbessert eine zusätzliche Gabe von Biotin bei ausreichender Versorgung die Haarbeschaffenheit nicht [12]. Bei der Abgabe Biotin-haltiger Präparate ist zu beachten, dass die Substanz Labortests negativ beeinflussen kann. Ursache ist eine Wechselwirkung zwischen Biotin und den Reagenzien von Immunassays, die beispielsweise bei der Diagnostik von Herz-, Stoffwechsel-, Tumor- oder Infektionskrankheiten eingesetzt werden. Aus diesem Grund wurde 2019 ein Rote-Hand-Brief veröffentlicht. Er betrifft nicht nur Biotin-haltige Arzneimittel, sondern auch Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel, die ≥ 150 µg Biotin pro Dosiseinheit enthalten, sowie parenterale Arzneimittel mit ≥ 60 µg Biotin pro Dosis [11].

Kaum Belege aus Studien

Zahlreiche Produkte gegen Haarausfall enthalten antioxidative Substanzen wie beispielsweise Vit­amin E oder Melatonin (s. Tab. 1, 2). Sie sollen oxidativen Abbauprozessen, die unter anderem durch UV-Strahlung aktiviert werden, entgegenwirken. Der Zusatz von Coffein in Mitteln gegen Haarverlust soll durch Erhöhung der Durchblutung die Nährstoffversorgung verbessern, die körpereigene Substanz Natriumthiocyanat die Haarwurzeln stärken. Studien, die die Wirksamkeit der Produkte belegen können, gibt es nur wenige. Bei vielen Untersuchungen, die als Wirksamkeitsnachweise auf den Produktwebseiten zu finden sind, handelt es sich um Anwendungsbeobachtungen mit niedrigen Probandenzahlen, die von den Herstellern unterstützt wurden. Nur wenige Studien sind ausführlich publiziert, darunter die Anwendung einer kosmetischen Melatonin-Lösung bei 35 Männern mit androgenetischer Alopezie, bei denen mittels digitaler Auflichtmikroskopie nach drei und sechs Monaten eine signifikante Zunahme der Haardichte im Vergleich zum Ausgangszustand gemessen wurde [4].

Tab. 2: Kombinationspräparate mit Pflanzen-Extrakten, Vitaminen und Mineralstoffen zur systemischen Anwendung bei Haarausfall (Auswahl, [3])
Präparate (Beispiele)
Hauptinhaltsstoffe
Anwendungsgebiete
Anwendungshinweise
Bio-H-Tin® Tabletten
Biotin
Vorbeugung / Behandlung eines Biotin-Mangels (AM)
einmal täglich, eine halbe Tablette mit einem Glas Wasser einnehmen
Bockshornklee + Biotin Kapseln
Bockshornkleesamen-Extrakt, Biotin, Zink
zur Erhaltung normaler Haare und Haut (NEM)
täglich zwei Kapseln
Ducray® Anacaps Reactiv / Progressiv
Biotin, Vitamine B6, E, Eisen, Niacin, Aminosäuren / Niacin, Biotin, Zink, Selen u. a.
bei temporärem / chronischem Haarausfall (NEM)
einmal täglich, morgens eine Kapsel mit einem Glas Wasser einnehmen, für mindestens drei Monate
Neofollics® Tablette
Extrakte aus Sägepalme, Grüntee, Rotklee und Brennnessel, Beta-Sitosterol u. a.
zur Unterstützung des normalen, gesunden Haarwuchses (NEM)
ein bis drei Tabletten täglich zu oder nach einer Mahlzeit einnehmen
Orthomol® Hair Intense Kapseln
Hirse-Extrakt (Keraliacin®), Selen, Zink, Kupfer, B-Vitamine, L-Cystein, L-Methionin
Reduktion von Haarausfall, Beitrag zum normalen Energiestoffwechsel der Haarwurzeln (NEM)
täglich zwei Kapseln mit viel Flüssigkeit zu oder nach einer Mahlzeit einnehmen
Pantovigar® vegan Kapseln
B-Vitamine, Medizinalhefe (inaktiviert), Cystin, Zink u. a.
zum Diätmanagement bei diffusem Haarausfall bei Frauen;
zur Steigerung der verminderten Anagenhaarrate bei leichter androgenetischer Alopezie bei Männern und Frauen (LM)
dreimal täglich eine Hartkapsel zu den Hauptmahlzeiten mit Flüssigkeit einnehmen
Priorin® Kapseln
Hirse-Extrakt, Pantothen­säure, Cystin
für Frauen mit hormonell erblich bedingten Haarwachstumsstörungen und Haarausfall (LM)
bei Haarausfall: in den ersten drei Monaten morgens zwei Kapseln und abends eine Kapsel unzerkaut mit etwas Flüssigkeit, anschließend eine Kapsel/Tag;
bei leichteren Haarwachstumsstörungen: einmal täglich eine Kapsel mit etwas Flüssigkeit einnehmen
Trivital® Haut und Haare
Extrakte chinesischer Vitalpilze (Reishi, Polyporus umbellatus), Traubenkern-Extrakt, Rispen­hirse-Konzentrat, B-Vitamine u. a.
Frauen und Männer mit Haarausfall bzw. dünner werdendem Haar (NEM)
morgens eine Tag-Kapsel, abends eine Nacht-Kapsel zum Essen mit einem halben Glas Wasser einnehmen

Zink auch gegen Autoimmunreaktionen

Das „Erkältungsmineral“ Zink ist ebenfalls in einigen Produkten zur systemischen Anwendung bei Haarausfall enthalten. Aus verschiedenen Studien gibt es Hinweise, dass Zink nicht nur die Immunabwehr bei Erkältung stärkt, sondern essenziell für die Balance des Immunsystems ist. Wissenschaftler der RWTH Aachen halten Zink deshalb für ein sinnvolles Supplement bei Patienten mit Autoimmunkrankheiten [15]. Für den relativ unvermittelt auftretenden kreisrunden Haarausfall (Alopecia areata) werden Autoimmunreaktionen verantwortlich gemacht, sodass hier eine Supplementation mit Zink sinnvoll erscheint. Von einer mehrwöchigen hochdosierten (> 100 mg/Tag) Einnahme von Zink-Supplementen wird jedoch abgeraten, da diese zu einem Kupfer-Mangel führen kann [2, 8].

Belastend: Postpartales Effluvium

In der Schwangerschaft haben die meisten Frauen keine Probleme mit Haarausfall, im Gegenteil: Die Haare glänzen und scheinen mehr Fülle zu besitzen als jemals zuvor. Ursache sind die hohen Estrogen-Spiegel, die die Wachstumsphase verlängern. Dadurch bleiben Haare, die eigentlich ausfallen müssten, erhalten. Nach dem steilen Abfall der Estrogen-Spiegel nach der Geburt gehen diese in die Ruhephase über, weshalb sie nach wenigen Wochen büschelweise ausfallen können. Verzweifelte Mütter können dahingehend beruhigt werden, dass weder das Stillen noch eine aus Zeitgründen vernachlässigte Haarpflege für den Zustand verantwortlich sind. Nach etwa drei bis spätestens zwölf Monaten norma­lisiert sich der Haarausfall. Falls nicht, sollte ein Arzt konsultiert werden. Stellen Frauen bereits während der Schwangerschaft einen Haarausfall fest, sind Eisen- oder Biotinmangel mögliche Ursachen, die ebenfalls ärztlicherseits abgeklärt werden können.

Haarausfall in den Wechseljahren

Auch zu Beginn der Wechseljahre sinken die Estrogen-Spiegel, wenn auch nicht so abrupt wie nach der Schwangerschaft. Zusätzlich machen sich Veränderungen der reiferen Haut – auch bei Männern – auf der Kopfhaut bemerkbar. Weil sie schlechter durchblutet wird als bei Jüngeren, reduziert sich die Versorgung der Haarfollikel mit Nährstoffen. Die Haare fallen kaum aus, doch ihre Struktur wird feiner, und die ehemals jugendliche Haarpracht schwindet. Da im Alter auch die Resorption von Vitaminen und Mineralstoffen, die für die Haarbeschaffenheit wichtig sind, sinkt, können zum Ausgleich Supplemente empfohlen werden (s. Tab. 2). Pflegeroutinen, die das Haar mechanisch beanspruchen (z. B. Glätten, heißes Föhnen, Zusammenbinden oder Hochstecken), sollten vermieden werden, da aufgrund des dünneren Haares das Risiko für Haarbruch steigt. Produkte, die regelmäßig in die Kopfhaut einmassiert werden, sind empfehlenswert, da Massage die Durchblutung verbessert.

Nicht unterschätzen: Operationen und ­Krankheiten

Unterschätzt werden oft die Auswirkungen von Operationen unter Narkose oder schweren Erkrankungen auf den Haarzyklus. Wenn sich aufgrund dieser Ursachen die Versorgung der Haare für eine bestimmte Zeit verschlechtert, beenden mehr Haare als sonst die Wachstumsphase und treten in die Ruhephase ein. Erst mit einer zeitlichen Latenz von einigen Wochen kommt es dann zum verstärkten Haarausfall, sodass der Zusammenhang mit der Operation oder der akuten Erkrankung nicht immer hergestellt wird. Deshalb sollte im Beratungsgespräch konkret nachgefragt werden. Betroffenen kann in Aussicht gestellt werden, dass sich der Haarausfall infolge einer akuten Erkrankung oder Operation nach einigen Wochen wieder normalisiert.

Auf Lokalreaktionen achten

Bei möglichen Erkrankungen als Auslöser von Haarausfall sollte auch an Erkrankungen, die die Kopfhaut beeinträch­tigen, gedacht werden. Dazu zählen der Kopfhautbefall bei Psoriasis (Psoriasis capitis), die atopische Dermatitis und Hefepilzerkrankungen (Pityriasis vesicolor). Haarverlust kann auch als Folge von allergischen Reaktionen auf Inhaltsstoffe von Haarpflegeprodukten entstehen. Kunden, die von Haarausfall betroffen sind, haben oft schon viele verschiedene Produkte aus dem Drogeriemarkt angewendet, sodass ein Rückschluss auf den Auslöser entzündlicher Prozesse auf der Kopfhaut nicht immer nachvollziehbar ist. Ein Weglassen von Pflegeprodukten mit potenziell irritativen Inhaltsstoffen ist empfehlenswert. Mögliche Alternativen, auch als Zusatzempfehlung, sind Shampoos der Hersteller von Produkten gegen Haarausfall (z. B. Priorin® Shampoo, Trichosense® Shampoo, Pantovigar® Shampoo).

Strategien bei Alopecia medicamentosa

Arzneistoffe, die zu Haarausfall führen können, finden sich in vielen Wirkstoffgruppen wie Analgetika, Antidepressiva, Antihypertonika (ACE-Hemmer und Betablocker), Lipidsenker und Immunsuppressiva sowie mit der größten Häufigkeit unter den Zytostatika [1]. Nach Beendigung der Arzneimitteltherapie ist der Haarausfall in der Regel reversibel. Bei Dauermedikation kann das Problem dadurch gelöst werden, dass der Arzt, falls möglich, auf einen ähnlich stark wirksamen Arzneistoff umstellt, bei dem diese Nebenwirkung seltener oder gar nicht beobachtet wird. Auch in der Selbstmedikation kann diese Strategie angewendet werden. |
 

Literatur

 [1] Bruhn C. Nebenwirkung Haarausfall – Bei vermehrtem Haarausfall können auch Arzneimittel die Ursache sein. DAZ 2019;17:40

 [2] Duncan A et al. The risk of copper deficiency in patiens prescribed zinc supplements. J Clin Pathol 2015;68(9):723-725

 [3] Fach- und Gebrauchsinformationen der genannten Präparate, Produktwebseiten

 [4] Fischer TW et al. Melatonin in der topischen Behandlung der androgenetischen Alopezie. Akt Dermatol 2011;37:410-418

 [5] Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler E. Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie –Toxikologie. 11., völlig neu bearbeitete Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020

 [6] Kanti V et al. Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men – short version. JEADV 2018;32:11-22

 [7] Keophiphath M et al. Miliacin encapsulated by polar lipids stimulates cell proliferation in hair bulb and improves telogen effluvium in women. J Cosmet Dermatol 2019, https://doi.org/10.1111/jocd.12998

 [8] Podlogar J, Smollich M. Zink für Stoffwechsel, Wachstum und Abwehr. DAZ 2019;21:36

 [9] Prager N et al. A randomized, double-blind, placebo-controlled trial to determine the effectiveness of botanically derived inhibitors of 5-a-reductase in the treatment of androgenetic alopecia. J Alternat Complementar Med 2002;8(2):143-152

[10] Rossi A et al. Comparative effectiveness of finasteride vs Serenoa repens in male androgenetic alopecia: a two-year study. Int J Immunopathol Pharmacol 2012;25(4):1167-1173

[11] Rote-Hand-Brief zu biotinhaltigen Arzneimitteln: Risiko falscher Ergebnisse von Laboruntersuchungen durch Biotininterferenzen. Mai 2019, Datum 15.05.2019. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2019/rhb-biotin.html

[12] Smollich M, Podlogar J. Biotin für Schwangere. DAZ 2018;10:40

[13] Teuscher E, Melzig M, Lindequist U. Biogene Arzneimittel. 8. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020

[14] Website des Haarzentrums Heidelberg, www.haar-zentrum.com, Abruf am 9. Februar 2021

[15] Wessels I, Rink L. Micronutrients in autoimmune diseases: possible therapeutic benefits of zinc and vitamin D. J Nutrit Biochem 2020;77:108240

* An dieser Stelle war der DAZ-Redaktion in der Printausgabe ein Fehler unterlaufen. Dort stand Keratin statt wie richtigerweise Kreatin. Wir haben diesen Fehler in der Online-Version korrigiert und bitten unsere Leser um Entschuldigung.

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin und Autorin in Berlin.

Seit 2001 schreibt sie Beiträge für Zeitschriften des Deutschen Apotheker Verlags sowie für medizinische Fach­verlage.

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