Arzneimittel und Therapie

Schwindender Kiefer unter Bisphosphonaten

Welche Faktoren das Risiko für Kieferosteonekrosen erhöhen

Als hätten Krebspatienten nicht schon genug zu kämpfen, machen ihnen häufig Knochenmetastasen das Leben schwer. Eine gefürchtete Nebenwirkung der Bisphosphonate, die zur Therapie der Metastasen eingesetzt werden, stellen Kiefer­nekrosen dar. Doch wie hoch ist das Risiko für Nekrosen tatsächlich und welche weiteren Risikofaktoren müssen beachtet werden?

Wenn Krebszellen im Körper auf Wanderschaft gehen, breiten sie sich in anderen Organen aus. Am häufigsten metastasieren die Tumorzellen in den Knochen und führen zu Knochenschmerzen und Beeinträchtigungen in der Knochenstabilität. Neben Schmerztherapeutika kommen vor allem der Antikörper Denosumab (Xgeva®) und Bisphosphonate zum Einsatz, die regulierend in den Knochenstoffwechsel eingreifen. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Wirkstoffgruppe ist die Zoledronsäure (z. B. Zometa®), der seit 2002 für die Behandlung krebsbedingter Skelettkomplikationen bei Erwachsenen mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen zugelassen ist. Die Therapie mit Zoledronsäure geschieht nicht immer ohne Nebenwirkung. Eine bekannte seltene und schwerwiegende Nebenwirkung ist die Entwicklung von Knochennekrosen im Kiefer (engl. osteonecrosis of the jaw, ONJ). Für Betroffene ist das extrem schmerzhaft und verbunden mit einer deutlichen Reduzierung der Lebensqualität, macht es doch das Essen zur Qual. Im schlimmsten Fall droht sogar das Absterben von Teilen des Kieferknochens. Die S3-Leitlinie sieht vor, Patienten vor der Therapie über die möglichen Risiken aufzuklären und Vorkehrungen zu treffen. Dazu gehört neben einer Zahnsanierung vor Therapiebeginn auch eine strenge Mundhygiene während der Behandlung. Trotz der Schwere der Neben­wirkung ist bislang nur wenig über Inzidenz und Ätiologie der Kiefer­osteonekrosen bekannt.

Foto: golubovy – stock.adobe.com

Myelom-Patienten besonders gefährdet

Nun gibt es neue Erkenntnisse zur Inzidenz der Kiefernekrosen während einer Behandlung mit Zoledronsäure sowie eine nähere Beschreibung der Risikofaktoren, die in Verbindung mit der Entwicklung einer Nekrose des Kieferknochens stehen. Eine prospektive, multizentrische Beobachtungsstudie hat über drei Jahre hinweg Patienten aus den USA, Mexiko und Saudi-Arabien untersucht, die (möglichst therapienaiv) aufgrund von Knochenmetastasen mit intravenös applizierter Zoledronsäure behandelt wurden. Insgesamt konnten die Daten von 3491 Patienten gesammelt und analysiert werden. Darunter fanden sich Patienten mit unterschiedlichen Tumorentitäten: Brustkrebs (n = 1120), Prostatakrebs (n = 702), Lungenkrebs (n = 666), Myelom (n = 580) und sonstigen Neoplasien (n = 423). Alle Patienten hatten zuvor maximal eine perorale Therapie mit Bisphosphonaten erhalten, keiner wurde zuvor einer Bestrahlung im Kieferbereich unterzogen. Etwa die Hälfte der Teilnehmer war weiblich; das mediane Alter lag bei 63,1 Jahren. Von den beobachteten Patienten entwickelten 90 eine bestätigte Kiefernekrose. Die kumulative Drei-Jahres-Inzidenz lag bei 2,8% (95%-Konfidenzintervall [KI]: 2,3 bis 3,5%). Dabei nahm die Inzidenz im Laufe der Zeit stetig zu (im ersten Jahr 0,8%; 95%-KI: 0,5 bis 1,1% und im zweiten Jahr 2,0%; 95%-KI: 1,5 bis 2,5%). Die meisten Kiefernekrosen zeigten sich bei Patienten mit einem Myelom (Drei-Jahresinzidenz: 4,3%), die wenigsten bei Patienten mit Brustkrebs (2,4%).

Dosierungsintervall und andere Risikofaktoren

Interessanterweise fanden die Forscher heraus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Kiefernekrose in Abhängigkeit zum Dosisintervall stand. Patienten, die die Zoledronsäure in einem Dosisintervall von unter fünf Wochen verabreicht bekamen, zeigten sich anfälliger für eine Kieferosteonekrose. Mit Dosierungsintervallen über fünf Wochen verringerte sich das Risiko (3,2% vs. 0,7%, HR: 4,65; p = 0,009). Weiter fanden sich eine höhere Rate für Kiefernekrosen bei Patienten mit schlechterer Zahn- und Mundgesundheit zu Beginn der Therapie. Wenn einzelne Zähne fehlten (HR: 0,51; p = 0,006) oder bereits ein Zahnersatz vorlag (HR: 1,83; p = 0,02) oder aktiv geraucht wurde (HR: 2,12; p = 0,02), stieg das Risiko für Kiefernekrosen signifikant an.

Bessere Risikoabschätzung

Alles in allem zeigen die Studienergebnisse bei Patienten, die Zoledronsäure erhielten, nach drei Jahren eine kumulative Inzidenz von Kiefernekrosen von 2,8%. Dabei hing es davon ab, welche Krebsart vorlag, wie ausgeprägt die Mundgesundheit vor der Behandlung war und wie das Dosierungsintervall aussah. Mit diesen neuen Erkenntnissen lässt sich in der Klinik künftig eine bessere Risiko­abschätzung vor der Einleitung einer Therapie mit Zoledronsäure durchführen. Auch konnte mit der Studie eine wichtige Datenbank aufgebaut werden, die in Zukunft Aufschluss über noch unbekannte Pathogenese-Mechanismen und assoziierte Faktoren liefern kann. |
 

Literatur

Van Poznak CH et al. Association of Osteonecrosis of the Jaw With Zoledronic Acid Treatment for Bone Metastases in Patients With Cancer. JAMA Oncology 2021.doi:10.1001/jamaoncol.2020.6353

Mund- und Zahnpflege bei Krebs. Informationen des Deutschen Krebsforschungszentrums, www.krebsinformationsdienst.de/leben/haare-haut-zaehne/mund-und-zahnpflege.php, Abruf am 26. Februar 2021

Dorothée Malonga Makosi, Apothekerin, MPH
 

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