Gesundheitspolitik

Prognosen und Wünsche fürs neue Jahr (Teil 2)

2022 = 2019 + Corona + Ampel + E-Rezept

Foto: Treuhand Hannover

Dr. Frank Diener

Corona hat die Apotheken bereits im Frühjahr 2020 in den dauerhaften Grenzlastbereich katapultiert – aber sie haben die Aufgaben auch im Jahr 2021 mit Bravour gelöst und erfahrbar werden lassen, wie versorgungsrelevant Präsenzapotheken sind. Sie erfanden als erste die heute im Handel allgegenwärtigen Spuckschutzwände und konnten aus dem Stand heraus ausreichend Desinfektionsmittel herstellen. Sie hielten ihre Offizinen mit Schichtteammodellen aufrecht – nur ganz wenige Apotheken mussten wegen Quarantäneanordnungen temporär schließen. Kurz vor Weihnachten 2020 beschafften sie sozusagen OverNight ausreichend Material für die Gratismaskenabgabe, die sich das Ministerium an einem Wochenende ausgedacht und sofort über die Medien verkündet hatte. Als die Krankenkassen und Ärzte bei der Ausstellung von Impfzertifikaten dankend abwinkten, haben die Apotheken das übernommen und die QR-Codes den älteren Patienten auch gleich noch in ihre Corona-App geladen. Bis zu 6000 Apo­theken haben Bürger-Testzentren betrieben oder daran mitgewirkt. Und ja, dafür haben sie Extra­entgelte bekommen – wofür sie in manchen Medien auch noch als Krisengewinnler dargestellt wurden. Insofern war 2021 ein Jahr unter ganz besonderen Umständen und mit zusätzlichen Anforderungen, aber auch mit Corona-bedingten Sonderumsätzen.

Was bedeutet das für 2022? Auf eine kurze Formel gebracht: 2022 = 2019 + Corona + Ampel + E-Rezept. Die Pandemie dauert zwar einstweilen an, doch die temporären Sonderumsätze fallen weitgehend weg. Die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen werden tendenziell auf den Status quo ante des Jahres 2019 zurückfallen. Unter der Corona-Decke erscheint dann wieder der vorpandemische Apothekenalltag mit Personalknappheit, Lieferengpässen, Versandhandelskonkurrenz, Margenkompression, Betriebsschließungen … Dazu kommt dann noch die Einführung des E-Rezeptes. Nicht zuletzt hat die neue Regierungs­koalition mit vagen Formulierungen Änderungen für den Apothekenbereich angekündigt. Bleibt zu hoffen, dass auch in der „Ampel“ der Wert der Vor-Ort-Apotheke mit einer flächendeckenden 24-7-Versorgung verinnerlicht worden ist, und dass diese nicht zum Nulltarif erhältlich ist.

Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover GmbH Steuerberatungsgesellschaft

Pandemie, E-Rezept, Dienstleistungen

Foto: DAV

Thomas Dittrich

Auch nach zwei Jahren ist kein Ende der Corona-Pandemie in Sicht. Von Beginn an haben die Apotheken in der Pandemiebekämpfung Großartiges geleistet: Sie haben die Bevölkerung mit Schutzmasken, die Ärzte mit Impfstoffen versorgt, millionenfach Bürgertests durchgeführt und digitale Impf- und Genesenenzertifikate ausgestellt. Im Jahr 2022 werden die Apotheken zusätzlich Corona-Impfungen durchführen; diese Aufgabe wird ein Teil der Kollegenschaft an­gehen – je nach personellen und räumlichen Voraussetzungen.

Im Laufe des Jahres 2022 wird das E-Rezept eingeführt werden. Auch wenn wir den Einsatz des E-Rezeptes befürworten, so müssen wir uns doch darauf verlassen können, dass der gesamte Prozess von der Ausstellung des Rezeptes bis zur Abrechnung sauber durchläuft und dadurch auch die fristgerechte Bezahlung gewährleistet ist. Aufgrund der vielen technischen Probleme hat das Bundesgesundheitsministerium die Testphase verlängert – das ist gut so. Im Übrigen wird das Portal der Landesapothekerverbände die Apotheken unterstützen, ihre Kunden auch rund um das E-Rezept bestens zu begleiten.

Nach dem Willen der Ampelkoalition soll das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz novelliert werden, um pharmazeutische Dienstleistungen besser zu honorieren. Wir sind gespannt, wann und wie das umgesetzt wird. Zunächst ist es aber die Aufgabe der Selbstverwaltung, diese neuen Dienstleistungen in der Regelversorgung zu etablieren und damit Versorgungsdefizite zu beheben. Gelingt dieses, so wird die Signalwirkung auf Patienten, Öffentlichkeit und Politik enorm sein.

Thomas Dittrich, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes e. V.

© Kai Felmy

Eine Vergütungsanpassung ist überfällig

Foto: Phagro

André Blümel

Ein weiteres Pandemiejahr geht zu Ende, in dem Apotheken und Pharmagroßhandel erneut eindrucksvoll ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt haben. Innerhalb weniger Wochen hatten wir im März die COVID-19-Impfstoffversorgung für die Arztpraxen aufgebaut. Seit Anfang Oktober versorgen wir gemeinsam zusätzlich Impfzentren, mobile Impfteams und Krankenhäuser und somit alle Leistungserbringer. Unsere Logistik ist generalstabsmäßig geplant, und genau so läuft es auch ab. Auch die Politik sieht: Auf uns ist Verlass! Wir liefern!

Den Mitarbeiterinnen und Mit­arbeitern im Großhandel gebührt unser großer Dank! Sie haben vor allem in den letzten Wochen eine unglaubliche Kraftanstrengung unternommen, damit im Dezember 30 Millionen Menschen geimpft werden können. Neben der Arzneimittelregelversorgung haben wir werktags und an den Wochen­enden die COVID-19-Impfstoffe vereinnahmt, zwischengelagert, ausgeeinzelt, neukonfektioniert und mit dem passenden Impf­zubehör ausgeliefert.

Unser bewährtes System der Arzneimittelversorgung gilt es zu stärken. Für die Apotheken bietet der Koalitionsvertrag zukunftsweisende Ansatzpunkte. Der Großhandel benötigt verlässliche Rahmenbedingungen, damit wir weiterhin eine sichere Arzneimittelvollversorgung anbieten und unseren gesetzlichen Sicherstellungsauftrag erfüllen können.

Eine Vergütungsanpassung ist daher überfällig, denn die Herausforderungen sind gewaltig. Themen der Versorgungssicherheit, neue Versorgungskonzepte und nachhaltige und klimaschonende Transportalternativen erfordern Investitionen in die Infrastruktur.

André Blümel, Vorsitzender des PHAGRO | Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V.

Flächendeckende Versorgung als zentrales Thema

Foto: IFH

Dr. Markus Preißner

Auch das Apothekenjahr 2022 wird durch COVID-19 geprägt, wieder wird die wirtschaftliche Lage vieler Vor-Ort-Apotheken angespannt sein und die Geschäftserwartungen werden auch 2022 eher verhalten ausfallen. Doch werden sich öffentliche Apotheken in Deutschland auch weiter profilieren und positionieren können. Dazu werden auch die Aufgaben beitragen, die sie im Kontext der Corona-Pandemie übernehmen, von der Beratung und den Botendiensten über die Schnelltests und die Impfzertifikate bis hin zur Impfstoffverteilung und zur Impfung in der öffentlichen Apotheke.

Die Corona-Pandemie unterstreicht die enorme Bedeutung eines gut funktionierenden, flächendeckenden Apothekennetzes für die Gesundheits- und Lebensqualität der Bevölkerung in Stadt und Land. Deshalb ist zu wünschen, dass die flächendeckende Versorgung und die gesellschaftliche Rolle der Vor-Ort-Apotheken zentrale (politische) Themen im Apothekenjahr 2022 sein werden. Denn in den letzten Jahren sind die Aufgaben der öffentlichen Apotheken kontinuierlich gewachsen und gerade während der Corona-Pandemie wird die (noch) engmaschige Apotheken­infrastruktur für die verschiedensten Aufgaben gerne genutzt, an der ein oder anderen (politischen) Stelle vielleicht auch überhaupt erst wirklich wertgeschätzt. Gleichzeitig aber wurde in Deutschland in den letzten zehn Jahren mehr als jede zehnte Apotheke geschlossen und die Anzahl der Apothekeninhaber ist im gleichen Zeitraum um mehr als ein Fünftel gesunken. Zudem verschärft sich die Nach­folgeproblematik kontinuierlich und insbesondere der Versand­handel mit OTC-Arzneimitteln wächst – befeuert durch die Corona-Pandemie – zulasten der Vor-Ort-Apotheken stark.

Das Jahr 2022 ist auch als das Jahr anzusehen, in dem endlich das E-Rezept in Deutschland flächendeckend eingeführt werden sollte. Bei diesem Thema vereinen sich bei mir Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen zugleich. Natürlich muss die Einführung des E-Rezepts so lange verschoben werden, bis die erforderlichen technischen Systeme flächendeckend zur Verfügung stehen und gründlich getestet wurden. Doch muss die Einführung von allen Beteiligten vor allem mit Nachdruck voran­getrieben und schnellstmöglich geschafft werden. Denn das E-Rezept ist eines der wichtigsten Digitalprojekte im Gesundheits­wesen überhaupt.

Dr. Markus Preißner, wissenschaft­licher Leiter am Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln

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