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Wirtschaft

Vermischung von Vor-Ort-Apotheke und Versandhandel

Arzneimittel-Lieferdienste Mayd und First A im Praxistest

az | Die Apothekerschaft beäugt Plattform-Lieferdienste mit Argwohn. Doch was können diese den Kundinnen und Kunden tatsächlich bieten? Dr. Otto Quintus Russe, Vorstandsmitglied der LAK Hessen und Mitglied im Digital Hub der ABDA, unterzog zusammen mit zwei Pharmaziestudentinnen aus Frankfurt am Main die Angebote der Start-ups Mayd und First A dem Praxistest: Halten die Lieferdienste, was sie versprechen, und wie verändert sich das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Apotheke?

Lieferdienste für OTC-Arzneimittel schießen wie Pilze aus dem Boden. Es kommen gefühlt wöchentlich neue Plattformen hinzu oder weitere Metropolen und Großstädte in Deutschland werden erschlossen. Das Konzept besteht aus einer Bestellplattform und dem dazugehörigen Kurierlieferdienst, der mit ausgewählten Apotheken zusammenarbeitet. Was bieten die neuen Marktteilnehmer den Kunden? Halten die Lieferdienste, was sie versprechen, und wie verändert sich das Verhältnis zwischen Patienten und der Apotheke? Wie sieht die Patient-Journey aus? Oder muss man schon von Customer-Journey sprechen, da das Arzneimittel zum Konsumgut wird?

Höchste Zeit, sich mit ein paar Testkäufen bei First A und Mayd in Frankfurt am Main dem Thema Plattform-Lieferdienste aus der Kundenperspektive zu nähern – nicht, um die teilnehmenden Apotheken zu testen, sondern um die Idee und den Mehrwert dahinter zu verstehen.

Bisher nur OTC-Arzneimittel

Das Angebot ist (noch) beschränkt. Aktuell bieten beide Plattformen ein ausgewähltes, aber nicht gerade kleines Sortiment an OTC-Arzneimitteln über ihre App an. Die Bestellung wird, je nach Standort, in eine regionale Partnerapotheke weitergeleitet. Selbst eine Apotheke auszuwählen, ist nicht möglich. Die Preise der Präparate bei den getesteten Plattformen orientieren sich an der UVP der Hersteller und nicht an den (Angebots-)Preisen der Partnerapotheken vor Ort. Eine ähn­liche Preissystematik ist auch bei den Lieferdiensten beispielsweise für Getränke zu beobachten, bei denen Convenience und nicht der Preiskampf im Vordergrund steht.

Im Unterschied zu den großen Plattformen, an die man sich im vergangenen Jahrzehnt gewöhnt hat, muss man für die getesteten Arzneimittel-Lieferdienste zwingend die jeweilige App herunterladen und sich als Nutzer registrieren. Eine Webversion gibt es bisher nicht. Auch bei der Qualität der Apps gibt es Unterschiede. Mal friert eine App ein oder es fehlt eine deutsche Übersetzung im Laufe des Bestellprozesses. Kinderkrankheiten, die nicht ungewöhnlich sind.

Pharmazeutische Beratung muss man wollen

Die Struktur der Apps ist auf Kunden ausgelegt, die relativ genau wissen, welches Präparat sie wollen, und ist nach Kategorien sortiert. Von Erkältung über Reisen bis hin zu Sport steht eine Vielzahl zur Verfügung. Mit Lifestyle-Kategorien wie „Hangover“ und „Netflix & Chill“, in denen Anti-Katermittel und Kondome zu finden sind, sollen besonders junge Erwachsene angesprochen werden.

Kleines Liefergebiet

Der Bestell-Prozess ist einfach: OTC-Arzneimittel in den Warenkorb legen, bezahlen und aus­checken. Innovative Lösungen mit künstlicher Intelligenz oder Telepharmazie, die zu Beschwerden beraten oder bei der Produktauswahl helfen, sucht man vergeblich. Die Chatfunktion vom Customer Support beinhaltet einen Chatbot, der mit vorgefer­tigten Fragen und Hinweisen zunächst versucht zu antworten – meist jedoch erfolglos. Selbst wenn tatsächlich eine Plattform-Mitarbeiterin den Chat betritt, hilft sie einem auch nur bei Problemen bezüglich der Bestellung weiter und verweist bei pharmazeutischen Fragen sofort auf die Telefonnummer der Partnerapotheke. Diese kann man über einen Button in der App dann konventionell anrufen und sich telefonisch beraten lassen, sofern nicht gerade das gesamte pharmazeutische Personal im HV ist.

Schnelle Lieferung, jedoch in einem kleinen Liefergebiet

Die Lieferung bringen wie versprochen in weniger als 30 Minuten sogenannte Rider, wie bei Lieferdiensten üblich. Bemerkenswert ist das Liefergebiet der beiden getesteten Plattformen in Frankfurt am Main, das sich nur auf die zentralen Stadtteile beschränkt, die sowieso über eine sehr hohe Apothekendichte verfügen. Die äußeren Stadtteile der Banken­metropole werden kaum abgedeckt.

First A wirbt in der App mit einem COVID-19-PCR-Test, bei dem der Abstrich beim Kunden vor Ort gemacht wird. Zwar kein gänzlich neues Konzept, allerdings könnte die Idee, Dienstleistungen über eine Plattform außerhalb der Apotheke anzubieten, Vorlage für andere Versorgungskonzepte sein. Leider war nur die Werbung für den PCR-Test in der App zu finden, jedoch keine Funktion, diesen auch zu buchen.

Die AGB und die Rechnung

Auch wenn man sich nicht seine Stammapotheke für die Bestellung aussuchen kann, wird in der App angezeigt, aus welcher Apotheke die Arzneimittel kommen. Bei Mayd zeigen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) neben der Tatsache, dass es „eine Plattform bzw. App zur Kommunikation zwischen Apotheke und Verbraucher“ ist, ein paar spannende Inhalte. Zum Beispiel, dass E-Rezepte online an die Partnerapotheken übermittelt werden können, aber Papierrezepte nicht angenommen werden, und die Lieferung durch „den Botendienst der Apotheke“ erfolgt.

Fazit: Die Apotheke ist austauschbar

Auf Nachfrage bei First A hieß es, die AGB seien gerade in Über­arbeitung und können dem Kunden deshalb nicht zur Verfügung gestellt werden, obwohl man gerade bei der Plattform ein Arzneimittel gekauft hat. Eine ordentliche Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer bekommt man für keinen der getätigten Testkäufe mitgeliefert, auch auf Nachfrage beim Support nicht. Von der Kreditkarte wird in beiden Fällen jedoch durch die Plattformen abgebucht.

Natürlich sammeln solche Platt­formen überregional auch eine Menge an Kundendaten – mehr als es eine Apotheke vor Ort je könnte –, die einen hohen strate­gischen Wert haben. Direkt nach der Registrierung wird man als Kunde mit Werbung und Anreizen in Form von Rabatten für eine erneute Bestellung auf allen digitalen Kanälen adressiert. Fast täglich poppt eine Push-Benachrichtigung des Lieferdiensts auf dem Smartphone auf, die einen Rabattcode und Angebote anzeigt, damit die nächste Be­stellung so rasch wie möglich getätigt wird.

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Start-ups für die letzte Meile – Arzneimittel-Lieferdienste drängen auf den Apothekenmarkt

Foto: Privat

Nur ein flüchtiges Großstadtphänomen oder der Beginn eines neuen Markts und Wettbewerbs? Finanzkräftige Start-ups haben die letzte Meile zwischen Apotheken und Kunden für sich entdeckt und versuchen seit einiger Zeit Arzneimittel-Lieferdienste zu etablieren. In der DAZ 2022, Nr. 5 wurde schwerpunktmäßig die Frage erörtert, inwiefern das eine Gefahr für das Apothekenwesen darstellt und warum es trotz aller Bedenken Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit den Anbietern kooperieren.

Im Ergebnis ein schneller regionaler Versandhandel?

Es bleibt das Gefühl einer Ver­mischung von Vor-Ort-Apotheke und Versandhandel. Von der Vor-Ort-Apotheke bleibt aber eigentlich nur der angezeigte Name in der App, den man vielleicht aus dem Stadtbild kennt. Positiv anzumerken ist, dass die telefonischen Beratungsgespräche wirklich qualitativ hochwertig waren. Aber macht man sich die Mühe, irgendwo anzurufen, wenn Dr. Google eigentlich jede Antwort kennt? Keinen Kunden würde es stören, wenn sich die beliefernde Apotheke ändern würde. Denn diese ist beliebig austauschbar. Weder Beratung oder Lage noch Service der Apotheken tragen zum Kundenbesuch bei. |

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