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Wirtschaft
Eigentlich pleite
Zombieunternehmen können Apotheken in finanzielle Bedrängnis bringen
Halloween ist die Zeit der Masken und Fratzen. Zum Fest des Grauens, das in vorchristlicher Zeit der Vertreibung von bösen Geistern diente, spuken kostümierte Kinder durch die Nachbarschaft und Erwachsene treffen sich zu Gruselpartys.
Derartig skurrile Wesen zeigen sich allerdings nicht nur an Halloween. Auch in der realen alltäglichen Unternehmenswelt sind sogenannte Zombies unterwegs. Die, so mutmaßen Wirtschaftskenner, könnten gerade in der derzeitigen Krise und gestärkt durch wirtschaftspolitische Stützungsmaßnahmen vermehrt ihr Unwesen treiben. „Die Wirtschaft wird erneut von Zombieunternehmen bedroht“, stellt beispielsweise Thomas Uppenbrink, Geschäftsführer der Hagener Wirtschaftskanzlei Thomas Uppenbrink & Collegen GmbH, fest.
Irgendwie weiter existieren
Unter Zombieunternehmen verstehen Fachleute hoch verschuldete Unternehmen, die aufgrund ihres unprofitablen Geschäftsbetriebs nicht in der Lage sind, die Zinsen von aufgenommenen Krediten zu zahlen. Nach Einschätzung Uppenbrinks handelt es sich dabei in der Regel um Firmen, die aufgrund von verdeckten Subventionen oder sonstigen Entlastungen „irgendwie weiter existieren“ können – oftmals am Rande der Legalität. Unter normalen betriebswirtschaftlichen Bedingungen würden diese Unternehmen jedoch nicht mehr am Markt agieren oder hätten schon längst aufgrund von Insolvenz oder Liquidation ihren Geschäftsbetrieb eingestellt.
Doch die betriebswirtschaftlichen Bedingungen sind derzeit alles andere als normal. Grund sind die Pläne der Bundesregierung, angesichts der aktuellen Energie- und Wirtschaftskrise temporäre Änderungen bei Insolvenzantragspflichten vorzunehmen. So muss ein handelsrechtlich überschuldetes Unternehmen laut Uppenbrink bislang innerhalb von sechs Wochen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen, sofern keine positive Fortbestehensprognose besteht. Diese Prognose verlange den Nachweis, dass über einen Planungszeitraum von zwölf Monaten der Erhalt der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens wahrscheinlich ist.
Diese Phase soll nach den Plänen der Bundesregierung nun auf vier Monate reduziert werden. Zudem soll der Planungszeitraum bei einem Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung von sechs auf zwei Monate verringert werden. Diese Änderungen sollen bis Ende 2023 gelten.
Das Ziel dieses Gesetzentwurfs, der Anfang Oktober vom Bundeskabinett beschlossen worden ist und noch vom Bundestag genehmigt werden muss, ist es laut Uppenbrink, eine „gewisse Unsicherheit“, die eine mittel- bis langfristige Planung mit sich bringe, auszuschließen und Geschäftsführer einer geringeren Haftung auszusetzen. Außerdem könnten bei einer Zuspitzung der allgemeinen wirtschaftlichen Schieflage Hilfspakete und Zahlungsspritzen auf kurzfristige Sicht zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen beitragen. „Überflüssige Insolvenzen aus Unsicherheit“ könnten dadurch vermieden werden.
Sollten die wirtschaftspolitischen Maßnahmen umgesetzt werden, hätten sie einen weiteren Effekt: Normalerweise gilt laut Uppenbrink nach Eintritt der Insolvenzreife für die Geschäftsführung ein Zahlungsverbot. Zahlt diese dennoch, obwohl nicht alle Gläubiger bedient werden können, handele es sich um einen Fall von Gläubigerbenachteiligung. Die Geschäftsführung würde dann für daraus resultierende Schädigungen von Gläubigern haften. Durch die nunmehr geplante Reduzierung der Planungszeiträume würden diese Haftungsgefahren gemindert – Geschäftsführer stünden weniger unter Druck, rasch einen Insolvenzantrag zu stellen.
Illusion solider Geschäftslage
Ursache für die aktuellen finanziellen Sorgen zahlreicher Unternehmen sind steigende Kosten aufgrund von Inflation und explodierenden Energiepreisen. Diese Kosten, so Uppenbrink, können die Firmen vielfach nicht eins zu eins an ihre Kunden weitergeben. Umsatzeinbrüche und letztlich eine Überschuldung könnten die Folge sein.
Der Wirtschaftsfachmann verweist darauf, dass angesichts der vorgesehenen verkürzten Planungszeiträume der Eindruck entstehen könnte, die Unternehmen seien solide aufgestellt, da sie möglicherweise über Rücklagen verfügten, um einige Monate finanziell überbrücken zu können. Tatsächlich könne es sein, dass diese Firmen nach Verzehr der Rücklagen keine Chance haben, erfolgreich am Markt zu agieren. Ein Insolvenzantrag müsse damit so oder so gestellt werden – nur eben später als früher. Dann, so Uppenbrink, seien die Rücklagen zulasten sämtlicher Gläubiger jedoch möglicherweise aufgezehrt. Als Konsequenz seien Folgeinsolvenzen von Gläubigern möglich.
Branchen am Tropf niedriger Zinsen
Nicht zuletzt wirkten die niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre wie ein Nährboden für Zombieunternehmen. Denn oftmals wurden angeschlagene Unternehmen, die sich durch immer wieder neue kurzfristige und niedrig verzinste Kredite über Wasser hielten, dazu verleitet, über ihre Verhältnisse zu leben oder nicht kosten- und ertragsbewusst zu wirtschaften.
Ein hoher Anteil von Kontokorrentkrediten birgt laut Uppenbrink die Gefahr, dass Unternehmen bei der kleinsten Änderung von vereinbarten flexiblen Zinsen sofort in eine existenziell bedrohliche Lage rutschen können. „Prüft man in gewissen Branchen die Bilanzen, finde man Kredite von maximal einem Jahr sowie die entsprechenden Kontokorrent- und Überziehungskredite.“ Unternehmen, die sich regelmäßig über kurze Fristen (re-)finanzieren, seien deshalb besonders anfällig bei den aktuellen Zinserhöhungen.
ZEW warnte bereits 2020
Bereits Ende 2020 prognostizierte das Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, dass die Zahl von eigentlich nicht lebensfähigen Firmen zunehme. Als Ursache wurden schon damals Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zur Abfederung der Pandemiefolgen genannt. So wurde beispielsweise die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen zeitweise ausgesetzt, die Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld wurden erleichtert und zahlreiche Kredit- und Zuschussprogramme aufgelegt. Diese Maßnahmen, so das ZEW, hätten sich zwar stabilisierend auf die Wirtschaft ausgewirkt, andererseits aber teilweise zu einer zeitlichen Verlagerung der negativen Folgen von Lockdown und anderer Beschränkungen geführt.
AvP-Pleite: Fast 3000 Apotheken betroffen
Dass wirtschaftlich labile Unternehmen auch für Apotheker eine ernsthafte Bedrohung darstellen können, zeigte die Insolvenz des Rechenzentrums AvP im September 2020. AvP bediente gut 3200 Kunden, davon etwa 2900 öffentliche Apotheken, aber auch Krankenhausapotheken und Sanitätshäuser. Die Insolvenz des Abrechnungszentrums brachte viele Apotheken unverschuldet in Not. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die das Unternehmen geriet, resultierten offenbar aus vorsätzlichen und kriminellen Handlungen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen mehrere Beschuldigte, darunter den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Mathias Wettstein, wegen Bilanzfälschung, Betrug, Untreue und Insolvenzverschleppung. Die zwielichtigen Geschäftspraktiken und die damit einhergehende drohende Insolvenz blieben über lange Zeit öffentlich unbemerkt.
Nicht zuletzt verweisen Experten darauf, dass in der Gesundheitsbranche Fusionen von Dienstleistern, Lieferanten oder Großhändlern in der Vergangenheit „nicht immer aus Liebe“ durchgeführt wurden. Vielmehr sei zum Teil blanke Not der Grund gewesen.
Auch wenn Apotheker nur selten in die Bilanzen ihrer Geschäftspartner schauen können, so sollten sie zumindest wachsam und manchmal auch misstrauisch sein. Wirtschaftlich labile Unternehmen und neuerdings auch Zombieunternehmen können an vielen Ecken lauern. |
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