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Boostern ohne Benefit?

Für wen die vierte COVID-19-Impfung wann sinnvoll ist

du | Kann eine vierte COVID-19-­Impfung die Immunantwort gegen SARS-CoV-2 verbessern und so einen zusätzlichen Schutz bieten? Wenn ja, für wen ist sie wann sinnvoll? Für alle, ab 50, ab 70 oder doch erst ab 80 Jahren? Die offiziellen Empfehlungen sorgen hier für reichlich Verwirrung. Prof. Dr. Christine Falk, Hannover, Prof. Dr. Christoph Neumann-Haefelin, Freiburg, sowie Prof. Dr. Andreas Radbruch, Berlin, konnten im Rahmen eines Presse-Briefings einige wichtige Fragen klären.

Eine Impfung entfaltet ihre Wirkung zum einen über eine humorale Immunantwort, also die Bildung von Anti­körpern und über eine spezifische Immunantwort, also die Bildung spezifischer T-Zellen, so Neumann-Haefelin. Dabei würden unterschiedliche Antikörper gebildet, von denen nur ein Teil neutralisierend wirke. Damit durch eine Impfung eine Infektion komplett verhindert werden könne, müssten ausreichend hohe neutralisierende Antikörpertiter vorhanden sein. Eine COVID-19-Grundimmunisierung sorge jedoch nur vorübergehend für einen hohen Titer. Nach einigen Wochen fällt dieser wieder ab, so dass spätestens dann ein kompletter Schutz nicht mehr gewährleistet ist. Durchbruchinfektionen können die Folge sein. Doch dann greife die spezifische Immunantwort, der T-Zellschutz, an dem CD4-Helferzellen und CD8-Killerzellen beteiligt sind, erklärte Neumann-Haefelin. Wichtig zu wissen: Die spezifische Immunantwort ver­hindert keine Infektion. Ihre Aufgabe ist es, die Folgen einer Infektion abzuwehren und so für einen abgeschwächten oder symptomfreien Verlauf zu sorgen. Während die Schutzwirkung neutralisierender Antikörper nur kurze Zeit besteht, bleibe der Impfschutz vor schweren Verläufen auch gegen die Omikron-Variante länger erhalten, so Neumann-Haefelin. Bei immunkompetenten und jungen Menschen ist diese T-Zellantwort laut Neumann-Haefelin relativ robust und soll mindestens 300 Tage bestehen.

Foto: janvier/AdobeStock

Ein Jahr später reicht auch! Eine zu frühe vierte COVID-19-Impfung für jüngere gesunde Menschen könnte wenig effektiv sein.

Keine besseren Antikörpertiter

Mit einer dritten COVID-19-Impfung steigen die T-Zell-Werte für etwa einen Monat an, fallen dann aber wieder auf das Niveau nach einer Zweitimpfung zurück. Laut Neumann-Haefelin wird die Antikörperantwort durch eine Dritt- oder Viertimpfung bei jungen gesunden und immunkompetenten Menschen nicht verbessert. Zudem schütze auch eine Zweifachimpfung vor einer Omikron-Infektion nur begrenzt, da der neutralisierende Antikörpertiter für einen vollständigen Schutz um das 35-Fache höher sein müsste, so Neumann-Haefelin. Allerdings trage die dritte Impfung auch bei jungen gesunden Menschen zu einem dauerhaften Schutz vor schweren Verläufen bei, der sich in dieser Gruppe allerdings durch eine vierte Impfung wohl nicht deutlich steigern lässt. Neumann-Haefelin betonte: „Ein kompletter Schutz durch Boostern ist nicht realistisch!“ Ziel der Boosterung müsse es sein, gefährdete Personen vor schweren Verläufen zu schützen.

Ältere im Visier

Für wen ist also dann die vierte Impfung sinnvoll? Die EMA empfiehlt sie ab einem Alter von 80 Jahren, die STIKO ab 70 Jahren, in den USA wird sie allen ab 50 empfohlen, erklärte Christine Falk. Fakt ist, dass mit dem Alter die Immunantwort nachlässt und dass sie zudem durch Erkrankungen und Medikamente reduziert sein kann. Die Altersgrenzen in den Empfehlungen würden einer nachlassenden Immunantwort Rechnung tragen, so Falk. „Ziel ist es, die Menschen auf die sichere Seite zu hieven, die keine so gute Antwort machen“. Für jüngere gesunde Menschen sei eine vierte Impfung nicht notwendig. Denn, so Falk: „Es beunruhigt nicht, wenn Antikörper- und T-Zellwerte heruntergehen, sie verschwinden nicht und können ganz schnell reaktiviert werden!“

Das gesättigte Immunsystem

Aber warum ist eine vierte Impfung für viele Menschen zumindest derzeit nicht sinnvoll? Antwort auf diese Frage lieferte Prof. Dr. Andreas Radbruch mit Verweis auf das Phänomen der Sättigung des Immunsystems. Aufgabe des adaptiven Immunsystems sei die Anpassung an Krankheitserreger. Der Schutz werde auf die Menge der Krankheitserreger über die Antikörper- und die T-Zellschiene justiert. Appliziere man zu häufig das gleiche Antigen in gleicher Konzentration am gleichen Ort, werde das Antigen dort abgefangen, bevor das Immunsystem erneut anspringen könne.

Zeit für die Affinitätsreifung

Zudem müsse man dem Immunsystem Zeit zur Reifung lassen. Denn der Abfall der Antikörper im zeitlichen Verlauf nach Antigenkontakt sei normal. Antikörper-produzierende Zellen würden zunehmend um die Bindung an immer weniger Antigen konkurrieren, so Radbruch, so dass nur die besten zum Zug kommen. Die Bindungsfähigkeit der Antikörper werde während dieses als Affinitätsreifung bezeichneten Prozesses verbessert: „Weniger Masse, dafür mehr Klasse!“ Die Antikörper würden zwar abnehmen, dafür aber zehn- bis 100-mal besser binden.

Die Empfehlungen

Was ist nun empfehlenswert, wer soll zum vierten Mal geimpft werden und vor allem wann? Kann man mit der vierten Impfung bis zum Herbst warten? Für Falk ist die STIKO-Empfehlung, Menschen ab 70 Jahren mindestens drei Monate nach der Drittimpfung ein viertes Mal zu impfen, ein gangbarer Weg. Aus immunologischer Sicht, so Radbruch, könne man gut bis zum Herbst warten, denn die Affinitätsreifung sei langfristig angelegt. Diesen Prozess könne man nicht abkürzen: „Er dauert mindestens ein halbes Jahr, vor einem Jahr sollte man gar nichts machen. Man kann gut warten bis zum Herbst!“

Die Experten waren sich einig: Wenn eine vierte Impfung in Erwägung gezogen wird, dann sollte der Abstand zur dritten Impfung bei normaler Immunreaktion mindestens sechs Monate betragen. Bei Immunschwäche und bei sehr alten Patienten wird ein Mindestabstand von drei Monaten empfohlen. Medizinisches Personal sollte eine vierte Impfung sechs Monate nach der dritten Impfung erhalten, auch wenn nicht geklärt ist, ob dadurch das Infektionsrisiko wirklich gesenkt und der Fremdschutz verbessert wird. |

Quelle

Prof. Dr. Christine Falk, Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, derzeit Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung; Prof. Dr. Christoph Neumann-Haefelin, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie an der Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Freiburg; Prof. Dr. Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin. Press-Briefing Science Media Center, 22. April 2022.

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