Arzneimittel und Therapie

Autochthone Affenpocken

Fälle der Viruserkrankung mehren sich auch in der Europäischen Union

Nach dem Vereinten Königreich wurden bestätigte Fälle von Affenpocken seit dem 19. Mai 2022 in Portugal, Spanien, Italien, Frankreich und Schweden gemeldet, am 20. Mai auch in Deutschland. Auch die USA, Australien und Kanada berichten von einzelnen Infektionen. Besonders ist, dass es sich überwiegend um autochthon (vor Ort) Infizierte handelt und nicht um Reiserückkehrer aus afrikanischen Endemiege­bieten, wo das Virus zirkuliert. Das deutet auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch hin. Weil diese bisher selten beobachtet wurde, empfehlen die Gesundheitsbehörden weltweit erhöhte Aufmerksamkeit.

Die UK Health Security Agency (UKHSA) hat seit dem 16. Mai 2022 in Großbritannien sieben Infektionen mit Affenpocken (monkeypox) bestätigt. Nur eine betraf einen Reiserückkehrer aus Nigeria. Sechs weitere waren Personen ohne vorherige Reisen und ohne Kontakt zu dem Indexfall. Zwei Fälle traten in einer Familie auf und vier bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) und sich offenbar in London infiziert haben. Außer in der Familie und bei zwei der MSM-Fälle sind keine Verbindungen der Fälle untereinander bekannt [1]. Täglich werden seither neue Fälle gemeldet. Am 18. Mai berichtete Portugal von fünf bestätigten Infektionen von jungen Männern, außerdem 20 Verdachtsfälle. Auch Spanien meldete acht vermutliche Affenpocken-Infektionen [2]. In Schweden teilte die Gesundheitsbehörde mit, dass sich eine Person wohl im Großraum Stockholm angesteckt habe. Am Donnerstag, 19. Mai 2022, wurde der erste Fall in Deutschland am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München zweifelsfrei nachgewiesen, teilte der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit [5]. Am 20. Mai meldeten französische Behörden einen erkrankten Mann aus dem Großraum Paris [3]. Das alles deutet auf unbekannte Infektionsketten hin, was Gesundheitsbehörden weltweit aufhorchen lässt. Denn Übertragungen des Affenpockenvirus zwischen Menschen wurden bislang selten beobachtet. Die Affenpocken gelten als Zoonose, übertragbar von Tier zu Mensch oder umgekehrt. Es sei das erste Mal, erklärte am 19. Mai das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), dass Transmissionsketten in Europa ohne bekannte epidemiologische Verbindungen nach West- und Zentralafrika zu vermuten sind. Auch seien dies weltweit die ersten berichteten Fälle von Übertragungen zwischen MSM. Vermutlich begünstige der enge und häufige Kontakt mit infektiösen Hautverletzungen beim Sex eine Virusübertragung. Daher schätzt die Behörde die Wahrscheinlichkeit als hoch ein, dass sich das Affenpockenvirus unter Menschen mit engen, vor allem sexuellen Kontakten weiter verbreite. Die Gefahr einer Übertragung ohne enge Kontakte wertet sie als gering [2].

Stichwort: Affenpocken

Foto: Science Photo Library / Science Source

Affenpocken werden durch ein umhülltes doppelsträngiges DNA-Virus aus der Gattung Orthopoxvirus hervorgerufen, zu der auch die Erreger der echten Pocken (Orthopoxvirus variolae) und verschiedener Tierpocken (z. B. Kuhpocken, Katzenpocken) gehören. Die Krankheit trägt den Namen Affenpocken, nachdem der Erreger 1958 erstmals bei Affen in ­einem dänischen Labor nachgewiesen wurde. Fachleute vermuten allerdings, dass das Virus eigentlich in Hörnchen und Nagetieren zirkuliert. Affen - und Menschen - gelten als Fehlwirte. Die ­Erkrankung äußert sich mit ähnlichen Symptomen wie die „klassischen“ Pocken (s. Foto), verläuft aber nach Angaben des Robert Koch-Instituts in der Regel milder. Nach einer Inkubationszeit von sechs bis 16 Tagen kann es zu unspezifischen Symptomen wie Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen kommen, nach einigen Tagen gefolgt von Hauteffloreszenzen, welche sukzessive die Stadien Macula, Papula, Vesicula und Pustula durchlaufen und letztlich verkrusten und abfallen. Es kann zu Narben und zu Komplikationen wie Erblindung kommen. Bei sehr jungen und/oder immungeschwächten Patientinnen und Patienten seien gerade in Endemiegebieten auch schwere Verläufe und Todesfälle möglich. Als mögliche Therapieoption nennt das RKI das seit Januar 2022 auch in der Europäischen Union zugelassene Tecovirimat, das aber bisher nicht breit verfügbar sei. Seit die Weltgesundheitsorganisation die Welt im Jahr 1979 für pockenfrei erklärt hat, sind Pockenimpfungen Geschichte. Mittlerweile haben weite Teile der Weltbevölkerung keinen durch die früheren Pockenschutzimpfungen vermittelten Impfschutz mehr.

Durch enge Kontakte übertragen

Das RKI hat die Informationen zu Affenpocken am 19. Mai 2022 aktualisiert [4]. Demnach können sich Menschen vor allem durch Kontakt mit den Hauteffloreszenzen, Blut, Gewebe oder Ausscheidungen infizierter Tiere und beim Umgang mit deren Fleisch infizieren. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist selten und nur bei engem Kontakt möglich, kann aber durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten oder Schorf der Infizierten auftreten, vermutlich auch bei sexuellen Handlungen, so das RKI. Eine Übertragung bereits in der Prodromalphase ist bei Face-to-Face-Kontakt durch ausgeschiedene Atemwegssekrete möglich. Die bislang längste dokumentierte Infektionskette waren sechs Personen. Prof. Dr. Gerd Sutter, Lehrstuhl für Virologie in München, hält das ­Affenpockenvirus nach wie vor für schwer übertragbar: „Übertragungen von Mensch zu Mensch erfordern in der Regel direkten Kontakt zu Infizierten. Eine Übertragung durch Aerosole spielt bei der natürlichen Infektion eine höchstens untergeordnete Rolle […]. Sie sind daher im Vergleich zu anderen Infektionen wie Influenza oder COVID-19 relativ ineffizient und ­führen in Verbindung mit adäquaten Maßnahmen zur Diagnose und Kontaktermittlung meist nur zur Ausbildung kurzer Infektionsketten.“ Auf die Frage, ob die Gefahr für eine Epidemie besteht, meint der Virologe: „Die ­Gefahr einer größeren Epidemie in Deutschland bzw. Europa ist als gering einzuschätzen, und auch die Möglichkeit eines Übertritts des Virus in Tierreservoirs in Europa erscheint unwahrscheinlich“ [6]. Die aktuellen Empfehlungen der Gesundheitsbehörden in UK, Portugal und Deutschland sind inhaltlich gleichlautend [4]:

  • Bei einem verdächtigen klinischen Bild sollte insbesondere bei Reiserückkehrenden aus (West-)Afrika eine Affenpocken-Infektion in Betracht gezogen werden.
  • Angesichts der autochthonen Übertragungen in Großbritannien sollte auch bei Personen ohne bekannte Reiseanamnese, aber mit unklaren pockenähnlichen Effloreszenzen (in Abgrenzung von Windpocken etc.) differenzialdiagnostisch an Affen­pocken gedacht werden.
  • Treten bei Männern, die Sex mit Männern haben, ungewöhnliche Hauteffloreszenzen oder Läsionen auf, sollten sie unverzüglich eine medizinische Versorgung aufsuchen. |

Literatur

[1] Nicht-reiseassoziierte Fälle von Affenpocken im Vereinigten Königreich. Epidemiologisches Bulletin 20/2022, 19. Mai 2022 (online vorab)

[2] Monkeypox cases reported in UK and Portugal. European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), Newsroom 19. Mai 2022, www.ecdc.europa.eu/en/news-events/monkeypox-cases-reported-uk-and-portugal

[3] Neue Affenpocken-Infektionen entdeckt: Fälle häufen sich weltweit. Frankfurter Rundschau vom 20. Mai 2022, www.fr.de/panorama/news-affenpocken-england-nigeria-virus-erkrankung-pandemie-symptome-ansteckung-rki-deutschland-gesundheit-zr-91533121.html

[4] Allgemeine Informationen des RKI zu Affenpocken. Informationen des Robert Koch-Instituts, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Affenpocken-Ueberblick.html;jsessionid=C91ECE9152F2F3DEA9BD58F585C3B5E3.internet092#doc16732874bodyText2, Stand 19. Mai 2022

[5] Erster Affenpocken-Fall in Deutschland. Tagesschau online 20. Mai 2022, www.tagesschau.de/inland/affenpocken-deutschland-103.html

[6] Prof. Dr. Gerd Sutter, Inhaber des Lehrstuhls für Virologie, Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München, gegenüber dem Science Media Center, 20. Mai 2022

Apotheker Ralf Schlenger

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