Arzneimittel und Therapie

Brivudin – eine Preisfrage?

Aktuelle Empfehlungen zur Therapie des Herpes zoster

Bei Verdacht auf Gürtelrose wurde zuletzt im ambulanten Bereich gern das Virustatikum Brivudin verordnet. Mit dem neuen Festbetrag ist diese Therapieoption für Patienten jedoch äußerst unattraktiv geworden: Das Originalpräparat Zostex® wartet mit Mehrkosten von über 60 Euro auf, das preisgünstigste Generikum immerhin mit knapp 30 Euro. Im Fall von Aciclovir muss dagegen nur die Zuzahlung geleistet werden. Ist „günstig“ auch „gut“ oder lohnt sich die Investition in die teurere Brivudin-Therapie?

Herpes zoster tritt gehäuft bei Personen über 50 Jahre auf [1]. Erreger ist das Varizella-zoster-Virus, das nach einer Windpocken-Erkrankung in den Spinal- bzw. Hirnnervenganglien des Organismus persistiert und bei geschwächtem Immunsystem wieder in Erscheinung tritt. Herpes zoster ist damit keine exogene Neuinfektion, sondern ein endogenes Rezidiv. Typisches Symptom ist ein halbseitiger gürtelförmiger geröteter Hautausschlag mit Bläschen, der in der Regel mit starken Schmerzen einhergeht. Dabei können alle Körperregionen betroffenen sein, zum Beispiel auch Gesicht, Augen, Ohren oder das Gehirn.

Zum Schutz vor Herpes zoster empfiehlt die Ständige Impfkommission für alle Personen ab 60 Jahren die Impfung mit dem adjuvantierten Herpes-zoster-Totimpfstoff [1].

Foto: sashka1313/AdobeStock

Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir oder Brivudin? Eine Überlegenheit eines der Gürtelrose-Therapeutika hinsichtlich der Wirksamkeit zeichnet sich nicht ab.

Wann muss behandelt werden?

Herpes zoster verläuft bei Patienten ohne Risikofaktoren für Komplikationen in der Regel selbstlimitierend. In der S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Zoster und der Postzosterneuralgie“ wird empfohlen, folgende Patientengruppen mit einer antiviralen Systemtherapie zu behandeln [2]: Patienten ab 50 Jahren unabhängig von der Lokalisation des Zosters, Zoster im Kopf-Hals-Bereich, bei ausgeprägten Schmerzen, hämorrhagischen oder nekrotischen Läsionen, aberrierenden Bläschen/Satelliten­läsionen, mukokutanem oder multisegmentalem Befall, selbst wenn es nur einzelne Bläschen sind. Es besteht sonst die Gefahr, dass der Zoster generalisiert auftritt. Als häufigste Spätfolge gefürchtet ist die postzosterische Neuralgie, die in Einzelfällen lebenslange Schmerzen bedeutet.

Vier Virustatika zur Auswahl

Eine antivirale Systemtherapie kann die Schwere und Dauer der akuten Beschwerden und die Rate schwerer Komplikationen senken [2]. Zugelassen zur Therapie des Herpes zoster sind die vier oral wirksamen Nukleosidanaloga Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir und Brivudin sowie Aci­clovir zur parenteralen Applikation (s. Tab.). Die antivirale Therapie sollte so früh wie möglich begonnen werden, am besten innerhalb von 72 Stunden nach Symptombeginn. In mehreren kontrollierten Studien wurde bewiesen, dass Aciclovir wirksamer ist als Placebo in der Linderung von Schmerzen und Hautläsionen. Es gibt Hinweise darauf, dass Valaciclovir Aciclovir zur Behandlung der Dauer und Schwere des Zoster-assoziierten Schmerzes überlegen ist, aber nicht in Bezug auf die Dauer der Hautläsionen. Die Vergleiche Famciclovir mit Aciclovir, Brivudin mit Aciclovir sowie Valaciclovir mit Famciclovir ergaben keine statistisch signifikanten Unterschiede im Behandlungserfolg. Insgesamt ist die Evidenz für die Überlegenheit von Valaciclovir, Famciclovir und Brivudin gegenüber oralem Aciclovir hinsichtlich der unterschiedlichen Outcomes unsicher. Das betrifft auch die Verhinderung einer Post-Zoster-Neuralgie.

Bei Patienten, die keine Indikation zur intravenösen Therapie mit Aciclovir haben, empfehlen die Leitlinienautoren eine gemeinsame Entscheidungsfindung (shared decision making) zur Auswahl des Virustatikums unter Berücksichtigung der Einnahmefrequenz, Kontraindikationen, Komorbidität, Arzneimittelinteraktionen und nicht zuletzt der Kosten. Im Interview auf S. 25 bekräftigt Prof. em. Dr. Gerd Gross, ehemaliger Direktor der Universitäts-Hautklinik Rostock, dass sich Patienten auch ruhigen Gewissens auf ein günstiges Präparat einstellen lassen können, ohne den Therapieerfolg zu gefährden.

Tab.: Standardtherapie bei Herpes zoster [nach 2]
Präparat
Dosierung
Einnahme
Dauer
Aciclovir oral
800 mg
5 × täglich
7 Tage
Aciclovir i. v.
8 bis 10 mg/kg KG
3 × täglich
7 bis 10 Tage
Brivudin oral
125 mg
1 × täglich
7 Tage
Famciclovir oral
500 mg
3 × täglich
7 bis 10 Tage
Valaciclovir oral
1000 mg
3 × täglich
7 Tage

Brivudin: Vorteile vs. Risiken

Brivudin hat gegenüber den anderen Nukleosidanaloga den Vorteil, dass es nur einmal täglich angewendet werden muss. Zudem ist es in diesem Reigen der einzige Wirkstoff, dessen Dosis bei eingeschränkter Nierenfunktion nicht angepasst werden muss, da es geringer abhängig von der renalen Exkretion ist. Bei niereninsuffizienten Patienten mit Zoster wird aus diesem Grund entweder die orale Therapie mit Brivudin oder optimalerweise die intra­venöse Gabe von Aciclovir empfohlen.

Brivudin birgt auf der anderen Seite hohe Risiken. Es ist kontraindiziert bei immunsupprimierten Patienten sowie aufgrund möglicher lebensbedrohlicher Arzneimittelinteraktionen bei Patienten, die in den letzten vier Wochen mit 5-Fluoropyrimidin-haltigen Medikamenten (z. B. 5-Fluoro­uracil, Flucytosin) behandelt wurden. Zuletzt warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Mai 2020 vor der Wechselwirkung: Da Brivudin durch Hemmung des Enzyms Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) den Abbau von Fluoropyrimidinen stört, kann es zu einer tödlichen Überdosis der Zyto­statika kommen. Trotz mehrerer Rote-Hand-Briefe kommt es immer wieder zu Behandlungsfehlern [3].

Wann Aciclovir erste Wahl ist

In einigen besonderen Situationen ist Aciclovir vor allen anderen Virustatika zu bevorzugen. So gilt es in Schwangerschaft und Stillzeit als am besten untersucht [4]. Grundsätzlich sollte der Einsatz bei komplizierten Verläufen und unter besonderer Vorsicht erfolgen. In schweren Fällen mit hohem Risiko sollten die Patienten die antivirale Therapie nicht selbst durchführen, sondern stationär aufgenommen und mit Aciclovir i. v. behandelt werden. Dies gilt insbesondere für ältere Patienten mit Zoster im Kopf-Hals-Bereich, immunsupprimierte Patienten oder bei Zeichen einer viszeralen oder zentralnervösen Beteiligung [2]. Bei Patienten mit Zoster oticus, ausgeprägten Schmerzen und/oder Lähmung multi­pler Hirnnerven wird eine Kombina­tionstherapie aus intravenöser Gabe von Aciclovir und systemischen Corticosteroiden, von HNO-, Augen- und Nervenärzten verabreicht, empfohlen. Auch bei Patienten mit akuter retinaler Nekrose als Komplikation eines Zoster ophthalmicus sollte die Wahl auf Aciclovir fallen, zunächst intravenös, dann oral für mehrere Monate. |
 

Literatur

[1] Ratgeber des Robert Koch-Instituts zu „Windpocken (Varizellen), Gürtelrose (Herpes zoster)“, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Varizellen.html;jsessionid=A4E849B7D514600DDBD0158D267B4CE9.internet082#doc2374554bodyText12 (letzter Aufruf am 31.05.2022)

[2] S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Zoster und der Postzosterneuralgie“, AWMF-Register-Nr.: 013-023, Stand: Mai 2019

[3] Rote-Hand-Brief zu Brivudin-haltigen Arzneimitteln vom 13.05.2020, verfügbar unter www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2020/rhb-brivudin.pdf (letzter Aufruf am 31.05.2022)

[4] Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin, www.embryotox.de

Apothekerin Rika Rausch

 

„Brivudin ist nicht besser wirksam als Aciclovir!“

Ein Interview

Prof. em. Dr. Gerd Gross

Die Verordnungshäufigkeit im ambulanten Bereich könnte den Eindruck erwecken, dass bei Verdacht auf Herpes zoster Brivudin das Mittel der ersten Wahl sei. Die aktuelle S2k-Leitlinie spricht jedoch eine andere Sprache. Prof. em. Dr. Gerd Gross, Mitglied der Paul-Ehrlich-­Gesellschaft, hat maßgeblich an ihrer Erstellung mitgewirkt und meint: Brivudin hat zwar einen entscheidenden Vorteil, der aber nicht blind machen darf für Alternativen.

DAZ: Welchen Stellenwert hat Brivudin derzeit in der Therapie des Herpes zoster in der Praxis?
Gross: Brivudin hat einen hohen Stellenwert in der Therapie des Herpes zoster erreicht. Die Frage ist eher, warum? Fakt ist, die anderen Virustatika wirken nicht schlechter. Es ist nie bewiesen worden, dass Brivudin besser oder schneller wirkt. Und auch nicht, dass es wirksamer das Risiko einer Post-zoster-Neuralgie senken kann. Der einzige echte Vorteil von Brivudin ist die einmal täglich Einnahme über sieben Tage. Viele Ärzte schätzen das einfache Therapieschema. Die anderen Wirkstoffe müssen mehrfach am Tag eingenommen werden: Famci­clovir und Valaciclovir dreimal täglich, Aciclovir sogar fünfmal täglich. Das kann Patienten mit Polymedikation vor große Herausforderungen stellen.

DAZ: Also ist es rein eine Frage der Adhärenz?
Gross: Ja, das denke ich. Allerdings gilt es abzuwägen, ob es die einfache Dosierung wert ist, die Risiken von Brivudin in Kauf zu nehmen. Auf keinen Fall darf Brivudin bei immunsupprimierten Patienten angewendet werden. Aber es muss sowieso kritisch hinterfragt werden, ob man wirklich jeden Patienten mit Verdacht auf Herpes zoster antiviral behandeln muss. Die Ärzte übertreiben es manchmal, möchte ich sagen.

DAZ: Wann kann auf eine antivirale Therapie verzichtet werden?
Gross: Patienten, die jünger als 50 Jahre sind und bei denen es keinen Hinweis auf einen komplizierten Verlauf gibt, brauchen keine antivirale Therapie. Es reicht, die Schmerzen und die Hautläsionen zu behandeln. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche. Ausnahme dieser Regel sind zum Beispiel Patienten mit atopischer Dermatitis. Außerdem sollte bei jüngeren Patienten unter 50 Jahren eine HIV-Infektion ausgeschlossen sein. Patienten über 50 Jahre müssen immer behandelt werden, egal, wo der Zoster sitzt, da das Immunsystem nicht mehr gut arbeitet. Es dürfen aber nicht alle gleichbehandelt werden, sondern abhängig von der Situation.

DAZ: Brivudin kann unabhängig von der Nierenfunktion dosiert werden. Ist das nicht ein entscheidender Vorteil?
Gross: Das ist richtig. Bei Nieren­insuffizienz ist keine Dosisanpassung von Brivudin erforderlich. Allerdings sollte man darüber nicht dessen Risiken vergessen. Die sicherste Variante bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist die intravenöse Gabe von Aciclovir. Diese Patienten sollten in einer Klinik behandelt werden, unter Kontrolle der Kreatinin-Clearance.

DAZ: Was kann man Patienten in der Apotheke raten, die sich eine Therapie mit Brivudin nicht leisten können oder wollen?
Gross: Zurück zum Arzt. Es gibt wirksame Alternativen und der Patient kann ruhigen Gewissens auf einen anderen Wirkstoff umgestellt werden. Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass der Patient nicht wieder zum Arzt geht, sondern die Therapie komplett ablehnt. Ein nicht-behandelter Herpes zoster kann schwere Folgen haben, wie besonders lang anhaltende Schmerzen im Fall einer postzosterischen Neuralgie. Weitere schwere Komplikationen sind Erblindung, Hörstörungen bis Taubheit und Enzephalitis.

DAZ: Was halten Sie von einer lokalen Therapie?
Gross: Alles, was an juckreizmildernden oder austrocknenden Externa auf die Hautläsionen aufgetragen wird, ist symptomlindernd, beschleunigt die Heilung eines Zosters aber nur wenig. Gar keine gute Idee sind Cremes gegen Lippenherpes. Es gibt keine lokale antivirale Therapie, die gegen Herpes zoster wirksam ist. Sie ist also nicht nur sinnlos, sondern sogar gefährlich, weil man dadurch möglicherweise den Zeitpunkt für eine systemische Therapie verpasst.

DAZ: Herr Professor Gross, vielen Dank für das Gespräch!

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.