Medizin

Gefährliche Ausstülpungen

Zunehmend Komplikationen bei der Divertikelkrankheit

Von Christine Vetter | Die Divertikelkrankheit galt lange als Erkrankung des alternden Menschen. Doch weit gefehlt: Zunehmend häufig erkranken vergleichsweise junge Menschen. Bei ihnen zeigt sich zudem besonders häufig ein komplizierter und potenziell sogar lebens­bedrohlicher Verlauf der Divertikulitis. Antworten auf die Fragen, ­warum das so ist, was das für die Therapie bedeutet, wann konservativ behandelt werden kann und wann eine Operation unvermeidbar ist, gibt die neue S3-Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis [1].

Die Prävalenz der Divertikelkrankheit, vor allem die Häufigkeit von Hospitalisierungen als Folge der Erkrankung und auch die durch eine Divertikulitis bedingte Mortalität nehmen weltweit zu. Zwar steigt das Krankheitsrisiko mit dem Alter, die demografische Entwicklung scheint aber nicht Ursache des Prävalenzanstiegs zu sein. Denn vor allem bei Menschen im mittleren Lebensalter, also vor dem 50. Lebensjahr, wird die Divertikelkrankheit immer häufiger zum medizinischen Problem [2]. Die Experten machen hierfür vor allem „Einflüsse der modernen Lebensführung“ verantwortlich. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis gewinnt die Lebensstilberatung an Bedeutung, ein Aspekt der auch bei der Beratung von Patienten mit Divertikelkrankheit in der Apotheke bedeutsam ist.

Konservativ oder operativ behandeln?

Die zunehmende Häufigkeit ist jedoch nur ein neuer Aspekt in puncto Divertikel. Die Erkrankung wird heutzu­tage differenzierter als früher behandelt. Dabei steht aber nach wie vor oft die Frage im Vordergrund, ob im individuellen Fall ein konservatives Vorgehen gerechtfertigt ist oder nur der Griff zum Skalpell einen Therapieerfolg verspricht. Die Beantwortung dieser Frage gelingt anhand der Klassifizierung der Divertikel­krankheit mit Unterscheidung zwischen einem komplizierten und einem eher unkomplizierten Krankheitsverlauf.

Foto: Juan Gärtner/AdobeStock

Bei eine Divertikulose treten im Kolon multiple Divertikel auf. Da nur die Schleimhaut ausgestülpt wird und nicht die gesamte Darmwand, handelt es sich um Pseudodivertikel.

Die Präzisierung dieser Klassifizierung, aus der sich direkt Therapieempfehlungen ergeben, ist ein wesentliches Ziel der Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis, die gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) erarbeitet wurde [1]. Die Leitlinie soll damit auch dazu beitragen, „eine traditionelle Überzahl an Operationen zu reduzieren, aber andererseits bei der Indikationsstellung Fragen der Lebensqualität im Langzeitverlauf der Erkrankung stärker zu berücksichtigen“ [2]. Es werden zudem klare Empfehlungen zu einer vernünftigen Lebensgestaltung bei der Divertikelkrankheit formuliert, insbesondere hinsichtlich der Ernährung, der körperlichen Aktivität und dem Konsum von Genussmitteln.

Vom Divertikel zur Divertikulitis

Rund jeder zweite bis dritte Deutsche muss damit rechnen, im Laufe seines Lebens Divertikel zu entwickeln [2]. Diese Ausstülpungen der Mukosa und Submukosa bilden sich bevorzugt im linksseitigen Kolon durch Schwachstellen in der Kolonwand. Betroffen ist meist vor allem das Sigma als „Hochdruckzone“ des Dickdarms. Konkrete Angaben zur Häufigkeit der Störung sind allerdings kaum möglich, da die Divertikel zunächst keine Beschwerden verursachen und damit oft unbemerkt bleiben.

Auch warum sich die Divertikel bilden, ist nicht völlig klar, der Vorgang scheint komplex zu sein. Veränderungen der Darmwandmuskulatur, der Bindegewebsfasern, des enterischen Nervensystems und auch Störungen der Motilität und Sensitivität des Kolons können eine Rolle spielen [1]. Ebenso können Umweltfaktoren wie auch eine genetische Prädisposition zum Tragen kommen. Das Mikrobiom scheint die Divertikelbildung nicht zu triggern, es kann allerdings möglicherweise die Progression zur Divertikulitis begünstigen. Denn die Divertikel sind anfällig für Entzündungen, aus der sogenannten Divertikulose kann sich eine Divertikulitis entwickeln. Diese kann schwere Komplikationen nach sich ziehen wie eine Abszess- und/oder Fistelbildung, eine gedeckte oder auch offene Perforation, eine Stenosierung des Darms und Blutungen [1]. Beispielsweise kommt es bei rund 15% der Menschen mit zunächst offenbar unkomplizierter akuter Divertikulitis zur Abszessbildung.

Im Fokus: Beeinflussbare Risikofaktoren

Generell zeigt sich nach einer akuten Divertikulitis in 15 bis 20% der Fälle ein Rezidiv. Neben den aufgeführten nicht beeinflussbaren Risikofaktoren für die allgemeine Pathogenese tragen auch beeinflussbare Risikofaktoren hierzu bei. Dazu gehört eine ungünstige Ernährung, der übermäßige Konsum von Genussmitteln wie Alkohol und Nicotin, Bewegungs­mangel sowie Übergewicht.

Daraus leiten sich zwangsläufig Empfehlungen zur Abwendung eines komplizierten Verlaufs bei diagnostizierten Divertikeln ab. Die Betreffenden sollten möglichst kein rotes Fleisch verzehren und auf eine ballaststoffreiche Kost (mindestens 30 g pro Tag) achten. Günstig sind laut Leitlinie vor allem Früchte, Gemüse, Vollkornprodukte sowie Hülsenfrüchte. Auch auf Alkohol und Nicotin sollte verzichtet werden, Übergewicht ist abzubauen und davon abgesehen für ausreichende körperliche Aktivität zu sorgen. Anders als oftmals zu lesen, sollte nicht generell vom Verzehr von Nüssen, Körnern, Mais oder Popcorn zur Primärprophylaxe einer Divertikelkrankheit abgeraten werden. So wurde früher angenommen, dass unverdaute Rückstände solcher Lebensmittel zu Komplikationen führen können. ­Evidenz hierfür gibt es nicht, vielmehr scheint eher sogar das Gegenteil der Fall zu sein [1]. Auch gibt es keine Daten, dass der Konsum von Kaffee das Risiko einer Divertikelkrankheit steigert. Eine direkte Assoziation scheint allerdings zum Verzehr von rotem Fleisch zu bestehen. Je häufiger dieses auf dem Speiseplan steht, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Divertikelkrankheit.

Werden die Empfehlungen zu einer ­gesunden Lebensweise entsprechend den obigen Angaben beherzigt, so reduziert sich laut Leitlinie das Risiko für das Auftreten einer Divertikul­itis um bis zu 50%!

Beeinflussbare Risikofaktoren bei Divertikel­krankheit und Divertikulitis

günstige Ernährung

  • Meiden von rotem Fleisch
  • hoher Anteil an Ballaststoffen
  • Einzelstoffe: Früchte, Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsen­früchte

günstiger Lebensstil

  • körperliche Aktivität

ungünstiger Ernährungsstatus

  • Übergewicht oder Adipositas

ungünstige Genussmittel

  • schädlicher Alkoholgebrauch
  • Nicotin

(nach S3-Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis [1])

Arzneimittel als Risikofaktoren?

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass bestimmte Medikamente mit einem erhöhten ­Risiko für das Auftreten einer Divertikelkrankheit, einer Divertikulitis und auch einer komplizierten Divertikulitis assoziiert sind. Bekannt ist dies von den nicht steroidalen Antirheumatika (NSAIDs), den Corticosteroiden, Opioiden und auch von der postmenopausalen Hormonsubstitution. Bei Paracet­amol scheint der Leitlinie zufolge vor allem eine Assoziation zu Divertikelblutungen zu bestehen.

Die Einnahme dieser Medikamente setzt damit eine sorgfältige Nutzen-­Risiko-Abwägung voraus. Acetylsalicylsäure sowie Coxibe scheinen dagegen bei Divertikulitis unproblematisch zu sein.

Unkompliziert oder komplizierter Verlauf?

Von einer Divertikelkrankheit ist auszugehen, wenn mehr oder weniger als Zufallsbefund eine Divertikulose bekannt geworden ist und der Betreffende über Symptome wie etwa Schmerzen klagt. Differenzialdiagnostisch ist die Divertikel­krankheit damit zum Teil schwierig vom Reizdarmsyndrom abzugrenzen [1].

Die Ausprägung der Divertikelkrankheit kann zudem vielgestaltig sein, wie die in der Leitlinie dargestellte Klassifizierung belegt. Unterschieden werden vier Krankheitstypen von der asymptomatischen Divertikulose über die akute unkomplizierte Divertikulitis und die komplizierte Divertikulitis bis zur chronischen Divertikelkrankheit mit rezidivierenden oder persistierenden Entzündungsschüben und dem Sonderfall der Divertikelblutung. Die einzelnen Krankheitstypen werden je nach klinischem Bild weiter unterteilt beispielsweise in den Typ 2a einer komplizierten Divertikulitis mit Mikro­abszess, Typ 2b mit Makro­abszess, Typ 2c mit freier Perforation sowie Typ 2c1 mit eitriger und 2c2 mit fäkaler Perforation.

Die meisten Divertikelrezidive verlaufen laut Leitlinie mild und können konservativ ambulant behandelt werden. Vor allem bei jüngeren Patienten mit initial komplizierter Divertikul­itis, mit Multimorbidität und/oder Immunsuppression sind jedoch erhöhte Komplikationsraten zu beobachten [1].

Therapeutische Empfehlungen

Ist neben der Lebensstilberatung eine weiterführende Behandlung angezeigt, so richtet sich diese nach dem jeweiligen klinischen Bild. Die akute unkomplizierte Divertikelkrankheit bzw. Divertikulitis wird dabei primär konservativ therapiert. Ziel ist die Symptombesserung und das Abwenden der Progression hin zur komplizierten Divertikulitis. Kontrovers diskutiert wird nach wie vor die Indika­tion zur antibiotischen Therapie, da zu dieser Frage Studien mit positivem wie auch solche mit negativem Ausgang vorliegen. Die Therapieentscheidung sollte somit in Anhängigkeit von der Schwere und den vorliegenden Risiken gefällt werden. Liegt eine komplizierte Divertikulitis vor, so ist der Patient stationär zu behandeln und zu überwachen und es besteht eine klare Indikation für eine Antibiotika-Therapie.

Viel diskutiert ist auch die Frage des operativen Vorgehens. Generell richtet sich die Therapieentscheidung dabei nach dem Krankheitstyp und dem ­klinischen Bild. Bei der symptomatischen unkomplizierten Divertikelkrankheit sollte nicht operativ behandelt werden. Und auch bei der akuten unkomplizierten Divertikulitis stellt die Leitlinie klar, dass bei beschwerdefreien Patienten unabhängig von Vorerkrankungen keine elektive Sigmaresektion vorgenommen werden sollte. Bestehen hingegen anhaltende Beschwerden, so ist ein solcher Eingriff mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität vertretbar. Ist eine Sigmaresektion indiziert, sollte ein minimal-invasiver Eingriff wenn möglich der offenen Operation vorgezogen werden. |

Literatur

[1] Divertikelkrankheit/Divertikulitis. Gemeinsame S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Stand: November 2021, AWMF-Registriernummer 021-20, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-020l_S3_Divertikelkrankheit-Divertikulitis_2022-05.pdf

[2] Kruis W, Germer C-T, Leifeld L. Editorial zur S3-Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis. Z Gastroenterologie 2022;60(04):537-574

Autorin

Christine Vetter hat Biologie und Chemie studiert und arbeitet seit 1982 als Medizinjournalistin.

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