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Beratung

Ein Weg zu gutem Schlaf?

Wichtige Beratungshinweise bei der Abgabe von Melatonin

Wer über schlechten Schlaf klagt und Hilfe sucht, kommt derzeit nicht an Melatonin und den werbewirksamen Versprechen vieler Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln vorbei. In Drogeriemärkten, Internetshops und Apotheken findet sich eine riesige Auswahl entsprechender Produkte in verschiedenen Darreichungsformen und Dosierungen. Interessenten, die eine qualifizierte Beratung zu Melatonin wünschen, sind in der Apotheke am besten aufgehoben, schließlich gibt es ein paar Dinge zu beachten. | Von Verena Stahl 

Bei dem Wunsch, besser einzuschlafen oder endlich mal wieder eine Nacht durchzuschlafen, sind Betroffene nicht alleine. In industrialisierten Ländern weisen bis zu 10% der Bevölkerung eine behandlungsbedürftige Ein- und Durchschlafstörung (Insomnie) auf [1]. Hierzu zählt, wer dreimal oder häufiger pro Woche Schlafprobleme hat, dadurch negative Konsequenzen bezüglich Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit am Tage verspürt, und das über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen. Die Prävalenz in Deutschland wird laut einer epidemiologischen Untersuchung aus dem Jahr 2013 auf annähernd 6% beziffert [2], nur wenige Betroffene lassen sich ärztlich behandeln. Während der COVID-19-Pandemie haben Schlafstörungen durch psychische Belastungen, wirtschaftliche Herausforderungen beziehungsweise Sorgen, physische Inaktivität und veränderte Tagesabläufe vermutlich zugenommen. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V. (DGSM) berichtet anlässlich des diesjährigen Aktionstags „Erholsamer Schlaf“ davon, dass circa 40% zumindest vorübergehend unter Schlafstörungen während der Pandemie gelitten haben oder immer noch leiden [3]. Es wundert aufgrund der hohen Zahl Betroffener daher nicht, dass die fragliche Nutzung technischer Hilfsmittel zur ­Analyse des eigenen Schlafs, sogenannte Sleeptracker oder Wearables, und diverse Möglichkeiten zur Optimierung der Nachtruhe (zum Beispiel Gewichtsdecken, „Lichtwecker“ oder Einschlaf-Apps) hoch im Kurs stehen. Hingegen wird eine kognitive Verhaltenstherapie, die spezifisch auf das Thema Schlafstörungen zugeschnitten ist und die Behandlungs­methode der ersten Wahl darstellt, zu selten eingesetzt [3].

Guter Ruf

Viele Betroffene greifen auch zu Schlafmitteln. Während der Gebrauch von Benzodiazepinen, Z-Substanzen, sedierenden Antidepressiva und H1-Antihistaminika aufgrund potenzieller Nebenwirkungen und / oder möglicher Abhängigkeitsentwicklung negativ belegt ist und pflanzliche Sedativa und Hypnotika oft als wenig wirksam wahrgenommen werden, genießt Melatonin als „neuer Stern am Schlafmittelfirmament“ ein positives Ansehen. Hierzu trägt wahrscheinlich bei, dass das Hormon dank rechtlicher Schlupflöcher als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden kann. Schließlich gelten Produkte, die in Drogerie- oder Supermärkten erhältlich sind, als ungefährlich. Seinem guten Ruf ist vermutlich weiterhin zuträglich, dass es sich um eine körpereigene Substanz handelt. Jedoch sollte bei der Beratung darauf geachtet werden, Melatonin nicht als „natürliches Schlafhormon“ oder „natürliches Schlafmittel“ zu bezeichnen. Dies könnte den Eindruck erwecken, dass Melatonin zwangsläufig und bei jedem den Schlaf herbeiführt – und zwar auf natürliche Weise. Es ist zwar richtig, dass die physiologische Ausschüttung des Hormons durch Dunkelheit initiiert wird und bis in die frühen Morgenstunden anhält, also in etwa den Zeitraum umspannt, innerhalb dessen meist geschlafen wird. Die genaue Assoziation zwischen Melatonin und Schlaf muss aber noch detaillierter erforscht werden, und es wäre daher besser, Melatonin als Nacht- und nicht als Schlafhormon zu bezeichnen, um keine falschen Erwartungen zu schüren.

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Pflanzliche Sedativa und Hypnotika, die traditionell bei Unruhe, Angstzuständen und Einschlafstörungen Anwendung finden, werden in vielen Melatonin-haltigen Produkten als weitere Inhaltsstoffe beworben. Meist sind die Extrakte allerdings so niedrig dosiert, dass hierüber keine klinischen Effekte zu erwarten sind.

Schlafstörungen ärztlich abklären lassen

Exogen zugeführtes Melatonin kann beispielsweise keine Wunder vollbringen, wenn jemand unter organisch oder psychisch bedingten Schlafstörungen leidet. Hier ist es wichtig, die Ursache ärztlich abklären zu lassen und den Schlaf beeinträchtigende Erkrankungen (zum Beispiel Schlafapnoe, chronische Schmerzzustände, Herzrhythmusstörungen oder unbehandelte Hypertonie, Depressionen oder Angsterkrankungen) effektiv zu therapieren. Zur besseren Einschätzung und Analyse des Schlafverhaltens bitten Ärzte ihre Patienten oft, ein Schlaftagebuch (sogenanntes Abend-Morgen-Protokoll) über ein bis zwei Wochen zu führen. Geben Sie den Webcode U4KS6 in die Suchfunktion bei DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de ein und Sie gelangen direkt zum Schlaf­tagebuch der Stiftung Gesundheitswissen. Auch muss die Medikationsliste des Patienten auf den Prüfstand, um zu schauen, ob darin potenzielle Störenfriede schlummern (s. Daubitz T. Unerwünschte Muntermacher – Wie Arzneimittel den Schlaf stören können. DAZ 2022, Nr. 14, S. 36). Oft bessert sich die Schlafqualität dann im Zuge dieser ­Anpassungen.

Ohne Schlafhygiene kein guter Schlaf

Konstante Zubettgeh- und besonders Aufstehzeiten (übrigens auch am Wochenende) sowie kleine Rituale und eine gute Schlafumgebung tragen zu einem geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus bei. Wer dann auch noch eine morgendliche Lichtexposition im Freien, zum Beispiel auf dem Weg zum Arbeitsplatz oder der Bildungsstätte oder bei einem Spaziergang, einrichten kann und spätabends grelles Licht oder Bildschirmnutzung meidet, hat schon viel für eine zuverlässige körpereigene Melatonin-Ausschüttung getan. Den Schlaf stören können hingegen ein zu langer (mehr als 30 Minuten) oder zu später Mittagsschlaf, das abendliche „Eindösen“ vor dem Fernseher, späte und schwere Mahlzeiten, Coffein-, Nicotin- und Alkoholkonsum sowie starke körperliche Anstrengungen oder Gedankenkreisen kurz vor dem Schlafengehen. Es ist von großer Bedeutung, die äußeren Bedingungen im Schlafzimmer hinsichtlich Temperatur, Lichteinfall und Geräuschpegel zu optimieren (kühl, dunkel, ruhig). Außerdem kann nicht oft genug betont werden, dass das Bett vor allem dem Schlafen dienen sollte, nicht dem Arbeiten, Fernsehen oder Essen. Hilfreich können zudem Entspannungsübungen vor dem Einschlafen sein.

Anwendungsgebiet Insomnie

Zum Einsatz von Melatonin bei Insomnien bescheinigt die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen“ dem Chronotherapeutikum nur eine geringe Wirksamkeit in der Verkürzung der Einschlafzeit, und es wird daher folgerichtig nicht generell zur Behandlung von Insomnien empfohlen [4]. Melatonin ist in retardierter Form bei Erwachsenen ab 55 Jahren mit primären Insomnien, die durch schlechte Schlafqualität gekennzeichnet sind, als Arzneimittel zugelassen (Circadin®, 2 mg Melatonin). Ebenso findet sich für retardiertes Melatonin bei Kindern und Jugendlichen zwischen zwei und 18 Jahren eine Zulassung (Slenyto®, 1 mg bzw. 5 mg Melatonin). Allerdings nur in der Behandlung von Schlafstörungen bei Autismus-Spektrum-Störungen und / oder Smith-Magenis-Syndrom (SMS), wenn sich Maßnahmen zur Verbesserung der Schlafhygiene als unzureichend erwiesen haben. In der Pädiatrie ist zudem die Anwendung einer Melatonin-Rezeptur mit 2 mg/ml (Suspension, NRF 17.6) möglich, wenn Schlafstörungen vorliegen sowie zur Reduzierung von Angstzuständen vor und nach medizinischen Eingriffen. Die Dosierung wird hierbei vom Arzt individuell festgelegt. Besonders wichtig ist der Hinweis, die Suspension vor der Einnahme gut zu schütteln, um Dosierungenauigkeiten zu vermeiden.

 

Zähneputzen nicht vergessen!

Weisen Sie bei Melatonin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln, die Zucker, Glucose, Fructose, Maltose oder Lactose enthalten, darauf hin, dass nach der Einnahme beziehungsweise Anwendung das Zähneputzen nicht vergessen werden sollte (bitte nicht im hell erleuchteten Badezimmer). Gerade wenn die Einnahme ohne Wasser oder ein angenehmer Geschmack beworben wird, der einem mitunter als Betthupferl das Einschlafen „versüßen“ soll, ist Vorsicht geboten. Es lohnt sich, unter anderem bei Weichgummis, Schokotrunks, Schmelztabletten und „Tees“, die Melatonin enthalten, in die Liste der Inhaltsstoffe zu schauen. Aber auch manche Sprays enthalten Zucker. Zuckerersatzstoffe können hingegen kein Karies verursachen.

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Einnahmehinweise

Bevor Melatonin-haltige Nahrungsergänzungsmittel bei Schlafstörungen eingesetzt werden, müssen die oben genannten Empfehlungen zur Schlafhygiene umgesetzt und idealerweise eine ärztliche Abklärung erfolgt sein. Die Dosierung kann von Person zu Person variieren, unter anderem aufgrund hepatisch bedingter, interindividueller Unterschiede in der Bioverfügbarkeit. Man sollte daher versuchen, die niedrigste wirksame Dosis zu finden. Außerdem ist keine Dauertherapie, sondern nur die gelegentliche Einnahme von Melatonin anzustreben. Laut gesundheitsbezogener Aussagen der Hersteller (sogenannte health claims) kann 1 mg Melatonin dazu beitragen, die Einschlafzeit zu verkürzen. Da viele Präparate die Hälfte dessen enthalten, kann man auch niedriger einsteigen und bei ausbleibenden Effekten die Dosis erhöhen. Von der Einnahme zu hoher Mengen (mehr als 5 mg) ist abzuraten, da supraphysiologische Plasmaspiegel möglicherweise auch zu einer Desensibilisierung von Melatonin-Rezeptoren führen können [5]. Zum Einnahmezeitpunkt sollten folgende Hinweise beachtet werden:

  • Melatonin ist ein Chronotherapeutikum, daher empfiehlt sich die Einnahme zu festen Uhrzeiten.
  • Der optimale Einnahmezeitpunkt und -abstand zur Schlafenszeit variiert dabei je nach Chronotyp.
  • Er liegt bei einer halben bis zwei Stunden vor der Zubettgehzeit.
  • Die Aufsteh- und Zubettgehzeit sollte möglichst konstant sein, auch am Wochenende.
  • Mahlzeiten bewirken eine Resorptionsverzögerung von Melatonin, daher möglichst zwei Stunden vor der Melatonin-Einnahme keine Nahrung zuführen.
  • Melatonin darf nicht in der Nacht nachdosiert werden! Es könnte zirkadiane Rhythmen durcheinanderbringen und mögliche Überhangeffekte mit Einfluss auf die Teilnahme am Straßenverkehr oder das Bedienen von Maschinen auslösen.

Achtung Kinder!

Möchte jemand Melatonin im Selbstversuch für „den kleinen Wirbelwind“ kaufen, der regelmäßig die Nacht zum Tage macht, sollte man entschieden davon abraten. Zwar gehen einige neurologisch-psychiatrische Krankheitsbilder im Kindesalter mit Schlafstörungen einher, und Melatonin kann hier im Einzelfall (bei ADHS off label) einen Therapieversuch darstellen, dieser muss aber immer ärztlich begleitet sein (siehe Interview mit Kinderarzt Dr. A. Wiater im Beitrag: „Melatonin ist kein Schlafhormon!“ Erfahrungen eines Kinder- und Jugendarztes. DAZ 2022, Nr. 14, S. 22). Bei unkritischer Einnahme des Hormons sind nicht näher bekannte Auswirkungen auf den Schlaf-Wach-Rhythmus sowie den gesamten Organismus möglich, Gleiches gilt für Schwangere bzw. den Fötus. Zu Langzeitwirkungen liegen zudem keine Daten vor. Da viele Auslöser für Schlafstörungen bei Kindern und Adoleszenten in Betracht kommen können, sollten Eltern sich gemeinsam mit dem Kinderarzt auf Ursachensuche begeben. Mitunter spielen beim Nachwuchs Verhaltensprobleme, bei den Eltern mangelnde Grenzsetzung oder ungünstige Rahmenbedingungen für die Nachtruhe eine Rolle. Auch wenn die Umsetzung von Schlafhygienemaßnahmen in diesem Alter schwerfällt, ist ein ­besonderer Fokus auf den zurückhaltenden Einsatz von ­Medien und digitalen Endgeräten vor dem Schlafengehen oder in der Nacht zu legen.

Melatonin sicher aufbewahren

Nicht nur die beabsichtigte Melatonin-Einnahme ist bei Kindern – außer indikationskonform – problematisch, sondern auch die unbeabsichtigte. Schnell kann es passieren, dass Kinder und Jugendliche bei Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln neugierig werden und diese – auch in größeren Mengen – verzehren. Gerade Präparate, die aufgrund ihrer Darreichungsform an herkömmliche Süßigkeiten erinnern (Weichgummis), wirken auf Kinder anziehend. Aber auch verharmlosende Begrifflichkeiten wie „Schlaftrunk“ oder „Einschlafspray“ können den Anreiz verstärken. Eine aktuelle Analyse der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) schlägt hier Alarm [6]: Melatonin war im Jahr 2020 die am häufigsten eingenommene Substanz bei Kindern, die den nationalen Giftinformationszentren gemeldet wurde. Im Zehnjahreszeitraum 2012 bis 2021 wurden in den USA 260.435 Fälle unbeabsichtigter Melatonin-Einnahmen bei Kindern berichtet. Gerade in den letzten drei Jahren haben die Meldungen drastisch zugenommen, was an einer pandemiebedingt erhöhten Nutzung von Melatonin durch Erwachsene und entsprechenden Zugriffsmöglichkeiten der Kinder gelegen haben mag. Besonders betroffen waren Kinder in der Altersgruppe bis einschließlich fünf Jahre. Melatonin-Präparate sollten daher, wie alle anderen Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel, für Kinder unzugänglich aufbewahrt werden. Wenn bekannt ist, dass Kinder im Haushalt leben, sollte man auf die mögliche Gefährdung hinweisen. Der Nachttisch ist aber nicht nur aus diesem Grund kein geeigneter Aufbewahrungsort. Denn Melatonin ist lichtempfindlich, und es empfiehlt sich, die Präparate in der Originalverpackung und lichtgeschützt aufzubewahren.

 

Patientenbeispiel: „Melatonin wirkt bei mir überhaupt nicht!“

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Eine Stammkundin ist verzweifelt. Sie nimmt bereits seit vier Wochen abends 1 mg Melatonin ein und kann trotzdem nicht einschlafen. „Sollte ich vielleicht ein Präparat einer anderen Firma ausprobieren?“, fragt sie in der Apotheke.

Die Kundin hat sich scheinbar viel von der Melatonin-Einnahme erhofft. Ihre Enttäuschung ist nachvollziehbar. Die initial hohe Erwartungshaltung kann aber - verbunden mit den nun entstandenen negativen Gefühlen - erst recht das Einschlafen erschwert haben. Zunächst sollte man den emotionalen Druck, den die Kundin verspürt, rausnehmen und ihr erklären, dass Melatonin nicht bei jedem zu den erwünschten Effekten führt und es auch kein Schlafmittel im Sinne des Wortes ist. Man sollte nachfragen, wie es bei ihr um die verschiedenen Aspekte der Schlafhygiene steht. Vielleicht liegen ja hier schlichtweg ungünstige Rahmenbedingungen vor? Es sollte auch nicht der Hinweis fehlen, das Gespräch mit einem Arzt in Erwägung zu ziehen, ob womöglich (versteckte) Grunderkrankungen den Schlaf beeinträchtigen könnten. Es lohnt sich ebenfalls zu fragen, ob sie bereits den Einnahmezeitpunkt oder die Dosierung des Melatonins variiert hat. Eventuell erfolgte die Einnahme zu spät bzw. mit einem zu kurzen Abstand zur Bettgehzeit oder in Verbindung mit Nahrung. Vielleicht hat sie sich nach der Einnahme noch in stark beleuchteten Räumen (Wohn- oder Badezimmer) aufgehalten oder bis kurz vor dem Schlafengehen noch Medien an hell beleuchteten Bildschirmen konsumiert? Sollte sie Zigaretten rauchen, könnte auch eine Interaktion mit diesem CYP1A-Induktor Melatonin schneller abgebaut haben. Raucher benötigen eventuell höhere Dosen, um einen Effekt zu verspüren. Ein Präparatewechsel ist also - aufgrund der Vielzahl an Einflussfaktoren auf den Schlaf und auf die Melatonin-Plasmaspiegel - nicht sinnvoll. Sollten alle Möglichkeiten ausgereizt sein, könnte ein Wechsel höchstens psychologisch wertvoll sein. Schlafmediziner geben allerdings zu bedenken, dass eine Fortsetzung der Melatonin-Gabe bei initialer Wirkungslosigkeit meist nicht zielführend ist.

Melatonin bei Jetlag

Ist der Schlaf-Wach-Rhythmus aus dem Takt, zum Beispiel punktuell und vorübergehend bei Fernreisen oder gar regelmäßig durch Schichtarbeit, kann dies erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit haben. Bei Jetlag könnte Melatonin dabei helfen, unsere innere Uhr zu resynchronisieren, da es stabilisierende Effekte auf den Tag-Nacht-Rhythmus ausübt (s. Stahl V. Aus dem Takt – Wie Jetlag und Schichtarbeit unsere innere Uhr belasten. DAZ 2020, Nr. 52, S. 48) [7]. Insgesamt besteht aber hinsichtlich Evidenz, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Melatonin bei Störungen des Schlafrhythmus eine unbefriedigende Studiensituation. Damit Melatonin bei Jetlag hilft, können folgende Tipps berücksichtigt werden:

  • Bei Reisen gen Osten profitiert man vermutlich eher von der Melatonin-Einnahme als bei Flügen in westliche Richtung.
  • 0,5 bis 5 mg Melatonin, abends zur Ortszeit des Reiseziels einnehmen, beginnend am Ankunftstag.
  • Mit der Einnahme kann auch schon ein bis zwei Tage vor der Abreise gestartet werden (Einnahmezeitpunkt an der abendlichen Ortszeit des Reiseziels orientieren).
  • Einnahme für bis zu fünf Tage.
  • Lichtexposition am Urlaubsort: Reiseziel im ­Osten: nach dem Aufstehen das Tageslicht ­suchen; Reiseziel im Westen: abendliche Lichtexposition
  • Im Vorfeld der Reise können gegebenenfalls die Schlaf- und Essenszeiten an die lokale Zeit des Reiseziels adaptiert werden: Reiseziel im Osten: Schlafrhythmus nach vorne verschieben, das heißt ein bis zwei Stunden früher schlafen gehen und entsprechend früher als sonst aufstehen; Reiseziel im Westen: Schlafrhythmus nach hinten verschieben, das heißt ein bis zwei Stunden später ins Bett gehen und später aufstehen.
  • Zur Erhöhung der Vigilanz am Reiseziel: morgens etwas Coffein-Haltiges trinken.

Seit dem 13. Juni 2022 kann nun ein Melatonin-Präparat zur kurzzeitigen Behandlung des Jetlags bei Erwachsenen verordnet werden (Melatonin ­Vitabalans). Das verschreibungspflichtige Arzneimittel enthält 3 mg bzw. 5 mg Melatonin. Es findet sich nach einer Erweiterung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) in Anlage II, der Liste sogenannter Lifestyle-Arzneimittel. Allerdings ist es – wie andere Präparate, bei denen eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht – nicht verordnungsfähig zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Des Weiteren sind unzählige Melatonin-haltige Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt, die bei Jetlag eingesetzt werden können. |

Literatur

[1] Ohayon MM. Epidemiology of insomnia: what we know and what we still need to learn. Sleep Med Rev 2002;6(2):97-111, doi:10.1053/smrv.2002.0186

[2] Schlack R et al. Häufigkeit und Verteilung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölkerung. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2013;56:740-748

[3] Smarter schlafen! Informationen zum Aktionstag der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) e. V. am 21. Juni 2022, www.dgsm.de/fileadmin/aktionstag/2022/DGSM-Aktionstag_Erholsamer_Schlaf_2022_Pressemappe.pdf

[4] Riemann D et al. S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen Kapitel „Insomnie bei Erwachsenen“ (AWMF-Registernummer 063-003), Update 2016.

[5] Witt-Enderby PA et al. Melatonin receptors and their regulation: biochemical and structural mechanisms. Life Sciences 2003;72:2183-2198

[6] Lelak K et al. Pediatric Melatonin Ingestions – United States, 2012-2021. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2022;71(22):725-729

[7] Kunz D. Melatonin taktet die innere Uhr neu. Neurologie & Psychiatrie 2012;14(1):38-41

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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