Die Seite 3

Wichtiger Schulterschluss

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Flickschusterei und Mängelverwaltung – unter einem Traumjob stellt man sich eigentlich etwas anderes vor. Das gilt auch für Karl Lauterbach, der als Bundesgesundheitsminister aktuell das Amt bekleidet, dem er seit vielen Jahren entgegengefiebert hat. Doch bevor sich Lauterbach ein gesundheitspolitisches Denkmal setzen darf, muss er zunächst etwas tun, wozu sich auch viele seiner Vorgängerinnen und Vorgänger genötigt sahen: mal wieder Kosten sparen im Rahmen einer GKV-Finanzreform.

Von einem Defizit in Höhe von mindestens 17 Milliarden Euro im kommenden Jahr ist die Rede, durch den Ukrainekrieg könnte es sogar ein Minus von mehr als 20 Milliarden werden. Schönreden lässt sich die Schieflage im GKV-System keinesfalls. Also versucht es Lauterbach mit Augenwischerei. Allein das Unions-geführte Gesundheitsministerium zu Zeiten der Großen Koalition sei für die großzügige Ausgabenpolitik verantwortlich gewesen, erklärte er vor wenigen Wochen. Dabei verschweigt er, dass er als Gesundheitsexperte und Fraktionsvize jedes Gesetz seines Amtsvorgängers Jens Spahn mitverhandelte und sich nicht selten sogar selbst auf die Schulter klopfte, weil er seine SPD-Handschrift in der Gesundheitspolitik erkannte.

Auch beim Blick nach vorn nimmt es Karl Lauterbach offenbar nicht so genau. Versicherte müssten keine Leistungskürzungen erwarten, kündigt er an. Doch wie sollen Patientinnen und Patienten dieselben Leistungen in derselben Qualität und Regelmäßigkeit erhalten, wenn das System aus Sicht der Leistungserbringer immer mehr ausgehöhlt wird? Allein schon, dass es für Menschen schwieriger werden könnte, zukünftig an Arzttermine zu kommen, gleicht praktisch einer Leistungskürzung. Auch die Mehrbelastung der Apotheken durch den erhöhten Kassenabschlag wird dazu führen, dass Betriebe in wichtigen Versorgungslagen ihre Leistungsbereitschaft einschränken müssen und schlimmstenfalls ihre Türen für immer schließen. Das plumpe Schröpfen der Leistungserbringer an ihren offensichtlichsten Honorarstellschrauben muss ein Ende haben.

Die angespannte Situation wird in den nächsten Jahren nicht weniger dramatisch, weil den Krankenkassen entsprechende Rücklagen fehlen und sie das benötigte Geld dann bei ihren Versicherten über höhere Beiträge einsammeln. Es braucht also keinen „Corona-Minister“ mehr, sondern längst einen „GKV-Reform-Minister“, der die Finanzierung der GKV nachhaltig auf breitere Füße stellt. Als Berater und Talkshow-Gast redete Karl Lauterbach jahrzehntelang von einer Bürgerversicherung. Was davon ist tatsächlich umsetzbar? Auch an die „Effizienzreserven“ im System wollte er im Rahmen seiner Finanzreform heran. Doch, wo diese zu finden sind, dafür reichte seine Kreativität offenbar nicht aus. Nachhilfe geben ihm nun die Freie Apothekerschaft sowie die IG med, ein Zusammenschluss aus niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. In einem gemeinsamen Brief zeigen sie dem Minister das perverse Regress-Retax-System im Arzneimittelwesen auf und erklären, wie die Krankenkassen gleich in mehrfacher Weise davon finanziell profitieren (S. 9). Das ist ein erfrischendes Signal und wichtiger Schulterschluss, nachdem die vergangenen Wochen leider von der Stimmungsmache der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gegen die pharmazeutischen Dienstleistungen überschattet waren.

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