Arzneimittel und Therapie

Bewegung hat bei Osteoarthritis Priorität

Britische Leitlinie setzt primär auf nicht pharmakologische Therapiemaßnahmen

Patienten mit Osteoarthritis neigen dazu, sich zu schonen und ihre Schmerzen mit Analgetika zu bekämpfen. Das aber steht im direkten Gegensatz zu den Therapieempfehlungen des britischen NICE-Instituts (National Institute for Health and Care Excellence). In seinen aktuellen Leitlinien wird nicht pharmakologischen Maßnahmen Priorität eingeräumt, allen voran einer regelmäßigen, auf die individuelle Situation zugeschnittenen und von einem Therapeuten angeleiteten Bewegungstherapie [1].

Die Diagnose Osteoarthritis ist laut NICE zu stellen, wenn Personen über 45 Jahre über bewegungsabhängige Gelenkschmerzen klagen und eine Morgensteifigkeit nicht länger als 30 Minuten dauert. Eine routinemäßige Bildgebung ist in solchen Fällen nicht erforderlich, angezeigt ist sie nur bei atypischem klinischem Bild und der Notwendigkeit, die Diagnose zu überprüfen.

Von entscheidender Bedeutung für den Therapieerfolg ist es, die Patienten schon früh aktiv in das Management der Erkrankung einzubeziehen. Sie müssen über die Hintergründe der Erkrankung informiert werden, über deren Entstehung sowie ihre Entwicklung mit Exazerbationen und einer zu erwartenden Progression im Krankheitsverlauf. Die Patienten sollten ferner Hinweise dazu erhalten, wie sie sich mithilfe seriöser Quellen noch besser über die Erkrankung informieren können. Im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) sollten Arzt und Patient dann gemeinsam die möglichen Therapieoptionen besprechen und eine Therapieentscheidung treffen.

An erster Stelle geht es entsprechend der NICE-Leitlinie dabei um allgemeine Therapiemaßnahmen wie eine Bewegungstherapie sowie in aller Regel auch eine Gewichtsreduktion. Es wird explizit gefordert, allen Patienten mit Osteoarthritis eine spezifische Bewegungstherapie anzubieten und sie direkt auch hierzu zu motivieren.

Denn es gibt, so heißt es in der Leitlinie, Evidenz dafür, dass Patienten mit Osteoarthritis von regelmäßiger Bewegung mehr profitieren als von allen anderen Interventionen. Zudem sei das „Sicherheitsprofil“ deutlich besser als bei der Einnahme von Analgetika.

Foto: JackF/AdobeStock

Gelenkspezifische Übungen …

Angezeigt sind laut NICE gelenkspezifische Übungen. Sie dienen vor allem der lokalen Muskelkräftigung entsprechend den betroffenen Gelenken. Wichtig ist ferner eine Besserung der generellen aeroben Fitness. Bei den empfohlenen Maßnahmen sind allerdings unbedingt Vorlieben des Patienten hinsichtlich der gewählten Sportart zu berücksichtigen.

Die Patienten müssen zudem darüber aufgeklärt werden, dass es zu Beginn der Therapie zu vermehrten Schmerzen kommen kann. Es muss ihnen klar gemacht werden, dass die Bewegung für das schmerzende Gelenk keineswegs schädigend ist, sondern über einen längeren Zeitraum praktiziert die Schmerzen reduziert und die Funktionsfähigkeit sowie die allgemeine Lebensqualität wieder verbessert.

Da es erfahrungsgemäß schwierig sein kann, Therapieoptionen wie regelmäßige Bewegung konkret umzusetzen, sollten die Maßnahmen laut NICE unbedingt durch einen Therapeuten begleitet und überwacht werden. Das kann eine deutliche Besserung der sonst oft eingeschränkten Adhärenz bewirken. Eine gute Langzeit-Compliance aber erhöht den therapeutischen Erfolg.

Das Leitlinienkomitee betont zugleich, dass mehr Evidenz zum Nutzen der Bewegungstherapie wünschenswert wäre und klinische Studien sowie Untersuchungen zur Kosteneffektivität der Maßnahme vorgenommen werden sollten.

… plus Gewichtsreduktion

Es geht allerdings nicht nur um eine gezielte Bewegungstherapie, diese sollte vielmehr in ein strukturiertes Therapie-Paket eingebunden werden. Dazu gehört eine Gewichtsreduktion bei Patienten mit Übergewicht oder einer manifesten Adipositas, wobei eine Reduktion des Körpergewichts um mindestens 10% anzustreben ist.

Die Gewichtsreduktion wird als zweite Therapieempfehlung in der Leitlinie aufgelistet. Die Evidenz für den Nutzen der Maßnahme ist laut NICE streng genommen nur für die Kniearthrose gegeben, kann aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch auf andere Gelenke übertragen werden. Denn es wurde gezeigt, dass das Abnehmen die Entzündungsmarker reduziert. Hinzu kommt, dass die Patienten häufig Beschwerden in nur einem Gelenk angeben, dass von der Osteoarthrose aber bereits mehrere Gelenke betroffen sind. Auch um diese zu schonen und einer Progression entgegenzuwirken, ist eine Reduktion des Körpergewichts ein zentrales Therapieziel.

Akupunktur und Co.

Als nicht pharmakologische Therapiemaßnahme ist auch eine Manuelle Therapie in Betracht zu ziehen. Diese ist jedoch nur bei Patienten mit einer Hüft- oder Knie-Osteoarthritis indiziert. Gute Effekte sind zudem auch bei diesen Gelenken nur zu erwarten, wenn die Maßnahmen begleitend zu einer Bewegungstherapie erfolgen. Die Manuelle Therapie wird den vorliegenden Studien zufolge laut NICE im Allgemeinen nicht länger als drei Monate lang praktiziert, im Mittel werden die Patienten sieben Wochen lang entsprechend behandelt. Dies ist aus Sicht des Institutes sinnvoll, allerdings fordert die Leitlinienkommission wissenschaftlich fundierte Studien zum Nutzen der Manuellen Therapie bei Menschen mit einer Osteoarthritis.

Keine Empfehlung gibt das NICE für eine routinemäßige Behandlung mittels der Akupunktur bei der Osteo­arthritis, zum einen weil der Nutzen nicht belegt ist und zum anderen weil nicht auszuschließen ist, dass die Maßnahmen dem Patienten sogar schaden. Etwas günstiger wird die Elektroakupunktur bewertet, aber auch zu dieser Maßnahme fehlen aussagekräftige Studien.

Kritisch wird ferner die Elektrotherapie gesehen, auch dieses Verfahren sollte nicht routinemäßig bei der Osteo­arthritis zur Anwendung kommen. Denn auch bei der Elektrotherapie fehlt es bislang an fundierten Studien, die den Nutzen solcher Maßnahmen bei der Osteoarthritis belegen. Das gilt ebenso für die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) sowie die extrakorporale Stoßwellentherapie. Auch wenn es hinsichtlich des Einsatzes spezieller Hilfsmittel wie etwa Walking-Stöcken ebenfalls an Evidenz fehlt, können diese laut ­NICE doch für einige Patienten durchaus empfehlenswert sein.

Arzneimittel nur begleitend

Einen deutlich geringeren Stellenwert als die nicht pharmakologischen Maßnahmen hat entsprechend den britischen Leitlinien-Empfehlungen die medikamentöse Therapie der Osteoarthritis. Sie sollte stets nur begleitend zu den nicht pharmakologischen Maßnahmen erfolgen und zudem immer in der niedrigsten effektiven Dosierung und auch nur für einen begrenzten Zeitraum.

Deutsche Leitlinie setzt anderen Schwerpunkt

Einen deutlich anderen Schwerpunkt setzt die deutsche Leitlinie, wie etwa die Leitlinie zur Gonarthrose [2], deren Gültigkeit allerdings im November dieses Jahres abläuft. Nach allgemeinen Informationen zur Osteoarthrose und deren Diagnostik folgt in dieser Leitlinie zunächst ein Kapitel zur Indikation einer Totalendoprothese, gefolgt von einer detaillierten Darstellung der Möglichkeiten der medikamentösen Therapie.

Erst im Anschluss daran wird die konservative Therapie vorgestellt, beginnend mit der Orthopädie- und Orthopädieschuhtechnik, und nachfolgend werden dann – gegenüber den NICE-Leitlinien vergleichsweise kurz – die Möglichkeiten der Bewegungstherapie sowie der Physiotherapie dargestellt. |
 

Literatur

[1] Osteoarthritis: assessment and management 2022. NICE-Leitlinie, www.nice.org.uk/guidance/GID-NG10127/documents/draft-guideline

[2] Gonarthrose. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), AWMF-Register-Nr. 187-050, Stand: November 2017 (in Überarbeitung), gültig bis 29. November 2022

Medizinjournalistin Christine Vetter

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