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Arzneimittel und Therapie
Vitamin-D-Supplemente schützen nicht vor Knochenbrüchen
VITAL-Studie kann keinen Nutzen bei gesunden über 50-Jährigen zeigen
Vitamin D besitzt zweifellos eine zentrale Rolle im Knochenstoffwechsel, indem es die Aufnahme von Calcium und Phosphat im Darm und deren Einbau in den Knochen fördert. Darüber hinaus übernimmt Vitamin D wichtige Funktionen unter anderem im Muskelstoffwechsel, der Zelldifferenzierung und der Infektabwehr. Die Folgen eines längeren unbehandelten Vitamin-D-Mangels sind in der Konsequenz vielschichtig: Neben den typischen Knochenkrankheiten wie Rachitis, Osteomalazie und Osteoporose wird ebenso ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus, Krebs, Infektions- und Atemwegserkrankungen mit einem niedrigen Vitamin-D-Status assoziiert [4]. Mittlerweile besteht um Vitamin D ein gewisser Hype – nicht nur als das Knochenvitamin, sondern als Allrounder für eine ganzheitliche Gesundheit und Fitness.
Inwieweit die Vitamin-D-Supplementierung tatsächlich vor Krankheiten schützt, war anhand der inkonsistenten Studienlage nicht eindeutig feststellbar. Antworten auf die vielen ungeklärten Fragen rund um den Nutzen einer Vitamin-D-Supplementierung sollte die 2010 gestartete VITAL-Studie (VITamin D and OmegA-3 TriaL) geben [3]. In dieser doppelblinden, randomisiert-kontrollierten Interventionsstudie wurden 25.871 Teilnehmer, davon 13.085 Frauen (50,6%) über 55 Jahre und 12.786 Männer (49,4%) über 50 Jahre (Durchschnittsalter insgesamt 67,1 +/- 7,1 Jahre) aus ganz Nordamerika hinsichtlich eines Effekts von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitamin D3 (2000 IE/Tag) und/oder Omega-3-Fettsäuren (1 g/Tag) im Vergleich zu einem Placebo auf das Risiko von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen über einen Zeitraum von 5,3 Jahren untersucht.
Im Rahmen dieser Studie wurde zudem geprüft, ob die Vitamin-D-Supplementierung ebenfalls einen Einfluss auf das Risiko von Knochenbrüchen hätte. Primärer Endpunkt war die Anzahl aller Frakturen, Hüftfrakturen und nichtvertebralen Frakturen. Sie wurden jährlich mittels eines Fragebogens ermittelt. Des Weiteren wurde bei rund 65% der Teilnehmer die Baseline-Vitamin-D-Konzentration im Blut (25-Hydroxyvitamin D) zu Beginn der Studie gemessen, ein Follow up des Vitamin-D-Status erfolgte jedoch ausschließlich nach zwei Jahren und nur bei rund 10% der Probanden. Die Baseline-Vitamin-D-Spiegel lagen im Schnitt bei 30,7 ng/ml. 12,9% hatten unzureichende Vitamin-D-Spiegel unter 20 ng/ml, und nur 2,4% wiesen einen Mangel (< 12 ng/ml) auf. Die Ergebnisse wurden am 28. Juli 2022 im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.
Frakturrisiko nicht reduziert
Insgesamt wurden 1991 Frakturen bei 1551 Teilnehmern innerhalb eines Follow Ups von im Schnitt 5,3 Jahren registriert. Laut der Analyse mit inbegriffener Adjustierung nach Alter, Geschlecht und Ethnizität der Probanden verringert eine tägliche Vitamin-D3-Dosis von 2000 IE verglichen mit einem Placebo nicht das Risiko für Primärfrakturen bei gesunden Teilnehmern mittleren Alters. Weder für Hüftfrakturen (Hazard Ratio [HR]: 1,01) noch für nichtvertebrale Frakturen (HR: 0,97) oder für die Anzahl aller Frakturen (HR: 0,98) wurde eine signifikante Risikoreduktion durch die Vitamin-D-Supplementation gefunden.
In einer weiteren Untergruppenanalyse wurde zudem der Effekt von Vitamin D auf das Frakturrisiko in Abhängigkeit anderer Einflussvariablen wie BMI, Baseline-Vitamin-D-Blutspiegel sowie vorbestehender Fraktur untersucht, um zu prüfen, ob nicht etwa Übergewichtige, Menschen mit einem niedrigen Vitamin-D-Status oder Menschen, die bereits Frakturen erlitten haben, von einer Vitamin-D-Gabe profitieren könnten. Auch für diese Subgruppen konnte kein niedrigeres Frakturrisiko nach Vitamin-D-Supplementation gefunden werden.
Gesunde Erwachsene im Fokus
Die Autoren unterstreichen, dass die Studienteilnehmer nicht auf Basis eines bestehenden Vitamin-D-Mangels, einer diagnostizierten Osteoporose oder geringen Knochendichte rekrutiert wurden, der Anteil dieser Hochrisikopopulation für Knochenbrüche war demnach entsprechend gering.
„Placebokontrolliert“ mit Einschränkungen
Weiterhin ist anzumerken, dass es allen Teilnehmern, auch der Placebogruppe, aus ethischen Gründen erlaubt war, zusätzlich andere Vitamin-D-Supplemente bis zu einer Dosis von 800 IE/Tag einzunehmen, was 40% der zu untersuchenden Studiendosis (2000 IE/Tag) entsprach. 42,6% der Teilnehmer haben diese Möglichkeit wahrgenommen. Somit wurden die Kriterien eines „placebokontrollierten“ Studiendesigns nicht vollständig erfüllt.
Weitere Limitationen
Hinzu kommt, dass Vitamin D ausschließlich in einer festen Dosierung verabreicht wurde. Der Vitamin-D-Bedarf ist aufgrund verschiedenster Faktoren (Körperfettgehalt, Medikamenteneinnahme, Genetik) allerdings recht variabel [5]. Unter Umständen werden höhere Dosierungen für das Erreichen ausreichender Vitamin-D-Blutspiegel benötigt.
Da der Vitamin-D-Status jedoch nur bei einem sehr kleinen Teil der Teilnehmer und nicht bis zum Ende der Studie nachverfolgt wurde und sonst keine weiteren Angaben zur Sonnenexposition gemacht wurden, lässt sich der tatsächliche Vitamin-D-Status der Teilnehmer kaum einschätzen.
Die Take Home Message …
… der jüngst veröffentlichten VITAL-Studienergebnisse zu Vitamin D und Frakturen lautet, dass bei über 50-Jährigen mit ausreichendem Vitamin-D-Status die zusätzliche Einnahme von Vitamin-D-Supplementen das Risiko für Knochenbrüche nicht senkt. Einzig Vitamin D ohne jegliche Indikation einzunehmen, in der Hoffnung, Frakturen zu verhindern oder das Leben zu verlängern, würde keinen Vorteil bringen.
Das gilt allerdings nicht für Menschen mit einer diagnostizierten Vitamin-D-Unterversorgung (< 50 nmol/l; < 20 ng/ml) [6]. Davon ist immerhin ein Drittel der Deutschen betroffen, mit steigenden Prävalenzen in der älteren Generation und während der Wintermonate. In diesem Fall heißt es weiterhin: Vitamin D supplementieren! Der Schätzwert für eine angemessene tägliche Vitamin-D-Zufuhr bei fehlender endogener Synthese wird für Kinder ab einem Jahr und Erwachsene mit 800 IE angegeben (D-A-CH-Referenzwert) [7]. |
Literatur
[1] Bischoff-Ferrari HA. Relevance of vitamin D in fall prevention. Geriatr Psychol Neuropsychiatr Vieil 2017;15(1):E1-E7
[2] Bischoff-Ferrari HA et al. A pooled analysis of vitamin D dose requirements for fracture prevention. N Engl J Med 2012;367(1):40-49
[3] Meryl S et al. Supplemental Vitamin D and Incident Fractures in Midlife and Older Adults. N Engl J Med 2022;387:299-309
[4] Muscogiuri G, Altieri B, Annweiler C, Balercia G, Pal HB, Boucher BJ, Cannell JJ, Foresta C, Grübler MR, Kotsa K, Mascitelli L, März W, Orio F, Pilz S, Tirabassi G, Colao A. Vitamin D and chronic diseases. Arch Toxicol 2017;91(1):97-107, doi: 10.1007/s00204-016-1804-x
[5] Ekwaru JP, Zwicker JD, Holick MF, Giovannucci E, Veugelers PJ. The importance of body weight for the dose response relationship of oral vitamin D supplementation and serum 25-hydroxyvitamin D in healthy volunteers. PLoS One 2014;9:e111265
[6] Rabenberg M, Mensink GBM. Vitamin-D-Status in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2016;1(2):36-42, DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-036
[7] Linseisen JBA. Neue Daten zu Vitamin D. www.dge.de/fileadmin/public/doc/pm/2021/jsem/JSem-14-EB-VitD-Linseisen.pdfVitD-111220.pdf
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