Arzneimittel und Therapie

Neue Regeln für NSAR in der Schwangerschaft

Produktinformationen werden EU-weit angepasst

dm/du | Die Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika kann in der Schwangerschaft zu Problemen führen. Gefürchtet sind ein vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus beim ungeborenen Kind, aber auch ein durch eine Störung der fetalen Nierenfunktion ausgelöster erniedrigter Fruchtwasserspiegel, ein sogenanntes Oligohydramnion. Eine europaweite Aktualisierung der Produktinformationen sensibilisiert jetzt für die Problematik und gibt Überwachungsempfehlungen bei unvermeidbarem Einsatz [1].
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Behandlungsbedürftige Kopfschmerzen und Fieber in der Schwangerschaft sollten nach Möglichkeit mit Paracetamol behandelt werden. Ibuprofen und weitere NSAR erfordern bei längerer Einnahme ab der 20. Woche eine pränatale Überwachung.

So hat es wahrscheinlich jede Apothekerin und jeder Apotheker gelernt: „Ibuprofen gehört in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft neben Paracetamol zu den Analgetika/Antiphlogistika der Wahl.“ Ab der 28. Schwangerschaftswoche darf es nicht mehr eingenommen werden, weil NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika, auch NSAID) zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli beim Fetus und zu einer Schädigung der fetalen und neonatalen Nierenfunktion führen können [2].

FDA warnt schon länger

Die US-amerikanische Arzneimittel­behörde FDA empfiehlt schon seit Längerem, dass Schwangere Ibuprofen und andere NSAR bereits ab der 20. Schwangerschaftswoche meiden sollten. Denn fetale Nierenprobleme können schon ab diesem Zeitpunkt ein Oligohydramnion auslösen. Embryotox hatte zeitnah dieses Problem aufgegriffen und empfiehlt:

„Bei wiederholter Einnahme im letzten Schwangerschaftsdrittel (nach Schwangerschaftswoche 28) sollte der fetale Kreislauf sonographisch ­(Doppler-Sonographie) auf Veränderungen der Hämodynamik im Ductus arteriosus kontrolliert und ein Oligohydramnion ausgeschlossen werden. Diese Diagnostik wird auch dann empfohlen, wenn NSAID zwischen Schwangerschaftswoche 20 und 28 regelmäßig und mehrere Tage hintereinander oder sogar wochenlang angewendet wurden. Kurz vor dem Entbindungstermin am Ende des dritten Trimenon wird eine dopplersonographische Kontrolle des Ductus arteriosus bereits bei Einzel­dosen empfohlen.“

Harmonisierter Text für EU

Jetzt wird auch auf EU-Ebene reagiert. Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 9. August 2022 mitteilte, hat der Pharmakovigilanzausschuss der europäischen Arzneimittelbehörde EMA im Juli 2022 über entsprechende Änderungen der Produktinformationen von NSAR-haltigen Arzneimitteln beraten. Die „Co-ordination group for Mutual recognition and Decentralised procedures – human“ hat sich anschließend auf einen für Europa harmonisierten Text geeinigt. Das BfArM hat eine entsprechende Empfehlung für diesen Text gegeben [1]. Danach soll in den deutschen Fachinformationen unter „Zusammenfassung der Merkmale, Abschnitt 4.6“ auf das Oligohydramnion-Risiko hingewiesen werden. Dieses könne schon kurz nach der Behandlung auftreten und sei in der Regel nach Absetzen reversibel. Ebenso wurden Fälle einer Verengung des Ductus arteriosus nach Einnahme im zweiten Schwangerschaftsdrittel beobachtet, die nach Absetzen meist reversibel waren. Vor diesem Hintergrund sollten NSAR im ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittel nicht eingesetzt werden, es sei denn, dies ist unbedingt notwendig. Und dann gilt: so niedrig dosiert und so kurz wie möglich. Bei mehrtägiger Anwendung wird eine pränatale Überwachung angeraten. Bei Anzeichen eines Olgiohydramnions oder einer Verengung des Ductus arteriosus muss das NSAR sofort abgesetzt werden.

Gut zu wissen

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Ductus arteriosus Botalli
Der Ductus arteriosus Botalli ist ein Gefäß, das bei dem ungeborenen Kind die Aorta mit der Lungenschlagader verbindet. Er verschließt sich in der Regel kurz nach der Geburt. Ein vorzeitiger Verschluss führt zu einer pulmonalen Hypertonie.

Oligohydramnion
Unter einem Oligohydramnion versteht man einen Mangel an Fruchtwasservolumen. Er lässt sich sonografisch feststellen. Die Ursachen sind vielfältig. Neben einer uteroplazentaren Insuffizienz als Folge einer mütterlichen Erkrankung kommen auch Arzneimittel als Auslöser infrage, wie beispielsweise ACE-Hemmer und NSAR.

Kontraindiziert im 3. Trimenon

Im dritten Schwangerschaftstrimenon sind alle NSAR wegen mehrerer Risiken für Mutter und Kind kontraindiziert. Dazu zählt bezogen auf das Kind eine kardiopulmonale Toxizität (vorzeitige Verengung/vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus und pulmonale Hypertonie) und eine Nierenfunktionsstörung. Am Ende der Schwangerschaft erhöht die NSAR-Einnahme Risiken für die Mutter und das Neugeborene unter anderem durch eine mögliche Verlängerung der Blutungszeit durch einen thrombozytenaggregationshemmenden Effekt, der auch bei sehr geringen Dosen auftreten kann. Auch die Uteruskontraktionen können gehemmt werden, was zu verzögerten Wehen oder einem verlängerten Geburtsvorgang führen kann.

Neben den Fachinformationen müssen auch die Packungsbeilagen entsprechend angepasst werden [1].

Nicht für topische NSAR

Für Zulassungsinhaber von topischen NSAR-haltigen Arzneimitteln gelten die Textanpassungen noch nicht. Sie werden jedoch aufgefordert, dies in den kommenden PSURs (Periodische Sicherheitsberichte/Periodic safety update reports) zu diskutieren.

Nur noch Paracetamol?

Somit wird man im Falle von Schmerzen und Fieber in der Schwangerschaft verstärkt auf Paracetamol zurückgreifen. Bei Beachtung der Einschränkungen gehört Ibuprofen für Embryotox aber weiterhin in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft neben Paracetamol zu den Analgetika/Antiphlogistika der Wahl [2]. Wörtlich heißt es: „Wie jede andere Schmerzmedikation auch, sollte es nicht unkritisch und ohne ärztlichen Rat tagelang oder über mehrere Wochen eingenommen werden. Eine langfristige Therapie mit Ibuprofen oder anderen NSAID sollte nur nach ärztlicher Absprache und strenger Indikationsstellung erfolgen.“

Auch im Zusammenhang mit einer Paracetamol-Exposition am Ende der Schwangerschaft gibt es einige Fallberichte zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli beim Fetus. Doch eine prospektive Beobachtungsstudie mit 604 exponierten Schwangeren (im dritten Trimenon) soll dies nicht gezeigt haben, weshalb Embryotox das Risiko für gering erachtet.

Zweite Wahl ASS

Arzneimittel, die Acetylsalicylsäure (ASS) enthalten, sind von den Änderungen der Produktinformationen derzeit ausgenommen. Hier wird auf den Abschluss eines Änderungsverfahrens im Rahmen einer Variation Regulation durch den Originalhersteller gewartet. ASS ist laut Embryotox bis Woche 28 nur ein Analgetikum und Antipyretikum der zweiten Wahl. Eine „Low-dose“-ASS-Behandlung ist bei entsprechender Indika­tion in der ganzen Schwangerschaft möglich [2]. |
 

Literatur

[1] NSAID-haltige Arzneimittel zur systemischen Anwendung während der Schwangerschaft. Mitteilung des BfArM vom 9. August 2022.

[2] Arzneimittel in der Schwangerschaft. www.embryotox.de Abruf 9. August 2022

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