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Arzneimittel und Therapie
Paracetamol in der Schwangerschaft mit Folgen?
Betroffene Kinder sollen vermehrt unter Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen leiden
Immer wieder wird die Paracetamol-Einnahme in der Schwangerschaft mit späteren Entwicklungsstörungen und Erkrankungen der dem Analgetikum im Mutterleib ausgesetzten Kinder assoziiert. Zu nennen sind u. a. ein erhöhtes Asthma-Risiko, Sprachentwicklungs- und Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS, Hodenhochstand, ein erhöhtes Risiko für Hodenkrebs und Unfruchtbarkeit. Einen kausalen Zusammenhang konnten die Studien bislang nicht herstellen. Immer wieder war ihre Aussagekraft zudem limitiert, weil Störfaktoren und auch die Gründe für die Einnahme von Paracetamol nicht ausreichend erfasst und berücksichtigt wurden.
Für die neue, soeben publizierte Studie wurden 2423 Mutter-Kind-Paare untersucht. Die Mütter wurden in der 35. Schwangerschaftswoche zu ihrem Medikamentenkonsum und zu pränatalem Stress befragt. Eine weitere Datenerhebung fand zu dem Zeitpunkt statt, als die Kinder drei Jahre alt waren. Die Daten wurden mittels eines Telefoninterviews erhoben. Potenzielle Probleme der Kinder wie emotionale Reaktivität, körperliche Beschwerden, Aufmerksamkeitsprobleme, aggressives Verhalten und Schlafprobleme wurden anhand der Child Behaviour Checklist (CBCL) erfasst. Knapp 42% (n = 1011) der Mütter bestätigten eine Paracetamol-Einnahme in der Schwangerschaft.
Nach Anpassung der Ergebnisse unter Berücksichtigung von Störfaktoren wie pränatalem Stress konnte ein signifikant erhöhtes Risiko für Aufmerksamkeits- und Schlafprobleme bei den Kindern festgestellt werden, die pränatal mit Paracetamol in Berührung gekommen waren.
Wie sind diese Ergebnisse einzuordnen? Hierzu hat Dr. Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie der Universität Ulm gegenüber dem Science Media Center Stellung genommen. Grundsätzlich hält er die Verwendung der CBCL für wenig aussagekräftig, denn dieser Fragebogen könne lediglich Hinweise auf psychische Störungen wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) liefern, aber ADHS nicht definitiv feststellen. Diese Diagnose müsse klinisch gestellt werden.
Nicht auf Erfassung von Paracetamol-Folgen ausgelegt
Zum Hintergrund der Studien erläutert Paulus, dass die Daten der vorliegenden Studie aus der First Baby Study (FBS) stammen. Dabei handelt es sich um eine Längsschnitt-Kohortenstudie, für die Erstgebärende in Pennsylvania rekrutiert wurden. Das primäre Ziel der FBS sei gewesen, den Zusammenhang zwischen Entbindungsart und nachfolgender Geburt zu untersuchen. Das Studiendesign sei damit nicht für die Erfassung der Auswirkungen von Paracetamol auf die Nachkommen angelegt gewesen. Dementsprechend wurde erst in der Spätschwangerschaft um die 35. Schwangerschaftswoche im Rahmen eines Telefoninterviews nach der Einnahme von bis zu zehn Medikamenten in den vorausgegangenen Monaten gefragt. Nach Dosis und Einnahmedauer habe man nicht differenziert. Angesichts der unterschiedlichen Stadien der Sensibilität in der kindlichen Entwicklung wäre auch die Paracetamol-Einnahmephase während der Schwangerschaft von Bedeutung gewesen, so Paulus. Auch dazu würden Informationen fehlen.
Knapp über der Grenze zur Nichtsignifikanz
Betrachte man die Ergebnisse im Detail, blieben nach Adjustierung für pränatalen Stress und andere Störfaktoren nur Schlafprobleme (adjustierte Odds Ratio [aOR] = 1,23; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,01 bis 1,51) und Aufmerksamkeitsprobleme (aOR = 1,21; 95%-KI = 1,01 bis 1,45) übrig. Und hier würden die unteren Grenzen der Konfidenzintervalle mit 1,01 nur minimal über der Grenze zur Nichtsignifikanz liegen. Paulus wörtlich: „Damit besteht auch statistisch nur ein marginaler Zusammenhang. Eine kausale Verknüpfung zwischen Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und neurologischen Defiziten der Kinder ist damit keinesfalls nachgewiesen.“
Weiterhin sicheres Analgetikum in der Schwangerschaft
Für Paulus bleibt Paracetamol ein nach wie vor gut dokumentiertes, sicheres Analgetikum für den Einsatz in der Schwangerschaft. Alternativen würden keine entscheidenden Vorteile aufweisen. In diesem Zusammenhang verweist Paulus darauf, dass nichtsteroidale Antirheumatika wie Ibuprofen zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus und einer verminderten fetalen Nierendurchblutung führen können. Opioid-Analgetika seien mit postpartaler Sedierung und einem Opioid-Entzugssyndrom beim Neugeborenen verbunden.
Was tun?
Bis zum Vorliegen weiterer wissenschaftlicher Daten empfiehlt Paulus, Paracetamol in der Schwangerschaft so kurz und moderat dosiert wie möglich einzusetzen und keinesfalls zwangsläufig auf potentere Analgetika mit noch problematischerem Wirkprofil auszuweichen. Durch vermehrte Aufklärung müsse das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Paracetamol in der Schwangerschaft gestärkt werden. Die beobachteten Veränderungen in der Verhaltens- und Geschlechtsentwicklung seien in der Größenordnung zudem nicht vergleichbar mit Schädigungen durch bekannte Teratogene wie Contergan. |
Literatur
Sznajder KK et al.: Maternal use of acetaminophen during pregnancy and neurobehavioral problems in offspring at 3 years. Plos One. DOI: 10.1371/journal.pone.0272593.
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