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Aus den Ländern
Gemeinsam sind wir stärker!
Fortbildungsveranstaltungen von Ärzten und Apothekern ermöglichen Perspektivwechsel
Während man sich im Westen des Landes mit der Materie „Polypharmazie im Alter“ beschäftigte, drehte sich in Hamburg alles rund um das Thema Schmerz. Der Aufbau der Online-Fortbildungsveranstaltungen war dabei ganz ähnlich: Zunächst referierte eine Ärztin bzw. ein Arzt, dann eine Apothekerin, im Anschluss folgte eine Diskussionsrunde mit weiteren Vertretern aus der Ärzte- und Apothekerschaft sowie Chat- und Wort-Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Innovative Polypharmaziesprechstunde
Oberärztin Dr. Thea Laurentius sprach in ihrem Vortrag mit dem Titel „Polypharmazie – Was gibt es Neues?“ über wichtige Aspekte ihrer täglichen Arbeit in der Klinik für Altersmedizin an der RWTH Aachen. Besonders interessant waren ihre Ausführungen zur kürzlich etablierten Polypharmaziesprechstunde der Universitätsklinik. Hier könnten Patienten vorstellig werden, die über 70 Jahre alt sind und fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen. Meist dann, wenn niedergelassene Ärzte Unterstützung bei der komplexen Medikation ihrer geriatrischen Patienten wünschen würden.
In wöchentlichen interdisziplinären Fallkonferenzen wird die erfasste Medikation gemeinsam mit Mitarbeitenden des Instituts für Klinische Pharmakologie und der Krankenhausapotheke besprochen, inklusive Ausarbeitung von Empfehlungen für die behandelnden niedergelassenen Kollegen. Derzeit kann so pro Woche die Medikation von 30 ambulanten Patienten überprüft und mit Optimierungsvorschlägen versehen werden. Wünschenswert wäre auch eine telemedizinische Betreuung, zum Beispiel für die besonders von Polypharmazie betroffenen Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Als sehr hilfreich wertete Dr. Laurentius die seit vielen Jahren in Aachen praktizierte Zusammenarbeit mit Stationsapothekern: „Es ist ein sehr angenehmes Arbeiten. Man lernt im stationären Alltag, zum Beispiel bei Kurvenvisiten, viel voneinander und kann sich gegenseitig im Medikationsprozess unterstützen. Wer aber am meisten von dieser Zusammenarbeit profitiert, ist der Patient.“
Unangemessene Multimedikation verschlanken
Anschließend widmete sich Dr. Verena Stahl unter dem Motto „Weniger ist mehr – Deprescribing bei geriatrischen Patienten“ gezielt der Fragestellung, wie man inadäquate Verordnungen systematisch reduzieren kann. Die Apothekerin zeigte in ihrem Vortrag, dass insbesondere bei geriatrischen Patienten mit vielen Komorbiditäten und multiplen Verordnern leicht der Überblick über das Gesamtkonzept verloren ginge und mit Risiken verbunden sei. Zudem können sich Behandlungsziele mit der Zeit verändern, zum Beispiel aufgrund einer begrenzten Lebenserwartung, oder Arzneimittel müssten an veränderte Organfunktionen angepasst werden. „Es ist daher immens wichtig, die medikamentöse Therapie hinsichtlich Indikation, Nutzen und Risiken regelmäßig zu überprüfen, gerade bei multimorbiden Patienten“, so das Zwischenfazit der Referentin. Sie zog dann Parallelen zu dem ungeliebten, aber lohnenswerten Prozess des Aufräumens eines Kleiderschrankes: „Hier müssen auch die Pullover zu den Hosen passen und von Zeit zu Zeit sollte überlegt werden, ob die Leggings, die vor zehn Jahren noch okay war, weiterhin im Kleiderschrank bleiben soll.“ Dr. Verena Stahl ging abschließend auf mögliche Hindernisse aus ärztlicher Sicht ein und stellte Deprescribing-Informationsquellen und evidenzbasierte Algorithmen für das Absetzen bestimmter Wirkstoffklassen vor.
„Die Arztzeit wird immer knapper!“
In der danach folgenden Diskussionsrunde wurde deutlich, dass Medikationsanalysen aus Sicht der ärztlichen Diskutanten Dr. Dirk Mecking und Dr. Helmut Gudat zwar einen hohen Stellenwert haben, aber praktisch nicht im Arbeitsalltag der Mediziner zu integrieren sind. „Unsere medizinischen Fachangestellten müssen hier schon viel Vorarbeit leisten, damit alle Informationen irgendwie zusammengetragen werden, denn die Arztzeit wird immer knapper, gerade in Brennpunktpraxen“, war eine ernüchternde Aussage in diesem Zusammenhang. In Bezug auf das Thema Deprescribing erinnerte Dr. Mecking die Teilnehmenden daran, dass es zu den vornehmsten Aufgaben des Hausarztes gehöre, etwas abzusetzen. „Ansetzen kann jeder!“, mahnte er. Beide Diskutanten waren sich einig, dass Hinweise von Apothekern zur Medikation hilfreich und willkommen seien, Dr. Mecking bat aber darum, „nicht jede Mini-Nebenwirkung zu melden, das stört die Abläufe erheblich“. Gerade bei den Kommunikationswegen gäbe es noch Optimierungspotenziale, weshalb er und einige Anwesende sich für den Ausbau digitaler Plattformen aussprachen, um eine effektive, asynchrone Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker zu ermöglichen. „Wir brauchen bessere technische Voraussetzungen, die Antwort kann hier nicht Fax heißen“, so der erfahrene Mediziner und ehemalige Vorsitzende des Hausärzteverbands Nordrhein e. V.
„Starten Sie im Kleinen!“
Diskussionsteilnehmerin Dr. Isabel Waltering, PharmD, motivierte die Teilnehmenden, sich stärker miteinander zu vernetzen. „Ich bin davon überzeugt, dass man vorhandene Potenziale nur gemeinsam heben kann“, lautete der Appell der Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, geriatrische Pharmazie und Infektiologie. Sie empfahl den Ärzten, die vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen unter den Apothekern einfach mitzunehmen. Dr. Isabell Waltering schlug vor, im Kleinen, vor Ort, anzufangen und Wege zu finden, wie man sich austauschen und gegenseitig unterstützen könnte. Passend dazu bekräftigte ein Teilnehmer über den Chat: „Ich arbeite hervorragend mit ,meinem‘ Apotheker zusammen.“ Dem konnte die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie nur zustimmen: „Apotheker sind durch ihr Studium dazu prädestiniert, Arzneimittel und ihre Neben- und Wechselwirkungen zu bewerten. Wir können das und wir können Sie mit Medikationsanalysen und pharmazeutischen Dienstleitungen entlasten!“ Hilfreich wären an dieser Stelle aktuelle Medikationspläne. Etwaige Sorgen, dass Apotheker sich zu sehr einmischen würden, seien unbegründet. Man würde den Patienten unterstützen, die verordnete Medikation korrekt und sicher anzuwenden – die Therapiehoheit bleibe beim Arzt.
Köpfe zusammenstecken
Die interdisziplinäre Hamburger Fortbildungsveranstaltung zum Thema Schmerz wurde durch einen engagierten Vortrag des Facharztes für Innere Medizin, Dr. Rüdiger Thiesemann, MSc, eröffnet. Der Schmerzexperte lieferte detaillierte Einblicke in seine hausärztliche Tätigkeit und erläuterte, weshalb er vor allem von multimodalen Konzepten in der Therapie chronischer Schmerzen überzeugt sei. Zudem messe er dem ausführlichen Gespräch mit dem Patienten zur Schmerzanamnese große Bedeutung bei, um Schmerzen und ihre vielfältigen, auch psychosozialen Ursachen, richtig (und nicht zwangsläufig mit Schmerzmitteln) adressieren zu können. Dr. Rüdiger Thiesemann legte auch großen Wert auf die Themen Patienteninformation und -edukation, sowie einer Verpflichtung zum Eigentraining, wodurch sich Behandlungserfolge optimieren ließen. Er hob im weiteren Vortragsverlauf die offene, angenehme und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Apothekern lobend hervor, bezeichnete seine zeitlichen Möglichkeiten zur Kommunikation aber als eingeschränkt. „Wenn Kommunikationswege abgesprochen sind, funktioniert das hervorragend“, so der Mediziner. Sein Fazit zum Thema Interprofessionalität fiel klar aus: „Lassen Sie uns die Köpfe zusammenstecken, denn gemeinsam sind wir stärker!“
Aufeinander zugehen
Auch Sabine Haul, Apothekerin mit der Bereichsbezeichnung Geriatrische Pharmazie und AMTS-Managerin, konnte von einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern berichten. Sie ist in einer Hamburger Apotheke und bei der auf interprofessionellem Medikationsmanagement spezialisierten Viandar GmbH tätig und führt seit mehr als zehn Jahren regelmäßig Medikationsanalysen durch. Ihr war es wichtig, die Perspektive der Apotheker bei einer Medikationsanalyse vorzustellen, da vermutlich nicht allen Teilnehmenden der Fortbildungsveranstaltung klar sei, mit welchen Problemen man mitunter konfrontiert sei und zeigte hierzu viele anschauliche Praxisbeispiele. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass Ärzte sehr dankbar über relevante Hinweise und eine Aufbereitung der Medikation seien. Die Sorge mancher Ärzte, Apotheker könnten die Patienten verunsichern, sei zwar nachvollziehbar, aber das Gegenteil sei der Fall: „Häufig können wir den Patienten noch einmal in laiengerechter Sprache erklären, was sie in der Arztpraxis gehört, aber nicht verstanden oder behalten haben.“ Die Apothekerin betonte: „Wir können die Patienten im Sinne des Arztes beraten und schulen. Nur bei wirklich wichtigen Dingen setzen wir den Arzt sofort in Kenntnis, während für bestimmte Sachen gar kein direkter Kontakt, sondern nur eine schriftliche Information nötig ist.“ Sie ermunterte die anwesenden Apotheker, vor dem Anbieten von Medikationsanalysen Ärztezirkel aufzusuchen und die neue Dienstleistung erst einmal bekannt zu machen. Man müsse sich vernetzen, aufeinander zugehen und auch einen langen Atem haben. Dem konnte Apothekerin Stefanie Eckard, zweite Vizepräsidentin der Apothekerkammer Hamburg und Co-Moderatorin der Veranstaltung, nur beipflichten. An die Ärzte gewandt sagte sie: „Sprechen Sie doch Ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker an und nutzen Sie deren Expertise!“. Prof. Dr. Christian Haasen, Co-Moderator aufseiten der Ärztekammer, fasste treffend zusammen: „Wir haben heute gehört, wie gut die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern sein könnte.“ |
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