Arzneimittel und Therapie

Für wen welches Schilddrüsenhormon?

Deutsche Schilddrüsenexperten präferieren Levothyroxin

dab | Mit welchen Schilddrüsenhormonen behandeln Endokrinologen in Europa eine Hypothyreose? Wann werden Kombinationen ein­gesetzt? Das sind Fragen, denen die Initiative THESIS (Treatment of Hypothyroidism in Europe) nachgegangen ist. Hierzulande wird bevor­zugt Levothyroxin für diese Indikation verordnet. Kann darüber hinaus der Einsatz von Schilddrüsenhormonen auch bei euthyreoten Patienten gerechtfertigt werden? Die DAZ hat den Hamburger Endokrinologen und Interpharm-Referenten Prof. Dr. Onno Janßen gebeten, sich die Ergebnisse der THESIS-Umfrage näher anzuschauen und aus seiner klinischen Erfahrung zu berichten.

Die THESIS-Initiative untersucht den Einsatz von Schilddrüsenhormonen bei Hypothyreose in mehreren europäischen Ländern, darunter u. a. Spanien, Frankreich, Polen und Schweden. In diesem Zusammenhang waren auch hierzulande alle Mitglieder der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) auf­gefordert, an einer Umfrage teilzunehmen. Von 206 Mitgliedern beteiligten sich 163 (79,1%).

140 der 163 teilnehmenden Mediziner machten eine Angabe zu ihrer präferierten First-Line-Therapie bei Hypothyreose, und davon nannten 98,6% (n = 138) Levothyroxin (T4). Von allen Befragten gaben 45,4% (74 von 163) an, auch eine Kombinationstherapie aus Levo­thyroxin und Triiodthyronin (T3) zu verordnen, wenn auch nicht als erste Wahl. 8 von 163 (4,9%) gaben an, auch getrocknete tierische Schilddrüsenextrakte in ihrer klinischen Praxis einzusetzen, und 38 von 163 (23,3%) verordnen auch Triiodthyronin in Monotherapie in ausgewählten Fällen.

Die Mehrheit der Schilddrüsenexperten (94 von 140, 67,1%) erachtet einen Wechsel zu einer Kombinationstherapie aus Levothyroxin und Triiodthyronin als angemessen bei Patienten, die mit Levothyroxin zwar biochemisch im euthyreoten Bereich liegen, aber weiterhin Symptome einer Hypothyreose aufweisen. 34 von 140 Umfrageteilnehmern (24,3%) schließen eine Kombinationstherapie aufgrund geringer Evidenzbasis aus.

In der Umfrage wurde ebenfalls untersucht, ob die Experten Schilddrüsenhormone in bestimmten Fällen auch bei euthyreoten Patienten einsetzen. Etwas mehr als ein Viertel der Medi­ziner (26,4%, 37 von 140) lehnt eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen bei euthyreoten Patienten grundsätzlich ab. Dagegen erwägen 62,9% (88 von 140) eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen bei infertilen Frauen mit hohen Spiegeln an Schilddrüsen-Antikörpern und 57,1% (80 von 140) auch bei einer wachsenden Struma. Für 6,4% (9 von 140) der teilnehmenden Ärzte kommen Schilddrüsenhormone auch bei behandlungsresistenten Depressionen infrage, für 12,9% (18 von 140) auch bei Fatigue ohne erkennbare Ursache, für 5,0% (7 von 140) bei bestehender Adipositas trotz Lebensstiländerungen und für 7,1% (10 von 140) auch bei schwerer Hypercholesterinämie.

Wir haben den Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabe­tologie Prof. Dr. Onno Janßen vom Endokrinologikum Hamburg zu seiner Einschätzung der Umfrageergebnisse befragt.

DAZ: Die absolute Mehrheit der befragten europäischen Schilddrüsenexperten (> 98%) setzt Levothyroxin für die Therapie einer Hypothyreose ein. Knapp die Hälfte (45%) verordnet auch Kombinationen mit Triiodthyronin. Wie setzen Sie die beiden Schilddrüsenhormone in Ihrer klinischen Praxis ein?

Janßen: Gemäß den aktuellen Empfehlungen und Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und der European Thyroid Association (ETA) setzte ich als Primärtherapie grundsätzlich nur Levothyroxin ein, mit Dosisanpassungen alle zwei bis sechs Monate und jährlichen Kontrollen bei stabilem Verlauf. Wenn unter einer solchen Substitution nach mindestens sechs bis zwölf Monaten kein Wohlbefinden erreicht wird und mögliche andere Ursachen eines Therapieversagens ausgeschlossen werden können (mangelnde Compliance, andere Grunderkrankungen, Interferenz durch andere Medikamente usw.) und/oder besondere Therapiebedürfnisse bestehen (z. B. Schichtdienst oder Wunsch nach inter­mittierend vermindertem oder vermehrtem Substitutionsbedarf), modi­fiziere ich eine bestehende T4-Substitution, indem ich einmal am Tag eine zusätzliche T3-Substitution (üblicherweise einmal täglich 10 µg, gelegentlich auch zweimal täglich 10 µg) verschreibe und die T4-Substitution entsprechend reduziere. Eine solche freie T3-T4-Kombi wende ich bei etwa 10% der von mir behandelten Patienten an, durchaus mit dem Hinweis, dass die T3-Gabe genutzt werden kann, um in den folgenden sechs bis acht Stunden etwas mehr Wirkung zu haben (morgendliche Gabe für vormittags, mittägliche Gabe für nachmittags, abendliche Gabe für nächtliche Schichtarbeit). Die T3-Substitution kann bei Bedarf auch tageweise ersatzlos pausiert werden. Die in Deutschland erhältlichen T3-Präparate müssen dafür geteilt werden, da es keine Präparate mit 10 µg Liothyronin gibt, sondern nur mit 20 µg. Prinzipiell ist auch die Verwendung von T3-T4-Kombinations­präparaten mit 15 µg oder 20 µg T3 möglich, die dazu auch geteilt werden müssen und dann eine etwas kompliziertere Anpassung bzw. Ergänzung des gewünschten T4-Anteils erfordern. In Ausnahmefällen (< 2%) verordne ich Präparate aus getrockneten Schilddrüsen (desiccated thyroid extract = DTE, üblicherweise vom Schwein, alternativ vom Schaf). Diese Präparate enthalten mit einem Anteil von T3 :T4 von 1 : 4 relativ mehr T3 als die menschliche Schilddrüse synthetisiert (1 : 10-15) und auch mehr als synthetische T3-T4-Präparate (zwei Varianten: 1 : 5 und 1 : 10). Mit diesen „natürlichen“ T3-T4-Präparaten erfolgt also automatisch eine T3-betonte Therapie. Eine Monotherapie nur mit T3 befürworte ich nicht.

Foto: privat

Eine klinische Euthyreose beziehungsweise Wohlbefinden ist nicht mit einem TSH im Referenzbereich gleichzusetzen, so wie jeder eine individuelle Schuhgröße hat und nicht der „Referenzbereich“ von Schuhgröße 38 bis 45 passt.

Prof. Dr. Onno Janßen, Hamburg

DAZ: Wie behandeln Sie Patienten, die nach Einnahme von Levothyroxin zwar eine biochemische Euthyreose aufweisen, aber weiterhin Symptome einer Hypothyreose zeigen?

Janßen: Mit „biochemischer Euthyreose“ ist gemeint, dass die Laborwerte des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) und freien Thyroxins (FT4) sowie des freien Triiodthyronins (FT3) im Referenzbereich liegen. Üb­licherweise wird vor allem der TSH-Wert zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion herangezogen, obwohl wir wissen, dass TSH zirkadian (morgens höher als abends) und saisonal (im Winter höher als im Sommer) schwankt, pulsatil ausgeschüttet wird (~ ± 1 mU/l) und vom verwendeten Assay abhängig ist (ebenfalls ~ ± 1 mU/l). Der Referenzbereich besagt außerdem nur, dass 95% aller Gesunden in diesem Bereich liegen, so dass 5% aller Gesunden definitionsgemäß außerhalb (!) des Referenzbereichs liegen. Eine klinische Euthyreose beziehungsweise Wohlbefinden ist also nicht mit einem TSH im Referenzbereich gleichzusetzen, so wie jeder eine individuelle Schuhgröße hat und nicht der „Referenzbereich“ von Schuhgröße 38 bis 45 passt. Bei einer T4-Substitution mit persistierenden Symptomen einer Hypothyreose kann daher auch, wenn TSH im Referenzbereich liegt, durchaus eine Dosiserhöhung um 12 bis 25 µg T4 pro Tag oder im Verlauf in begründeten Fällen auch eine Kombination mit z. B. 10 µg T3 pro Tag versucht werden. Dabei ist auf die kurze Halbwertszeit von T3 beziehungsweise einer Wirkung für nur sechs bis acht Stunden zu achten. Außerdem soll ein niedriges und auf jeden Fall ein supprimiertes TSH vermieden werden, da dies ein Risiko für Osteoporose und Herzrhythmusstörungen darstellt.

DAZ: Teilweise werden trotz Euthyreose Schilddrüsenhormone eingesetzt, beispielsweise bei infertilen Frauen mit Kinderwunsch. Halten Sie dies für sinnvoll und, wenn ja, bei welchen Patienten?

Janßen: Bei Kinderwunsch/Schwangerschaft/Stillzeit soll der TSH-Wert zur Verbesserung des Schwangerschaftsverlaufs und der Kindesent­wicklung unter 2,5 mU/l liegen, ein niedriges oder sogar supprimiertes TSH ist hier unproblematisch, FT4 (und ggf. FT3) soll im (mittig bis hoch-normalen) Referenzbereich liegen. Sollte eine Frau mit Kinderwunsch also einen TSH-Wert im oberen Referenzbereich haben, kann dies eine Indikation zur T4-Substitu­tion (CAVE: niemals T3-Substitution) sein, damit im Verlauf ein zu hohes TSH und/oder eine Hypothyreose verhindert wird [3, 4, 5].

Eine weitere Indikation zur T4-Substitution (in Kombination mit Iodid) kann die Therapie einer Struma/Struma nodosa sein [6] – auch hier muss ein niedriges oder supprimiertes TSH wegen des Risikos einer Osteoporose oder Herzrhythmusstörungen verhindert werden, sodass ich dies aufgrund des eher geringen Nutzens (nur 20% der Patienten haben eine 20-prozentige Reduktion des Knotenvolumens) nur eingeschränkt anwende. Der Nutzen einer T4-Substitution ist bei Adipositas, Hypercholesterinämie, Depression oder Fatigue nicht in randomisierten, placebokontrollierten Studien nachgewiesen, und bei allen diesen Erkrankungen (außer der Fatigue) stehen erprobte und wirk­same Therapien zur Verfügung, sodass eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen höchstens als Einzelfall­entscheidung infrage kommt.

DAZ: Herr Professor Janßen, herzlichen Dank für das Gespräch! |

Literatur

[1] Vardarli I et al. A Questionnaire Survey of German Thyroidologists on the Use of Thyroid Hormones in Hypothyroid and Euthyroid Patients: The THESIS Collaborative. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2022;130:577–586

[2] Schatz H. Schilddrüsenbehandlung nur mit Thyroxin (T4) oder kombiniert mit Trijodthyronin (T3)? Kurznachricht der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, 1. Oktober 2022

[3] Lazarus J et al. 2014 European thyroid association guidelines for the management of subclinical hypothyroidism in pregnancy and in children. Eur Thyroid J 2014;3:76–94

[4] Alexander EK et al. 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and the Postpartum. Thyroid 2017;27:315-389

[5] Feldkamp J et al. The Choosing Wisely Initiative of the German Society of Internal Medicine : Recommendations of the German Society for Endocrinology and the German Society for Geriatrics. Internist 2016;57:532–539

[6] Grussendorf M et al. Reduction of thyroid nodule volume by levothyroxine and iodine alone and in combination: a randomized, placebo-controlled trial. J Clin Endocrinol Metab 2011; 96(9):2786-95

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