Arzneimittel und Therapie

Mutter und Kind profitieren von retardiertem Nifedipin

Bei Präeklampsie auch Gabe unmittelbar vor Geburt

Ein Therapiestart mit retardiertem Antihypertonikum unmittelbar vor der Geburt? Das ist zunächst nicht naheliegend. Bei schwerer Prä­eklampsie scheint aber genau das sinnvoll, wie jetzt in einer Studie gezeigt wurde: Langwirksames Nifedipin verhinderte nicht nur akute Blutdruck­krisen, sondern senkte die Kaiserschnitt-Rate ebenso wie den Bedarf an intensivmedizinischer Betreuung der Neugeborenen.

Rund 5 bis 8% der Schwangeren erleiden eine Präeklampsie. Schwere Verläufe gefährden Mutter und Kind und fordern weltweit jährlich über 70.000 Todesfälle. Sobald die 34. Schwangerschaftswoche vollendet ist, empfehlen Ärzte bei Präeklampsie mit schweren Symptomen daher üblicherweise die Geburt als einzige kausale Therapie. Oft bedingt die frühe Schwangerschaftswoche eine verlängerte Latenzphase, sodass der Blutdruck in der Zeit zwischen Geburtseinleitung und Geburt ebenfalls gut gemanagt werden muss.

Intrapartal kommt Nifedipin bisher nur als orale, schnellwirksame Form bei akuten Blutdruckkrisen zum Einsatz. Forscher haben nun untersucht, ob Schwangere bei der Geburtseinleitung noch von einem Therapiestart mit retardiertem Nifedipin profitieren. Hierfür erhielten 102 Betroffene mit Präeklampsie und schwerwiegenden Charakteristika in der tripel-blinden randomisierten Studie entweder alle 24 Stunden 30 mg retardiertes Nifedipin oder ein Placebo. Patientinnen mit bestehender Nifedipin-Medikation wurden von der Studie ausgeschlossen. Durchschnittlich vergingen 16,6 Stunden (Verum) bzw. 20,2 Stunden (Placebo) zwischen Verabreichung der Studienmedikation und Geburt, wobei 30,2% der Patientinnen mindestens zweimal Nifedipin im Abstand von 24 Stunden erhielten.

Foto: nataliaderiabina/AdobeStock

Weniger Akut-Therapien

Tatsächlich benötigten in der Nifedipin-Gruppe nur 34,0% gegenüber 55,1% unter Placebo eine akute antihypertensive Therapie (relatives Risiko [RR] = 0,62; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 0,39 bis -0,97). Dies war auch der primäre Endpunkt der Studie. In der Studie griffen Ärzte ein, wenn der Blutdruck mindestens zehn Minuten ≥ 160/110 mmHg betrug. Die Therapie erfolgte entweder intravenös mit Hydralazin oder Labetalol oder oral mit schnellwirksamem Nifedipin. Da als Komplikation schlimmstenfalls ein maternaler Schlaganfall oder Plazentaablösung droht, ist eine prompte Behandlung solcher Blutdruckkrisen nötig. Eine zu drastische Blutdrucksenkung birgt hingegen die Gefahr einer fetal-plazentaren Unterversorgung [2]. Rund 10% der Schwangeren entwickeln als ­Nebenwirkung eine symptomatische Hypotonie, was mitunter eine Notfall-Sectio nötig macht.

Weniger Sectios, keine gehäufte Hypotension

Bei hypotensiven Episoden gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Aber Schwangere der Nifedipin-Gruppe benötigten mit 20,8% gegenüber 34,7% der Placebogruppe seltener einen Kaiserschnitt, der Unterschied war aber statistisch nicht signifikant. Neugeborene der Nifedipin-Gruppe mussten seltener intensivmedizinisch betreut werden. Dies war allerdings ebenfalls nicht signifikant und könnte an der niedrigeren Sectiorate liegen.

Zusammenfassend scheint retardiertes Nifedipin also auch als Last-Minute-Therapie sicher und wirksam. Die Autoren mutmaßen, dass der verbesserte mütterliche Blutdruck allgemein die maternale und fetale Hämodynamik stabilisiert. Die Forscher überprüfen nun in einer weiteren Untersuchung, ob die zweifach tägliche Anwendung der einmal täglichen über­legen ist.

Die Ergebnisse unterstreichen die Tendenz hin zu einer aktiveren antihypertensiven Therapie in der Schwangerschaft. Erst kürzlich wurden die Ergebnisse einer randomisierten Studie mit rund 2400 Frauen zu chronischer Hypertonie in der Schwangerschaft veröffentlicht. Sowohl Mutter als auch Baby profitierten dabei von einer Senkung des Zielblutdrucks auf < 140/90 mmHg statt < 160/105 mmHg [3]. In Deutschland gilt in der Schwangerschaft das orale Antihypertensivum Alpha-Me­thyldopa als Mittel der Wahl, gefolgt von retardiertem Nidefipin ­sowie in bestimmten Fällen Meto­prolol. |

Literatur

[1] Cleary EM et al. Trial of intrapartum extended-release nifedipine to prevent severe hypertension among pregnant individuals with preeclampsia with severe features. Hypertension 2022;79, doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.122.19751

[2] Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie. S2k-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Stand März 2019, AWMF-Registernummer: 015/018

[3] Tita AT et al. Treatment for mild chronic hypertension during pregnancy. N Engl J Med 2022;386:1781–1792. doi: 10.1056/NEJMoa2201295

Apothekerin Anna Carolin Antropov

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1 Kommentar

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von Heike Kojic am 14.11.2022 um 8:45 Uhr

Und woher nehmen, wenn nicht stehlen....wir bekommen seit Wochen nur unretardiertes Nifedipin!

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