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Arzneimittel und Therapie

Wenn Metformin nicht reicht

Neue Erkenntnisse zum Einsatz zusätzlicher Antidiabetika

Typ-2-Diabetes, die häufigste Form des Diabetes mellitus, ist eine der großen Volkskrankheiten, nicht nur in Deutschland. Typische Komplikationen dieser auch als Altersdiabetes bezeichneten Erkrankung sind mikrovaskuläre Komplikationen wie Retinopathien, Nephropathien und Neuropathien sowie ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Ursachen dieser Form des Diabetes sind eine verminderte Insulin-Wirkung (Insulin-Resistenz) und relativer Insulin-Mangel, die unter anderem mit dem Alter, dem Lebensstil und den Ernährungsgewohnheiten zusammenhängen. Führt eine Änderung des Lifestyles nicht zum gewünschten Behandlungserfolg, wird zumeist Metformin gegeben. Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis wird ein zweites Blutglucose-senkendes Arzneimittel verschrieben. In der GRADE-Studie in den USA wurde die Wirkung von vier kardio­protektiven Arzneimitteln in Kombination mit Metformin bei Typ-2-Diabetes untersucht. | Von Daniela Leopoldt

Grundlage der Behandlung des Diabetes Typ 2 ist immer eine nicht-medikamentöse Basistherapie einschließlich Sport und angepasster Ernährung. Erst nach Ausschöpfung dieser Lebensstil-Intervention besteht laut Nationaler Versorgungsleitlinie, wie auch Europäischer Leitlinien zum Management von Typ-2-Diabetes, die Indikation für eine medikamentöse Therapie. Dabei sollen von Arzt und Patient gemeinsam festgelegte, patientenindividuelle, realistische Therapieziele berücksichtigt und die nicht-medikamentöse Therapie fortgesetzt werden. Diabetespatienten weisen häufig Komorbiditäten auf und im Gegensatz zu früheren Therapie­ansätzen wird heutzutage ein multifaktorieller Ansatz empfohlen, der nicht nur auf die Behandlung der Dysglykämie alleine ausgerichtet ist. Insbesondere auch kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Dyslipid­ämie und Hyperkoagulabilität werden berücksichtigt. Die Therapieziele beziehen sich deshalb nicht alleine auf eine Reduktion der Risiken metabolischer Komplikationen, sondern schließen die Risikoreduktion vaskulärer Komplikationen ein. Umfangreiche Forschungsprogramme der vergangenen Jahre resultierten in der Entwicklung mehrerer neuartiger blutzuckersenkender Arzneimittelklassen. Abhängig vom kardiovaskulären Risiko stehen den Patienten heute diverse Arzneimittel für eine Mono- oder Kombinationstherapie zur Verfügung. Für Patienten mit relevanten kardiovaskulären Erkrankungen und jene mit hohem kardio­vaskulärem Risiko ist nach aktuellem Standard eine Kombinationstherapie aus Metformin und einem Präparat der kardio­protektiven, Blutglucose-senkenden Arzneimittelklassen der Natrium-Glucose-Kotransporter-2(SGLT2)-Inhibitoren oder der Glucagon-like Peptid-1(GLP-1)-Rezeptoragonisten geeignet. Patienten mit geringem kardiovaskulärem Risiko dagegen erhalten zunächst eine Metformin-Mono­therapie. Wird das individuelle Therapieziel nach drei bis sechs Monaten damit nicht erreicht, sollen Barrieren zur Umsetzung der Therapieziele erkannt, analysiert und idealerweise beseitigt werden und es kann zusätzlich ein zweites blutzucker­senkendes Mittel verordnet werden. Aber welches der zur Auswahl stehenden Arzneimittel ist im konkreten Fall ge­eignet? Die Entscheidung für das richtige Präparat stellt für behandelnde Ärzte in der täglichen Praxis eine Herausforderung dar. Hier soll die von 2013 bis 2021 in den USA durchgeführte GRADE-Studie, deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden, eine Entscheidungshilfe darstellen.

GRADE-Studie vergleicht Effektivität blutzuckersenkender Arzneimittel

Im Rahmen der GRADE-Studie wurde die Effektivität von vier verschiedenen Blutglucose-senkenden Arzneimitteln in Kombination mit Metformin (200 mg pro Tag) an Patienten mit frühem Typ-2-Diabetes in Bezug auf die Blutzucker­senkung und die Verhinderung von kardiovaskulären Ereignissen verglichen. Die Studienteilnehmer wiesen eingangs keine etablierten kardiovaskulären Erkrankungen auf. Die untersuchten Arzneimittel waren Insulin glargin U100, der Sulfonylharnstoff Glimepirid, der GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid und der Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Inhibitor Sitagliptin. SGLT2-Inhibitoren waren in die Studie nicht eingeschlossen, da diese zum Zeitpunkt der Planung und des Beginns der Studie im Jahr 2013 noch nicht von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zugelassen waren. Daneben waren auch die als Insulin-Sensitizer wirkenden Thiazolidindione (Glitazone), wie z. B. Pioglitazon, das in Deutschland nur noch in seltenen Ausnahmefällen verordnungsfähig ist, nicht in die Studie eingeschlossen. Grund dafür waren Sicherheitsbedenken zum Zeitpunkt der Studien­planung.

Einschlusskriterien für die Probanden

Die Diagnosestellung „Diabetes mellitus Typ 2“ lag bei den in die Studie eingeschlossenen Patienten weniger als zehn Jahre zurück. Der Langzeit-Blutzuckerwert HbA1c (glykiertes Hämoglobin), der bei Gesunden etwa 30 mmol pro mol bzw. 5% des Hämoglobins beträgt, lag trotz vorhergehender Metformin-Monotherapie (mindestens 500 mg täglich für mindestens sechs Monate) zwischen 6,8 bis 8,5% (51 bis 69 mmol pro mol). Insgesamt wurden 5047 Studienteil­nehmer an 36 Studienzentren in eine von vier Behandlungsgruppen randomisiert – eine Glargin-Gruppe (n = 1263), eine Glimepirid-Gruppe (n = 1254), eine Liraglutid-Gruppe (n = 1262) und eine Sitagliptin-Gruppe (n = 1268).

Primärer metabolischer Endpunkt war ein HbA1c-Wert von 7% oder höher, der bei der nächsten vierteljährlich statt­findenden Kontrolluntersuchung bestätigt wurde. Sekundärer metabolischer Endpunkt war ein bestätigter HbA1c-Wert > 7,5%, bei dem in der Regel das Risiko für das Auftreten typischer mikrovaskulärer Komplikationen ansteigt, wie z. B. Retinopathien, Polyneuropathien und Nephropathien. Weitere in die Vergleichsanalyse einbezogene Endpunkte waren z. B. die Häufigkeit behandlungsbedürftiger Hypoglykämien, unerwünschte Ereignisse (schwerwiegende und zuvor festgelegte Ereignisse, wie z. B. Pankreatitis, Pankreaskrebs und andere Krebsarten), mikrovaskuläre Komplikationen und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Risikofaktoren dafür. Die mittlere Follow-up-Zeit betrug fünf Jahre, wobei 85,8% der Teilnehmer für mindestens vier Jahre nachbeobachtet wurden.

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Metformin ist ein orales Antidiabetikum, das zur Gruppe der Biguanid-Derivate gehört. Der Wirkmechanismus ist nicht vollständig geklärt. Metformin soll die Resorption von Glucose im Dünndarm hemmen, Insulin-Resistenz vermindern und die Gluconeogenese inhibieren. Der Blutglucose-Spiegel wird dadurch erniedrigt.

Liraglutid und Glargin senken Blutzucker signifikant besser als Glimepirid und Sitagliptin

Alle vier Arzneimittel hatten einen positiven Effekt auf den Blutzuckerspiegel, auch wenn der HbA1c-Zielwert von unter 7% bei der Mehrzahl der Patienten nicht erreicht bzw. aufrechterhalten werden konnte. Die mittleren HbA1c-Werte wurden im Laufe der Studie in allen vier Behandlungsgruppen gesenkt und waren am Ende der Studie etwa 0,3 Prozentpunkte niedriger als zu Beginn. Damit sind alle vier Arzneimittel für Patienten mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko für eine Kombinationstherapie mit Metformin geeignet. Dennoch zeigten sich Unterschiede in Bezug auf Effektivität und Nebenwirkungen der untersuchten Arzneimittel. Innerhalb der mittleren Nachbeobachtungszeit von fünf Jahren entwickelten 71% der gesamten Studienkohorte ein primäres metabolisches Endpunktereignis, die kumulative Inzidenz unterschied sich jedoch signifikant zwischen den vier Gruppen.

Am häufigsten trat ein primäres metabolisches Endpunktereignis in der Sitagliptin-Gruppe (77%) auf, gefolgt von der Glimepirid-Gruppe (72%), der Liraglutid-Gruppe (68%) und der Glargin-Gruppe (67%). Die Raten für Glargin (26,5 pro 100 Patientenjahre) und Liraglutid (26,1) waren ähnlich und deutlich niedriger als die für Glimepirid (30,4) und Sitagliptin (38,1). Die paarweise Vergleichsanalyse zwischen den Gruppen ergab ein signifikant niedrigeres Risiko für ein primäres Endpunktereignis mit Glargin als mit Sitagliptin (Hazard Ratio [HR] = 0,71, entsprechend 29% Risikoreduk­tion) und mit Glimepirid (HR = 0,89, entsprechend 11% Risikoreduktion). Der Unterschied zwischen Glargin und Liraglutid war nicht signifikant. Beide waren über die Zeit signifikant effektiver im Erreichen und Erhalten des HbA1c-Zielwerts < 7%, der mit diesen Arzneimitteln etwa ein halbes Jahr länger aufrechterhalten wurde als mit Sitagliptin. Letzteres war von den vier getesteten Präparaten am wenigsten effektiv in Bezug auf die Erhaltung des HbA1c-Zielwerts. Innerhalb des ersten Jahres der Studie hatten bereits 55% der Teilnehmer der Sitagliptin-Gruppe ein primäres metabolisches Endpunktereignis, während es in den anderen drei Gruppen nur 40% der Studienteilnehmer waren. In der Glargin-Gruppe erreichten die mittleren glykierten Hämo­globinspiegel ihren Tiefpunkt nach sechs Monaten, in den anderen Gruppen dagegen nach drei Monaten, um in den darauffolgenden Monaten und Jahren in allen Gruppen kontinuierlich anzusteigen. Nach vier Jahren waren die Unterschiede zwischen den Gruppen gering (7,1% mit Glargin und Liraglutid versus 7,2% mit Sitagliptin und 7,3% mit Glimepirid).

Zunehmendes Risiko mit höheren HbA1c-Werten

Bei einer Stratifizierung der Studienteilnehmer nach ihren initialen HbA1c-Werten (6,8 bis 7,2%, 7,3 bis 7,7%, 7,8 bis 8,5%) zeigte sich, dass selbst in der Gruppe mit niedrigen initialen HbA1c-Werten (6,8 bis 7,2%), der HbA1c-Zielwert von weniger als 7% bei 60% der Teilnehmer nicht erreicht bzw. nicht aufrechterhalten werden konnte. Das Risiko für ein primäres Endpunktereignis stieg mit höheren HbA1c-Basiswerten an. Dabei war Sitagliptin in den Patienten-Subgruppen mit höheren initialen HbA1c-Werten (7,3 bis 7,7% und 7,8 bis 8,5%) zunehmend weniger effektiv als die anderen drei getesteten Arzneimittel. Die im Vergleich zu Sitagliptin beobachtete Risikoreduktion durch Glargin, Liraglutid und Glimepirid stieg in den Subgruppen mit höheren Basis-HbA1c-Werten an. Das Auftreten sekundärer und tertiärer Endpunktereignisse folgte dem gleichen Muster der primären Endpunktereignisse, das heißt niedrigere Raten in den Glargin- und Liraglutid-Gruppen, mittlere Raten in der Glime­pirid-Gruppe und höchste Raten in der Sitagliptin-Gruppe. Bei der Erhaltung von HbA1c-Werten ≤ 7,5% war Glargin am effektivsten. Nur 39% der Patienten hatten in dieser Gruppe ein sekundäres metabolisches Endpunktereignis, im Vergleich zu 46% mit Liraglutid, 50% mit Glimepirid und 55% mit Sitagliptin.

Mehr unerwünschte Ereignisse unter Glimepirid oder Glargin

Alle vier Arzneimittel wiesen ein akzeptables Sicherheitsprofil auf, was bei FDA-zugelassenen Arzneimitteln zu erwarten war. Das Auftreten unerwünschter Ereignisse war jedoch in den Glimepirid- und Glargin-Gruppen (38% bzw. 37% der Teilnehmer) signifikant höher als in der Liraglutid-Gruppe (34%). Schwere Hypoglykämien traten im Allgemeinen selten auf, waren jedoch unter Glimepirid mit 2,2% am häufigsten, gefolgt von Glargin (1,3%), Liraglutid (1,0%) und schließlich Sitagliptin (0,7%). Bezüglich weiterer untersuchter Endpunkte einschließlich Pankreatitis und Pankreas­karzinom, gab es keine substanziellen Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen. Unter Liraglutid traten erwartungsgemäß häufiger gastrointestinale Symptome wie z. B. Übelkeit, Erbrechen, Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall auf als mit den anderen drei Behandlungen. Der durchschnittliche Gewichtsverlust war in der Liraglutid-Gruppe (3,5 kg) und in der Sitagliptin-Gruppe (2 kg) am stärksten ausgeprägt. Patienten in den Glimepirid- und Glargin-Gruppen hatten dagegen mit einem mittleren Verlust von 0,73 kg und 0,61 kg ein relativ stabiles Gewicht.

Kaum Unterschiede bei mikro- und kardiovaskulären Komplikationen

Zu den vorab festgelegten sekundären Endpunkten hinsichtlich mikrovaskulärer und kardiovaskulärer Erkrankungen gehörten unter anderem Bluthochdruck und Dyslipidämie, Albuminurie, diabetische periphere Neuropathien, kardiovaskuläre Ereignisse und Tod. Die Studienergebnisse zeigten keine wesentlichen Unterschiede zwischen den vier Behandlungsgruppen in Bezug auf die Entstehung von Bluthochdruck oder Dyslipidämie oder bezüglich mikrovaskulärer Komplikationen. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass die Studie „underpowered“ war, um Unterschiede in Bezug auf eine Albuminurie zu detektieren und Retinopathien wurden nicht bewertet. Damit sind die Aussagen in Bezug auf mikrovaskuläre Komplikationen insgesamt unsicher und kritisch zu bewerten. Die Inzidenzen von schweren unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen, Krankenhauseinweisungen aufgrund von Herzversagen und Tod waren generell niedrig und unterscheiden sich nur geringfügig zwischen den vier Behandlungsgruppen. Der Vergleich der Wirkung einer jeden Behandlung mit den anderen drei Behandlungsgruppen in Bezug auf das allgemeine kardiovaskuläre Risiko ergab jedoch für Liraglutid eine relative Risikoreduktion um 29% (HR = 0,71, 95%-Konfidenzintervall = 0,56 bis 0,90) und keine signifikanten Effekte für die anderen drei Behandlungen.

Fazit

Die Studienergebnisse der GRADE-Studie belegen die blutzuckersenkende Wirkung aller vier untersuchten Arzneimittel in Kombination mit Metformin. Auch ältere und preisgünstige generische Arzneimittel haben damit nach wie vor eine Berechtigung bei der Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes im Frühstadium und geringem kardiovaskulären Risiko. Die Daten zeigen aber auch die Schwierig­keiten, mit den momentan üblicherweise eingesetzten Arzneimitteln die empfohlenen HbA1c-Werte zu erreichen bzw. zu erhalten und unterstreichen den Bedarf an neuen effektiveren Behandlungsmöglichkeiten. Limitiert ist die Aussagekraft der Studie allerdings durch fehlende Daten zu SGLT2-Inhibitoren und Thiazolidindionen. |

 

Literatur

[1] The GRADE Study Research Group. Glycemia reduction in type 2 diabetes – glycemic outcomes. N Engl J Med 2022;387:1063-1074

[2] Ryden L, Standl E. After Metformin – Next Steps for type 2 diabetes with low cardiovascular risk. N Engl J Med 2022, 387:1136-1138

[3] The GRADE Study Group. Glycemia reduction in type 2 diabetes – microvascular and cardiovascular outcomes. N Engl J Med 2022;387:1075-1088

[4] Nationale Verorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes – Teilpublikation der Langfassung. 2. Auflage, Version 1.2021, www.leitlinien.de/themen/diabetes/2-auflage

[5] Schleicher E et al. Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus: Update 2021. Diabetologie 2021;16(Suppl 2):110-118

[6] Cosentino F et al. 2019 ESC guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases developed in collaboration with the EASD. Eur Heart J 2020;41:255-323

[7] GRADE Study Group. A Comparative Effectiveness Study of Major Glycemia-lowering Medications for Treatment of Type 2 Diabetes (GRADE). https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01794143

Autorin

Dr. Daniela Leopoldt ist Apothekerin und Pharmakologin. Nach ihrer Promotion an der FU Berlin war sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den USA und anschließend in der öffentlichen Apotheke sowie der pharmazeutischen Industrie tätig. Seit 2017 schreibt sie als freie Medizinjournalistin unter anderem Beiträge für die DAZ.

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