COVID-19

Boostern – monovalent, bivalent oder gar nicht?

Ein Kommentar

Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Robert Fürst vom Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Vor wenigen Tagen wurden von Biontech/Pfizer weitere klinische Daten zu dem an Omikron BA.4/BA.5 angepassten Auffrischimpfstoff vorgelegt: Mittlerweile stehen die Werte der Studienteilnehmer einen Monat nach Verabreichung des bivalenten bzw. ursprünglichen monovalenten Impfstoffes zur Verfügung. Die Hersteller melden einen deutlich höheren Anstieg der BA.4/BA.5-neutralisierenden Antikörpertiter im Vergleich zu den Werten vor der Auffrischimpfung, so dass ein Boost also tatsächlich etwas bringt. Zudem hatten die über 55-jährigen Probanden, die mit der bivalenten Vakzine geimpft wurden, einen etwa vierfach höheren Titer an BA.4/BA.5-neutralisierenden Antikörpern als die Vergleichsgruppe, die „nur“ den monovalenten Impfstoff erhalten hatte.

Zwei Studien, die Ende Oktober auf der Preprint-Plattform bioRxiv veröffentlicht wurden, kommen jedoch zu dem Schluss, dass der Unterschied in der Immunantwort zwischen der Impfung mit monovalentem oder bivalentem Impfstoff eher nicht vorhanden ist. Alle drei Aussagen basieren darauf, dass Serum von Probanden in Hinblick auf neutralisierende Antikörper und – bei einer bioRxiv-Studie – T-Zell-Antworten untersucht wurde. Wem sollen wir jetzt „glauben“? Vielleicht ist es besser zu fragen, wem wollen wir glauben?

Für alle drei Studien gilt: Die Zahl der Probanden ist nicht gerade berauschend – immerhin waren es bei Biontech pro Gruppe fast 40 Teilnehmer und das auch in unterschiedlichen Alterskohorten (18 bis 55 Jahre bzw. über 55 Jahre), während die anderen beiden mit 15 bis 20 Teilnehmern gearbeitet haben, die in der einen kleineren Studie zwischen 33 und 64 Jahre und in der anderen zwischen 23 und 71 Jahre alt waren. Ob man da immer so einfach die „Mittelwerte“ der Immunantworten hernehmen sollte und kann, könnte man durchaus hinterfragen. Zudem war die immunologische Basis der Probanden hinsichtlich durchgemachter Infektion und erhaltenen Impfungen sehr unterschiedlich. Auch spielt hier wahrscheinlich das Problem des „immune imprinting“, also die immunologische Prägung, eine nicht unwesentliche Rolle, weshalb letztlich alle drei Studien recht haben. Mit immuno­logischer Prägung bezeichnet man das Phänomen, dass durch die erste Immunisierung mit einer Spikeprotein-Variante bestimmte B-Gedächtniszellen angelegt werden, die bei weiteren Impfungen mit neuartigen Spikeproteinen bevorzugt aktiviert werden und die Entwicklung neuer Antikörper mit anderer Spezifität verhindern. Aus diesem Grund könnte die gemessene Menge BA.4/BA.5-neutralisierender Antikörper bei den Probanden so stark schwanken und auch teilweise so enttäuschend sein.

Was erwarten wir als Geimpfte eigentlich?

Angetreten sind alle COVID-19-Impfstoffe zum Schutz vor schwerer Erkrankung – und das funktioniert auch nach wie vor sehr gut. Sicher wird es immer wieder vereinzelt vorkommen, dass Geimpfte wegen COVID-19 auf der Intensivstation landen. Aber das sind bei Weitem nicht mehr die Fallzahlen, die wir zu Beginn der Pandemie gesehen haben.

Dass keiner der intramuskulär verabreichten Impfstoffe zu einer guten Schleimhautimmunität führt und dadurch vor einer Infektion schützt, war ziemlich früh klar. Wir können uns also auch als Geimpfte und sogar als recht frisch Geimpfte anstecken. Das war und ist vielleicht der enttäuschende Faktor an der Geschichte.

Wie gut sich die Viren nach so einer Infektion in unserem Körper vermehren können, ist inter-indi­viduell sehr verschieden und sicherlich auch von der „immunologischen Tagesform“ jedes Einzelnen abhängig. Natürlich gibt die Zahl der vorhandenen neu­tralisierenden Antikörper einen gewissen Anhaltspunkt für den möglichen Schutz, aber sie ist eben auch keine Garantie dafür, dass wir sicher nicht krank werden. Wie könnte man dem „immune imprinting“ entgegenwirken? Das Phänomen wurde bereits bei Grippe-Impfstoffen beobachtet. Eine Idee wäre, das stark veränderte Epitop in einen neutralen Protein-Rahmen ein­zubauen, also beispielsweise die Rezeptor­binde­domäne von SARS-CoV-2 in das Spike-Protein eines älteren, endemischen humanen Corona­virus. Wir werden also wahrscheinlich noch mehr derartig inkonsistente Publikationen sehen und sollten uns dadurch nicht zu sehr verunsichern lassen.

Literatur

Pfizer und Biontech veröffentlichen weitere klinische Daten zu an Omikron BA.4/BA.5 angepassten Auffrischungsimpfstoff mit deutlich stärkeren Immunantworten in Erwachsenen im Vergleich zum ursprünglichen COVID-19-Impfstoff. Biontech-Pressemitteilung, https://investors.biontech.de

Wang Q et al. Antibody responses to Omicron BA.1 4/BA.5 bivalent mRNA vaccine booster shot. bioRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2022.10.22.513349

Collier AY et al. Immunogenicity of the BA.5 Bivalent mRNA Vaccine Boosters. bioRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2022.10.24.513619

Wheatley AK et al. Immune imprinting and SARS-CoV-2 vaccine design. Trends Immunol 2021;42:956-959

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