Arzneimittel und Therapie

Was gibt es Neues zu Paxlovid?

Rebound-Phänomen und Schutz vor Long-COVID in der Diskussion

Kaum ein anderes COVID-19-Therapeutikum war wohl dieses Jahr mehr in den Schlagzeilen als die Kombination aus Nirmatrelvir und Ritonavir – Paxlovid®. So wurde kürzlich zunehmend darüber berichtet, dass es nach Beendigung einer COVID-19-Behandlung mit diesem antiviralen Arzneimittel zu einem erneuten Aufflackern der Symptome, einem Rebound, kommen kann. Und Ergebnisse einer Preprint-Studie deuten darauf hin, dass Paxlovid vor Long-COVID schützen könnte. Was ist dran an diesen Vermutungen?

Zunächst zu der Frage, ob Paxlovid® zu einem Rebound der COVID-19-Erkrankung führt. Die Hintergründe für ein Wiederauftreten der Symptome nach erfolgreicher fünftägiger Pax­lovid®-Behandlung sind unklar, die Ätiologie scheint multifaktoriell zu sein. Im Rahmen einer Kohortenstudie wurde nun untersucht, wie häufig es generell zum Symptomrückfall bei unbehandelten COVID-19–Patienten kommt. Hierzu wurden Daten aus der Phase-II/III-Studie ACTIV-2/A5401 herangezogen, in der verschiedene Wirkstoffe gegen Placebo an nicht hospitalisierten COVID-19-Patienten getestet wurden.

Insgesamt konnten 158 Patienten der Placebogruppe in die Auswertung eingeschlossen werden. Das mediane Alter der Teilnehmer lag bei 47 Jahren. 66 Probanden (42%) hatten ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, am häufigsten vertreten waren dabei die Risikofaktoren Hypertonie und Adipositas. Die Patienten sollten während eines 28-tägigen Follow-up ihre Symptome täglich in einem Fragebogen notieren. Dabei wurde nach 13 möglichen COVID-19–Symptomen einschließlich des Schweregrades gefragt. Ein Rückfall der Symptome wurde definiert als ein Wiederauftreten der Beschwerden nach zwei aufeinanderfolgenden ­Tagen der Symptomfreiheit.

Foto: eqroy/AdobeStock

Rebound bei 30% der unbe­handelten COVID-19-Patienten

Während des Beobachtungszeitraums kam es bei 108 (68%) Teilnehmern zu einem Abklingen der Beschwerden. Doch nicht bei allen war dies von langer Dauer – so berichteten 48 Patienten (30% der insgesamt 158 Probanden) nach mindestens zweitägiger Symptomfreiheit über ein erneutes Auftreten der Erkrankung. In über 85% dieser Fälle wurden die Symptome als mild eingestuft – lediglich 15% berichteten über moderate Beschwerden, und bei keinem Teilnehmer waren sie schwer ausgeprägt. Die am häufigsten beschriebenen Symptome während des Rückfalls waren Husten (n = 21), Müdigkeit (n = 17) und Kopfschmerzen (n = 17). Dabei war das ­Beschwerdebild ähnlich wie zu Beginn der ­Erkrankung, mit der Ausnahme, dass Schmerzen während des Rückfalls weniger häufig auftraten.

Kein direkter Vergleich mit ­Paxlovid

In der Studie konnte gezeigt werden, dass der natürliche Verlauf von COVID-19 bei unbehandelten Patienten variabel ist und wellenförmig verlaufen kann. Daher vermuten die Wissenschaftler, dass es sich bei dem mutmaßlichen Paxlovid-Rebound nicht um einen echten Rückfall der Infektion nach Therapieende handelt, sondern eher um einen natürlichen wellenförmigen Verlauf der Erkrankung. Diese Vermutung wird durch die Erkenntnisse, dass auch bei Unbehandelten Rückfälle auftraten, untermauert. Limitiert sind die Ergebnisse dennoch. So wurden im Studienverlauf keine erneuten Tests auf SARS-CoV-2 durchgeführt, weshalb unklar bleibt, ob es bei manchen Patienten nicht doch zu einem virologischen Rezidiv kam. Außerdem wurde kein direkter Vergleich von Unbehandelten und Patienten mit Nirmatrelvir-Therapie durchgeführt. Letztlich konnte in der Studie aber festgestellt werden, dass das Wiederauftreten der Symptome kein Hinweis auf ein Fortschreiten der Erkrankung bzw. der Entwicklung eines schweren Verlaufs ist.

Einfluss auf Long-COVID

Eine zweite Fragestellung, die sich zurzeit stellt, ist: Könnte Paxlovid® möglicherweise ein Kandidat zur Vermeidung von Long-COVID sein, nachdem es bereits das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf reduziert? Bisher ist unklar, wie es zur Entwicklung von Long-COVID kommt. Auch bei leichten Krankheitsverläufen können Langzeitbeschwerden auftreten. Aktuell stehen keine Medikamente zur Prävention oder Behandlung zur Verfügung.

US-amerikanische Forscher untersuchten Nirmatrelvir in diesem Zusammenhang in einer Kohortenstudie, deren Ergebnisse zurzeit nur als Preprint vorliegen. Hierzu wurden die ­Gesundheitsdatenbanken des US Department of Veterans Affairs herangezogen, um Personen zu identifizieren, die zwischen März und Juni 2022 positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Eingeschlossen wurden diejenigen, die am Tag des positiven Testergebnisses nicht in ein Krankenhaus eingewiesen wurden und mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf hatten. Es wurden zwei Gruppen miteinander verglichen. In der Verumgruppe erhielten 9217 Patienten innerhalb von fünf Tagen nach dem positiven Testergebnis eine Behandlung mit Nirmatrelvir. 47.123 Probanden dienten als Kontroll­gruppe, die während der akuten Infektionsphase weder eine antivirale COVID-19-Therapie noch eine Antikörper­behandlung erhielten.

Zur Abschätzung der Wirkung von Nirmatrelvir auf mögliche Langzeit­folgen diente ein vordefiniertes Panel von zwölf bekannten postakuten ­COVID-Folgen, die mindestens 90 Tage nach dem positiven Test in das System eingetragen wurden.

Fortlaufend aktualisiertes Cochrane-Review

Ein Team deutscher Cochrane-Autoren untersucht kontinuierlich den aktuellen Wissensstand zu Paxlovid®. Bisher (Stichtag 1. Juli 2022) konnten sie acht laufende Studien identifizieren und eine abgeschlossene randomisierte kontrollierte Studie auswerten. In ­dieser Studie wurden 2246 COVID-19-Patienten entweder mit Nirmatrelvir / Ritonavir oder Placebo behandelt. Alle Studienteilnehmer hatten seit höchstens fünf Tagen Symptome, ­waren ungeimpft, zuvor nicht an COVID-19 erkrankt und hatten ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf. Die Cochrane-Autoren schlussfolgern, dass bei dieser speziellen Hochrisikogruppe Paxlovid® „möglicherweise“ Todesfälle reduzieren, den Zustand der Patienten verbessern (keine Hospitalisation oder Tod innerhalb von 28 Tagen) sowie schwerwiegende unerwünschte Ereignisse vermindern kann. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz stuft das Cochrane-Team als „niedrig bis moderat“ ein. Grund hierfür sei, dass „insgesamt nur wenige Todesfälle und Krankenhauseinweisungen vor­kamen und dass die Art und Weise der Ergebnisanalyse zu systematischen Fehlern geführt haben könnte“ [3, 4].

Weniger Long-COVID-Fälle

Im Vergleich zur Kontrollgruppe konnte gezeigt werden, dass die Einnahme von Nirmatrelvir mit einem um 26% reduzierten Risiko für postakute COVID-19-Folgen assoziiert war (Hazard Ratio [HR] = 0,74, 95%-Konfidenzintervall [KI] = 0,69 bis 0,81). Die Zahl der Erkrankungen nach 90 Tagen lag in der Kontrollgruppe bei 9,43 versus 7,11 unter Paxlovid® pro 100 Personen, was einer absoluten Risiko­reduktion (ARR) um 2,32 Fälle pro 100 Patienten (95%-KI = 1,73 bis 2,91) entspricht.

Des Weiteren zeigte sich in der Auswertung, dass die Einnahme von ­Nirmatrelvir das Risiko für zehn von zwölf vordefinierten postakuten ­COVID-19-Folgen reduziert. So traten weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gerinnungs- und hämatologische Störungen, Müdigkeit, Leber- und ­akute Nierenerkrankungen, Muskelschmerzen, neurokognitive Einschränkungen und Kurzatmigkeit auf. Hinsichtlich Husten und des Neuauftretens von Diabetes konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen der Nirmatrelvir- und der Placebogruppe gefunden werden.

Patienten hatten unter Nirmatrelvir ein geringeres Risiko für einen postakuten Tod (HR = 0,52, 95%-KI = 0,35 bis 0,77) und für einen postakuten Krankenhausaufenthalt (HR 0,70, 95%-KI = 0,61 bis 0,80). Dabei waren die Vorteile einer Nirmatrelvir-Therapie unabhängig vom Impfstatus und der Infektionsvorgeschichte.

Vorsicht Preprint-Studie!

Zur Beurteilung der Ergebnisse müssen mehrere Limitationen beachtet werden. Zum einen handelt es sich um eine Preprint-Studie, was bedeutet, dass ein Begutachtungsverfahren noch aussteht. Zum anderen bestand die Studienpopulation hauptsächlich aus weißen und männlichen Probanden, was die Aussagekraft auf die Allgemeinbevölkerung erschwert. Weiter weisen die Studienautoren selbst darauf hin, dass es möglich ist, dass Probanden der Kontrollgruppe Nirmatrelvir erhalten haben, ohne dass es in der Datenbank vermerkt wurde. Das könnte die Aussagekraft der Studie stark einschränken. Insgesamt weisen die vorliegenden Ergebnisse aber darauf hin, dass eine Behandlung mit Nirmatrelvir bei Patienten, die mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf aufweisen, das ­Risiko für Long-COVID reduzieren könnte. Ob dieser Benefit auch für ­Patienten ohne Risikofaktoren bestehen würde, ist unklar. Der Nutzen von Paxlovid® zur Verringerung von Long-COVID muss in randomisierten klinischen Studien weiter untersucht ­werden. |

Literatur

[1] Smith DM et al. Recurrence of symptoms following a 2-day symptom free period in patients with COVID-19. JAMA Network Open 2022;5(10):e2238867, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.38867

[2] Xie Y et al. Nirmatrelvir and the Risk of Post-Acute Sequelae of COVID-19. medRxiv 2022.11.03.22281783, doi: https://doi.org/10.1101/2022.11.03.22281783

[3] Paxlovid® bei COVID-19. Meldung von Cochrane Deutschland, 8. November 2022

[4] Reis S et al.Nirmatrelvir combined with ritonavir for preventing and treating COVID-19. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022;9:CD015395, doi: 10.1002/14651858.CD015395.pub2

Apothekerin Dr. Martina Wegener

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