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Lieferengpässe
Die zehn nervigsten Lieferengpässe des Jahres 2022
Welche Lücken am meisten Aufwand bedeuteten
So manchen Lieferengpass 2022 hat man schon wieder vergessen, obwohl er lange viel Zeit zum Erklären und Bearbeiten gekostet hat (z. B. Aarane®). Manche Engpässe betreffen zum Glück nur bestimmte Packungsgrößen oder sind von kurzer Dauer (z. B. Insuline). Bei manchen Arzneimitteln fragt man schon gar nicht mehr nach, so lange sind sie schon nicht lieferbar (z. B. Rudotel®). Not macht bekanntlich erfinderisch und Apotheken stopfen jedes Loch, so gut es geht. Bei manchen Engpässen hört der Spaß jedoch gänzlich auf …
Platz 10: Pantoprazol, Bisoprolol und Co.
Candesartan, Telmisartan, Rosuvastatin – die Liste der Defekte ändert sich wöchentlich. Mal kann dieser Hersteller nicht liefern, mal ist nur eine kleine Packungsgröße verfügbar. Im November wurde Pantoprazol knapp, Bisoprolol gleich mehrfach im Jahr. Gängige Rabattpartner waren naturgemäß als Erstes Mangelware. Irgendwie konnte man noch jeden Patienten versorgen, auch wenn es oft nur ein Vertrösten mit anderen Dosierungen und kleineren Abpackungen war. Der Dokumentationsaufwand bleibt jedoch ein großes Ärgernis, der nicht honoriert wird.
Platz 9: Kindernasensprays
Viele treue Ratiopharm-Kunden guckten ungläubig, als die Lieferung des Kindernasensprays in diesem Jahr immer wieder ins Stocken geriet. Schon im Mai gab es Engpässe. Im Sommer konnte der Markt nicht mehr bedient werden. Die Aufträge für die Winterbevorratung wurden seitens des Herstellers gelöscht. Teva sprach von einem „unerwarteten und stark erhöhten Bedarf“ in den Wintermonaten und von Lieferverzögerungen der Wirkstoffhersteller. Zudem fehlte es an Primärpackmitteln und Prozessmaterialien wie Filter. Gemunkelt wurde aber auch, dass Personalmangel zu den Gründen gehört. Mit Alternativen konnte der Engpass bisher ganz gut überbrückt werden.
Platz 8: Buscopan
Auch im Fall von Buscopan® führten und führen eine stark gestiegene Nachfrage und lange Lieferzeiten in der Produktionskette zu einer nur kleckerweisen Verfügbarkeit. Sanofi versicherte im Oktober, dass alle zugelassenen Darreichungsformen der Buscopan-Palette lieferbar seien. Im November war tatsächlich eine leichte Entspannung zu spüren. Auf das Präparat Buscopan® plus warteten viele Apotheken aber noch länger vergebens. Mitte Dezember kam endlich etwas frische Ware.
Platz 7: Elotrans und Oralpädon
Man möchte meinen, dass Mittel zur Rehydratation und Elektrolytsubstitution in einem modernen Gesundheitssystem eine Selbstverständlichkeit darstellen sollten. In diesem Jahr wurde man eines Besseren belehrt. Der Grund ist ebenso unglaublich wie beschämend: Dank der Werbung von Influencern in den sozialen Medien erlangte Elotrans® Berühmtheit als „Wundermittel“ nach einer durchgefeierten Nacht mit reichlich Alkoholkonsum. Ein Beutel in Wasser aufgelöst soll den Flüssigkeitsverlust ausgleichen und die Katerstimmung am nächsten Morgen lindern. Die Nachfrage stieg kometenhaft. Für die Behandlung von Durchfallerkrankungen, insbesondere bei Kindern, stand noch Oralpädon® zur Verfügung, allerdings nicht lange. In der Folge besannen sich Apotheken auf ihre Rezepturkompetenz (DAZ 30, S. 18) und fertigten die vom Neuen Rezeptur-Formularium (NRF) vorgeschlagenen Glucose-Elektrolyt-Mischungen selbst an – bei angespannter Personalsituation eine zusätzliche Belastung.
Platz 6: Ebrantil
Im Sommer und Herbst war eine regelrechte Patientenwanderung zu beobachten: Auf den α1-Adrenozeptor-Antagonisten Urapidil eingestellte Hypertoniker ließen sich gleich bei mehreren Apotheken auf die Rückrufliste setzen mit der Bitte, sofort informiert zu werden, sobald Ebrantil® oder eines seiner Generika wieder verfügbar sein sollte. Es war im Fall jeder einzelnen Packung ein Zerren und Hoffen und am Ende meist Zufall, ob man die Patienten noch rechtzeitig versorgen konnte. Zur Not sollte die Therapie mit Moxonidin, Prazosin oder Doxazosin überbrückt werden, so Hersteller Takeda. Im letzten Quartal hat sich die Situation wie angekündigt etwas entspannt.
Platz 5: Hustenstiller
Pünktlich zu Beginn der aktuellen Erkältungssaison, in der in diesem Jahr nicht nur Corona- und Influenzaviren, sondern verstärkt auch RS-Viren mitmischen, wurden Hustenstiller auf Codein-Basis Mangelware (DAZ 46, S. 34). Nach wie vor sind keine Präparate in Tropfenform lieferbar. Tabletten sind noch teilweise zu haben. Aristo Pharma, Hersteller von Tryasol® forte, entschuldigte sich Anfang November mit Schwierigkeiten in der Lieferkette, die zu Änderungen der Primärpackmittel geführt haben. Diese Änderungen mussten behördlich abgesegnet werden. Man rechnete mit dieser Genehmigung noch im Laufe des Novembers. Frische Ware lässt allerdings noch immer auf sich warten.
Übrigens: Auch demjenigen, der kein Freund von Hustenstillern ist, kann nur eingeschränkt geholfen werden: Viele Hustenlöser stehen derzeit ebenfalls auf der roten Liste.
Platz 4: Tamoxifen
Ein Lieferengpass ist die eine Sache, ein drohender Versorgungsengpass eine andere – so geschehen im Fall von Tamoxifen-haltigen Arzneimitteln. Der selektive Estrogen-Rezeptormodulator kommt in der Behandlung von Mammakarzinomen zum Einsatz und zählt zu den versorgungsrelevanten Wirkstoffen. Der sich bereits im Januar abzeichnende Mangel wurde eiligst auf die Agenda des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gesetzt und in der Folge ein Maßnahmenpaket beschlossen, das die Versorgung ohne Unterbrechung sicherstellen sollte. Ein wichtiger Punkt war, den Import entsprechender Arzneimittel als Ausnahmen von den Regelungen des Arzneimittelgesetzes zu gestatten. Ärzte durften keine Rezepte für eine individuelle Bevorratung ausstellen. Apotheken mussten für jede Bestellung zusichern, dass sie auf Basis einer ärztlichen Verordnung erfolgt. Krankenkassen wurden angehalten, auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen betroffener Rezepte zu verzichten. Laut BfArM hatte sich die Versorgungslage bis Mai stabilisiert, die Lieferengpässe dauern aber bis ins neue Jahr an.
Platz 3: Digitoxin
Mit viel Mehrarbeit verbunden war und ist auch der Lieferengpass rund um Digitoxin-haltige Arzneimittel (DAZ 33, S. 16). Das Herzglykosid steht auf der Substitutionsausschlussliste, somit kann nur der Verordner selbst das Rezept heilen, was viel Zeit am Telefon und zusätzliche Wege kostete. Ein Austausch ist ohnehin schwierig. Die einzig ähnliche Alternative Digoxin erfordert bei eingeschränkter Nierenfunktion eine Dosisanpassung. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie bewertete den Engpass wegen des „begrenzten Anwendungsgebiets“ dennoch nicht als kritisch, betroffene Patienten sahen das anders. Mittlerweile ist klar: Nach Biomo pharma im Jahr 2019 wird sich auch Merck bis Ende des Jahres 2022 aus der Produktion von Digitoxin-haltigen Arzneimitteln zurückziehen – auch eine Möglichkeit, einen Lieferengpass zu beenden (DAZ 49, S. 25). Nicht nur der einzig verbliebene Anbieter Teva wurde von dieser Entscheidung überrascht. Dort fürchtet man, die „zusätzliche, sehr hohe Nachfrage“ nach dem Präparat Digitoxin AWD 0,07 mg nicht decken zu können. Der drohende Lieferengpass wurde bereits beim BfArM angezeigt.
Platz 2: Antibiotika
So hat sich das Sir Alexander Fleming im Jahr 1928 sicherlich nicht gedacht: Da werden wirksame antibiotische Wirkstoffe entdeckt und fast 100 Jahre später können sie nicht hergestellt werden – aus Kostengründen, wegen stockender Lieferketten oder sonst etwas. Penicilline sind seit geraumer Zeit mehr als ein Ärgernis. Für einige Patientengruppen ist diese Arzneistoffklasse unentbehrlich, unter anderem für Kinder, Schwangere und Stillende. Bei Amoxicillin kann man derzeit nach langem Verzicht wieder Glück haben, bei Penicillin V ist die Lage aussichtslos. Die Engpässe sollen mitunter bis Sommer 2023 andauern. Im Fall von Cephalosporinen sind vorwiegend Kinderarzneimittel betroffen. Cotrimoxazol gibt es gerade gar nicht mehr (DAZ 31, S. 26). Das BfArM erlaubt nun Einzelimporte.
Für Erwachsene mit Harnwegsinfektionen fehlt auch Sultamicillin. Im österreichischen Kundl befindet sich die letzte europäische Produktionsstätte für Antibiotika. Hersteller Sandoz überlegt allerdings, ob er diesen Zweig angesichts explodierender Energiekosten und gleichzeitig mangelnder Vergütung aufgibt.
Platz 1: Ibuprofen und Paracetamol
Ein fieberndes, weinerliches Kind und man kann nicht liefern: Der Engpass rund um Ibuprofen- und Paracetamol-haltige Kinderarzneimittel ist nicht nur nervig, sondern der Gipfel des herrschenden Preisdrucks und an Absurdität kaum zu überbieten. Der erste Dominostein, der umfiel, war wohl der Rückzug von 1A Pharma aus der Produktion von Paracetamol-Säften aufgrund gestiegener Rohstoffpreise. Der wider Erwarten infektbelastete Sommer führte zu einer gesteigerten Nachfrage. Schon im Juli waren Fiebersäfte Mangelware. Die anderen Marktteilnehmer wollten die Lücke bis Herbst schließen. Doch aktuell ist man weit davon entfernt, den Bedarf zu decken (DAZ 29, S. 20 und DAZ 50, S. 22). Apotheken dürfen sich über eine Handvoll Packungen in unregelmäßigen Abständen freuen. Auch Zäpfchen gibt es kaum noch. BfArM, GKV-Spitzenverband und ABDA verständigten sich darauf, dass im Einzelfall auf Rezepturen ausgewichen werden kann, bei längerer Nichtverfügbarkeit auch im Defekturmaßstab.
Um diese Rezepturen herstellen und abrechnen zu können, bedarf es allerdings eines separaten Rezepts sowie ausreichend Zeit und Personal. |
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