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Hilfsmittelversorgung

Warum eigentlich präqualifizieren?

Über den Sinn und Unsinn bei der Hilfsmittelversorgung durch Apotheken

Ende Oktober 2021 informierten die Präqualifizierungsstellen darüber, dass ab 2022 Trink- und Sondennahrungen im Kriterienkatalog der Präqualifizierung aufgeführt sind. Eingruppiert wurden sie in den Bereich 03-Applikationshilfen. Diese Ankündigung sorgte für Unmut bei Apothekerverbänden und Inhabern. Denn Trink- und Sondennahrungen galten bis dahin als Arzneimittel und konnten ohne besondere Auflagen abgegeben werden. Nun ist auch für diesen Bereich eine Präqualifizierung erforderlich. Wie steht es eigentlich um die Sinnhaftigkeit einer Präqualifizierung für Apotheken, die bereits durch die erteilten ­Betriebserlaubnisse einem hohen Qualitätsanspruch entsprechen? | Von Thomas Platz

Bei der Begründung der Aufnahme von Trink- und Sondennahrung in den Kriterienkatalog der Präqualifizierung verweist der GKV-Spitzenverband auf den § 31 Abs. 5 Satz 6 SGB V. In diesem Paragraf (der übrigens „Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung“ heißt) steht im erwähnten Satz 6: „Für die Abgabe von bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung gelten die §§ 126 und 127 in der bis zum 10. Mai 2019 geltenden Fassung entsprechend.“

§ 126 bezieht sich auf die Pflicht zur Präqualifizierung, § 127 auf das Schließen von Hilfsmittelverträgen. Dieser Satz steht allerdings schon seit 2009 im § 31 SGB V. Auf die Frage, warum jetzt Trink- und Sondennahrungen aufgenommen wurden, verweist der GKV-Spitzenverband etwas schwammig auf die Komplexizität und Diversität vieler Hilfsmittel. Daher müssten diese Eignungskriterien regelmäßig aktualisiert und ergänzt werden. Gleichzeitig antwortet er, dass es sich bei einer Trink- und Sondennahrung weder um ein Arznei- noch um ein Hilfsmittel handele. Man habe die Trink- und Sondennahrung auch in den Kriterienkatalog der Präqualifizierung mit aufgenommen, um eine Doppel-Präqualifizierung zu vermeiden. Mit Doppel-Präqualifizierung meint der GKV-Spitzenverband einmal die Präqualifizierung für Hilfsmittel zur Applikation (Pumpen, Überleitsysteme etc.) und zum anderen für enterale Ernährung bei bilanzierten Diäten. Der GKV-Spitzenverband betont in seiner Antwort auch, dass man keine neuen Anforderungen aufgenommen habe. Eine Apotheke, die die Kriterien für die Versorgungsbereiche erfülle, in denen Überleitsysteme und Pumpen geregelt sind, erfülle auch die Kriterien für die Trink- und Sondennahrung.

Warum man aber ein Produkt, bei dem es sich nicht um ein Hilfsmittel handelt (wie der GKV-Spitzenverband ja selbst einräumt), in den Kriterienkatalog aufnimmt, erschließt sich nach dem Lesen der Begründung immer noch nicht. Und damit nicht genug: In den Anmerkungen zur 14. Änderung ist zu lesen, dass 2022 auch metabolische Produkte, die im Rahmen von bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung abgegeben werden, in den Kriterienkatalog auf­genommen werden. Hier handelt es sich um verkapselte Spezialprodukte zur Behandlung seltener erblicher Stoffwechselerkrankungen.

Für Apotheker ist zu beachten: Bei Arzneimittelverträgen, in denen Trink- und Sondennahrung geregelt werden, besteht keine Notwendigkeit, aktiv zu werden. Denn in diesen Verträgen ist keine Pflicht zur Präqualifizierung fixiert.

Anders sieht es bei aktuell gültigen Hilfsmittelverträgen aus, in denen neben den Hilfsmitteln zur Applikation auch die Trink- und Sondennahrung geregelt ist. Enthalten diese Verträge einen Passus, wonach für alle in diesem Vertrag geregelten Produkte § 126 gilt (also die Pflicht zur Präqualifizierung), so muss hier seit Januar 2022 die Präqualifizierung beantragt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Kostenträger die Trink- und Sondennahrung wegen fehlender Präqualifizierung nicht vergüten – auch wenn das Produkt natürlich abgegeben wurde.

Wie konnte es dazu kommen?

Die etwas älteren Leser werden sich vielleicht noch erinnern: Es gab tatsächlich einmal eine Zeit ohne Präqualifizierung. Das Instrument der (vermeintlichen) Qualitätskontrolle im Hilfsmittelbereich nannte sich damals Zulassung und war sehr einfach gehalten. Sämtliche Hilfsmittel wurden je nach Komplexizität in drei Gruppen unterteilt. In Abhängigkeit vom Hilfsmittel, das man abgeben wollte, musste dann der Leistungserbringer für die jeweilige Gruppe zugelassen werden. Die Zulassung erfolgte für jede einzelne Kassenart (Primär-, Ersatzkassen etc) und wurde federführend von jeweils einer Kasse durchgeführt. Für Apotheken, aber auch Sanitätshäuser war der Aufwand für die Zulassung und die Anzahl der geforderten Nachweise sehr überschaubar. Nach erfolgreicher Zulassung blieb man unbefristet zugelassen.

Dies änderte sich zum 1. Januar 2009. Zu diesem Zeitpunkt wurde im § 126 SGB V festgelegt, dass ab sofort die Präqualifizierung ein notwendiges Kriterium zur Abgabe von Hilfsmitteln ist. Hierzu wurden sämtliche Hilfsmittel aus dem Hilfsmittelkatalog in 115 Gruppen unterteilt und für jede Gruppe definiert, welche räumlichen und personellen Anforderungen an den Leistungserbringer gestellt werden. Die Präqualifizierung erfolgt durch unabhängige, sogenannte Präqualifizierungsstellen, die (mittlerweile) von der Deutschen Akkreditierungsstelle überwacht werden.

Schaut man sich den mittlerweile 128-seitigen (!) Kriterienkatalog an, in dem die einzelnen Anforderungen dargestellt sind, wird sehr gut ersichtlich, welches bürokratische Monstrum geschaffen wurde. Den aktuellen Kriterienkatalog finden Sie auf DAZ.online, wenn Sie in das Suchfeld den Webcode K5IQ7 eingeben.

Überschneidung von Präqualifizierung mit Apothekenbetriebserlaubnis

Das Ziel der Präqualifizierung war, (noch) mehr Qualität in der Hilfsmittelversorgung zu erreichen. Prinzipiell durchaus lobenswert. Allerdings hatte man nicht berücksichtigt, dass viele Anforderungen der Präqualifizierung von Apotheken bereits bei der Beantragung ihrer Betriebserlaubnis erfüllt sein müssen. Damit kommt es zu erheblichen Überschneidungen und unnötiger Bürokratie. Absurderweise wird für Apotheken bei der Beantragung der Präqualifizierung sogar die Betriebserlaubnis gefordert.

Bereits 2015 hatte daher die ABDA beim GKV-Spitzenverband interveniert und auf diesen Umstand hingewiesen. Gefordert wurde, dass Apotheken für bestimmte Hilfsmittel, die sie abgeben, keine Präqualifizierung benötigen. Letztlich erfolglos – wie man nicht nur bei diesem Thema immer wieder feststellen muss. Der Sinn einer Präqualifizierung wird aber auch dadurch infrage gestellt, dass eine ganze Reihe von Hilfsmitteln wie saugende Inkontinenzprodukte, Inhaliergeräte, Pen-Nadeln, Blutdruck-Messgeräte rechtlich konform ohne Einweisung von präqualifizierten Vertragspartnern der Krankenkassen versendet werden. Bei diesen Versendern ist es mehr als fraglich, ob beispielsweise jemals ein Patient in den Räumen des Leistungserbringers war.

Um die Situation anschaulicher zu machen, ist nachfolgend dargestellt, bei welchen Anforderungen zur Abgabe von apothekenüblichen Hilfsmitteln es zwischen Betriebserlaubnis und Kriterienkatalog Überschneidungen gibt. Als apothekenübliche Hilfsmittel sind Lanzetten für Pens (Produktgruppe 03), Inhaliergeräte der PG 14 sowie Blutdruckmessgeräte aus der PG 21 anzusehen. Das sind die Hilfsmittel, die üblicherweise noch von Apotheken abgegeben werden.

Folgende Nachweise werden schon bei der Beantragung einer Betriebserlaubnis benötigt, aber zusätzlich auch für die Präqualifikation der erwähnten drei Hilfsmittel:

  • Approbation
  • Mietvertrag oder Auszug aus dem Grundbuch
  • Führungszeugnis
  • Fotonachweis Lagermöglichkeit
  • Fotonachweis getrennte Lagermöglichkeit (rein/unrein)
  • Fotonachweis abgetrennter Beratungsbereich
  • Skizze über Grundriss
  • Eigenerklärung über Beachtung des § 128 SGB V (unzulässige Zusammenarbeit)
Foto: Vitalii Hulai/AdobeStock

Ob durch all die Anforderungen zur Erlangung der Präqualifizierung wirklich die Qualität in der Patientenversorgung gesteigert wird, ist mehr als fraglich. Nur beispielhaft sei hier die schon legendäre Bohrmaschine für die Präqualifikation für Bandagen erwähnt. Sinnvoller wäre es, wenn die Krankenkassen die Patienten stichprobenartig fragen würden, wie sie die Versorgung empfunden haben. Zu prüfen wäre auch, ob das abgerechnete Hilfsmittel tatsächlich dem gelieferten Produkt entspricht. Das wäre allerdings mit einem personellen und zeitlichen Aufwand für die Kostenträger verbunden. Und eine negative Rückmeldung würde zeigen, dass auch die ausgefeilteste und aufwendigste Präqualifizierung keine Garantie für eine gute Patientenversorgung ist. Die mittlerweile aufgehobenen Ausschreibungen für Hilfsmittel, bei denen deutlich höhere Anforderungen als eine Präqualifizierung gestellt wurden, sind aufgrund der schlechten Versorgungsqualität als Option eines Vertrages aus dem § 127 SGB V gestrichen worden. Auch das zeigt, dass gestiegene Anforderungen nicht unbedingt ein Parameter für Qualität sind.

Ausblick

Es wäre wünschenswert, wenn zukünftig wieder die Vernunft stärker Gehör finden würde. Denn dann hätte man berücksichtigen müssen, dass eine Apotheke, anders als ein Sanitätshaus oder Versanddienstleister, eine Betriebserlaubnis haben muss, um ihren Betrieb überhaupt aufnehmen zu dürfen. Durch die undifferenzierte Gleichstellung in der Präqualifizierung entsteht für Apotheken ein vollkommen unnötiger (und teurer) Bürokratieaufwand – ohne dass dadurch auch nur ein einziger Patient besser versorgt wird. |

Autor

Thomas Platz hat sowohl für Kostenträger als auch Leistungserbringer und für den Hessischen Apothekerverband im Bereich der Hilfsmittelverträge gearbeitet. Er schult in Apotheken vor Ort rund um das Thema Hilfsmittel.

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