Foto: pikselstock/AdobeStock

Management

Mehr Teilhabe am Leben

Menschen mit Demenz gezielt unterstützen

In Deutschland steigt die Zahl der Demenzkranken stetig an. Mit Blick auf den demografischen Wandel drängen sich rund um die typische „Alterserkrankung“ viele Fragen auf: Wie kann unser Gesundheits- und Pflegesystem immer mehr Patienten mit Demenz versorgen? Lässt sich die Situation der Betroffenen durch neue Sichtweisen verbessern? Was können Apothekenmitarbeiter tun, um demenzkranke Mitbürger gezielt zu unterstützen?

Die Gefühlswelt von Menschen mit Demenz verstehen

„Welcher Tag ist heute?“, fragt Egon Müller und läuft dabei, wie in letzter Zeit so häufig, ganz unruhig in der Wohnung umher. „Es ist Sonntag und es gibt Rinderrouladen zum Mittagessen,“ erwidert seine Frau Ida und bittet ihn dabei, doch schon mal den Tisch zu decken. Ihr Mann schaut sich prüfend im Esszimmer um und räumt dann das geblümte Kaffeeservice, Tasse für Tasse, aus der Glasvitrine. „Ach Egon, wir brauchen doch jetzt …!“, ruft Ida zunächst mit genervtem Unterton aus der Küche. Dann besinnt sie sich, hält sofort inne und ergänzt besänftigend: „Schön, dass Du schon an die Tassen für den Nachmittagskaffee denkst! Und jetzt stellst Du bitte noch die großen Teller vom Schrank daneben auf den Tisch.“ Als die beiden kurz darauf am gedeckten Tisch sitzen und klassische Musik im Hintergrund läuft, nicken sie sich zu­frieden zu. Auf Egons Gesicht erstrahlt ein Lächeln: „Ida, weißt Du noch, wie schön es damals war, als wir sonntags immer zusammen zum Tanztee gegangen sind …“

Wie Ida haben sich viele Menschen, die einen Familienangehörigen oder eine nahestehende Person mit Demenz zuhause versorgen und begleiten, Kompetenzen im Umgang mit der Erkrankung ange­eignet. Sie haben verstanden, was sich beispielsweise durch den vertrauten Geschmack eines guten Essens oder auch mit Musik, die Erinnerungen an unbeschwerte Zeiten weckt, erreichen lässt. Überforderung, Anspannung oder Gereiztheit können so im alltäg­lichen Umgang mit Demenzkranken oftmals überwunden werden. Zwar teilen sich Betroffene im Anfangsstadium der Krankheit meist noch selbst mit; bei fortgeschrit­tener Demenz sind jedoch die Mitmenschen gefordert zu spüren, wie es dem kranken Menschen geht und was er benötigt. Menschen mit Demenz möchten weiterhin teilhaben und dazu brauchen sie ein Umfeld, das dies wahrnimmt und ermöglicht. Gefragt sind dabei ein hohes Maß an Geduld, Ein­fühlungsvermögen sowie umfassendes Hintergrundwissen über die Erkrankung. Denn je nach Ursache unterscheiden sich die Symptome, deren Ausprägung und der Krankheitsverlauf oft erheblich. Gemeinsam ist den verschiedenen Demenzformen der Verlust der geistigen Fähigkeiten; dabei sind jedoch das Bewusstsein und die Sinnesfunktion nicht getrübt. Deshalb ist zwischenmenschlicher Kontakt auch für Menschen mit Demenz enorm wichtig. Gerade für Menschen mit beginnender Demenz kann eine einfühlsame und geduldige Beratung in der Apotheke vor Ort eine wertvolle Hilfe sein.

Demenzfreundliche Apotheken

Viele Menschen mit Demenz leben zuhause und werden von nahestehenden Pflegepersonen, wie beispielsweise Lebenspartnern oder Kindern, betreut. Für die Betroffenen und deren Angehörige ist es deshalb wichtig, Unterstützung im nahen Umfeld zu finden. Die Apotheken vor Ort können dabei als vertraute und regelmäßige Anlaufstelle eine wichtige Rolle einnehmen; es sollten sich möglichst viele Apothekenmitarbeiter mit Demenzerkrankungen gut aus­kennen, gezielte Schulungen wahrnehmen und über die lokalen Hilfsangebote und Dienstleister in der Region Bescheid wissen. Auch eine Aktionswoche zum Thema Demenz mit vielen Informationsmaterialien und Möglichkeiten zur individuellen Unterstützung für Menschen mit Demenz wäre eine gute Möglichkeit, um Betroffene auf die Apotheke vor Ort als kompetenter Ansprechpartner aufmerksam zu machen.

Da die Diagnose Demenz anfangs oft zu großer Verunsicherung im Umfeld der Betroffenen führt, hat das Wissenschaftliche Institut für Prävention im Gesundheitswesen (WIPIG), die Bayerische Landesapothekerkammer und ihre regionalen Qualitätszirkel den bayernweiten Aufbau des Netzwerkes „Demenzfreundliche Apotheke“ ins Leben gerufen. In diesem Projekt geht es darum, die Mitarbeiter der Apotheken gezielt zu schulen, damit sie Demenzkranke und deren Angehörige richtig ansprechen und informieren können. Außerdem können Apothekenmitarbeiter den Betroffenen mitteilen, welche Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten es gibt. Ziel ist es, die Ressourcen der Betroffenen und deren Angehörigen zu stärken und ihnen den Alltag im gewohnten Umfeld und die Teil­habe am gesellschaftlichen Leben so lange wie möglich zu erhalten. Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.wipig.de/materialien/projekte-downloads/item/demenzfreundliche-apotheke. Dem WIPIG-Netzwerk können alle Präventionsinteressierten kostenlos beitreten, wobei die Passwort-geschützten Bereiche aus juristischen Gründen nur den bayerischen Kammermitgliedern zugängig sind.

Für das Gesundheitssystem stellt der demografische Wandel eine große Herausforderung dar, die nur durch eine engere Zusammenarbeit aller Beteiligten gelöst werden kann. Apotheken haben als niederschwellige und flächendeckend vorhandene Anlaufstellen eine wichtige Funktion in der Vernetzung von Betroffenen, Angehörigen, Ärzten und Ehrenamtlichen. Außerdem hilft eine frühzeitige Diagnose, Betroffenen und Angehörigen von Menschen mit Demenz Zugang zu möglichen Hilfsangeboten zu verschaffen. Wird die Erkrankung rechtzeitig erkannt, so kann der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden und Betroffene und Angehörige können gemeinsam die Zukunft besser planen.

Unterstützung von Menschen mit beginnender Demenz in der Apotheke:

  • verständnisvoll und einfühlsam reagieren, wenn ältere Kunden verwirrt sind
  • freundlich und geduldig Hilfe anbieten
  • für eine ruhige Gesprächs­atmosphäre und Blick­kontakt sorgen
  • Rezepte evtl. laut vorlesen und Medikation erklären
  • Dosierungsangaben besprechen und notieren
  • kurze Sätze formulieren
  • sich Zeit nehmen und Hektik vermeiden
  • einfache, klare Vorschläge machen
  • möglichst für den Demenzkranken entscheiden
  • Botendienst zur Lieferung von Medikamenten nach Hause anbieten
  • Betroffene und Angehörige über Hilfsangebote aus der Region informieren

Ganzheitlich unterstützen

Auf Augenhöhe und wertschätzend zu kommunizieren und das noch vorhandene Können zu aktivieren, das raten Expertinnen und Experten für den Umgang mit demenzkranken Menschen. Je besser sich Angehörige, Pflegende und Mitmenschen in die besondere Welt von Betroffenen hineinver­setzen, desto eher finden sich Anknüpfungspunkte für den persönlichen Kontakt. Weiterhin ist es wichtig, die noch vorhandenen Fähigkeiten und die verbliebene Selbstständigkeit zu stärken. Dazu gehört auch die individuelle Beweglichkeit, die beispielsweise durch spezielle Sportgruppen und gezielte Physio- und/oder Ergotherapie trainiert werden kann. In der Regel erweist sich eine Kombination aus medikamentösen, physio-, psycho- und soziotherapeutischen Maßnahmen als sinnvoll. Bei multimorbiden Patienten mit Demenz erschweren die kognitiven Einschränkungen es häufig, den Medikationsplan vom Arzt richtig umzusetzen. In diesen Fällen leistet eine individuelle Medikationsanalyse mit gezielten Einnahmehinweisen von Apothekerinnen und Apothekern wertvolle Hilfe, um Fehler bei der Arzneimitteltherapie zu vermeiden. Es kommt darauf an, die Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und die Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten als eine gemeinsame Aufgabe von betreuenden Ärzten und der jeweiligen Stamm-Apotheke zu sehen.

Außerdem kommt eine klare und verlässliche Routine im Tages­ablauf Menschen mit Demenz zugute. Ideal ist eine möglichst entspannte Atmosphäre ohne Hektik, denn diese kann Ängste oder Unruhe auslösen und verstärken. Wie Menschen eine Demenz erleben, wie sie in der Familie, im Freundeskreis oder innerhalb der Gemeinschaft eingebunden sind und ob sie ihre Fähigkeiten weiterhin einbringen können, hängt direkt von ihrem persönlichen Umfeld ab. Vielfach werden Demenzkranke liebevoll von Ehepartnern, Kindern, Enkeln oder engen Bekannten betreut. Bei allen Schwierigkeiten, die das oftmals jahrelange Kümmern mit sich bringt, gibt es für die Bezugspersonen auch Chancen, aus der Zeit mit der Krankheit wertvolle und erfüllte gemeinsame Jahre zu machen – und das gelingt mit Unterstützung von Menschen, die sich mit Demenz auskennen umso besser.

Initiativen zum Thema Demenz

An vielen Orten engagieren sich heute schon lokale Allianzen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Das gemeinsame Ziel: Mehr Teilhabe! Immer mehr Angehörige, ehrenamtlich Engagierte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen nehmen Schulungs­angebote wahr, um der Diagnose Demenz kompetenter begegnen zu können. Wichtige Impulse setzt hierbei seit einigen Jahren die Initiative „Demenz Partner“ der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. mit kostenlosen Kompaktkursen in der Nähe, Online-Seminaren oder E-Learning-Angeboten (www.demenz-partner.de). Ob jung oder alt, berufstätig oder im Ruhestand, egal ob man einen Menschen mit Demenz persönlich kennt oder nicht, mit der Teil­nahme an einem entsprechenden Kurs kann jede und jeder ein „Demenz Partner“ werden. In dieser Rolle sorgen die Teilnehmenden dafür, dass Menschen mit Demenz möglichst lange zu Hause in ihrem vertrauten Umfeld leben können. Ein kurzes Gespräch mit der Nachbarin, Hilfe beim Ein­kaufen oder auch ein gemeinsamer Spaziergang – schon kleine Gesten können den Alltag von Menschen mit beginnender Demenz leichter und freudvoller machen.

Auch die „Aktion Demenz e. V.“ unterstützt Menschen mit Demenz. Das deutschlandweite Netzwerk möchte Mitbürgerinnen und Mitbürger dafür gewinnen, sich für Wohlergehen und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Demenz und deren Angehörige zu engagieren (www.aktion-demenz.de). Wichtigstes Ziel des zivilgesellschaftlichen Engagements ist die Beseitigung der Stigmatisierung von Demenz. In einem wei­teren Projekt „Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz“ brachte die Robert Bosch Stiftung zahl­reiche Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in unterschiedlichen Professionen, Disziplinen und Sektoren aus ganz Deutschland zusammen, um die Lebensbedingungen von Menschen mit Demenz zu verbessern. „Es geht darum, Netze der Freundschaft zu knüpfen, eine Kultur des Helfens zu etablieren und Menschen mit Demenz vor allem als Mitbürgerinnen und Mitbürger anzusehen“, erläutert der Vorstandsvorsitzende R. Gronemeyer.

Tipp zum Weiterhören

Podcast für alle, die sich mit Demenz beschäftigen

Konkrete Unterstützung für eine gelungene Kommunikation zwischen Angehörigen und Menschen mit Demenz oder auch hilfreiche Anregungen für eine sinnvolle Alltagsgestaltung bietet ein ansprechender Demenz-Podcast. Der monatlich erscheinende Podcast des medhochzwei Verlags versorgt Angehörige und Pflegende mit vielfältigen Informationen rund um das Thema Demenz. Interessierte erhalten beispielsweise Tipps, wie man angemessen reagieren kann, wenn sich ein Mensch mit Demenz verändert – wenn er oder sie zum Beispiel aggressiv wird oder ängstlich, anhänglich oder misstrauisch. Auch rechtliche Aspekte werden angesprochen. Kostenlos abrufbar unter www.demenz-podcast.de

Prävention fördern

Umso wichtiger ist, neben einer Früherkennung, die Prävention einer Demenzerkrankung. Eine Studie am finnischen Karolinska-Institut zeigte, dass ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener mediterraner Ernährung, regelmäßiger Bewegung und Gedächtnis­training sowie ein gut eingestellter Blutdruck Demenzsymptome um bis zu 7,5 Jahre hinauszögern kann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler belegten zudem, dass sich das Wohlbefinden von demenziell erkrankten Menschen zunächst auch ohne Medikamente deutlich steigern lässt. So wecken beispielsweise Geschichten, Fotos, oder Musik gezielt Erinnerungen und die Patientinnen und Patienten werden in ihrer Persönlichkeit angesprochen und aktiviert. Weitere Möglich­keiten zur nicht-medikamentösen Unterstützung bieten die Ver­haltenstherapie, individuelle Ergotherapie oder auch eine tiergestützte Behandlung.

Fazit

Unsere Gesellschaft muss im Umgang mit Demenzkranken umdenken. Einige Initiativen tragen schon erfolgreich dazu bei, die würdevolle Unterstützung und Integration von Menschen mit Demenz im täglichen Leben zu verbessern. Apothekenteams können als kompetente Ansprechpartner vor Ort dabei helfen und Betroffene ermutigen, sich Rat und Unterstützung zu suchen, begegnen sie doch tagtäglich der Risikogruppe älterer Menschen und ihren Angehörigen und begleiten sie oftmals über viele Jahre hinweg als Stammkunden. |

Apothekerin Dr. Irina Treede, Heidelberg

Buchtipps

Demenz. Das Wichtigste. Ein kompakter Ratgeber.
8. Auflage 2019, 64 Seiten, kostenlos.
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V.
ISSN 2364-9348
Download unter https://shop.deutsche-alzheimer.de/broschueren/33/demenz-das-wichtigste

 

Helga Rohra
Ja zum Leben trotz Demenz! Warum ich kämpfe.
1. Auflage 2016, 130 Seiten, 14 × 21 cm
medhochzwei Verlag
ISBN 978-3-86216-283-3
EPUB: ISBN 978-3-86216-284-0

 

Kate Swaffer
„Was zum Teufel geschieht in meinem Hirn?“ Ein Leben jenseits der Demenz
1. Auflage 2017, 304 Seiten
Hogrefe Verlag 2017
ISBN 978-3-456-85851-7
EPUB: ISBN 978-3-456-75851-0

 

Bettina Tietjen
Unter Tränen gelacht. Mein Vater, die Demenz und ich.
8. Aufl. 2016, 304 S., mit 21 Fotos und 10 Zeichnungen, 120 × 186 mm, kartoniert.
Piper Taschenbuch
ISBN 978-3-492-30901-1
EPUB: ISBN 978-3-492-97031-0

 

Schnell und einfach bestellen:
Deutscher Apotheker Verlag, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart, Tel. 0711 2582-341, 
Fax 0711 2582-290, service@deutscher-apotheker-verlag.de, www.deutscher-apotheker-verlag.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.