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Management

Offizin oder Homeoffice?

So gelingt hybrides Arbeiten

Die Arbeit im Homeoffice hat spätestens mit der Corona-Pandemie in allen pharmazeu­tischen Arbeitsbereichen Einzug gehalten. In der Apotheke, der Pharmaindustrie oder den Behörden wird diskutiert, wie weiter verfahren werden soll. Die Befürworter des Homeoffice bringen Argumente, wie größere Flexibilität und damit eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die höhere Effizienz der Arbeit. Die Skeptiker befürchten hingegen den Verlust des Teamgeistes und des Engage­ments der Mitarbeiter. Anhand von fünf Kriterien lässt sich eine Entscheidung leichter treffen. So wird hybrides Arbeiten zu einem Gewinn für das Unternehmen, das Team und den einzelnen Mitarbeiter.

Wenn es darum geht Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten, fällt das Stichwort Homeoffice unweigerlich. Die freie Wahl des Arbeits­ortes und der Arbeitszeit steht bei vielen Arbeitnehmern ganz oben auf der Prioritätenliste. Zeugen des Apothekenalltags berichten jedoch eher von folgenden Szenen:

Eine PTA, die redaktionell am QM-Handbuch arbeitet, springt bei jedem zweiten Klingeln auf, bedient einen Kunden, geht zurück an den Arbeitsplatz, hat den Faden verloren und braucht einige Minuten, um neu ansetzen zu können.

An anderer Stelle wird vergeblich versucht, mit E-Mails, Notizzetteln und ohne jegliches persönliche Gespräch ein Projekt umzusetzen.

In anderen Berufszweigen lassen sich sicher vergleichbare Situationen finden, in denen Frust aufkeimt genauso wie das Gefühl, dass die Prozesse deutlich ein­facher verlaufen würden, wenn es eine differenziertere Planung der Arbeitsbedingungen gäbe.

Wissensaustausch und Kreativität

Im Gespräch mit einem Programmierer erwähnt dieser: „Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gehe ich erst mal einen Kaffee trinken.“ Dabei ging es ihm nicht darum, kurz den Kopf freizubekommen, sondern um den informellen Plausch in der Kaffeeküche. Dort konnte er mit anderen Profis kurz sein Problem diskutieren und war danach meist eine gute Idee weiter. Ein schönes Beispiel dafür, dass ein wichtiger Ort für die Wissensarbeit die Teamebene ist. Direkte Gespräche erleichtern den Wissens- und Informationsaustausch. Arbeiten ein oder mehrere Mitarbeiter im Homeoffice läuft die Kommunika­tion meist über E-Mails, Telefon oder Chats, was die Kommunika­tion asynchron, zeitversetzt und meist weniger reichhaltig macht. Wenn es um ein Projekt geht, bei dem ein schneller Wechsel von Informationen nötig ist, macht das Arbeiten in Präsenz Sinn.

Auch in Phasen der Ideengenerierung ist der unmittelbare, direkte Austausch von Vorteil. Gruppen, die virtuell zusammenarbeiten, produzieren weniger und unkreative Ideen. Denn erst Sprechwechsel, Nebengespräche und nonverbale Kommunikation bringen den Prozess voran.

Sobald die Phase des Wissensaustausches und der Ideenentwicklung weitestgehend abgeschlossen ist, geht es darum alle anfallenden Aufgaben konzentriert abzuarbeiten. Im Homeoffice ist ein guter Platz dafür, dort gibt es keine Unterbrechungen von Kollegen und kein Aufspringen, weil es klingelt.

Lernen

Die Zusammenarbeit fördert das Beobachtungslernen. Immer wenn Sie einen Kollegen sagen hören: „Ich zeig Dir das mal schnell“ oder „Das habe ich mir von Barbara abgeguckt“, geht es um das Lernen durch Zuschauen. Am besten funktioniert dieser Austausch, wenn die Teammitglieder im Alltag zufällig auf die Lerninhalte stoßen. Interessanterweise braucht es für soziales Lernen jedoch nicht zwingend den direkten Kontakt zum Mentor. Wenn Sie gefragt werden: „Wer waren Ihre größten Vorbilder? An wem haben Sie sich bei Ihrer persönlichen Entwicklung orientiert?“ werden Ihnen sicher – neben Personen, mit denen Sie viel Zeit verbracht haben – sehr schnell auch Autoren, Redner, E-Mail-Bekanntschaften oder Podcaster in den Sinn kommen.

Für ein Team von Informatikern, die alle mit ähnlichen Kompetenzen ausgestattet sind, hat das Beobachtungslernen im Alltag weniger Relevanz. Kommt jemand neu ins Team, profitiert der neue Kol­lege und damit das Unternehmen extrem davon, wenn er die erfahrenen Mitarbeiter direkt in seiner Nähe hat.

Verzahnte Prozesse

Im Apothekenalltag gibt es viele ineinander verzahnte Prozesse. Alle Kollegen, die während der Pandemie versucht haben, Pro­zesse in das Homeoffice zu ver­legen, konnten schnell erkennen, was gut funktioniert und was nicht. Alle Aufgaben, bei denen es eine hohe Abhängigkeit der einzelnen Teile voneinander gibt, wo der eine dem anderen zuarbeitet und immer wieder kurze Abstimmungen nötig sind, sind von einem Team vor Ort besser und effizienter zu lösen.

Auf der anderen Seite wirken ein erhöhter Abstimmungs- und Koordinationsbedarf der sozialen Isolation entgegen, wenn viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten müssen. Das gemeinsame, verzahnte Arbeiten an einem Projekt bringt wahrscheinlich mehr Wir-Gefühl, als regelmäßige Online-Meetings, die wie eine Frontal­veranstaltung wirken.

Neues und Komplexes

Neue und komplexe Aufgaben lassen sich schwer einschätzen, wenn sie auf einen zukommen. Erst im Laufe der Zeit erschließt sich das große Ganze. Besonders am Anfang der Pandemie, bei der Suche nach geeigneten Schutzmaßnahmen, wurde uns sehr deutlich, welche Eigendynamiken solche ad hoc auftretenden Änderungen haben können. Nach der ersten Ratlosigkeit gab es eine Fülle von Infor­mationen in E-Mails, Faxen, Nachrichten und weiteren Kanälen. Schnelle Reaktionen und dynamisches Handeln waren gefragt. Bei hoher Komplexität und Dynamik ist es einfacher, wenn das Team sich schnell abstimmen kann. Es müssen immer wieder neue Ideen generiert und viele unterschied­liche Perspektiven bedacht werden, um dann zu handeln und das geplante Vorgehen ggf. anpassen zu können. Allein dadurch, dass Online-Meetings geplant werden müssen und ein Großteil der Koordination dafür aufgewendet wird, wer wann sprechen kann, sind sie weniger agil. Wenn ein Präsenztreffen ausgeschlossen ist, sind sie jedoch die beste Alter­native. Während des Lockdowns wurden in vielen Unternehmen die Teams getrennt, aber im Idealfall war immer eine handlungs­fähige Einheit vor Ort.

Handelt es sich um die Bearbeitung von Problemen, die mit einer Routine gelöst werden können, kann das von zuhause erledigt werden. Wie viele Mitarbeiter einer technischen Servicehotline oder einer Auftragsannahme vom Großhandel sitzen wohl noch im Großraumbüro?

Faktor X

In jedem Arbeitsbereich gibt es individuelle Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Vielleicht fehlen die Räumlichkeiten, um störungsfreie Arbeitsplätze einzurichten oder durch die Umstrukturierung auf einen Co-Working-Space steht nicht jedem Mitarbeiter ein Arbeitsplatz zur Verfügung.

Es gibt Tätigkeiten, die den Umgang mit sensiblen Daten und damit besonderer Sicherheitsvorkehrungen bedürfen. Ein wich­tiges Kriterium bei der Entscheidung, ob die Arbeit im Homeoffice möglich ist oder nicht.

Das Team agil arbeiten lassen

Die Frage Homeoffice oder Präsenz ist viel mehr eine Frage, welche Tätigkeit ausgeführt wird und wie das Team zum besten Ergebnis kommen kann. Pauschale Aussagen, wie gearbeitet werden soll oder sogar Arbeitsvorgaben für das ganze Unternehmen, machen unter Umständen für einige Arbeitsbereiche oder spe­zielle Auf­gaben keinen Sinn, sondern behindern eher den Arbeitsfluss. Deswegen sollte man sich die Fragen stellen: „Braucht es einen erhöhten Wissensaustausch oder kreative Lösungen?“, „Sind Lernprozesse notwendig?“, „Sind die Arbeitsschritte stark voneinander abhängig?“, „Ist das Problem neu und komplex?“ oder „Gibt es individuelle Faktoren?“.

Mit den Antworten lässt sich viel leichter die beste Vorgehensweise klären, um erfolgreich voranzukommen. |

Anja Keck ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie, 
Master-Coach (DGfC) und Systemische Beraterin. Mehr unter www.anjakeck.de

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