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Neue Arzneimittel
Innovatives Schlafmittel Daridorexant
Vertreter der Orexin-Rezeptorantagonisten hemmt übermäßige Wachheitssignale
Herkömmliche Sedativa wie H1-Antihistaminika, Benzodiazepine oder die Z-Substanzen Zopiclon und Zolpidem führen mitunter zu körperlicher Abhängigkeit und Hangover. Zudem sind sie nicht für eine längerfristige Anwendung empfohlen. Somit besteht ein Bedarf an potenziell dauerhaft einsetzbaren, effektiv wirkenden und gut verträglichen Sedativa. Der neue Wirkstoff Daridorexant besitzt einen völlig neuartigen Wirkmechanismus. Als Orexin-Rezeptorantagonist verkürzt er signifikant die Einschlaflatenz und die Wachphasendauer.
Daridorexant ist für erwachsene Insomnie-Patienten indiziert, deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und bei denen die Leistungsfähigkeit am Folgetag stark beeinträchtigt ist.
Im Gegensatz zu Benzodiazepinen und Z-Substanzen kann Daridorexant offenbar problemlos abrupt abgesetzt werden. Ein Problem stellen jedoch die gelegentlich auftretenden Substanz-assoziierten Schlafparalysen, Halluzinationen und Kataplexien dar. Für jeden Patienten sollte daher vor Therapiebeginn eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung durchgeführt werden.
Target Orexin-System
Orexin ist ein im Hypothalamus gebildetes Neuropeptid, das die Regulation der Wachheit beeinflusst (s. Abb.). Über eine Bindung an den zugehörigen G-Protein-gekoppelten Orexin-Rezeptor fördern die beiden Varianten Orexin A und B über die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin, Histamin, Acetylcholin und Norepinephrin die Vigilanz.
Physiologischerweise steigt der Orexin-Spiegel im Tagesverlauf an und fällt zur Nacht wieder ab. Eine Überaktivität des Wachheitssystems während der Nachtstunden gilt als wichtiger Auslöser von Insomnie.
Der Orexin-Rezeptorantagonist Daridorexant unterbindet die Aktivierung der Orexin-Rezeptoren und reduziert somit die Wachheit, wobei das anteilige Verhältnis der Schlafphasen nicht verändert wird.
Vorsicht bei Leberinsuffizienz
Daridorexant wird normalerweise in einer Dosis von einmal täglich 50 mg eingesetzt. Bei manchen Patienten ist möglicherweise auch eine Tagesdosis von einmal täglich 25 mg ausreichend. Die Applikation sollte abends, etwa 30 Minuten vor dem Zubettgehen erfolgen. Eine Einnahme zusammen mit einer großen Mahlzeit kann die schlafanstoßende Wirkung verzögern oder einschränken. Patienten, die mittelstarke CYP3A4-Inhibitoren wie Diltiazem oder Erythromycin in Kombination mit Daridorexant anwenden oder unter mäßiger Leberinsuffizienz leiden, sollten stets die niedrige 25-mg-Dosierung erhalten. Die Behandlung von Personen mit schwerer Leberfunktionseinschränkung wird wegen fehlender Erfahrungen derzeit nicht empfohlen. Selbst bei Einnahme der Maximaldosis von 50 mg kann die Daridorexant-Therapie ohne Titration auf eine niedrigere Dosis beendet werden.
Kein Grapefruitsaft am Abend!
Bei Überempfindlichkeit gegen Daridorexant oder Narkolepsie besteht eine Kontraindikation. Zudem darf Daridorexant bei Patienten mit schwerer obstruktiver Schlafapnoe und schwerer COPD wegen fehlender Erfahrungen nur mit Vorsicht verwendet werden. Auch die gleichzeitige Einnahme starker CYP3A4-Inhibitoren wie Azol-Antimykotika oder Makrolid-Antibiotika sowie der abendliche Genuss von Grapefruit muss unterbleiben, da es zu einer verlangsamten Biotransformation von Daridorexant und somit zu einer Erhöhung von dessen Toxizität kommen kann. CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin, Phenytoin oder Johanniskraut beschleunigen dagegen die Metabolisierung von Daridorexant, sodass mit einer Beeinträchtigung von dessen Wirkung zu rechnen ist. Beim kombinierten Einsatz von Substraten der Biotransformationsenzyme CYP3A4 oder CYP2C9 sowie der Transporter Breast Cancer Resistance Proteine (BCRP) oder P-Glykoprotein (P-gp) ist wegen begrenzter Erfahrungen Vorsicht geboten. Bei gleichzeitiger Therapie mit zentral dämpfenden Substanzen wie opioiden Analgetika, weiteren Hypnotika oder Alkoholkonsum ist eine additive sedierende Wirkung möglich.
Paralysen, Halluzinationen, Kataplexie ...
Unter Daridorexant-Therapie wurden gelegentlich bis zu mehreren Minuten andauernde Schlafparalysen mit Unfähigkeit, sich während des Schlaf-Wach-Übergangs zu bewegen oder zu sprechen, Halluzinationen und Kataplexie-ähnliche Symptome berichtet. Die Patienten sollten über die Möglichkeit dieser hauptsächlich in den ersten Wochen der Behandlung auftretenden, teilweise verstörenden Wahrnehmungen informiert werden. Zudem ist bei Patienten mit primärer Depression unter Hypnotika-Behandlung mit einer Verschlechterung der Symptomatik und verstärkter Suizidalität zu rechnen. Obwohl bislang kein erhöhtes Missbrauchspotenzial im Zusammenhang mit einer Daridorexant-Therapie berichtet wurde, sollten Patienten mit bereits bestehendem Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Substanzen sorgfältig überwacht werden. Aufgrund bislang fehlender Erfahrungen darf die Anwendung von Daridorexant bei schwangeren Frauen allenfalls nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Da für den gestillten Säugling das Risiko einer übermäßigen Somnolenz besteht, muss eine Entscheidung getroffen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder auf die Behandlung mit Daridorexant verzichtet werden soll.
Zulassungsstudien
Die Zulassung von Daridorexant beruht auf zwei randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien mit 1854 erwachsenen Insomnie-Patienten. Als primäre Endpunkte wurden die mittels Polysomnographie festgestellten Veränderungen der Einschlaflatenz und der Gesamtdauer der Wachphasen nach Schlafbeginn festgelegt. Sekundäre Endpunkte waren die subjektiv vom Patienten berichtete Gesamtschlafdauer sowie die Leistungsfähigkeit am Folgetag. Mit der 50-mg-Dosis wurde bei allen primären und sekundären Endpunkten eine statistisch signifikante Verbesserung gegenüber Placebo erreicht (p < 0,001). Nach dreimonatiger Behandlung kam es zu einer durchschnittlichen Reduktion der nächtlichen Wachphasendauer um 29 Minuten. Der entsprechende Wert in der Placebo-Gruppe lag bei 11 Minuten. Die durchschnittliche Verbesserung der Einschlaflatenz im Vergleich zum Ausgangswert betrug im Verum-Arm 35 und im Placebo-Arm 23 Minuten. Die entsprechenden Verbesserungen in den 25-mg-Gruppen fielen etwas geringer aus. Die Inzidenz von Nebenwirkungen war in allen Behandlungsarmen ähnlich. Am häufigsten wurden Nasopharyngitiden und Kopfschmerzen berichtet. In der sich nach drei Monaten anschließenden siebentägigen Run-Out-Phase mit Placebo-Einnahme in allen Gruppen waren keine Anzeichen von wiedereinsetzender Insomnie feststellbar.
Verbesserter Schlaf mit assoziiertem Risiko
Chronische Insomnien sind mit schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie Hypertonie, Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, Diabetes, Gedächtnisstörungen oder Depressionen assoziiert. Somit besteht ein erhöhter Bedarf an langfristig einsetzbaren, zuverlässig wirkenden und gut verträglichen Sedativa. Inwiefern der im November 2022 neu auf dem deutschen Markt eingeführte Wirkstoff Daridorexant hier einen therapeutischen Fortschritt darstellt, ist derzeit offen. Die Substanz besitzt einen innovativen und ursächlichen Wirkmechanismus. Als dualer Antagonist an Orexin-1- und -2-Rezeptoren führt das rasch anflutende Daridorexant zu einer Normalisierung von überaktiven Wachheitssignalen im Gehirn. Im Gegensatz zu Benzodiazepinen und Z-Substanzen findet keine allgemeine Hemmung der Gehirnaktivität statt. Von Vorteil ist zudem, dass Daridorexant nach derzeitigem Kenntnisstand weder Hangover-Effekte, Dyspnoe noch eine relevante körperliche Abhängigkeit auslöst. Abschreckend wirkt jedoch die Aussicht auf gelegentlich auftretende Schlafparalysen, Halluzinationen und Kataplexien. Weiterhin ist in längerfristigen Studien mit aktiven Vergleichssubstanzen zu prüfen, ob der Wirkstoff, wie der bereits seit 2014 in den USA zugelassene weitere Orexin-Antagonist Suvorexant, bei Dauereinnahme zu einer Verschlimmerung von Depressionen und Selbstmordgedanken sowie zu wiederum verstärkter Tagesmüdigkeit führt. Für die Behandlungssicherheit ist es von großer Wichtigkeit, einen Klasseneffekt sobald wie möglich auszuschließen.
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Orexine offenbar auch für den Appetit sowie die nach Nahrungsaufnahme und Alkoholgenuss auftretende Euphorie von Bedeutung sind. Aufgrund dieses Sachverhalts wird der duale Orexin-Rezeptorantagonist Daridorexant derzeit für den Einsatz bei Personen mit Alkoholabhängigkeit und Essstörungen getestet. |
Neue Arzneimittel 2023
In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapieoptionen ein. Ein Archiv mit den seit 2000 eingeführten Wirkstoffen finden Sie auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de im Bereich „Pharmazie“.
Ab Januar 2023 finden Abonnenten der DAZ die Vorstellung und Einordnung der neu eingeführten Wirkstoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel, in der Print-Ausgabe der DAZ stellen wir in der Rubrik „Neue Arzneimittel“ regelmäßig die für die Offizin bedeutsamen Arzneistoffe vor.
Literatur
[1] Fachinformation zu Quviviq®, Stand Mai 2022
[2] Mignot E, Mayleben D, Fietze I et al., Safety and efficacy of daridorexant in patients with insomnia disorder: results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. Lancet Neurol 2022;21(2):125-139
[3] EPAR summary for the public. Quviviq® Daridorexant. EMA/127096/2022; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu
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