Medizin

Grüner Star: früh erkannt, Gefahr gebannt

Rechtzeitige medikamentöse Glaukomtherapie kann Erblindung verhindern

Foto: Rolf Müller/AdobeStock
Von Daniela Leopoldt | Das Glaukom (Grüner Star) bezeichnet eine irreversible, chronisch fortschreitende Schädigung des Sehnervs, die unbehandelt zur Erblindung führen kann. Tückisch ist der symptomfreie Beginn, infolge dessen etwa die Hälfte aller Glaukome derzeit nicht diagnostiziert ist.

Ein Glaukom macht sich durch einen zunehmenden Gesichtsfeldverlust, im fortgeschrittenen Stadium auch durch eine Abnahme der Sehschärfe, relativ spät bemerkbar. Unter dem Begriff werden verschiedene Augenerkrankungen zusammengefasst, denen ein progressives Absterben der Sehnervenfasern zugrunde liegt. Ausgelöst durch unterschiedliche Risikofaktoren, kommt es zu zellulären Veränderungen retinaler Nervenzellen und einer beschleunigten Apoptose, die eine Veränderung der Nervenfasern nach sich ziehen. Wichtigster Risikofaktor ist ein erhöhter Augeninnendruck (IOD, intraokularer Druck). Aber nicht immer ist das Glaukom mit einem erhöhten Augeninnendruck verbunden. Die multifaktorielle Ätiologie der Erkrankung ist noch ungeklärt. Aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge handelt es sich um eine systemische neurodegenerative Erkrankung, die durch eine Neuroinflammation getriggert wird. Unbehandelt kann die Krankheit bis zur Erblindung fortschreiten. Mit einer Prävalenz von 0,9 bis 2,4% der erwachsenen Bevölkerung gehört das Glaukom in Deutschland zu den häufigsten Augenerkrankungen und ist nach der altersbedingten Makuladegeneration die häufigste Ursache für Blindheit und Sehbehinderung. Meist wird es im Alter zwischen 40 und 80 Jahren diagnostiziert, wobei die Häufigkeit mit dem Alter steigt. Um das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten und die Seh- und Lebensqualität der Betroffenen möglichst lange zu erhalten, ist eine frühzeitige Therapie essenziell. Im Vordergrund steht dabei die medikamentöse Therapie [1 – 4].

Heterogene Gruppe von Erkrankungen

Das primäre chronische Offenwinkelglaukom (POWG), bei dem in der Regel der Augeninnendruck durch ein Ungleichgewicht zwischen Kammerwasserproduktion und -abfluss erhöht ist, ist das häufigste Glaukom dieser heterogenen Gruppe von Erkrankungen. Ist der Sehnerv bei normalem Augeninnendruck (10 bis 21 mmHg) geschädigt, handelt es sich um ein Normaldruckglaukom. Im Vergleich zum primären chronischen Offenwinkelglaukom stehen dabei andere Risikofaktoren im Vordergrund, z. B. Durchblutungsstörungen. Menschen mit okulärer Hypertension haben zwar einen erhöhten Augeninnendruck, Sehnerv und Gesichtsfeld weisen aber keine glaukomatösen Veränderungen auf. Einige dieser Patienten entwickeln jedoch später ein Glaukom. Darüber hinaus gibt es das Winkelblockglaukom (Engwinkelglaukom) zu dem auch der akute Glaukomanfall gehört. Während bei einem primären Glaukom die Ursachen unbekannt sind, sind sekundäre Glaukome Folgeerscheinungen anderer Augen- oder Allgemeinerkrankungen wie z. B. Diabetes oder Durchblutungsstörungen oder auch von Steroidbehandlungen. Selten kann bei Kindern aufgrund einer Entwicklungsstörung ein kongenitales Glaukom auftreten, auf das an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird [1, 5].

Drei pathophysiologische Ansatzpunkte

Treten erste funktionelle Schäden auf, ist bereits viel neuronales Gewebe irreversibel geschädigt. Ziel der Behandlung ist es, möglichst frühzeitig den Verlust von weiterem neuronalen Gewebe zu verhindern, und so die fortschreitende Verschlechterung aufzuhalten und das Sehvermögen zu stabilisieren. Aktuell spielen dabei drei pathophysiologische Ansatzpunkte eine Rolle. Wichtigster Pfeiler der Therapie ist die konsequente Senkung des Augeninnendrucks. Es ist evidenzbasiert belegt, dass damit ein Fortschreiten des Glaukoms aufgehalten werden kann. Zweiter Angriffspunkt ist nach heutigem Wissensstand die Verbesserung der okulären Durchblutung, da diese bei Glaukompatienten reduziert und die normalerweise vorhandene Autoregulation gestört ist. Eindeutige Belege für die Wirksamkeit einer solchen Behandlung gibt es bislang aber noch nicht. Darüber hinaus gewinnt die Neuroprotektion zunehmend an Bedeutung, mit der das Absterben von Nervenzellen und -fasern verhindert werden soll. In den vergangenen Jahren konnte gezeigt werden, dass die glaukomatöse Neurodegeneration die gesamte Sehbahn einschließlich zerebraler Strukturen betrifft. Diverse Neuroprotektiva werden diesbezüglich in klinischen Studien untersucht. Aber auch hier steht der Wirksamkeitsnachweis am Patienten noch aus. Operative Maßnahmen oder Laserbehandlungen kommen in der Regel erst zur Anwendung, wenn eine medikamentöse Kontrolle des Augeninnendrucks scheitert, wobei Laserbehandlungen auch ergänzend zur medikamentösen Therapie möglich sind [2 – 3, 6].

Behandlung abhängig vom Risiko

Die Therapie des Glaukoms richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen und der Progressionsrate des jeweiligen Patienten. Das heißt, Intensität der Behandlung, Zieldruck und Häufigkeit der Kontrollen werden durch das persönliche Risiko, eine schwere glaukombedingte Einschränkung der Lebensqualität zu erleiden, bestimmt. So sollten Patienten mit hohem Risiko, wie junge Patienten mit manifestem Glaukom oder Patienten mit fortgeschrittener Gesichtsfeldeinschränkung, aggressivere Therapien und engmaschigere Kontrollen erhalten als Patienten mit niedrigem Risiko, wie sehr alte Patienten mit frühem Gesichtsfelddefekt oder einseitigem Glaukom. Insbesondere für Patienten mit fortgeschrittenem Glaukom und jungen Patienten mit noch langer Lebenserwartung wird eine konsequente drucksenkende Therapie empfohlen. Entsprechend der Leitlinie der European Glaucoma Society (EGS) ist die Senkung des Augen­innendrucks der einzig wirksame Ansatz zur Erhaltung der Sehfunktion. Dennoch können unter Berücksichtigung der Progressionsrate, des Allgemeinzustandes und der Präferenzen des Patienten auch die anderen Therapieansätze in die Behandlung einfließen [6, 7].

Individueller Zieldruck

Einen für alle Patienten einheitlichen Zieldruck gibt es nicht. Dieser muss für jeden Patienten und für jedes Auge individuell bestimmt, regelmäßig überprüft und erforder­lichenfalls angepasst werden. Bei Diagnose wird der Zieldruck zunächst anhand des Ausgangsdrucks und des Krankheitsstadiums festgelegt. Dabei gilt, je größer der bestehende Schaden und je niedriger der unbehandelte Augeninnendruck, desto niedriger sollte der Zieldruck sein. Auch das Alter spielt eine Rolle, denn ein jüngeres Alter impliziert eine längere Lebenserwartung und somit einen niedrigeren Zieldruck. Höheres Alter dagegen ist ein Risikofaktor für schnelle Progression (s. Abb. 1). Der Zieldruck sollte umso niedriger sein, je schneller die Progressionsrate. Da diese bei neu diagnostizierten Patienten noch nicht bekannt ist, beruht die Festsetzung des Zieldrucks zunächst auf den Risikofaktoren für eine Progression (z. B. Alter, Familienanamnese, Kurzsichtigkeit). Deren Bedeutung nimmt im Laufe der Behandlung mit zunehmenden Gesichtsfelduntersuchungen ab und wird in der Regel nach zwei bis drei Jahren durch die dann ermittelte Progressionsrate ersetzt. Als Richtwert für einen langfristigen Therapieerfolg bei hohen Ausgangswerten empfehlen Experten, sofern möglich, die konsequente Absenkung auf < 18 mmHg, bei einem fortgeschrittenen Glaukom sogar auf < 15 mmHg [1, 3, 6 – 8].

Abb. 1: Um den individuellen Zieldruck zu ermitteln, sollten alle gezeigten Aspekte berücksichtigt werden (nach [European Glaucoma Society]).

Prinzipien der medikamentösen Therapie

Für die medikamentöse Therapie stehen Arzneimittel verschiedener Wirkstoffklassen, meist in Form von Augentropfen oder -salben zur topischen Anwendung zur Verfügung. Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. fortgeschrittene Erkrankung und/oder sehr hoher Augeninnendruck) sollte zunächst mit einer Monotherapie begonnen werden. Neben Progressionsrate und Präferenzen des Patienten spielen bei der Auswahl eines geeigneten Präparates auch die zu erwartenden lokalen und systemischen Nebenwirkungen eine Rolle. Die Wirksamkeit der drucksenkenden Therapie hängt meist vom unbehandelten Augeninnendruck ab, wobei Patienten mit höherem Ausgangsdruck in der Regel eine größere Drucksenkung aufweisen (s. Abb. 2). Bei mangelnder Wirksamkeit oder Unverträglichkeiten sollte zunächst zu einer anderen Monotherapie mit einem Präparat derselben oder einer anderen Wirkstoffklasse gewechselt werden. Ist die Monotherapie verträglich und wirksam, aber nicht ausreichend, um den Zieldruck zu erreichen, sollte eine Kombinationstherapie mit einem Wirkstoff einer anderen Klasse, bestenfalls mit additiver Wirkung, in Erwägung gezogen werden. Fixkombinationen sind zu bevorzugen, denn mehrere verschiedene Augentropfen sind für Patienten schlechter zu handhaben und beeinflussen die ohnehin oftmals schwache Therapieadhärenz negativ. Darüber hinaus kann bei Anwendung mehrerer Präparate die Exposition gegenüber Konservierungsstoffen erhöht sein. Häufig eingesetztes Konservierungsmittel ist Benzalkoniumchlorid, das bei langfristiger Anwendung lokale Beschwerden wie gerötete und trockene Augen hervorrufen kann. Idealerweise sollte heutzutage möglichst gleich mit einer konservierungsmittelfreien Therapie begonnen werden. Bei unzureichender Wirksamkeit ist auch die Kombination von drei Wirkstoffen möglich, wobei die Wirkprinzipien der einzelnen Wirkstoffe zu beachten sind [2, 6, 8].

Abb. 2: First Choice Unter Berücksichtigung aller Aspekte der zur Verfügung stehenden Wirkstoffe und der individuellen Gegebenheiten beim Patienten entscheidet der behandelnde Arzt sich für einen Wirkstoff zur initialen drucksenkenden Therapie (First Choice, Therapie der 1. Wahl). Das können auch drucksenkende Wirkstoffe sein, die nicht zur Erstlinien-­Therapie zugelassen sind, sondern nur als Zusatzbehandlung (nach [European Glaucoma Society]).


Prostaglandin-Analoga
Die stärkste Senkung des Augeninnendrucks wird mit Prostaglandin-Analoga erzielt, zu denen Ester-Prodrugs wie Latanoprost (Xalatan®), Travoprost (Travatan®) und Tafluprost (Taflotan®) sowie Prostamide wie Bimatoprost (Lumigan®) gehören. Sie sind bei der Glaukomtherapie Mittel der ersten Wahl. Während Ester-Prodrugs vor allem den uveoskleralen, und untergeordnet auch den trabekulären, Kammerwasserabfluss verbessern, bewirkt das Prostamid Bimatoprost die Verbesserung von trabekulärem und uveoskleralem Kammerwasserabfluss gleichermaßen und dadurch eine noch stärkere Senkung des intraokularen Drucks. Die Augentropfen müssen nur einmal täglich (vorzugsweise abends) angewendet werden und besitzen ein günstiges Nebenwirkungsprofil. Dies schließt konjunktivale Hyperämie (gerötete Augen), vermehrte Pigmentierung der Iris und der periokulären Haut sowie verstärktes Wimpernwachstum ein. Eine dauerhafte Veränderung der Augenfarbe ist möglich, was insbesondere bei einseitiger Behandlung für Patienten problematisch sein könnte. Systemisch können Prostaglandin-Analoga zur Exazerbation eines Asthmas führen, weshalb hier besondere Vorsicht geboten ist. Darüber hinaus gibt es Anwendungsbeschränkungen bei Herz-Kreislauf- sowie Leber- und Nierenerkrankungen.

Betablocker
Betablocker wie der nicht-selektive Betablocker Timolol (Arutimol®, Dispatim®) und der β1-selektive Betablocker Betaxol (Betoptima®) sind ebenfalls Mittel der ersten Wahl und können alternativ zu Prostaglandin-Analoga eingesetzt werden. Sie müssen jedoch zweimal täglich appliziert werden. Ihre Wirkung beruht auf einer Reduktion der Kammerwasserproduktion. Lokale Nebenwirkungen sind z. B. konjunktivale Hyperämie und Entstehung bzw. Verstärkung eines trockenen Auges. Aufgrund möglicher systemischer Nebenwirkungen wie Bronchospasmus und Bradyarrhythmien sind sie bei Asthma, COPD und einigen Herzerkrankungen kontraindiziert. Besondere Vorsicht ist auch bei Diabetikern geboten, da eine Hypoglykämie durch Betablocker verstärkt und maskiert werden kann. Betablocker sind gut geeignet für Kombinationstherapien und können die lokale Verträglichkeit des kombinierten Wirkstoffes verbessern. Am häufigsten werden Kombinationen mit Prostaglandin-Analoga (z. B. Timolol/Bimatoprost [Ganfort®]) und/oder Carbo­anhydrase-Hemmern (z. B. Timolol/Dorzolamid [Cosopt®]) angewendet.

Carboanhydrase-Hemmer
Auch Carboanhydrase-Hemmer senken den Augeninnendruck durch Verringerung der Kammerwasserproduktion. Sie werden aber kaum noch zur Ersttherapie eingesetzt, denn ihre Wirksamkeit ist im Vergleich zu den anderen Wirkstoffen geringer und die Wirkdauer kürzer. Vorteilhaft ist jedoch die zusätzlich zu ihrem Augeninnendruck-senkenden Effekt vorhandene Verbesserung der okulären Perfusion. Sie sind die einzige Wirkstoffgruppe, für die eine bessere okuläre Durchblutung belegt werden konnte. Hemmung der Carboanhydrase führt zu einem Anstieg an Kohlendioxid, das eine Vasodilatation und dadurch bessere retinale Durchblutung bewirkt. Für die lokale Anwendung in Form von Augentropfen (zwei- bis dreimal täglich) stehen z. B. Dorzolamid (Trusopt®) und Brinzolamid (Azopt®) zur Verfügung. Systemisch wird schon lange Acetazolamid (Glaupax®) eingesetzt. Seit Einführung der topischen Carboanhydrase-Hemmer hat es jedoch an Bedeutung verloren und wird heutzutage nur noch in speziellen Fällen eingesetzt (z. B. Glaukomanfall). Typische Nebenwirkungen dieser Wirkstoffgruppe sind Geschmacksveränderungen (bitterer Geschmack) sowie lokale Reaktionen wie Brennen und Stechen am Auge, insbesondere bei systemischer Anwendung auch Parästhesien, Appetitlosigkeit und metabolische Störungen.

Alpha-2-Rezeptoragonisten
Vertreter dieser Wirkstoffgruppe sind z. B. Clonidin (Clonid-Ophthal®), Apraclonidin (Iopidin®) und Brimonidin (Alphagan®). Sie verringern die Kammerwasserproduktion und/oder erhöhen den uveoskleralen Kammerwasserabfluss. Alpha-2-Rezeptoragonisten müssen zwei- bis dreimal täglich angewendet werden. Oft treten Augenreizungen auf und langfristig entwickeln mehr als ein Drittel aller Patienten eine topische Unverträglichkeit. Häufige systemische Nebenwirkungen sind Blutdrucksenkung, Sedierung, Schläfrigkeit und Mundtrockenheit. Besondere Vorsicht ist daher geboten bei Bradykardie, Hypotonie, Gefäßsklerose sowie eingeschränkter Leber- und Nierentätigkeit. Kontraindiziert sind sie unter anderem bei gleichzeitiger Therapie mit MAO-Hemmern, anderen Sympathomimetika und tri­cyclischen Antidepressiva. Experimentelle und Tierstudien weisen auf eine neuroprotektive Wirkung von Brimonidin hin, die den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen könnte.

Parasympathomimetika
Das bereits vor mehr als 100 Jahren in der Glaukomtherapie eingesetzte Pilocarpin (Spersacarpin®, Pilomann®) spielt heutzutage keine große Rolle mehr. Der Kammerwasserabfluss wird durch Kontraktion des Ziliarmuskels und damit einhergehender Erweiterung des Trabekelwerks im Kammerwinkel erleichtert. Pilocarpin wird heute vor allem beim akuten Winkelblockglaukom angewendet [1, 3, 5, 6].

Rho-Kinase-Hemmer
Die zuletzt für die Glaukomtherapie eingeführte Wirkstoffgruppe sind die Rho-Kinase-Hemmer, die im Jahr 2014 in Japan (Ripasudil) und 2017 in den USA (Netarsudil) erstmalig zugelassen wurden. Die Rho-Kinase ist eine Serin-Threonin-Proteinkinase, die in zwei Isoformen (ROCK I und ROCK II) ubiquitär vorliegt und an der Regulation zahlreicher Zellfunktionen beteiligt ist. Hemmung der Rho-Kinase im Auge führt insbesondere im Trabekelwerk zu einem verbesserten Abfluss. Schon bei Neueinführung dieser Substanzen sind neben der Augeninnendruck-senkenden Wirkung auch ihre zahlreichen für die moderne Glaukom­therapie bedeutsamen pleiotropen Effekte (durchblu­tungsfördernd, neuroprotektiv und antiinflammatorisch) hervorgehoben worden. Während Ripasudil zweimal täglich getropft werden muss, ist bei Netarsudil mit einer Wirkdauer von 24 Stunden die einmalige abendliche Applikation ausreichend. Häufigste lokale Nebenwirkung der Rho-Ki­nase-Hemmer ist die konjunktivale Hyperämie. Die Wirksamkeit der beiden Einzelsubstanzen ist mit der des Betablockers Timolol und des Prostaglandin-Analogons Latanoprost vergleichbar. Eine stärkere Augendrucksenkung kann mit der Fixkombination Netarsudil/Latanoprost (Roclanda®) erzielt werden, die nach dreimonatiger Anwendung bei etwa 30% der Patienten einen Zieldruck < 15 mmHg erreicht. Ob der Druck stabil gehalten werden kann, muss in längerfristigen Studien noch gezeigt werden. Diese neueste Behandlungsoption steht Patienten mit Offenwinkelglaukom und Patienten mit okulärer Hypertension seit 2019 in den USA und seit Dezember 2022 auch in Deutschland zur Verfügung (siehe Kasten). Ungünstig und, nach Ansicht von Experten, nicht dem Zeitgeist einer modernen Glaukomtherapie entsprechend, ist die Konservierung mit Benzalkoniumchlorid. Wechselwirkungen mit anderen antiglaukomatösen Wirkstoffen, außer Betablockern und Latanoprost, sowie mit Systemtherapien sind noch weitgehend unbekannt. Möglich ist ein kompetitiver Effekt mit Statinen, der abgeklärt werden muss [2, 9, 10].

Neue Fixkombination des Rho-Kinase-Hemmers Netarsudil mit dem Prostaglandin-Analogon Latanoprost

Die neue Augentropfen-Fixkombination des in Japan gegründeten Pharmaunternehmens Santen ist unter dem Handelsnamen Roclanda® im Dezember 2022 auf den deutschen Markt gekommen. Sie ist zugelassen zur Senkung des Augeninnendrucks bei Offenwinkelglaukom oder bei okulärer Hypertension. Roclanda® ist indiziert, wenn durch Monotherapie mit einem Prostaglandin-Analogon oder Netarsudil keine ausreichende Reduktion des Augeninnendrucks erzielt werden kann. Die den Augeninnendruck senkende Wirkung beruht auf einer Erhöhung des Kammerwasserabflusses, wobei der Wirkmechanismus beider Wirkstoffe unterschiedlich ist. Die Anwendung der Augentropfen erfolgt einmal täglich abends. Pro Tag sollte nicht mehr als ein Tropfen in das betroffene Auge eingetropft ­werden. Kontaktlinsen sind vor dem Eintropfen zu entfernen und können 15 min später wieder eingesetzt werden. Bei gleichzeitiger Verwendung mehrerer ­Augenarzneimittel ist zwischen den Präparaten ein Abstand von fünf Minuten einzuhalten. Andere Augentropfen sind aufgrund der gefäßerweiternden Wirkung von Netarsudil vor Roclanda® anzuwenden, Augen­salben zuletzt. Bei gleichzeitiger Anwendung von der Fixkombination mit Thiomersal-haltigen Augentropfen kann es zu Ausfällungen kommen, weshalb der Abstand von mindestens fünf Minuten unbedingt einzuhalten ist. Die Anwendung weiterer Prostaglandin-Analoga wird nicht empfohlen, da sonst eine paradoxe Erhöhung des Augeninnendrucks möglich ist. Die Augentropfen sind im Kühlschrank zu lagern und nach Anbruch vier Wochen verwendbar.


Literatur

[10] Fachinformation Roclanda®, www.ema.europa.eu

Neuroprotektiva sollen Apoptose-Kaskade aufhalten

Sinnvolle Ergänzungen zur Augeninnendruck-senkenden Therapie sind nach heutigem Wissensstand sowohl vaskuläre Therapiekonzepte (einschließlich Optimierung des systemischen Blutdrucks) als auch neuroprotektive Maßnahmen. So ist z. B. beim primären chronischen Offenwinkelglaukom eine neuroprotektive Wirkung von Citicolin (Cytidin-5‘-Diphosphocholin) nach etwa einjähriger Anwendung einer täglichen oralen Dosis von 500 mg bis 1000 mg nachweisbar. Die Wirkung ist unabhängig vom Glaukomschaden und vom Augeninnendruck. Die Anwendung in der empfohlenen Dosierung wird als risikofrei betrachtet und hat nach bisherigem Kenntnisstand keinerlei Nebenwirkungen. Citicolin ist in der EU als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen, in Italien speziell für Glaukompatienten. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Antioxidanzien wie z. B. Coenzym Q10 und Vitamin E, die freie Sauerstoffradikale verringern und damit den beim Glaukom erhöhten oxidativen Stress reduzieren können. Die langfristige orale Gabe von Ginkgo-biloba-­Extrakten konnte bei Patienten mit Normaldruckglaukom die Glaukomprogression verlangsamen. Eine Evaluierung diverser neuroprotektiver Therapiemaßnahmen erfolgt derzeit in zahlreichen klinischen Studien [2 – 4, 11, 12].

Anwendungshinweise aus der Apotheke

Um systemische Nebenwirkungen antiglaukomatöser Augentropfen zu verringern, sollte nach dem Eintropfen in den Bindehautsack der innere Augenwinkel mit dem Finger für ca. eine Minute leicht zugedrückt oder aber die Augen für wenige Minuten verschlossen werden. So wird verhindert, dass die Tropfen über die Tränenwege in den Nasen-Rachen-Raum fließen und dort über die gut durchblutete Schleimhaut aufgenommen werden. Die Aufnahme über die Nasenschleimhaut führt zu einer Umgehung des First-Pass-Mechanismus der Leber, was vor allem bei β-Blockern systemische Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Werden zwei verschiedene Tropfen angewendet, sollte in der Apotheke noch einmal darauf hingewiesen werden, zwischen beiden Tropfen ein Intervall von mindestens zwei Minuten (bei Roclanda® fünf Minuten) einzuhalten. Bei Suspen­sions-Augentropfen ist ein Hinweis auf das vor Anwendung erforderliche Aufschütteln empfehlenswert. Die Umstellung eines Patienten vom Originalpräparat zu einem Generikum wird in der EGS-Leitlinie kritisch gesehen. Neben einem möglicherweise unterschiedlichen Tropfvolumen können verschiedene Zusatzstoffe auch zu Unterschieden in Viskosität, Osmolarität und pH-Wert führen und somit Verträglichkeit und korneale Penetration beeinflussen, was engmaschige Kontrollen notwendig macht [1, 6].

Mangelnder Adhärenz entgegenwirken

Entscheidend für die Verhinderung des Fortschreitens der Erkrankung und damit den Erfolg der medikamentösen Therapie ist die regelmäßige Anwendung der Augentropfen. Da Patienten aber keine sofortige Besserung, sondern eher unangenehme Nebenwirkungen der Therapie spüren, ist mangelnde Adhärenz ein häufiges Problem. Belastende lokale Beschwerden, wie gerötete und trockene Augen, werden oftmals auch durch Benzalkoniumchlorid ausgelöst und beeinflussen die Therapieadhärenz negativ. Abhilfe könnte die mit zeitlichem Abstand zusätzliche Anwendung konservierungsmittelfreier Tränenersatzlösungen schaffen. Mangelnde Adhärenz kann durch offene Fragestellungen im Rahmen des Beratungsgespräches bei der Arzneimittelabgabe festgestellt werden. So könnte z. B. erfragt werden, wie der Patient mit der Anwendung zurechtkommt und ob die Tropfen manchmal vergessen werden. Wenn ja, wie oft? Durch einfache Schemata und Aufklärung des Patienten lässt sich die Adhärenz häufig verbessern. Hilfreich sind feste Tageszeiten für die Anwendung einzuplanen und Erinnerungshilfen, z. B. per App oder Zettel im Bad. Auch sollte die Bedeutung von regelmäßigen Kontrollterminen noch einmal unterstrichen werden. Die Patienten sollten wissen, dass eine mögliche Folge des Glaukoms die Erblindung ist und die drucksenkende Therapie langfristig protektiv wirkt [8, 12]. |

Auf einen Blick

  • Das Glaukom ist eine komplexe systemische degenerative Erkrankung, die unbehandelt zur Erblindung führen kann.
  • Wenn erste funktionelle Schäden (z. B. Gesichtsfeldänderung) auftreten, ist bereits viel neuronales Gewebe irreversibel geschädigt.
  • Erhöhter Augeninnendruck ist zwar der wichtigste, aber nicht alleinige Risikofaktor.
  • Medikamentöse Therapie steht bei der Behandlung im Vordergrund.
  • Neben konsequenter Augeninnendrucksenkung stehen die Verbesserung der okularen Perfusion und Neuroprotektion zunehmend im Fokus.
  • Für die Behandlung stehen zahlreiche Arzneimittel verschiedener Wirkstoffgruppen (z. B. Prostaglandin-Analoga, Betablocker, Alpha-2-­Rezeptoragonisten, Carboanhydrase-Hemmer und Rho-Kinase-Hemmer), meist zur topischen Anwendung, zur Verfügung.
  • Neueste Behandlungsoption ist die Fixkombi­nation Roclanda®, bestehend aus dem Prostaglandin-Analogon Latanoprost und dem Rho-Kinase-Hemmer Netarsudil, die stärker wirksam ist als die Einzelkomponenten.

Literatur

 [1] Schuster AK et al. The diagnosis and treatment of glaucoma. Dtsch Arztebl Int 2020;117:225-234

 [2] Erb C. Neue therapeutische Konzepte in der Glaukomtherapie. Der Ophthalmologe 2021;118:429-430

 [3] Lanzl I., Prokosch-Willing V. Die drei Säulen der medikamentösen Glaukomtherapie – ein Update. cme-Kurs, zertifiziert durch Akademie für ärztliche Fortbildung Rheinland-Pfalz 2021. www.cme-kurs.de

 [4] Jünemann AGM et al. Bedeutung von Citicolin bei der Glaukom­erkrankung. Der Ophthalmologe 2021;118:439-448

 [5] Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. 11., völlig neu bearbeitete Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

 [6] Terminologie und Leitlinien für das Glaukom. European Glaucoma Society, 5. Auflage, 2021

 [7] Bewertung von Risikofaktoren für das Auftreten des Offenwinkelglaukoms. S2e-Leitlinie der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und dem Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V. (BVA). AWMF-RegisterNr. 045-015, Stand: 31. Januar 2020, in Überarbeitung

 [8] Erb C. Personalisierte Planung der Augeninnendrucksenkung in der Glaukomtherapie. cme-Kurs zertifiziert durch Akademie für ärztliche Fortbildung Rheinland-Pfalz 2021. www.cme-kurs.de

 [9] Erb C, Konieczka K. Rho-Kinase-Hemmer als neue lokale Therapieoption beim primären Offenwinkelglaukom. Der Ophthalmologe 2021;118:449-460

[10] Fachinformation Roclanda®, www.ema.europa.eu

[11] Pillunat KR, Pillunat L. Vaskuläre Therapiekonzepte bei Glaukompatienten. Der Ophthalmologe 2021;118:431-438

[12] Rahić O et al. Neuartige Wirkstoffabgabesysteme für die Glaukomtherapie: Hürden und Lösungsansätze für die Formulierung. Kompass Ophthalmol 2021;7:47-69

 

Autorin

Dr. Daniela Leopoldt ist Apothekerin und Pharmakologin. Nach ihrer Promotion an der FU Berlin war sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den USA und anschließend in der ­öffentlichen Apotheke sowie der pharmazeutischen Industrie tätig. Seit 2017 schreibt sie als freie Medizinjournalistin unter anderem Beiträge für die DAZ.

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