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Geriatrische Pharmazie - nur interdisziplinär erfolgreich
VdPP hat zum Frühlingsseminar geladen
„Deprescribing“ – das Absetzen, Dosis-Reduktion und -adaptation von Arzneimitteln aus einem überfüllten Medikationsplan stand im Mittelpunkt. Denn Polypharmazie (mehr als fünf Arzneimittel pro Tag) ist in Europa bei bis zu 40% der geriatrischen Patienten an der Tagesordnung. Nur eine der Ursachen ist die in diesem Alter häufige Multimorbidität. Auch Doppelverordnungen durch mehrere Ärzte und eine Orientierung an Leitlinien, wo es gar nicht möglich ist, tragen dazu bei. Leitlinien werden auf Basis klinischer Studien erarbeitet, in denen Arzneimittel nur in Bezug auf eine Erkrankung geprüft werden – dazu meist bei jungen Probanden. Als konkretes Beispiel nannte die Referentin Veronika Bencheva (Klinische Pharmakologie der Uni in Witten/Herdecke), dass eine alte Patientin mit fünf Erkrankungen nach fünf Leitlinien mit mindestens zwölf Medikamenten zu therapieren wäre. So kann auch Superhyperpolypharmazie (mehr als 15 Arzneimittel pro Tag) entstehen.
Absetzen ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich zur Verbesserung der Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten. Deprescribing ist nicht einfach Absetzen. Es erfordert die genaue Prüfung der Medikation unter Einbeziehung der Diagnosen, Indikationen sowie pharmakologischer, persönlicher und auch sozialer Gesichtspunkte. Vorsicht ist geboten. Alle Beteiligten und auch die Patienten sind in den Prozess einzubeziehen.
Wissenschaftliche Werkzeuge sind: Priscus-Liste, Cofrail-Studie oder die S3-Leitlinie Multimorbidität der DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin). Forschungsbedarf wurde reklamiert, um Evidenz zu generieren.
Ähnlich, aber doch anders beschrieb der klinisch-geriatrische Internist Dr. Wolf Wallis aus Köln die stationäre Situation: Die Patienten sind älter (70 bis 96 Jahre), 18 verordnete Arzneimittel bei der Aufnahme kommen vor, notwendige Informationen fehlen oft, z. B. sind die so wichtigen Medikationspläne oft lückenhaft und nicht aktuell. Stationär werden beim Deprescribing auch etwa kürzere Lebenserwartung und Gebrechlichkeit einbezogen. Erstaunlich: viele Patienten verstehen, warum etwas abgesetzt werden soll und sind einverstanden.
Pharmazeutische Expertise zu wenig genutzt
Die Medikationen werden im interdisziplinären Team beraten, wobei die pharmakologische Expertise der Pharmazeuten viel zu wenig genutzt wird. Ärztliche und pharmazeutische Berufsverbände wären hier grundsätzlich in der Pflicht, gemeinsame Ziele zu entwickeln und zu realisieren.
Die besondere Bedeutung des Pflegepersonals im multiprofessionellen Team auch für die Arzneimittelversorgung stellte Prof. Dr. Cornelia Mahler (Pflegewissenschaftlerin der Uni Tübingen) dar. Sie beruht auf der umfassenden und anspruchsvollen Ausbildung inkl. Weiterqualifikation der Pflegefachkräfte. Sie haben intensiven Kontakt mit Patienten und zu ihren Angehörigen; sie strukturieren den Medikationsprozess und überwachen Reaktionen auf die Therapie; sie kommunizieren mit den Ärzten und Apothekern. So beurteilen alle an der Versorgung Beteiligten die Situation der Patienten aus ihrer jeweiligen Perspektive, und daraus kann ein anders gar nicht erreichbarer Synergiegewinn gezogen werden. Für alle!
Die Vorträge haben eine ungewöhnlich lebhafte Diskussion angestoßen. Im stationären Bereich ist interprofessionelle Zusammenarbeit besser als im ambulanten Bereich und auf den geriatrischen Stationen besser als im Akut-Bereich. Als positive Ausnahme wurde das Projekt „Telecar“ in Baden-Württemberg genannt. Hier kommunizieren Pflegedienste über Video-Austausch mit den Hausärzten. Die digitale Krankenakte würde hierbei wichtige Daten bereit stellen, aber die Entwicklung ist in Deutschland noch nicht so weit. Die Frage des Datenschutzes ist gerade im medizinischen Bereich ein hohes Gut. Pro und contra ist hier noch nicht zu Ende geklärt.
Zu dem Thema, wie kommuniziere ich den Vorgang von Absetzen oder Abdosieren eines Medikaments gab es nicht die Idee, einer immer richtigen Vorgehensweise. Oft hilft es, wenn man deutlich machen kann, dass ein Körper, der sich verändert, auch eine Veränderung der Medikation braucht.
Deutschlandweit gesehen, machen pflegende Angehörige die Hauptarbeit in der geriatrischen Versorgung. Für ihre Unterstützung sind wenig bis gar keine Mittel vorgesehen. Über den Posten „Pharmazeutische Dienstleistungen“ könnten hierüber Hilfestellungen bezahlt werden. Es könnte ein Anknüpfungspunkt sein, bei dem Ärzte und Pharmazeuten verbindlich zusammenarbeiten. Gerade im ländlichen Raum brauchen Hausärzte dringend (pharmazeutische) Unterstützung.
Der Schlusssatz zu dieser spannenden Veranstaltung: „Gute geriatrische Pharmazie braucht dringend interdisziplinäre Kooperation.“ |
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