Foto: Andreas Gruhl/AdobeStock

DAZ aktuell

Risiko Zuzahlungsinkasso

§ 43c Abs. 1 SGB V als Sinnbild für verfehlte Gesetzgebung und Scheitern der Selbstverwaltung

Im Rahmen der Verhandlungen des Arzneiliefervertrages NRW hatte der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) das Verfahren zum Zuzahlungsinkasso nach § 43c Abs. 1 SGB V zum Verhandlungs­gegenstand gemacht. Ziel war eine einheitliche und vereinfachte Umsetzung der Norm, um vor allem den in vielen Versorgungsbereichen unabweisbaren praktischen Anforderungen Rechnung zu tragen. Das Krankenkassenlager hat dieses Ansinnen zurückgewiesen. Nun rückt selbst die AOK NordWest von einer Kulanzregelung ab und beruft sich dabei auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf. Für Thomas Rochell, Vorsitzender des AVWL, zeigt sich an dieser Causa geradezu paradigmatisch, wie weit es in unserem Gesundheitssystem gekommen ist. | Von Thomas Rochell

Die Schwachstellen unseres Gesundheitssystems treten derzeit wieder offenkundig zutage. Die Aufarbeitung der Fehler bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie ist im Gange, im Rahmen der Digitalisierung scheinen wir nach einer abermaligen Rolle rückwärts beim E-Rezept europaweit endgültig abgehängt und massive Lieferengpässe offenbaren die eklatanten Versäumnisse der Gesundheitspolitik der zurückliegenden Jahre. Und selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach muss mittlerweile einräumen, dass man mit der Ökonomisierung zumindest in Teilen des Gesundheitssystems zu weit gegangen ist.

Soweit es das Problem der Lieferengpässe betrifft, scheint sich das Bundesgesundheitsministerium mit geradezu operativer Hektik der Erstellung eines Referentenentwurfs für ein Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) gewidmet zu haben. Spätestens seit Eugen Bleuler, einem Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, wissen wir jedoch auch, dass nicht selten „operative Hektik geistige Windstille ersetzt“. Das Ergebnis dieses Entwurfes ist dann auch folgerichtig, nämlich jämmerlich.

Dankenswert, weil (endlich) kompromisslos klar, hat die ABDA auf den Entwurf reagiert, eigene Ansätze zur Problemlösung formuliert und dezidiert begründet. Darüber hinaus hat sie einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog aufgestellt, der es vollkommen zu Recht – salopp gesagt – krachen lässt. Gefordert wird u. a., das Fixum deutlich zu erhöhen und zu dynamisieren, Retaxationen auf das sachlich gebotene, angemessene Maß zu beschränken, die finanziellen Risiken aus dem Inkasso des Herstellerrabattes für die Krankenkassen zu beseitigen sowie Maßnahmen zum Bürokratieabbau zu treffen.

Man mag jetzt denken: Ja, schön und gut, aber damit sind doch nur Forderungen formuliert, die in einem staatlichen (Gesundheits-)System selbstverständlich sein sollten. Das Fixum ist seit vielen Jahren nicht mehr erhöht worden, also real abgeschmolzen. Retaxationen, die nicht geboten und angemessen sind, sollte es a priori nicht geben. Und Risiken aus einem fremdnützigen Inkasso, für das man selbst nichts erhält – also eine reine Gefälligkeit – dürfen schon gleich gar nicht sein. Richtig, absolut richtig, und dennoch schlagen sich die deutschen Vor-Ort-Apotheken seit Jahren mit diesen und anderen Auswüchsen herum.

§ 43c Abs. 1 SGB V Zahlungsweg

(1) Leistungserbringer haben Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zahlung einzuziehen.

Regelungsexzesse und Kassendominanz in der Selbstverwaltung

Woran liegt das aber? Nach meiner Einschätzung gibt es im Wesentlichen zwei Gründe dafür: Erstens hat der Gesetzgeber das sprichwörtliche Verhältnis von Baum und Wald aus dem Blick verloren. Die innere Schlüssigkeit und Gerechtigkeit des gesamten Gesundheitssystems ist vor dem Hintergrund eines über viele Jahre zu beobachtenden, auf Einzelfragen bezogenen Regelungsexzesses abhandengekommen. Zweitens ist immer häufiger festzustellen, dass das Prinzip der Selbstverwaltung versagt. Der Gesetzgeber gibt die Leitplanken vor, innerhalb derer sich die Selbstverwaltung entfalten soll. Von einer solchen Entfaltung im Sinne vertragspartnerschaftlicher Problemlösungen kann aber seit vielen Jahren nur noch selten die Rede sein. Vielmehr ist eine einseitige Dominanz der Krankenkassen zu konstatieren. Das liegt auch daran, dass eine wirklich – effiziente – Fach- und Rechtsaufsicht nicht gegeben ist. Vielmehr lässt man die bundesweit knapp hundert Krankenkassen unter dem Eindruck von Sparzwängen sowie im Glauben an die Rechtsform der Körperschaft öffentlichen Rechts gewähren.

Auch im Rahmen des gesetzgeberischen Auftrags an Apothekerverbände und Krankenkassen, milliardenschwere Arzneimittellieferungs- und Hilfsmittelverträge zu verhandeln, besteht daher mittlerweile eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke zugunsten der Krankenkassen. Retaxationen, die die Krankenkassen zudem weitgehend auf private Dienstleister ausgelagert haben, sind regelhaft geradezu befreit von jeglicher Ermessensausübung. Dass der Gesetzgeber dabei untätig zusieht, wie die Krankenkassen als mittelbare Staatsverwaltung ihre Aufgaben auf Dienstleister übertragen, die teils zudem zu Hedgefonds oder US-amerikanischen Marktforschungs- und Beratungsunternehmen gehören (GfS, Davaso), lässt einen nur noch ungläubig zurück.

Geradezu ein Sinnbild für die skizzierten Missstände ist § 43c Abs. 1 SGB V. Die Norm verpflichtet Leistungserbringer dazu, Zuzahlungen, die Versicherte u. a. anlässlich der Arzneimittelabgabe zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zahlung einzuziehen (§ 43c Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Im Unterschied zur Regelung der Zuzahlung im Bereich der Hilfsmittelversorgung (§ 33 Abs. 8 Satz 2 SGB V) soll der Leistungserbringer bei der Abgabe von Arzneimitteln das Inkassorisiko, wenn der Versicherte also die Zuzahlung nicht leistet, gerade nicht tragen – soweit jedenfalls die Theorie. Der Anspruch der Krankenkasse auf Zuzahlung besteht gegenüber ihrem Versicherten. Zahlt der Versicherte an den Leistungserbringer, wandelt sich der Anspruch der Krankenkasse in einen solchen auf Auskehrung des Zuzahlungsbetrages gegenüber dem Leistungserbringer. Die Inhaberschaft des Anspruchs bleibt also stets bei der Krankenkasse und geht keinesfalls auf den Leistungserbringer über. Letzterer verrechnet die Zuzahlung mit seinem Vergütungsanspruch, was zu einer entsprechenden Reduktion des Vergütungsanspruches führt.

Fremdnützige Tätigkeit ohne Entschädigung

In gewisser Weise bemerkenswert ist daran zunächst, dass der Gesetzgeber mit § 43c SGB V eine gesetzliche Inkassoverpflichtung zulasten der Leistungserbringer etabliert hat, sprich originäre Aufwände der Krankenkassen auf einzelne Leistungserbringer überwälzt. Eine Vergütung oder zumindest eine Aufwandsentschädigung für die rein fremdnützige Tätigkeit ist dabei nicht vorgesehen. Faktisch führt die Norm sogar zu einem zinslosen Darlehen in Höhe des Vergütungsanspruches, denn bleibt ein Patient die Zuzahlung schuldig, kostet das Mahnverfahren gemäß § 43c Abs. 1 Satz 2 SGB V in jedem Fall Zeit. Gibt man die Verordnung – sagen wir mal ein Rezept im Gegenwert von 5000 Euro – erst danach in die Abrechnung, hat die Krankenkasse für mehrere Wochen einen Zinsvorteil. Und ausnahmslos genau diese Vorgehensweise verlangt nunmehr unter anderem die AOK NordWest.

Für viele Versorgungsbereiche wirklichkeitsfremd

Das Hauptproblem der Norm besteht jedoch in ihrem ein­dimensionalen, für alle Leistungserbringer unterschiedslos ausgestalteten Tatbestand. Jedenfalls für Apotheken als Leistungserbringer kann die Umsetzung des § 43c Abs. 1 Satz 2 SGB V in vielen Versorgungsbereichen nur als wirklichkeitsfremd bezeichnet werden. Nimmt man beispielsweise die Hospiz-Versorgung, dann dürfte schnell klar sein, dass eine Mahnung gegenüber Sterbenskranken oder aber auch deren Angehörigen pietätlos und damit schlechterdings ausgeschlossen ist. Und was, wenn der Patient zwischenzeitlich sogar gestorben und infolgedessen die Frage unklar ist, was aus der ausstehenden Zuzahlung für die Apotheke wird?

Aber auch der gesamte Bereich der Heimversorgung lässt sich mit § 43c Abs. 1 SGB V nicht in Einklang bringen. Die Heimversorgung ist nicht zuletzt eine logistische Herausforderung, bei der auch dem Pflegepersonal im Heim eine maßgebliche Rolle zukommt. Das Apothekenpersonal hingegen übergibt nicht „am Pflegebett“ das Medikament. Die Abrechnung erfolgt regelmäßig „gebündelt“, typischerweise monatlich. Alles andere ließe sich weder aus Sicht der heimversorgenden Apotheke darstellen noch aus der des Heims, das aufgrund knapper Personalressourcen nicht jede Rechnung einzeln an Angehörige und Betreuer weiterleiten kann. Stellt sich im Nachgang zur Rechnungsstellung heraus, dass ein oder mehrere Heimbewohner die Zuzahlung nicht geleistet haben, dann sind die Rezepte bereits regelhaft im Abrechnungsvorgang. Anderenfalls müsste die Apotheke jede einzelne Rechnung nahezu wöchentlich darauf nachhalten, ob der jeweilige Patient bereits bezahlt hat oder stattdessen abzumahnen ist. Nicht nur die Krankenkassen bedürfen standardisierter Abläufe, sondern auch Apotheken. Über § 43c Abs. 1 SGB V die Krankenkassen zu entlasten, zugleich aber die Apotheken in der Heimversorgung oder ähnlichen Bereichen zu belasten, ist nicht zu rechtfertigen.

Mahnung für Krebspatienten? Ein Fall für den Patientenbeauftragten!

Weitere Beispiele von Versorgungsbereichen, in denen § 43c Abs. 1 SGB V durch die Apotheke praktisch nicht umsetzbar ist, lassen sich zahlreich nennen: So etwa die Zytostatika-Versorgung bzw. die Direktbelieferung des behandelnden Arztes im Rahmen von § 11 Abs. 2 ApoG. Die Apotheke bekommt den Patienten hier meist gar nicht zu Gesicht. Darüber hinaus befindet er sich in einem länger andauernden Behandlungszyklus mit erheblichen psychischen und physischen Belastungen. Dem Patienten in dieser Situation eine Zahlungsaufforderung und nachfolgend eine Mahnung zu stellen, ist einem Gesundheitssystem wie dem unseren unwürdig und damit letztlich ein Fall für den Patientenbeauftragten der Bundesregierung. Bei kühlkettenpflichtigen Arzneimitteln, die auf Wunsch des Patienten direkt in eine bestimmte Arztpraxis geliefert und dort bei einer zeitnah folgenden Operation eingesetzt werden, verhält es sich häufig ebenso. Hier ist es wie auch im Bereich ambulanter Kurzzeitpflege völlig unangemessen, die Patienten mit einer Mahnung unter Druck zu setzen.

Bei alldem ist zudem zu berücksichtigen, dass die Apotheke nach den Arzneimittellieferungsverträgen gehalten ist, ein Rezept bis zum Ende des auf den Lieferzeitpunkt folgenden Monats abzurechnen. Tut sie dies nicht, riskiert sie Abschläge auf die Rechnung. Es ist nicht vorgesehen, dass sich der Abrechnungszeitraum durch ein Mahnverfahren verlängert.

Faktische Selbstschädigung

Dem Gesetzgeber ist daher ein schlechtes Zeugnis auszustellen: Schon die Überwälzung von Aufgaben der Krankenkassen und damit die Verpflichtung zur fremdnützigen Interessenwahrnehmung stellt grundsätzlich einen Eingriff u. a. in die Freiheit der Berufsausübung dar. Mag man einen solchen noch als Beitrag der Leistungserbringer zum Funktionserhalt und letztlich auch der Finanzierbarkeit des GKV-Systems betrachten, so schwindet jedwedes Verständnis schnell, wenn die Aufgabenüberwälzung dazu führt, dass sich der Leistungserbringer faktisch selbst schädigt. Und das ist für die Apotheke, wie gesehen, der Fall: Das Zuzahlungsinkasso verzögert die Abrechnung mit der Krankenkasse und bedeutet damit einen Zinsverlust, kostet also Geld. Darüber hinaus bleibt der Erfüllungsaufwand für das Inkasso (Rechnungslegung, Mahnverfahren) an der Apotheke hängen. Ohne Weiteres summieren sich diese Positionen zu Beträgen, die den maximalen Zuzahlungsbetrag von 10 Euro erreichen oder gar überschreiten. Damit ist das ganze Verfahren auch noch ökonomisch unsinnig.

Kassen-Kulanz ist Vergangenheit

Dass die mit der Umsetzung des § 43c Abs. 1 SGB V verbundene Malaise zurückliegend nicht oder nur bedingt zutage getreten ist, beruht zum einen auf dem Umstand, dass viele Apotheken in speziellen Versorgungsbereichen wie der Hospizversorgung aus Gründen der Rücksichtnahme und Pietät darauf verzichten, die Zuzahlung einzuziehen. Zum anderen haben zumindest manche Krankenkassen früher in dargelegten und begründeten Einzelfällen auch nach der Rezeptabrechnung eine Zuzahlung erstattet. Diese Krankenkassen haben also die Norm angemessen und vertragspartnerschaftlich ausgelegt und dadurch eine Lösung zu erreichen versucht, die der Versorgungswirklichkeit Rechnung trägt und darüber hinaus die finanziellen Nachteile aus dem (zum Nutzen der Krankenkasse betriebenen) Zuzahlungsinkasso für die Apotheke möglichst gering hält. Doch diese Zeiten sind vorbei. Und selbst die AOK NordWest informiert derzeit diverse Apotheken auf dem Schriftwege darüber, dass bislang „aus Kulanz“ erfolgte Erstattungen von Zuzahlungsbeträgen künftig unterbleiben werden, wenn sich das Rezept mit der Zuzahlung bedruckt bereits in der Abrechnung befindet.

Daran zeigt sich nur einmal mehr, dass die Selbstverwaltung in weiten Teilen nicht mehr funktioniert, insbesondere nicht mehr auf Augenhöhe verhandelt, sondern vielmehr einseitig gehandelt wird, ohne die Argumente der anderen Seite zu berücksichtigen. Die Forderung, das Mahnverfahren künftig ausnahmslos vor der Rezeptabrechnung durchzuführen und, wenn erfolglos, das Rezept mit „0“ zu bedrucken, ist aus Sicht der Apotheke die maximal schädliche Auslegung der Norm. Der Apotheke bleibt dann in vielen Versorgungsbereichen faktisch nur noch die Möglichkeit, die Zuzahlung aus eigener Tasche zu bezahlen.

Nahezu auswegloses Dilemma für die Apotheke

Freilich würde sie dann sogar mehr als nur das Inkassorisiko für nicht leistungsbereite Schuldner tragen und damit faktisch noch schlechter stehen als im Bereich der Hilfsmittelversorgung – was der Gesetzgeber aber gerade nicht gewollt hat (s. o.). Des Weiteren bringt ein Zuzahlungsverzicht wettbewerbsrechtliche Risiken mit sich, denn die Apotheke kann im Arzneimittelbereich dafür von Mitbewerbern abgemahnt und u. a. auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Letztlich befindet sich die Apotheke damit in einem nahezu ausweglosen Dilemma.

Aber auch jenseits dessen stellt sich natürlich die Frage, ob überhaupt Argumente – und wenn ja welche – die Position der AOK NordWest (und anderer Krankenkassen) zu stützen vermögen. Der Wortlaut des § 43c Abs. 1 SGB V kann es jedenfalls nicht sein, denn wenn man diesen unbefangen liest, sind ihm keinerlei Vorgaben zur Reihenfolge von Rezeptabrechnung und Zuzahlungsinkasso zu entnehmen. Damit ist die bisher teilweise geübte Verfahrensweise – die Apotheke bedruckt das Rezept mit der Zuzahlung, die Krankenkasse vergütet die Apotheke abzüglich eines Betrages in Höhe der Zuzahlung und die Apotheke verlangt später, nämlich nach erfolglos durchgeführtem Inkassoverfahren die noch ausstehende Restvergütung von der Krankenkasse – zumindest genauso möglich bzw. nicht vom Normwortlaut ausgeschlossen. Ebenso gilt dies für den Arzneilieferungsvertrag NRW.

Rechtsprechung ohne Überzeugungskraft

Die Auffassung der AOK NordWest (und anderer Krankenkassen) wird auch nicht durch die von dieser ins Feld geführten unterinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf (Urteil vom 23. Mai 2022 – Az. S 30 KR 637/18) gestützt. Nach juristischer Beurteilung fehlt es der Entscheidung generell an Überzeugungskraft, insbesondere trägt die Urteilsbegründung den Tenor der Entscheidung nicht.

Das Gericht geht von einer Verrechnung des Vergütungsanspruches der Apotheke in dem Moment aus, in dem diese den Zuzahlungsbetrag auf dem Muster-16-Formular aufgedruckt hat. Ganz ungeachtet dessen, ob die Apotheke dann bereits die Zuzahlung erhalten habe, erst später erhalte oder aber der Versicherte die Zuzahlung endgültig verweigere, sei für die Aufrechnung bzw. deren Wirkung (§ 388 BGB) der Anspruch der Krankenkasse auf Herausgabe der Zuzahlung durch die Bedruckung entstanden und daher mit dem Vergütungsanspruch der Apotheke zu verrechnen, so das Sozialgericht Düsseldorf (vgl. S. 6f. der Urteilsbegründung). Diese rechtliche Würdigung stößt bei Juristen jedoch auf erhebliche Bedenken. Dies u. a. deswegen, weil sich der Zuzahlungsanspruch der Krankenkasse materiell-rechtlich nicht in einen Anspruch der Krankenkasse auf Herausgabe dieser Zuzahlung gegenüber der Apotheke gewandelt haben kann, da der Versicherte die Zuzahlung ja gar nicht gezahlt hat.

Allein die Bedruckung des Rezeptes mit der konkret geschuldeten Höhe des Zuzahlungsbetrages einschließlich eines etwaigen (wie auch immer gearteten) Vertrauens der Krankenkasse vermag die materielle Rechtslage jedenfalls hinsichtlich des Anspruchs aus § 31 in Verbindung mit § 61 SGB V nicht zu ändern, zumal das deutsche Recht einen gutgläubigen Forderungserwerb grundsätzlich auch nicht kennt. Mangels (bisheriger) Zahlung ist daher nach wie vor der Versicherte Schuldner des Anspruchs der Krankenkasse auf Zuzahlung.

Folglich können sich im Zeitpunkt der Bedruckung des Rezeptes – anders als nach Ansicht des Sozialgerichts Düsseldorf – keine Forderungen aufrechenbar gegenübergestanden haben. Wenn das Rechenzentrum die Abrechnung in Höhe der Zuzahlung kürzt, erlischt damit also nicht endgültig der Vergütungsanspruch der Apotheke in Höhe der Zuzahlung. Vielmehr wird damit lediglich der (Regel-)Fall vorweggenommen, dass es der Apotheke im weiteren Verlauf gelingt, den entsprechenden Betrag vom Versicherten zu erhalten. Scheitert dies jedoch trotz Mahnverfahrens, dann steht dem Apotheker – denn er soll das Inkassorisiko nach dem Willen des Gesetzgebers ja gerade nicht tragen (s. o.) – gegenüber der Krankenkasse ein entsprechender Anspruch auf Erstattung des Restes seines Vergütungsanspruches in Höhe des Zuzahlungsbetrages zu. Die Krankenkasse hat sich dann ihrerseits im Rahmen ihrer Leistungsbeziehung an ihren Versicherten zu halten.

Zuzahlungsinkasso als Hochrisikogeschäft?

Die Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf weist darüber hinaus weitere Schwächen auf. Letztlich scheint das Gericht sogar der Auffassung zu sein, dass die Zuzahlung Teil des Vergütungsanspruches ist, der der Apotheke als Gegenleistung für die erbrachte Sachleistung zusteht. In der Konsequenz könnte das zur Folge haben, dass das Gericht auch eine Retaxationsmöglichkeit (auf „null“) für den Fall bejahen würde, dass die Apotheke bezüglich der Zuzahlung gegen eine „Abrechnungsbestimmung“ verstößt. Freilich würde eine solche Retaxationsmöglichkeit dann das gesamte Zuzahlungsinkasso für die Apotheke zu einem Hochrisikogeschäft machen – und das, obwohl sie doch rein fremdnützige Interessen, nämlich die der Krankenkassen verfolgt. Damit wäre der Regelungsgehalt des § 43c Abs. 1 SGB V endgültig zu einem einseitigen Sonderopfer der Apotheke pervertiert.

Fazit

Nach alldem ist zu konstatieren, dass Sichtweise und Haltung der Krankenkassen für die Apotheke in eine desaströse und letztlich auch verfassungsrechtlich bedenkliche Situation führen. Daher müssen auf vertragspartnerschaftlichem Wege dringend wieder Lösungen gefunden werden, die auch die berechtigten Interessen der Apotheke angemessen in den Blick nehmen. Letztlich aber ist es am Gesetzgeber, die verfehlte Regelung des § 43c Abs. 1 SGB V präzisierend nachzubessern und endlich eine möglichst unbürokratische, praxistaugliche und vergütete, zumindest aber kostenneutrale Lösung festzuschreiben. Es kann im Fall rein fremdnütziger Tätigkeiten nicht sein, dass ein Leistungserbringer mit finanziellen Nachteilen und weiteren Risiken belastet wird. Das ist weder rechtlich noch im Sinne eines Gesundheitssystems, das letztlich auch auf der Identifikation der Leistungserbringer mit diesem beruht, annehmbar.

§ 43c Abs. 1 SGB V ist dabei aber eben nur ein Sinnbild für all das, was in unserem Gesundheitssystem mittlerweile schiefläuft. Weitere Beispiele sind Legion. Hier und heute sei allein an das Inkassorisiko der Apotheke für Herstellerrabatte erinnert. Auch hier wird die Apotheke ausschließlich im Interesse der Krankenkassen, also fremdnützig tätig. Zum Dank dafür schaut sie durch die Finger, wenn der zur Rabattgewährung verpflichtete Hersteller pleitegeht. Es ist an der Politik, diese und weitere Verwerfungen im System dringend zu beseitigen.

Darüber hinaus sind eine Entrümpelung, Entschlackung und Straffung des Normdickichts vonnöten. Effizientere und schnellere, weil nicht zuletzt von unnötiger Bürokratie und Formalismus befreite Abläufe müssen etabliert werden. Es muss nicht weniger als das gesamte Gesundheitssystem auf den Prüfstand. Der begrüßenswerte Zehn-Punkte-Forderungskatalog der ABDA ist hier ein erster, richtiger, wichtiger und zeitlich unmittelbar umzusetzender Schritt. Es darf auf keinen Fall der letzte sein. |

Autor

Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.