Klinische Pharmazie – POP

Dialysepatientin mit schmerzhaften Krämpfen

Die Dialysepatientin Frau T. klagt über Muskelschwäche in den Beinen sowie sehr schmerzhafte Krämpfe in den Füßen bei jeder Dialyse. Ihre chronische Niereninsuffizienz besteht schon sehr lange – vor 30 Jahren erhielt sie nach zwei Dialysejahren eine neue Niere und bekommt seither eine immunsuppressive Medikation. Aktuell wird wieder Dialyse benötigt. Im Mittelpunkt stehen bei diesem Fall die möglichen Ursachen der Muskelbeschwerden und die Einflussmöglichkeiten. Andere arzneimittelbezogene Probleme, die weniger dringend erschienen, wurden zunächst zurückgestellt. | Von Dorothee Dartsch, Dorothee Michel und Olaf Rose

In diesem Beitrag lernen Sie, …

  • welche pathophysiologischen Folgen bei einer fortgeschrittenen Nieren­insuffizienz typisch sind,
  • wie sie behandelt werden können
  • und welche arzneimittelbezogenen Probleme daraus resultieren können,
  • welche immunsuppressiven Arzneimittel bei Patienten nach Transplantation angetroffen werden können und
  • dass für Patienten andere Beschwerden von Bedeutung sein können als die Risiken, die wir für relevant halten.

Daten

→ Patientensituation erfassen

→ Arzneimittel- und Therapie­daten recherchieren

– Kommunizieren –

Die Patientin und ihre Hauptbeschwerden

Die 80-jährige, früher als Pflegediensthilfe tätige Dialysepatientin C. T. hat regelmäßig unter der Dialyse starke, sehr schmerzhafte Krämpfe in den Füßen und zudem Muskelschwäche in den Beinen, die sie mit „wie Pudding in den Knien“ beschreibt. Sie geht am Rollator, schafft aber kurze Distanzen (z. B. ins Nachbarhaus) auch ohne. Tabelle 1 zeigt die Medikation von Frau C. T.

Etwa ein- bis zweimal pro Woche, je nach Laborwerten, erhält Frau T. Epoetin alfa und Ferrlecit parenteral. Entgegen der Angabe aus dem Medikationsplan nimmt sie Pantoprazol morgens vor dem Frühstück und vom Pravastatin nur eine halbe Tablette. Osvaren (235 mg Magnesiumcarbonat und 435 mg Calciumdiacetat) wird aktuell nicht genommen; vorher wurde stattdessen Sevelamer 800 mg dreimal täglich verordnet. Aus der Vergangenheit ist zudem bekannt, dass Frau T. bis zum Beginn der Dialyse in 2019 statt Acetylsalicylsäure (ASS) ein DOAK bekam. Metoprolol wurde aufgrund kardiologischer Befunde drei Monate zuvor von einmal täglich eine halbe Tablette auf die aktuelle Dosierung erhöht. Statt des Paricalcitols würde Frau T. lieber wieder Dekristol einnehmen.

Tab. 1: Medikation der Patientin
Wirkstoff
Stärke
Dosierung
Quelle
ASS TAD protect magensaftresistente Tabletten
100 mg
1-0-0-0
BB, MP
Metoprololsucc.-1A Pharma Filmtabletten
95 mg
0,5-0-1-0
BB, MP
Pravastatin-1A Pharma Tabletten
20 mg
0-0-1-0
BB, MP
Pantoprazol Micro Labs magensaftresistente Tabletten
40 mg
0-0-1-0
BB, MP
Macrogol Abz Pulver
1 Beutel täglich
BB, MP
Sandimmun Optoral Weichkapseln (CsA)
10 mg
3-0-3-0
BB, MP
Renavit Filmtabletten
1-0-0-0
BB, MP
CPS Pulver Dosierbeutel
an dialyse­freien Tagen
MP
OsvaRen Filmtabletten
1-1-1-0
BB, MP
Paricalcitol-ratiopharm Weichkapseln
1 µg
1-0-0-0
BB, MP
Magnesium Verla Kautabletten
0-0-1-0
P
Tilidin retard-1A Pharma Tabletten
100 mg/8 mg
bei Bedarf
MP
Novaminsulfon AbZ Tropfen
500 mg/ml
bei Bedarf
MP
Kytta Schmerzsalbe
bei Bedarf
P
Siccaprotect Augentropfen
bei Bedarf
P
Aciclovir AL Creme
bei Bedarf
P

mögliche Quellen für die Auskunft zur Medikation können sein: BMP: bundeseinheitlicher Medikationsplan; MP: Medikationsplan vom Arzt; ML: Medikationsliste vom Patienten; P: Auskunft vom Patienten; BB: brown bag; A: Auskunft vom Arzt; D: Auskunft Dritter; E: Entlassbrief

Besonderheiten

Die Patientin ist schon sehr lange in der gegenwärtigen Dialysepraxis und hat mehrere Arztwechsel erlebt. Grundsätzlich fühle sie sich von ihren Nephrologen hinsichtlich der Dialyse gut versorgt, jedoch habe sie mit dem aktuellen Team dort die Erfahrung gemacht, dass für Berichte über Probleme und Gespräche über mögliche Lösungen keine Zeit sei. Vorschläge zu möglichen Änderungen der Medikation wurden bislang durchweg abgelehnt. Wegen der reduzierten Leistung der Nieren und der dadurch verringerten Harnproduk­tion soll Frau T. möglichst wenig bis nichts trinken. Die erlaubte Menge schöpft sie mit den Arzneimittel­einnahmen fast vollständig aus. Gelegentlich kann sie aber einer kleinen Tasse Kaffee nicht wider­stehen – „für die Lebensqualität“.

Diagnosen

Diagnostisch gesichert sind arterielle Hypertonie, chronische Niereninsuffizienz Stadium 4 (Dialyse 1991 bis 1993), Zustand nach Nierentransplantation rechts 1993, Zustand nach Ruptur Aortenaneurysma (2014), Herzschrittmacher (seit 2014), renale Anämie (regelmäßige Erythropoetin-Substitution). Die zeitliche Entwicklung ist in Abb. 1 gezeigt.

Abb. 1: Zeitachse der Diagnosen

Untersuchungen

Frau T. ist 154 cm groß und wiegt 51 kg. Der aktuelle Blutdruck beträgt 114/79 mmHg, Puls 68/Minute.

Frau T. berichtet, dass sie seit zwei Tagen vor dem Anamnesegespräch deutliche Wassereinlagerung in den Beinen bemerkt hat. Der zwei Wochen alte Laborbericht zeigt eine makrozytäre, hyperchrome Anämie, somit sind verminderte Werte:

  • Erythrozyten, Hämoglobin-Gehalt mit 11,3 g/dl (Referenz: 11,8 bis 15,8 g/dl) und
  • Hämatokrit.

Erhöhte Werte sind:

  • der mittlere korpuskuläre Hämoglobin-Gehalt (MCH) und das mittlere Volumen des ein­zelnen Erythro­zyten (MCV),
  • Kreatinin-Spiegel mit 6,51 mg/dl (Referenz: 0,51 bis 1,01 mg/dl),
  • Kalium-Spiegel mit 5,9 mmol/l (3,5 bis 5,6 mmol/l),
  • der TSH-basal-Wert mit 7,16 µU/ml (0,27 bis 4,20 µU/ml)
  • sowie Eisen, Transferrin-Sättigung, Ferritin und Parathormon(PTH)-intact.

Im Referenzbereich liegen die Werte:

  • der Leukozyten und Thrombozyten,
  • Natrium-, Calcium- und Phosphat-Spiegel sowie
  • Serumalbumin und Transferrin.

Diese Werte sind stabil, wie vergangene Laborberichte (12/21 und 06/22) zeigen, die gemessenen Werte für das Parathormon sind aktuell besser als zuvor. Die Plasmakonzentration von Ciclosporin A beträgt 29 µg/l (Ziel-Talspiegel in der langfristigen Erhaltungstherapie 75 bis 100 µg/l).

Grund für die Medikations­analyse

Die Beschwerden der Patientin – schmerzhafte Krämpfe in den Füßen während der Dialyse und Muskelschwäche der Beine – und ihre umfangreiche und nicht alltägliche Medikation sprechen für die Durchführung einer Medikationsanalyse. Außerdem fragt sie, ob sie nicht wieder Dekristol statt Paricalcitol einnehmen könnte.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Hauptprobleme? Worauf sollte in der Analyse und in der Intervention der Fokus gelegt werden? Was halten Sie für weniger dringend, so dass eine Intervention auf später verschoben werden kann? Was können Sie direkt mit dem Patienten besprechen, was richtet sich an den Arzt?

 

Analyse

Informationen ordnen:

→ Probleme identifizieren

→ Prioritäten festlegen

– Verarbeiten –

Die Analyse erfolgt unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven, die sich in ihrer Priorisierung und ihren Rahmenbedingungen durchaus unterscheiden können.

Patientenperspektive

Der Patientin ist vor allem wichtig, dass die Krämpfe während der Dialyse besser werden. Auch die Unsicherheit in den Beinen macht ihr zu schaffen. Osvaren und Paricalcitol verwendet die Patientin nicht, weil sie vom Nutzen nicht überzeugt ist. Lieber wäre ihr statt Paricalcitol das Dekristol, das sie früher eingenommen hat.

Für den eiligen Leser

Bei chronischer Nieren­insuffizienz sind die Balance der Elektrolyte (vor allem Kalium- und Calcium-Ionen) und der Wasserhaushalt kritisch. Der Calcium-Spiegel wird durch Phosphat-Ionen beeinflusst. Phosphat kann bei der Dialyse nicht vollständig entfernt werden, weshalb Phosphat-Binder mit den Mahlzeiten gegeben werden. Calciumphosphat-Kristalle können sich sonst in den Blut­gefäßen ablagern.

Medizinische Perspektive

Vorrangig wichtig sind aus medizinischer Sicht die Flüssigkeits- und Elektrolytbalance via Dialyse und der Erhalt des Transplantats. Hinzu kommen die Behandlung der Niereninsuffizienz-Folgen Anämie und Osteodystrophie sowie der Hypertonie, die ein Risikofaktor für die Funktion der transplantierten Niere ist. Ferner das Monitoring der Nephrotoxizität und der metabolischen Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie sowie der Erhalt der Mobilität der Patientin.

Leitlinienperspektive

Die Leitlinie „Nierentransplantation“ der European Association of Urology [1] empfiehlt ein weitgehend standardisiertes initiales Regime zur Immunsuppression (s. Kasten: „Komponenten eines immunsuppressiven Standard-Regimes“), das im Verlauf an das individuelle Risiko des Patienten, die Ausprägung der unerwünschten Wirkungen und die Pharmakokinetik an­gepasst werden muss. Unter den Calcineurininhibitoren wird aktuell Tacrolimus gegenüber Ciclosporin der Vorzug gegeben, weil Studien aus den letzten Jahren für Tacrolimus ein besseres Transplantatüberleben und weniger Nephrotoxizität gezeigt haben [1, 2]. Bei Unverträglichkeit für Mycophenolsäure ist Azathioprin eine Alternative. mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Sirolimus) können Calcineurin-Inhibitoren in der Erhaltungstherapie als zweite Wahl ersetzen.

Komponenten eines immunsuppressiven Standard-Regimes

  • Calcineurin-Inhibitoren (vorzugsweise Tacrolimus, alternativ Ciclosporin)
  • Mycophenolat (Mycophenolatmofetil oder magensaftresistent überzogenes Mycophenolat-Natrium)
  • Steroide (Prednisolon oder Methylprednisolon)
  • Induktionstherapie: bei Patienten mit niedrigem und mittlerem Risiko vorzugsweise Basiliximab, bei Hochrisiko-Patienten antithymozytäres Immunglobulin [ATG])

(nach [1])

Die Organisation „Kidney Disease: Improving Global Outcomes“ (KDIGO) empfiehlt in ihrer Leitlinie Management of Glomerular Diseases [3] ein intensives Blutdruck-Management mit einem systolischen Zielwert von unter 120 mmHg, schränkt aber ein, dass in der Praxis 120 bis 130 mmHg realistischer und akzeptabel sind. Wenn keine Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten dagegen sprechen, soll die antihypertensive Therapie einen Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer (ACE-Hemmer) oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) enthalten, um Proteinurie zu vermindern.

Die NICE-Leitlinie „Chronic kidney disease: assessment and management” [4] empfiehlt die Diagnostik zur renalen Anämie, wenn Symptome auftreten (Lethargie, Dyspnoe, Palpitationen), der Hb-Wert unter 11 g/dl und die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) unter 60 oder sogar unter 30 ml/Minute pro 1,73 m² liegen. Wenn Erythropoetin gegeben wird, muss der Eisen-Haushalt ausgeglichen sein oder werden, und die Therapie sollte so geführt werden, dass der Hb-Wert nicht mehr als 1 bis 2 g/dl pro Monat steigt und ein Zielbereich von 10 bis 12 g/dl erreicht und gehalten wird. Wenn eine Hyperphosphatämie vorliegt, obwohl Diätvorschriften vereinbart sind, werden Phosphat-Binder in der folgenden Reihenfolge empfohlen: Calciumacetat, Sevelamer, Sucroferric Oxyhydroxide, Calciumcarbonat, Lanthancarbonat. (Der Einsatz dieser Wirkstoffe bei terminaler Niereninsuffizienz ohne Dialyse erfolgt off label.) Unterstützung zum Erhalt der Knochenstabilität rückt ab einer eGFR unter 30 ml/Minute pro 1,73 m² in den Fokus. Ein Vitamin-D-Mangel soll zunächst mit Colecalciferol ausge­glichen werden. Wenn sich danach die Werte für Calcium, Phosphat und Parathormon nicht normalisieren, sollen Alfacalcidol oder Calcitriol eingesetzt werden.

Gemäß „Consensus Statement zur Osteoporose bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz“ [5] wird das Frakturrisiko wie üblich über die Knochendichte ermittelt und nach denselben Grenzwerten beurteilt. Erste wichtige Maßnahmen sind die angemessene Zufuhr von Calcium-Ionen, ein ausgeglichener Vitamin-D-Haushalt, ein Bewegungsprogramm sowie die Analyse und Minimierung des Sturzrisikos. Zur Gabe von Bisphosphonaten bei einer Nierenfunktion unter 30 ml/Minute pro 1,73 m² existieren wenige Daten, weshalb sie nicht empfohlen werden. Denosumab kann unab­hängig von der Nierenfunktion eingesetzt werden. Alle antiresorptiven Maßnahmen gehen mit dem Risiko einer Hypocalcämie einher.

Für den eiligen Leser

Chronische Niereninsuffizienz geht mit Störungen des Mineral- und Knochenstoffwechsels einher. Dies zeigt sich an auffälligen Cal­cium-, Phosphat-, Vitamin D- und/oder Parathormon-Konzentrationen im Blut, Störungen beim Auf-, Ab- und Umbau des Knochens, abnehmender Knochendichte sowie Kalzifizierungen außerhalb des Skeletts. Gegenmaßnahmen umfassen die Gabe von Calcium, Vitamin D (vor allem Colecalciferol, Calcitriol), Phosphat-Bindern, Parathormon-Antagonisten und gegebenenfalls Bisphosphonaten (bei ausreichender Nierenfunktion).

Arztperspektive

Die Ciclosporin-Therapie besteht bei dieser Patientin schon sehr lange. Solange sie erfolgreich verläuft, besteht kein Grund, auf Tacrolimus zu wechseln, das gemäß Leitlinie inzwischen als erste Wahl gilt. Das therapeutische Drug Monitoring für Ciclosporin kann entweder über den Talspiegel oder den C2-Spiegel (Spitzenspiegel, zwei Stunden nach der Einnahme) erfolgen. Da der Talspiegel hinreichend gut mit den Wirkungen korreliert und zudem für Patienten und Praxen organisatorisch einfacher handhabbar und insofern weniger fehleranfällig ist, wird er meist bevorzugt [1]. Die Zielwerte richten sich nach dem transplantierten Organ und der Therapiephase (Induktion und Erhaltung). Sie geben Orientierung, entscheidend für die Festlegung der Dosis ist jedoch das klinische Bild in Form der Wirksamkeit und Verträglichkeit. Für das Monitoring der potenziellen Nephro- und Hepatotoxizität von Ciclosporin müssen Kreatinin, Bilirubin und die Aminotransferasen im Serum bestimmt werden. Zudem müssen wegen des Risikos einer Hyperkaliämie regelmäßig die Kalium-Spiegel, wegen des sekundären Hyperparathyreoidismus die Parathormon-, Calcium- und Phosphat-Werte und wegen der renalen Anämie das Blutbild und der Eisen-Stoffwechsel überwacht werden. Wichtig ist darüber hinaus die dermatologische Krebsfrüh­erkennung.

Bei Impfungen muss mit einer abgeschwächten oder ausbleibenden Antwort gerechnet werden. Es dürfen keine attenuierten Lebendimpfstoffe geimpft werden.

Für die Elektrolytbalance werden aktuell CPS Pulver [6] und Osvaren Filmtabletten [7] eingesetzt. CPS steht für Calcium-Polystyrolsulfonat. Das Pulver ist ein Kalium- und Phosphat-Binder: Im Darm komplexiert es Kalium-Ionen (und andere Kationen) und gibt dafür Calcium-Ionen ab, die ihrerseits Phosphat-Ionen binden. Täglich werden über den Tag verteilt ein bis vier Beutel als Suspension in 100 ml Wasser oral eingenommen. Zu anderen Arzneimitteln sollte wegen der möglichen Komplexbildung mit dem Styrolsulfonat oder Calcium-Ionen ein dreistündiger Abstand eingehalten werden.

Das Präparat Osvaren, das Frau T. einnimmt, enthält Calciumacetat und Magnesiumcarbonat. Calcium- und Magnesium-Ionen binden im Darm Phosphat-Ionen aus der Nahrung. Der nicht gebundene Anteil an Calcium und Magnesium ist bioverfügbar. Abhängig vom Phosphat-Spiegel werden drei bis zehn Filmtabletten über den Tag verteilt zusammen mit den Mahlzeiten im Ganzen geschluckt.

In der aktuellen Medikation wird die Anämie mit Erythropoietin, Eisen und dem Präparat Renavit® behandelt. Letzteres enthält die für die Erythropoese wichtigen Vitamine B9 und B12 sowie die Vitamine B1 bis B3, B5, B6 und B8 sowie Vitamin C [8]. Empfohlene Dosis ist eine Film­tablette pro Tag.

Die Prävention der renalen Osteodystrophie erfolgt mit dem synthetischen, biologisch aktiven Calcitriol-Analogon Paricalcitol [9]. Es induziert selektiv Vitamin-D-Rezeptoren und Calcium-„Sensoren“ (Calcium-sensitive Rezeptoren, CaSR) in der Nebenschilddrüse. Hierdurch hemmt Paricalcitol die Nebenschilddrüsenproliferation einschließlich der Parathormon-Synthese und -Sekretion. Dessen in­direkte Stimulation der Osteoklasten entfällt dadurch, und es kommt zu weniger Knochenabbau. Die Dosierung muss einschleichend und dynamisch anhand der Parathormon-Spiegel erfolgen. Nach Therapieunterbrechungen muss erneut auftitriert werden. Das von der Patientin früher verwendete Dekristol enthält Colecalciferol, das in der Leber und anschließend in den Nieren zur Wirkform von Vitamin D (Calcitriol) aktiviert wird. Der aktivierende Schritt in den Nieren ist mit abnehmender Nierenfunktion immer weiter reduziert, so dass nicht mehr ausreichend Calcitriol gebildet wird. Paricalcitol ist dann hinsichtlich der Senkung der Parathormon-Spiegel wirksamer.

Apothekerperspektive

Für Ciclosporin sind verschiedene generische Weichkapseln und Lösungen auf dem Markt. Sie stehen wegen ihrer geringen therapeutischen Breite auf der Substitutionsausschlussliste (Teil B der Anlage VII der Arzneimittel-Richtlinie [10]) und dürfen daher nicht untereinander ausgetauscht werden. Sollte dies zum Beispiel aufgrund von Lieferengpässen doch notwendig werden, muss ein engmaschiges Monitoring mit Kontrollen der Plasmaspiegel erfolgen, weil die Korrelation zwischen Ciclosporin-Dosis und -Exposition eine große interindividuelle Variabilität aufweist [11]. Das Ausmaß der Variabilität hängt sowohl vom Patienten (vor allem von seiner Leberfunktion, begleitenden Medikation und Ernährung) als auch vom Präparat ab. Das Ciclosporin-Molekül ist groß und lipophil. Es muss daher nach vorheriger Hydrophilisierung durch hepatisches CYP3A4 biliär ausgeschieden werden. Eine Dialyse entfernt weniger als 1% der verabreichten Dosis. Die initiale Dosierung richtet sich nach Indika­tion, Körpergewicht, Alter und Leberfunktion, die Erhaltungsdosis nach dem Plasmaspiegel. Ciclosporin ist ein CYP3A4- und p-Glykoprotein-Substrat und -Inhibitor sowie ein Inhibitor des Organo-Anion-Transporters (OATP). Beim An- oder Absetzen oder Dosis­änderungen starker CYP3A4- und p-Glyko­protein-Modulatoren muss der Ciclosporin-Plasmaspiegel bestimmt und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden. Johanniskraut-Extrakte sind kontraindiziert, Grapefruit, Bitterorangen und Sternfrüchte sollten vermieden werden. Ciclosporin erhöht somit die Blutspiegel von z. B. Digoxin, Lercanidipin, Dabigatran sowie allen Statinen. Letztere sind in unterschiedlichem Ausmaß betroffen, am stärksten Atorvastatin, am geringsten Fluvastatin [11]. Bei den pharmakodynamischen Interaktionen stehen die additive Nephrotoxizität (z. B. mit nicht­steroidalen Antirheumatika, Cipro­floxacin, Trimethoprim) und das Hyperkaliämie-Risiko (z. B. mit Inhi­bitoren des Renin-Angiotensin-Aldo­steron-Systems [RAAS], Kalium-haltigen Präparaten) im Vordergrund. Wichtige Hinweise an Patienten, die Ciclosporin einnehmen:

  • konsequenter Sonnenschutz, um das unter Immunsuppression ohnehin größere Hautkrebsrisiko nicht noch weiter zu erhöhen, und
  • die Supplementierung von Magne­sium-Ionen, da Ciclosporin dosisabhängig einen Transporter im distalen Sammelrohr herunterreguliert, der für die Rückgewinnung von Magnesium aus dem Primärharn zuständig ist [12].

Bei Patienten mit terminaler Nieren­insuffizienz ist die Frage einer Dosisanpassung bei Wirkstoffen mit hoher renaler Clearance an die Nierenfunktion wichtig. Der renale Eliminationsweg hat umso mehr Bedeutung, je kleiner der Q0-Wert ist, also der Anteil an Wirkstoff, der extrarenal eliminiert wird. Eine Auflistung solcher Wirkstoffe findet sich auf der Seite www.dosing.de. Eine Auflistung solcher Wirkstoffe unter Angabe des Q0-Wertes und sinnvoller Maßnahmen findet sich auf der Seite www.dosing.de (Universitätsklinikum Heidelberg). Alternativ wird in den meisten Fachinformationen im Abschnitt „Pharmako­kinetik“ der Anteil angegeben, der unverändert (!) im Harn wiedergefunden wird. Die Differenz zwischen 1 und diesem Anteil ist der Q0-Wert. Eine Dosisanpassung – die mit abnehmender Nierenfunktion von Zeit zu Zeit nachjustiert werden muss – lässt sich vermeiden, indem Wirkstoffe mit überwiegend hepatischer Elimination gewählt werden, erkennbar an einem Q0-Wert nahe 1.

Für den eiligen Leser

Bei chronischer Niereninsuffizienz ist zu beachten, dass die Dosierungen renal eliminierter Wirkstoffe angepasst sind, dass nephrotoxische Arzneimittel (NSAR!) möglichst vermieden werden und dass die typischen Folgeerscheinungen, renale Anämie und renale Osteo­dystrophie, erkannt und behandelt werden.

Nichtpharmakologische Perspektive

Für Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz gilt eine Salz- und Wasserrestriktion. Sie sollten ernährungsmedizinisch betreut werden, weil das Risiko einer Mangel­ernährung und Kachexie besteht. Pro Tag sollte die Nahrung für Dialyse-Patienten 1 bis 1,2 g Protein pro kg Körpergewicht und Energie in der Größen­ordnung von 25 bis 35 kcal pro kg Körpergewicht enthalten (angepasst an den individuellen Grad an körper­licher Aktivität), gegebenenfalls unter Zuhilfenahme oraler Supplemente [13].

Gegen Muskelkrämpfe kann ein tägliches Stretching-Programm der betroffenen Muskulatur helfen. Bei nächt­lichen Krämpfen sollte dies bevorzugt abends vor dem Schlafen­gehen erfolgen. Auch leichte Belastung auf dem Fahrrad-Ergometer, gegebenenfalls während der Dialyse, hilft manchen Patienten. Lange Sitzphasen sollten möglichst durch periodisches Aufstehen und kurzes Umhergehen unterbrochen werden. Bequeme Schuhe mit gutem Fußbett können Krämpfen ebenfalls vorbeugen. Unter der Dialyse können feucht-warme Waden- oder Fußwickel versucht werden, und es kann helfen, mit den Füßen Druck gegen einen Widerstand zu geben (z. B. gegen die Wand oder Bettkante) [14].

→ Arzneimittelbezogene Probleme (ABP)

ABP (Code nach aktueller PCNE-Klassifikation V9.1):

  • ABP 1: unbehandelte Krämpfe in den Füßen, eventuell aufgrund von Hyperkaliämie oder als unerwünschte Wirkung von Ciclosporin (P1.3)
  • ABP 2: unbehandelte Muskelschwäche, eventuell aufgrund von Hyperkaliämie oder als unerwünschte Wirkung von Pravastatin (P1.3)
  • ABP 3: fehlende Adhärenz für die Einnahme der Kalium-Binder (P1.2)
  • ABP 4: Interaktion Ciclosporin / Pravastatin – erhöhtes Risiko für muskuläre unerwünschte Wirkungen (P2.1)
  • ABP 5: keine Indikation für Pantoprazol 40 mg/d (P3.1)
  • ABP 6: kein aktueller Ciclosporin-Spiegel (P2.1)
  • ABP 7: hoher TSH-Wert, keine Therapie einer Hypothyreose (P1.3)
  • ABP 8: Überprüfung der Dosierungen bei Niereninsuffizienz (P2.1)

Beurteilung

→ Patientenziele formulieren

→ medizinische Ziele formulieren

→ Lösungen finden

– Abwägen –

In aller Regel gibt es in der Pharmakotherapie und erst recht im interprofessionellen Medikationsmanagement verschiedene Ansätze und Meinungen, welche Ziele formuliert werden sollen und wie sie erreicht werden können. In der täglichen Praxis muss aus den verschiedenen Perspektiven abgeschätzt werden, was realistisch, umsetzbar und voraussichtlich effektiv und sicher ist (Clinical Reasoning):

ABP1: Krämpfe in den Füßen unter der Dialyse. Eine Veränderung der Dialyse-Parameter mit dem Ziel der Minimierung der Krämpfe bzw. die Diskussion über solche Maßnahmen mit dem nephrologischen Team lehnt die Patientin ab. Es bleibt der Hinweis auf die Möglichkeiten eines Bewegungs- und Stretching-Programms, das die Patientin selbstständig durchführen kann. Außerdem wird ihr der Vorschlag unterbreitet, am Tag der Dialyse das Magnesium-Präparat nicht erst am Abend, sondern direkt vor der Dialyse einzunehmen. Bei diagnostizierter Hyperphosphatämie kommen auch zu niedrige Calcium-Werte als Auslöser der Krämpfe infrage, laut Laborbericht waren die Calcium-Spiegel jedoch zumindest zum Zeitpunkt der Blutentnahme im Referenzbereich.

ABP 2 und 3: Muskelschwäche und fehlende Adhärenz für Kalium-Binder. Ursache für Muskelschwäche kann in seltenen Fällen das Ciclosporin selbst sein – sie tritt bei 1 bis 10 von 10.000 Ciclosporin-Patienten als unerwünschte Wirkung auf. Allerdings ist der wahrscheinlichere Auslöser hier die manifeste Hyperkaliämie. Der Patientin wird daher empfohlen, den Kalium- und Phosphat-Binder (CPS-Pulver) regelmäßig und wie verordnet in Wasser suspendiert einzunehmen. Fruchtsäfte können Kalium-Ionen enthalten und die Wirkung beeinträchtigen.

Für den eiligen Leser

Muskelsymptome unter der Dialyse sind wegen der raschen Veränderungen der Elektrolytkonzentrationen nicht ungewöhnlich. Eine Verbesserung kann über die Veränderung mancher Dialyseparameter erreicht werden, was aber mit längeren Dialysezeiten einhergehen kann. Einflussmöglichkeiten der Patienten sind z. B.

  • Einhaltung der Flüssigkeits- und Salzrestriktion,
  • regelmäßige Wahrnehmung der Dialyse und
  • regelmäßiges Stretching-Programm während und außerhalb der Dialyse.

Wie bei gewöhnlichen Wadenkrämpfen kann die Einnahme von Magnesium-Ionen helfen, die dann (auch) direkt vor der Dialyse eingenommen werden sollten.

ABP 4: Interaktion Ciclosporin/Pravastatin. Ciclosporin inhibiert die Transporter OATP1B1 und BRCP und vermindert dadurch die Prava­statin-Clearance. Die Exposition gegenüber Pravastatin kann um das Fünffache erhöht sein. Die Fachinformation [15] empfiehlt jedoch bei Patienten, die diese Kombination einnehmen, eine Pra­vastatin-Anfangsdosis von 20  mg/Tag und gegebenenfalls auch eine vorsich­tige Dosissteigerung bis auf 40 mg. Aktuell nimmt die Patientin nur 10 mg/Tag, und auch die Ciclosporin-Dosis ist niedrig, so dass Pravastatin wahrscheinlich nicht der Auslöser für die Muskelbeschwerden ist. Eine Bestimmung der Kreatinkinase wird angeregt, falls die regelmäßige Einnahme des Kalium-Binders keinen Erfolg hat.

ABP 5: Pantoprazol 40 mg ohne Indikation. Es ist kein ersichtlicher Grund dafür erkennbar, Pantoprazol dauerhaft mit 40 mg pro Tag zu dosieren, weder bei den Erkrankungen von Frau T. noch bei ihrer Medikation. Beschwerden verneint die Patientin. Möglicherweise ist die Verordnung aus der Zeit der Steroid-Therapie „übrig“ geblieben. Da die Einnahme des Protonenpumpen-Inhibitors die Magnesium-Aufnahme beeinträchtigt, sollte versucht werden, die Dosis zu halbieren.

Risikofaktoren für eine ASS-bedingte gastrointestinale Blutung sind Alter ≥ 75 Jahre, Hypertonie, chronische Niereninsuffizienz, Rauchen sowie die Anwendung von nichtsteroidalen Antirheumatika oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern [16]. Da die ersten drei Faktoren vorliegen, sollte auf einen Protonenpumpen-Inhibitor nicht vollständig verzichtet werden.

ABP 6: Aktueller Ciclosporin-Spiegel fehlt. Der therapeutische Bereich bei einer Immunsuppression ist eng: Die Dosis des Immunsuppressivums muss hoch genug gewählt werden, um eine Abstoßung zu verhindern, darf aber nicht so hoch sein, dass unerwünschte Wirkungen die Gesundheit beeinträchtigen. Die Suppression sensitiver Lymphozyten braucht unmittelbar nach der Transplantation meist eine Kombination mehrerer relativ hoch dosierter Immunsuppressiva (s. Kasten „Komponenten eines immunsuppressiven Standard-Regimes“). Mit der Zeit findet eine sogenannte Graft-Adaptation statt. Damit sinkt das Abstoßungs­risiko deutlich. Die immunsuppressive Prophylaxe sollte daher durch Ausschleichen des Steroids und Dosisreduktion des Calcineurin-Inhibitors auf das notwendige Maß reduziert werden [1]. Dadurch können unspezifische unerwünschte Wirkungen wie die Begünstigung maligner Erkrankungen und das Infektionsrisiko sowie spezifische Wirkungen wie z. B. Nephrotoxizität der Calcineurin-Inhibitoren minimiert werden. Dies ist hier mit großer Wahrscheinlichkeit geschehen. Den aktuellen Ciclosporin-Spiegel zu bestimmen, ist ebenso wünschenswert wie die Sicherstellung, dass der niedrige Ciclosporin-Spiegel bei Frau T. beabsichtigt ist.

ABP 7: Erhöhter TSH-Wert. Es kann aufgrund des erhöhten Wertes an Thyreoidea-stimulierendem Hormon (TSH-Wert) eine Abklärung der Schilddrüsenfunktion erfolgen. Jedoch darf der TSH-Wert bei über 75-Jährigen den Referenzbereich überschreiten, und bei latenter Hypothyreose (bis TSH < 20 mU/l) kann auf eine Hormonsubstitution verzichtet werden [20]. Bei Frau T. gibt es keinen Hinweis auf das Vorliegen ein­schlä­giger Hypo­thyreose-Symptome (z. B. Müdigkeit, Kälte­intoleranz, Gewichtszunahme, Myxödem, Heiserkeit). Daher erfolgt hier keine Intervention.

Für den eiligen Leser

Ob eine Arzneimitteldosis an die Nierenfunktion angepasst werden sollte, lässt sich daran erkennen, dass in der Fachinformation für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion andere Dosierungsempfehlungen gegeben werden als für Patienten mit normaler Nierenfunktion. Ferner kann der Fachinformation entnommen werden, welcher Anteil an Wirkstoff unverändert über die Niere eliminiert wird. Dies ist der renal eliminierte Anteil. Zusammen mit dem extrarenal eliminierten Anteil (auch als Q0-Wert bezeichnet) ergibt er 1 (oder 100%).

ABP 8: Dosisanpassungen. Bei Frau T. werden aktuell bis auf Pravastatin nur Wirkstoffe mit einem Q0-Wert zwischen 0,8 und 1 eingesetzt, sofern sie systemisch verfügbar sind und nicht der Supplementierung dienen. Pra­vastatin ist zugelassen zur Verringerung einer Post-Transplantations-Hyperlipid­ämie bei Patienten, die nach Organtransplanta­tion eine immunsuppressive Therapie erhalten, und soll bei eingeschränkter Nierenfunktion mit 10 mg pro Tag begonnen werden [15]. Das Statin verringerte bei Patienten nach einer Nierentransplantation nicht nur LDL-Chole­sterol-Werte [17], sondern auch das Auftreten von Abstoßungs­reaktionen [18], möglicherweise durch Vermeidung einer Transplantat-Vaskulopathie, die bei Hyperlipidämie nach Transplantation entstehen kann. Dieser Punkt muss im Zusammenhang mit ABP 4, der Interaktion zwischen Ciclosporin und Pravastatin, betrachtet werden. Da viele Erfahrungen mit dieser Kombination aus Wirkstoffen und Nierentransplantation vorliegen und die Therapie aktuell niedrig dosiert ist, gibt es hier derzeit keinen Interventionsbedarf.

 

Intervention

→ Vorschläge mit dem besten Nutzen-Risiko-Verhältnis einbringen

→ Therapieverantwortung übernehmen

– Kooperieren –

Fazit und Plan

Im Beratungsgespräch bringt die Patientin erneut zum Ausdruck, dass sie zunächst nur das unternehmen möchte, was ohne die Einbeziehung des nephrologischen Teams möglich ist. Erst wenn das nicht erfolgreich ist, möchte Frau T. weitergehende Maßnahmen in Erwägung ziehen. Es wird daher besprochen, wie ein tägliches Bewegungsprogramm aussehen kann, und ihr empfohlen, unmittelbar vor der Dialyse das Magnesium-Präparat einzunehmen. Außerdem wird ihr erklärt, welchen Nutzen das CPS-Pulver und das Osvaren hinsichtlich der Muskelschwäche und -krämpfe haben können und wie die Präparate einzunehmen sind. Der Sachverhalt der nur noch eingeschränkten Aktivierung von Colecalciferol (Dekristol) zum aktiven Vitamin D und die bessere Wirksamkeit von Paricalcitol auf den Parathormon-Spiegel, den Calcium-Stoffwechsel und somit auf die Knochenstabilität wird erklärt.

Auch über Pantoprazol wird gesprochen. Die Patientin wird mit ihrem Hausarzt beraten, ob die Dosierung auf 20 mg/Tag gesenkt werden kann, um die Magnesium-Aufnahme zu verbessern. Die Nachfrage nach Müdigkeit, Kälteintoleranz, Gewichtszunahme, Myxödem und Heiserkeit wird wiederum verneint und die Schilddrüsenfunktion daher nicht angesprochen.

 

Evaluation

→ Interventionsergebnis erfragen

→ Entwicklung der Hauptbeschwerden beurteilen

→ Status der ABP beurteilen

– Bewerten –

Beim nächsten Kontakt zeigte sich die Patientin hocherfreut, da bereits die folgende Dialyse problemlos verlief und die Muskelkrämpfe nicht auftraten. Sie führte dies auf die Magnesium-Einnahme direkt vor der Dialyse zurück. Die Kalium- und Phosphat-Binder werden von Frau T. nun ebenfalls wie verordnet eingenommen. Es wird vereinbart, dass sie sich nach der nächsten Blutentnahme und Labor­untersuchung das Ergebnis aushändigen lässt und mitbringt. Dann kann der Verlauf der Kalium- und Phosphat-Spiegel eingeschätzt werden. Eventuell wird sie bei der Entnahme auch die Überprüfung der Wirkstoffspiegel anregen („wenn es sich ergibt“). Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Interventionen und perspektivische Evaluation.

Abb. 2: Q0-Werte der aktuellen Therapie

Tab. 2: Überblick über die Interventionen und perspektivische Evaluation
Wirkstoff
Stärke
Dosierung
Evaluation
Kommentar
Absetzen:
Pantoprazol magensaftresistente Tabletten
40 mg
1-0-0-0
Achten auf Magenbeschwerden
als Vorschlag an den Arzt (via Patientin)
Tilidin retard-1A Pharma Tabletten
100 mg/8 mg
bei Bedarf
Schmerzentwicklung
wird nicht mehr eingenommen
Novaminsulfon AbZ Tropfen
500 mg/ml
bei Bedarf
Gabe von (sortiert nach Einnahmezeitpunkten):
Pantoprazol magensaftresistente Tabletten
20 mg
1-0-0-0
Dosisreduktion als Vorschlag an den Arzt (via Patientin)
ASS TAD protect magensaftresistente Tabletten
100 mg
1-0-0-0
Renavit Filmtabletten
1-0-0-0
Paricalcitol-ratiopharm Weichkapseln
1 µg
1-0-0-0
PTH-, Calcium-, Phosphat-Spiegel
OsvaRen Filmtabletten
1-1-1-0
Phosphat-Spiegel
Korrelation mit Krämpfen?
Metoprololsuccinat-1A Pharma Filmtabletten
95 mg
0,5-0-1-0
Blutdruck, Puls
Sandimmun Optoral WKA (CsA)
10 mg
3-0-3-0
TDM, individueller Zielkorridor
Pravastatin-1A Pharma Tabletten
20 mg
0-0-0,5-0
Magnesium Verla Kautabletten
0-0-1-0
Krämpfe in den Füßen
an Dialysetagen vor der Dialyse
Macrogol Abz Pulver
1 Beutel täglich
CPS Pulver Beutel
an dialysefreien Tagen
Kalium-Spiegel
Korrelation mit Krämpfen?
Epoetin alfa
40.000 IE/0,4 ml
nach Laborwerten
Eisen(Ill)-Ion (Ferrlecit)
62,5 mg
nach Laborwerten

Diskussion

Pro Jahr werden in Deutschland rund 2000 Nierentransplantationen durchgeführt. Das Zehn-Jahres-Überleben der Empfänger in den USA liegt nach einer Spende post mortem bei gut 50%, nach Lebendspende bei gut zwei Dritteln, die Raten in Europa sind etwas höher [19]. Dreißig Jahre sind sicher eine lange Überlebenszeit für eine transplantierte Niere, und die erneute Notwendigkeit einer Dialyse nach der Zeit ist keine Überraschung. Es ist davon auszugehen, dass Frau T. gute Voraussetzungen hatte und über die Zeit medizinisch gut versorgt wurde. Sie erhält aktuell die typische Medikation nach Nierentransplantation und unter Dialyse: eine immunsuppressive Therapie, Betablocker, ASS und Statin als Gefäßschutz (insbesondere auch im Transplantat), Erythropoetin und Eisen gegen die renale Anämie, Kalium- und Phosphat-Binder, um den typischen Überschuss bei Niereninsuffizienz abzufangen, und das Vitamin-D-Analogon Paricalcitol zur Prophylaxe der renalen Osteodystrophie. Laborwerte werden überwacht und berücksichtigt. Hier gibt es keinen Änderungsbedarf. Schwachpunkt in ihrer Versorgung scheint die mangelnde Patientenorientierung des Dialyse-Teams zu sein: Die Beschwerden der Patientin werden offenbar weder wahrgenommen, noch werden Maßnahmen ergriffen, und für die Adhärenz bezüglich einiger notwen­diger Therapeutika fehlt Frau T. das Wissen um den Nutzen. An diesen Punkten konnte die Medikations­analyse ansetzen und durch ausschließlich an die Patientin gerichtete Interventionen eine deutliche Ver­besserung der Symptomatik und der Lebensqualität erreichen. |

 

Praxistransfer

Was Sie gleich tun können, um das Gelesene anzuwenden:

  • Halten Sie nach Patientinnen und Patienten Ausschau, die die besprochenen Wirkstoffe verordnet bekommen – Kalium- und Phosphat-Binder, Vitamin-D-Analoga, Immunsuppressiva – und vollziehen Sie dort nach, wofür die einzelnen Wirkstoffe eingesetzt werden.
  • Fragen Sie Patientinnen und Patienten mit den besagten Verordnungen, in welchen Abständen Blutentnahmen für Laborkontrollen stattfinden.
  • Ermitteln Sie den Q0-Wert aus den pharmakokinetischen Daten der Fachinformationen, z. B. für Paricalcitol, das bei www.dosing.de nicht gelistet ist. (Q0 = 1 ist die richtige Lösung.)

 

Interessenkonflikte: Innerhalb der letzten drei Jahre erhielten die Autoren von folgenden Firmen und Institu­tionen Zuwendungen, inkl. Honorare, Übernachtungs- und Reisekostenerstattung:

Dorothee Dartsch: Takeda Pharma Vertrieb GmbH

Dorothee Michel: keine

Olaf Rose: keine

 

Disclaimer: Die Behandlungsvorschläge der Patienten im Rahmen des Medikationsmanagements geben die persönliche Meinung der Autoren wieder. Sie beruhen auf einer sorgfältig vorgenommenen Analyse und Praxis-Bedingungen. Insofern sind sowohl alternative Ansätze und Ergebnisse vorstellbar als auch Abweichungen von der Zulassung oder Fachinformation möglich. Die Kasuistiken beruhen teils auf tatsächlichen Gegebenheiten, teils auf Ergänzungen und Fiktion. Ihren Pharmakovigilanz-Verpflichtungen sind die Autoren nach eigenem Ermessen und nach eigener Bewertung nachgekommen.

 

Literatur

 [1] Breda A, Budde K, Figueiredo A, Lledó García E. EAU Guidelines on Renal Transplantation 2022

 [2] Azarfar A, Ravanshad Y, Mehrad-Majd H, Esmaeeli M, Aval SB, Emadzadeh M et al. Comparison of Tacrolimus and Cyclosporine for Immunosuppression after Renal Transplantation: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. Saudi J Kidney Dis Transp 2018:1376-1385

 [3] Rovin BH, Adler SG, Barratt J, Bridoux F, Burdge KA, Chan TM et al. KDIGO 2021 Clinical Practice Guideline for the Management of Glomerular Diseases. Kidney International. 2021;100:1-276, doi:10.1016/j.kint.2021.05.021

 [4] National Institute for Health and Care Excellence. Chronic kidney disease: assessment and management: NICE guideline; 25. August 2021

 [5] Evenepoel P, Cunningham J, Ferrari S, Haarhaus M, Javaid MK, Lafage-Proust M-H et al. European Consensus Statement on the diagnosis and management of osteoporosis in chronic kidney disease stages G4-G5D. Nephrol Dial Transplant 2021;36:42-59, doi:10.1093/ndt/gfaa192

 [6] Fachinformation CPS Pulver, Stand: August 2021

 [7] Fachinformation OsvaRen®, Stand: Januar 2017

 [8] Fachdatenblatt Renavit®, Stand: Februar 2023

 [9] Fachinformation Paricalcitol-ratiopharm® Weichkapseln, Stand: Oktober 2022

[10] Gemeinsamer Bundesausschuss. Anlage VII zum Abschnitt M der Arzneimittel-Richtlinie; 2022

[11] Fachinformation Sandimmun® Optoral Weichkapseln, Stand: Juni 2022

[12] Waele L de, van Gaal P-J, Abramowicz D. Electrolytes disturbances after kidney transplantation. Acta Clin Belg 2019;74:48-52, doi:10.1080/17843286.2018.1549193

[13] Ikizler TA, Burrowes JD, Byham-Gray LD, Campbell KL, Carrero J-J, Chan W et al. KDOQI Clinical Practice Guideline for Nutrition in CKD: 2020 Update. Am J Kidney Dis. 2020;76:S1-S107, doi:10.1053/j.ajkd.2020.05.006

[14] Raymond CB, Wazny LD. Treatment of leg cramps in patients with chronic kidney disease receiving hemodialysis. CANNT J 2011;21:19-21; quiz 22-23

[15] Fachinformation Pravastatin – 1 A Pharma Tabletten, Stand: Februar 2022

[16] Mahady SE, Margolis KL, Chan A, Polekhina G, Woods RL, Wolfe R et al. Major GI bleeding in older persons using aspirin: incidence and risk factors in the ASPREE randomised controlled trial. Gut 2021;70:717-724, doi:10.1136/gutjnl-2020-321585

[17] Huang X, Jia Y, Zhu X, Zhang Y, Jiang L, Wei X et al. Effects of Statins on Lipid Profile of Kidney Transplant Recipients: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Biomed Res Int 2020;2020:9094543, doi:10.1155/2020/9094543

[18] Katznelson S, Wilkinson AH, Kobashigawa JA, Wang XM, Chia D, Ozawa M et al. The effect of pravastatin on acute rejection after kidney transplantation – a pilot study. Transplantation 1996;61:1469-1474, doi:10.1097/00007890-199605270-00010

[19] Hariharan S, Israni AK, Danovitch G. Long-Term Survival after Kidney Transplantation. N Engl J Med 2021;385:729-743, doi:10.1056/NEJMra2014530

[20] Schübel J et al. Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM), AWMF-Register-Nr. 053-046, Stand: Dezember 2022 (in Überarbeitung)

Autoren

Dr. Dorothee Dartsch, Apothekerin und Fach­toxikologin; Studium der Pharmazie an der Universität Hamburg; Leiterin der CaP Campus Pharmazie GmbH für Fortbildung im Gesundheitswesen, Schwerpunkt Klinische Pharmazie und E-Learning; Gastdozentin im Masterstudiengang AMTS an den Universitäten Bonn, Heidelberg und Tübingen

Dorothee Michel, Studium der Chemie und Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Diplom-Chemikerin und Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie; Apothekerin für Palliativpharmazie; seit 2001 Inhaberin der Markt-Apotheke Eidelstedt in Hamburg; AMTS-Managerin (AKWL); seit 2016 nebenberuflich tätig als freie Mitarbeiterin bei Campus Pharmazie GmbH

Dr. Olaf Rose, PharmD, Apotheker, ist Dozent für Pharmakotherapie an der PMU Salzburg und Universität Bonn im Masterkurs AMTS, sowie Inhaber dreier Apotheken in Münster und Steinfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medikationsmanagement, Pharmacy Practice und pharmazeutische Interven­tionen in kardiologischen und neurolo­gischen Indikationen.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.