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Arzneimitteltherapiesicherheit
Wenn endogene Antikörper die Biologika-Therapie stören
Anti-Drug-Antikörper können für einen Wirkverlust oder Nebenwirkungen verantwortlich sein
Die Therapie verschiedener Krankheitsbilder wie beispielsweise Diabetes mellitus, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechsel- und Gerinnungsstörungen und vor allem auch Tumorerkrankungen wird heutzutage durch die gentechnisch hergestellten Wirkstoffe geprägt. Ohne diese Moleküle, die Hormone, Zytokine, Enzyme und insbesondere Antikörper umfassen, ließen sich einige Erkrankungen nicht in der Effizienz behandeln, wie es inzwischen passiert. Dass Antikörper gegen ein rekombinant hergestelltes und verabreichtes Protein Probleme in der Therapie machen, weiß man spätestens, seitdem man die sogenannten Hemmkörper gegen den Blutgerinnungsfaktor VIII bei bis zu 30% der Patienten mit einer schweren Hämophilie A gefunden hat. Diese Hemmkörper sind nichts anderes als Antikörper gegen den Gerinnungsfaktor, die seine Wirksamkeit einschränken und damit die Blutungsgefahr bei den betroffenen Patienten erhöhen.
Generelles Problem bei langandauernden Anwendungen
Generell kann man erwarten, dass bei jeder langfristigen Substitutionstherapie einige Betroffene Antikörper gegen das verwendete Präparat (anti-drug antibodies, ADA) entwickeln (s. Abb.). Wie in der Guideline on Immunogenicity assessment of therapeutic proteins des Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) bei der Europäischen Zulassungsbehörde EMA zusammengefasst, kann die Konsequenz der ADA sein, dass sich die Pharmakokinetik, die Pharmakodynamik, die Wirksamkeit und/oder die Sicherheit der Therapie verändern. Je nachdem, welches Epitop des rekombinanten Proteins vom Antikörper erkannt wird, kann man zwischen bindenden (BAb) und neutralisierenden Antikörpern (NAb) unterscheiden. NAb interagieren mit einer funktionalen Domäne des Arzneistoffs und verhindern seine Wirkung. Sowohl bindende als auch neutralisierende Antikörper können zudem die Clearance des Wirkstoffs entweder positiv oder negativ beeinflussen. Diese unterschiedlichen Auswirkungen lassen sich am Beispiel der Antikörper gegen rekombinantes Insulin verdeutlichen: Das sehr selten auftretende exogenous insulin antibody syndrome (EIAS) weist neben einer Hyperglykämie auch eine Hypoglykämie als Symptom auf. Die Hyperglykämie lässt sich durch die fehlende Wirksamkeit des antikörpergebundenen Insulins erklären; eine Hypoglykämie kann dann auftreten, wenn infolge einer pH-Wert-Verschiebung im Blut plötzlich Insulin von den Antikörpern abdiffundiert und die Glucose-Aufnahme in die Zellen induziert. Eine durch Anti-Drug-Antikörper bedingte schwere Insulin-Resistenz kommt jedoch bei weniger als 0,1% der Insulin-Nutzer vor.
In einigen Therapieansätzen können Anti-Drug-Antikörper auch mit endogenen Proteinen interagieren. Die Anfang der 2000er-Jahre ungewöhnlich häufig aufgetretenen Fälle der sogenannten isolierten aplastischen Anämie (pure red cell aplasia, PRCA) wurden mit einer Kreuzreaktion von Anti-Drug-Antikörpern, die nach Verabreichung von Epoetin alfa (Eprex® bzw. Erypo®) gebildet wurden, mit dem endogenen Erythropoetin in Verbindung gebracht. Gerade bei künstlich erzeugten Fusionsproteinen, wie beispielsweise Etanercept, sollte also auch auf eine mögliche Kreuzreaktivität mit z. B. dem TNF-Rezeptor geachtet werden.
Um bei Biopharmazeutika Vorhersagen über eine mögliche Immunogenität zu ermöglichen und dadurch die Risiken einer Therapie zu minimieren, wurde im März 2012 das ABIRISK-Projekt (Anti-Biopharmaceutical Immunization: Prediction and Analysis of Clinical Relevance to Minimize the Risk) gestartet, das sich zunächst nur den Therapien bei Hämophilie A, multipler Sklerose und entzündlichen Erkrankungen widmet. Bei Autoimmunerkrankungen wird zwar kein fehlendes Protein substituiert, aber häufig über viele Jahre mit einem rekombinant hergestellten Wirkstoff behandelt – seien es Beta-Interferone bei multipler Sklerose, verschiedene TNF-Inhibitoren bei rheumatoider Arthritis oder diverse Antikörper bei Autoimmunerkrankungen.
Auch kürzere Anwendungsdauer kann problematisch sein
Gerade bei den Antikörpern, die für verschiedenste Indikationsgebiete auf den Markt kamen, hatte man die Hoffnung, dass sie im Körper der Patienten weniger immunogen wirken – schließlich hat jede/r von uns eine Vielzahl an leicht unterschiedlichen Immunglobulinen im Blut, die als solche toleriert werden. Antikörperpräparate werden schon seit vielen Jahren in der Therapie eingesetzt. Neben den polyklonalen Serumpräparaten waren bereits in den 1980er-Jahren monoklonale Antikörper murinen Ursprungs verfügbar. Orthoclone OKT3® (Muromonab) war das erste zugelassene Präparat, das allerdings wegen schwerer Nebenwirkungen, die vor allem auf die induzierten HAMA (human anti-mouse antibodies) zurückzuführen waren, 2006 wieder vom Markt genommen wurde. Mit der schrittweisen Anpassung der monoklonalen Antikörper an humane Proteinsequenzen über chimäre und humanisierte bis hin zu vollständig humanen Immunglobulin-Präparaten reduzierte sich zwar die Immunogenität der Moleküle, trotzdem traten beispielsweise unter Therapie mit dem humanen Antikörper Adalimumab (Humira®) noch bei ca. 30% der Patienten Anti-Drug-Antikörper auf.
Für das CHMP der EMA war das Grund genug, eine eigene Guideline on immunogenicity assessment of monoclonal antibodies intended for in vivo clinical use zu erstellen. Zum einen ist es eine besondere Herausforderung, Anti-Drug-Antikörper gegen monoklonale Antikörper nachzuweisen. Zum anderen kommt bei den ADA gegen Immunglobulin-Therapeutika zusätzlich zu den Beeinträchtigungen in Pharmakokinetik/Pharmakodynamik und der veränderten Effizienz und Sicherheit noch der Effekt dazu, dass sie selbst agonistisch wirken könnten: Bildet sich beispielsweise ein ADA gegen die VEGF-Bindestelle (Paratop) von Bevacizumab, könnte der Anti-Drug-Antikörper die Oberfläche von VEGF simulieren und selbst an den VEGF-Rezeptor binden und somit Angiogenese induzieren – genau das Gegenteil des therapeutischen Ziels. Derartige Anti-Idiotyp-Antikörper sind Resultat einer normalen Immunreaktion und werden beispielsweise auch als mögliche Ursache für das Long-COVID- bzw. das Post-Vac-Syndrom im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 diskutiert: Wurden nach einer Infektion oder einer Impfung zufälligerweise Antikörper gebildet, die gegen das Paratop der induzierten Anti-Spikeprotein-Antikörper gerichtet waren, können sie eventuell analog zu SARS-CoV-2 an das ACE2-Protein auf Zellen binden und noch Wochen später eine zellschädigende Wirkung entfalten. Diese Anti-Idiotyp-Antikörper sind im eigentlichen Sinn keine Anti-Drug-Antikörper, da sie sich gegen die nach der Infektion/Impfung entstandenen Antikörper richten. Allerdings zeigen sie eindrucksvoll, welche Effekte durch Anti-Drug-Antikörper gegen monoklonale Antikörper auftreten können.
Was ist die klinische Relevanz der ADA gegen therapeutische Proteine/monoklonale Antikörper?
Besonders viele Daten sind inzwischen bei den Dauertherapien mit monoklonalen Antikörpern bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder auch rheumatoider Arthritis erhoben worden. Bei beiden Indikationen besteht ganz offensichtlich eine klinische Relevanz zwischen dem Auftreten von Anti-Drug-Antikörpern und niedrigen Wirkstoffspiegeln, die dann wiederum ein schlechteres Ansprechen auf die Therapie nach sich ziehen. In der aktualisierten S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ wird deshalb darauf hingewiesen, dass bei einem Wirksamkeitsverlust der Anti-TNF-Biologika, der innerhalb des ersten Therapiejahres bei bis zu 40% der Patienten und Patientinnen auftritt, zum einen die Wirkstoff- und zum anderen die ADA-Konzentrationen ermittelt werden sollten. Sind Anti-Drug-Antikörper vorhanden, sollte auf ein anderes Präparat gewechselt oder aber ein Immunsuppressivum mit verabreicht werden.
Vor Kurzem wurde eine Studie veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen der Konzentration an Anti-Drug-Antikörpern gegen den Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab und dem klinischen Ansprechen bei Patienten mit Leberzell-Karzinom aufzeigte. Nach einer Kombinationstherapie aus Atezolizumab und Bevacizumab waren bei knapp 20% der Patienten signifikant hohe ADA-Mengen nachweisbar, was mit einer geringeren Atezolizumab-Konzentration, einer reduzierten Proliferation zytotoxischer T-Zellen und niedrigeren Mengen an Interferon γ und Tumornekrosefaktor assoziiert war. Das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben war in der Gruppe mit niedrigen ADA-Mengen deutlich besser als bei den Patienten mit hohen ADA-Konzentrationen. Allerdings bestand auch eine Korrelation zwischen Tumor-Status und ADA-Menge: Patienten mit einem fortschreitenden Verlauf wiesen höhere ADA-Konzentrationen auf als diejenigen mit einer kompletten oder teilweisen Remission oder einer stabilen Erkrankung. Diese Beobachtung könnte jedoch ebenfalls das verringerte Gesamtüberleben in der einen Patientengruppe erklären. Die beschriebenen Auswirkungen der ADA gegen Atezolizumab könnten auch der Grund sein, weshalb ein signifikanter Anteil von Tumorpatienten nicht auf eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren anspricht.
So weit, so logisch und nach den bisherigen Erkenntnissen nachvollziehbar. Wäre da nicht noch ein Kommentar zu der veröffentlichten Atezolizumab-Studie erschienen, in dem angezweifelt wird, dass die Anti-Drug-Antikörper klinisch relevant sind. Unterstützt wurde diese Behauptung mit einer Meta-Analyse, die Daten aus zwölf klinischen Studien mit ca. 4500 Patienten evaluierte. Demnach reduzierten die vorhandenen Anti-Drug-Antikörper die Menge an verfügbarem Atezolizumab nur zu ca. 16%, so dass noch genügend Wirkstoff vorhanden sein sollte, um klinisch wirksam zu sein. Wu et al. kamen auch zu dem Schluss, dass weniger die ADA-Konzentration als vielmehr andere Parameter, wie das C-reaktive Protein oder die Tumorlast und das Alter der Patienten ausschlaggebend für das Gesamtüberleben waren. Nach Meinung der Autoren spielen Anti-Drug-Antikörper in der Tumortherapie eine andere, eher untergeordnete Rolle im Vergleich beispielsweise zur Therapie von Autoimmunerkrankungen. Kleiner Wermutstropfen dieser Metaanalyse ist jedoch, dass die Autoren Mitarbeiter von Genentech bzw. Roche sind, dadurch natürlich einerseits alle Studiendaten sichten können, aber eventuell aus Firmeninteresse die ADA-Problematik etwas anders beleuchten.
Was soll man nun glauben?
Zweifellos sind Anti-Drug-Antikörper ein Problem bei verschiedenen Therapien mit Biologika. Wer allerdings wie auf eine Therapie reagiert, ist nach wie vor schlecht vorherzusagen. Es ist immer ein zufälliges Zusammentreffen von möglichen Epitopen des biologischen Wirkstoffs, bestimmten Eigenschaften des Arzneimittels, Komedikationen sowie Immunstatus und HLA-Ausstattung des Patienten nötig, damit es zur ADA-Bildung kommt. Inwieweit die Anti-Drug-Antikörper tatsächlich klinisch relevant sind, muss im Einzelfall am Verlauf der Erkrankung geprüft werden. Der Nachweis der Anti-Drug-Antikörper ist nicht ganz einfach, vor allem wenn sie gegen therapeutische Antikörper gerichtet sind. |
Literatur
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