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Diabetologie
Stechende und brennende Schmerzen
Pathogenese, Behandlung und Prävention von Neuropathie bei Diabetes
Fast jeder Zehnte ist in Deutschland an Diabetes erkrankt [1]. Viele Stimmen sprechen bereits von einer Diabetes-Pandemie. Der größte Anteil der Erkrankten geht auf das Konto des Typ-2-Diabetes, der durch Insulin-Resistenz und relativem Insulin-Mangel entsteht und besonders mit Übergewicht assoziiert auftritt. Der Lebenswandel hat einen großen Einfluss auf die Entstehung. Der autoimmun bedingte Diabetes mellitus Typ 1 kommt hingegen nur bei 0,3% der Erwachsenen in Deutschland vor [1]. Die eingeschränkte Glucose-Kontrolle, die mit beiden Typen einhergeht, bringt zahlreiche Folgeerscheinungen für den Organismus mit sich: Die eigentlich unentbehrliche Glucose schädigt in der Überdosis Blutgefäße, Nieren – und insbesondere das periphere Nervensystem. Die daraus resultierende diabetische Neuropathie hat viele Gesichter. In den meisten Fällen (75%) handelt es sich um die sogenannte distal-symmetrische diabetische sensomotorische Polyneuropathie, die die peripheren sensiblen und motorischen Nerven befällt (s. Abb. 1) [2].
Diese Form der Neuropathie betrifft zuerst lange Nervenstränge und tritt deshalb zuerst an Füßen und Händen auf beiden Körperseiten auf. Die Betroffenen berichten von brennenden, stechenden bzw. einschießenden Schmerzen, die sich typischerweise über Nacht verschlimmern. Auch Hyperalgesie (die gesteigerte Empfindung eines Schmerzreizes), Allodynie (die schmerzhafte Wahrnehmung leichter Reize) und Parästhesien (krankhafte Empfindung ohne entsprechenden Reiz, zum Beispiel das Kribbeln oder Ameisenlaufen) beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen. Diesen Plus-Symptomen stehen aber auch Minus-Symptome gegenüber, zum Beispiel die Hypästhesie (verminderte Berührungswahrnehmung, Taubheitsgefühl), Thermhypästhesie (verminderte Temperaturwahrnehmung) oder Hypalgesie (verminderte Schmerzwahrnehmung). Da neben den sensorischen Bahnen auch motorische Nerven geschädigt werden, können Muskelkrämpfe und -lähmungen auftreten. Die Krankheit beginnt häufig schleichend und betrifft 30% der Diabetiker [3]. Davon verspüren überhaupt nur die Hälfte Symptome – weshalb die Krankheit oft unerkannt bleibt. Bei einem Viertel der Patienten äußert sich die Krankheit mit Schmerzen, die meist chronisch verlaufen [4]. Je länger der Diabetes besteht, umso höher das Risiko und die Quote der Betroffenen. Bleibt die Krankheit unerkannt, breitet sie sich zunehmend Richtung Körpermitte aus und führt langfristig zu diabetischen Fußkomplikationen: Ulzera, Osteoarthropathien (Charcot-Arthropathie) bis hin zu Amputationen. Neben der sensomotorischen Neuropathie kann Diabetes auch fokale Neuropathien verursachen, bei denen nur bestimmte Nerven befallen sind. Auch Mischformen sind möglich. Zusätzlich betrifft die diabetische Neuropathie auch das autonome Nervensystem, das die Organe innerviert (s. Abb. 1) [3].
Lernziele
In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem ...
- wie sich eine diabetische sensomotorische Polyneuropathie äußert und welche Ursachen eine Neuropathie bei Diabetikern haben kann.
- welche Verlaufsmuster der diabetischen Polyneuropathie bekannt sind.
- welche Wirkstoffe gegen die Schmerzen durch eine sensomotorische diabetische Neuropathie zur Verfügung stehen.
- welches Therapieziel mit First-Line-Therapeutika realistisch ist.
- nach welchen Kriterien passende Wirkstoffe ausgewählt werden.
- welche Alternativen zur Verfügung stehen.
Überdosis Zucker
Der Substrat-Overload mit Glucose und, durch die oftmals assoziierte Hyperlipidämie, mit Fetten überlastet den Energiestoffwechsel der Nervenzellen und führt zur Freisetzung reaktiver Sauerstoffspezies [5]. Überschüssige Nährstoffe werden außerdem über alternative Stoffwechselwege abgebaut, Glucose zu Sorbitol und Acetyl-CoA aus der Betaoxidation der Fettsäuren zu toxischen Acylcarnitinen, die zusätzlichen oxidativen Stress induzieren. Außerdem führt die Glykierung von Proteinen, Lipiden und DNA zur Entstehung von Advanced Glycation End Products [5]. Die veränderten Körperbausteine sind in ihrer Funktion eingeschränkt und bilden einen weiteren Quell für oxidativen Stress, der DNA-Schäden, eine Überlastung des endoplasmatischen Retikulums und Entzündungsprozesse nach sich zieht (s. Abb. 2).
Oxidativer Stress beeinträchtigt auch die Funktion von Blutgefäßen und löst eine Dysfunktion des Endothels aus, was die Nährstoffversorgung der Nerven weiter einschränkt. Gerade die Axone sind durch ihre Entfernung vom Zellkörper auf die Versorgung durch die Myelin-bildenden Schwann-Zellen angewiesen, die aber auch ihrerseits unter dem Glucose-Überangebot leiden und ihre Versorgungsaufgabe nur noch eingeschränkt wahrnehmen können [6]. Neuropathische Schmerzen letztendlich resultieren aus einer Hyperexzitabilität der Nerven, z. B. weil sie mehr Ionenkanäle ausbilden bzw. die Ionenkanäle durch die Glykierung übersteigert reagieren [5]. Auch wenn Zucker der gemeinsame Nenner ist, bestehen durchaus Unterschiede zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetikern. Während sich das Neuropathie-Risiko der Typ-1-Diabetiker mit einer guten Blutzuckereinstellung deutlich um 78% reduzieren ließ, gelang das bei Typ-2-Diabetikern nur unzureichend (5 bis 9%) [7]. Einerseits liegt das daran, dass Letztere bereits vor Diagnose unerkannte hyperglykämische Phasen erleben, die die Nerven angreifen. Andererseits kommen im Rahmen des metabolischen Syndroms weitere Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Übergewicht hinzu, die eine Neuropathie begünstigen können [8].
Schlüssel Früherkennung
Jeder Diabetiker kann erkranken – die Früherkennung ist dementsprechend wichtig, um die Progression zu verlangsamen oder zu verhindern. Die Nationale VersorgungsLeitlinie „Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter“ legt fest, dass Typ-1-Diabetiker spätestens fünf Jahre nach der Diagnose untersucht werden sollen, Typ-2-Diabetiker bereits, wenn der Diabetes festgestellt wird [3]. Danach soll jährlich gescreent werden. Eine wichtige Rolle im Screening spielen neurologische Untersuchungen, die gezielt das Schmerzempfinden (mit Zahnstocher), das Berührungsempfinden (mit Wattebausch), das Druck- und Berührungsempfinden (mit 10-g-Monofilament), das Temperaturempfinden (mit kaltem Metall), das Vibrationsempfinden (mit 128-Hz-Stimmgabel) und die Muskeleigenreflexe untersuchen [3]. Gegebenenfalls schließen sich weitere erweiterte Untersuchungen (z. B. Elektroneurografie, Quantitative sensorische Testung) an. Nicht immer steckt hinter einer Neuropathie aber ein Diabetes mellitus. Differenzialdiagnostisch müssen deshalb zum Beispiel auch ein Vitamin-B-Mangel, eine Therapie mit Zytostatika, eine Niereninsuffizienz, Infektionen oder erbliche Neuropathien und anderes abgeklärt werden [9].
Stoffwechseleinstellung essenziell
Je zeitiger die Neuropathie erkannt wird, umso besser lässt sie sich in ihrem Voranschreiten abbremsen. Dass die Stoffwechsellage adäquat kontrolliert werden muss, versteht sich dabei von selbst, schließlich ist die Hyperglykämie Wurzel allen Übels. Eine adäquate Blutzuckereinstellung ist das A und O der Neuropathie-Therapie bzw. Prävention, auch wenn sie bei Typ-2-Diabetikern das Neuropathie-Risiko nur wenig reduziert.
Neuropathische Schmerzen hingegen können nur symptomatisch behandelt werden. Da sie nicht wie entzündliche Schmerzen durch Nozizeptorreizung entstehen, sondern aus einer Hyperexzitabilität der Nerven resultieren, wirken nichtsteroidale Analgetika, Paracetamol oder Metamizol nicht oder nur wenig.
Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide
Neuropathische Schmerzen durch Diabetes werden stattdessen in erster Linie mit tricyclischen Antidepressiva (vor allem Amitriptylin), dem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Duloxetin (Cymbalta®) und Antikonvulsiva aus der Gruppe der Gabapentinoide (Gabapentin [Neurontin®], Pregabalin [Lyrica®]) behandelt sowie Opioiden (Tramadol, Tilidin/Naloxon oder starke Opioide), sofern sie indiziert sind [3, 4, 9] (s. Tab. 1). Zwar ist die Versorgungsleitlinie 2020 abgelaufen, trotzdem decken sich deren Empfehlungen größtenteils mit denen der Deutschen Diabetes Gesellschaft [9] und internationalen Konsensusempfehlungen [4]. Durch die Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin verstärken Antidepressiva deszendierende schmerzhemmende Bahnen, während Tricyclica zusätzlich auch Natrium-Ionenkanäle hemmen können. Die Gabapentinoide hingegen unterdrücken durch ihre Interaktion mit der α2δ-Untereinheit präsynaptischer Calcium-Ionenkanäle die Freisetzung von schmerzfördernden Transmittern. Opioide hemmen die Schmerzen bekannterweise zentral über µ-Rezeptoren.
Wirkstoff | Anfangsdosis gegebenenfalls plus Aufdosierung | Übliche Erhaltungsdosis/Maximaldosis | Nebenwirkungen | Ausgewählte Wechselwirkungen |
---|---|---|---|---|
Gabapentinoide | ||||
Gabapentin | 300 mg + 300 mg täglich | 1200 bis 2400 mg in drei Einzeldosen maximal 3600 mg | Somnolenz, Virusinfektionen, Ataxie, Gewichtszunahme | kaum zu erwarten, da unverändert ausgeschieden; verstärkte Atemdepression von Opioiden, verminderte Aufnahme mit Antacida |
Pregabalin | 75 bis 150 mg auf 300 mg nach drei bis sieben Tagen | 300 bis 600 mg in zwei bis drei Einzeldosen maximal 600 mg | Somnolenz, Benommenheit, Ataxie, Gewichtszunahme | kaum zu erwarten, da unverändert ausgeschieden; gegebenenfalls Wirkungsverstärkung Lorazepam, Alkohol |
Antidepressiva | ||||
tricyclische Antidepressiva, z. B. Amitriptylin | 10 mg + 10 bis 25 mg alle vier Tage | 25 bis 75 mg in zwei Einzeldosen über 100 mg mit Vorsicht | Benommenheit, Schwindel, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, Obstipation, QT-Zeit-Verlängerung | Wirkungsverstärkung zentral dämpfender Wirkstoffe, QT-verlängernder Wirkstoffe; Spiegelerhöhung durch CYP2D6-Hemmer: z. B. Paroxetin, Bupropion, Fluoxetin; KI: MAO-Hemmer aufgrund Serotonin-Syndrom |
Duloxetin | 30 mg + 30 mg nach sieben bis 14 Tagen | 60 mg | Blutdrucksteigerung | Vorsicht bei Kombination mit anderen ZNS-wirksamen Substanzen, Serotoninsyndrom bei Kombination mit anderen serotonergen Wirkstoffen, deshalb KI: MAO-Hemmer KI: Fluvoxamin, da CYP1A2-Hemmung |
Opioide | ||||
Tramadol | 50 bis 100 mg | 100 bis 200 mg in ein bis zwei Einzeldosen max. 400 mg | Verstopfung, Sedierung, Übelkeit | KI: MAO-Hemmer aufgrund Serotoninsyndrom – Vorsicht auch bei anderen serotonergen Substanzen; Wirkverstärkung mit zentral aktiven Substanzen; CYP3A4-Substrat |
Oxycodon | 10 bis 20 mg | 20 bis 50 mg in zwei Einzeldosen max. 400 mg in Einzelfällen | Wirkverstärkung mit zentral aktiven Substanzen; CYP3A4-Substrat | |
Alternativen | ||||
Capsaicin | 8% alle zwei bis drei Monate durch medizinisches Personal | lokale Reaktionen | – | |
Alpha-Liponsäure | 600 mg | gastrointestinale Beschwerden, allergische Reaktionen | Wirkungsverlust von Cisplatin, Komplexbildung Metallionen (Eisen- bzw. Magnesium-Präparaten); verstärkte blutzuckersenkende Wirkung von Insulin und Antidiabetika, als Metallchelator |
Als realistisches Therapieziel ist mit diesen First-Line-Therapeutika eine Schmerzreduktion vom 30 bis 50% zu erwarten und auch anzustreben [3, 4]. Werte über 50% erreichte in den klinischen Studien nur ein Teil der Probanden. Die Nationale VersorgungsLeitline betont, dass die Therapie frühzeitig eingeleitet werden und auch Endpunkte wie Schlaf, soziale Teilhabe, Arbeitsfähigkeit oder Lebensqualität umfassen soll [3].
Wirkstoffauswahl nach Wirksamkeit und Risikoprofil
Bei so vielen First-Line-Mitteln richtet sich die Auswahl des passenden Wirkstoffes vor allem nach dem Risikoprofil, also Komorbiditäten und Komedikationen der Patienten. Letztendlich müssen geeignete Mittel aber individuell ausprobiert und entsprechend auftitriert werden, um nach mindestens zwei Wochen Wirksamkeit und Verträglichkeit zu beurteilen [3].
Die Gabapentinoide erhöhen langfristig zum Beispiel das Körpergewicht, wodurch sie bei Übergewichtigen zurückhaltend eingesetzt werden sollten, da Übergewicht das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und makroangiopathische Komplikationen erhöht [3, 4]. Beide Wirkstoffe können abhängig machen und sollten deshalb über mindestens eine Woche ausgeschlichen werden, um Entzugssymptome zu vermeiden. Gleichzeitig steigt weltweit der Missbrauch der beiden Wirkstoffe an, die Euphorie, Geselligkeit und Entspannung fördern können und oft mit anderen Substanzen zusammen eingenommen werden [10]. Bei Patienten mit Drogenmissbrauch sollten diese Wirkstoffe deshalb vorsichtig eingesetzt werden.
Antidepressiva vermindern nicht nur die neuropathischen Schmerzen, sondern können auch depressive Symptome behandeln, die oft konkomitant auftreten. Unter den Tricyclica wird am meisten Amitriptylin eingesetzt, aber auch Nortriptylin, Imipramin oder Desipramin sind mögliche Kandidaten [4]. Sie werden in Dosen verwendet, die unter denen einer antidepressiven Therapie liegen (s. Tab. 1). Gegebenenfalls kann die Dosis bei einer begleitenden Depression gesteigert werden [3]. Wie Gabapentinoide führen Tricyclica zur Gewichtszunahme, weshalb sie bei Übergewichtigen vorsichtig eingesetzt werden sollten [4]. Kontraindiziert sind sie unter anderem bei Herz-Rhythmus-Störungen oder Glaukomen.
Der selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin verursacht im Gegensatz keine Gewichtszunahme, dafür muss der Blutdruck überwacht werden, da dieser mit der Behandlung ansteigen kann (s. Tab.) [4]. Auch Duloxetin sollte nur langsam ausgeschlichen werden.
Auf einen Blick
- Die diabetische sensomotorische Polyneuropathie betrifft ca. 30% der Diabetiker.
- Durch die hyperglykämische Stoffwechsellage werden die Neurone mit Nährstoffen überladen, was oxidativen Stress, toxische Metaboliten und Entzündungsprozesse nach sich zieht.
- Symptome wie Taubheitsgefühle, Missempfindungen und neuropathische Schmerzen beginnen an Beinen und Füßen.
- Eine adäquate Stoffwechseleinstellung bildet die therapeutische Basis.
- Die Therapie von neuropathischen Schmerzen erfolgt mit tricyclischen Antidepressiva, Duloxetin, Gabapentin und Pregabalin.
- Bei nicht ausreichender Therapieantwort kann die Dosis gesteigert sowie Substanzen kombiniert werden.
- Opioide werden bei Kontraindikationen oder starken neuropathischen Schmerzen eingesetzt.
Opioide als Alternative
Besteht aber zum Beispiel eine Kontraindikation gegen die oben genannten Substanzen, z. B. Übergewicht oder Herzrhythmusstörungen, bzw. schlagen diese nicht an oder handelt es sich um starke neuropathische Schmerzen, können auch Opioide eingesetzt werden (s. Tab. 1). Unter den Opioiden sprechen die Daten am ehesten für den Einsatz von Tramadol und, wenn die Schmerzen besonders stark sind, Oxycodon, auch wenn das Cochrane Institute die Evidenz als geringwertig einstuft [11, 12]. Laut Nationaler Versorgungsleitlinie kann alternativ Tilidin/Naloxon ausprobiert werden [3]. Die internationalen Konsensusempfehlungen bewerten zudem Tapentadol als mögliche Alternative [4]. Durch Toleranzentwicklung bzw. opioidinduzierte Hyperalgesie wurden Opioide aber längerfristig mit einer schlechteren Schmerzkontrolle in Verbindung gebracht [13]. Auch das Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial muss bedacht werden [4]. Tramadol und Tapentadol wirken zusätzlich als SNRI und sollten nicht mit anderen serotonergen Wirkstoffen kombiniert werden.
Wechseln oder kombinieren?
Können aber selbst mit den Maximaldosen der First-Line-Wirkstoffe die Schmerzen nicht ausreichend kontrolliert werden (in der Hälfte der Fälle [4]), kann der Wirkstoff ausgetauscht werden. Zum Beispiel schlugen in einer Studie Duloxetin oder Pregabalin an, wenn Gabapentin nicht ausreichend wirkte [14]. Oder es wird eine zweite Substanz dazukombiniert. Mit zwei Wirkstoffen lässt sich der Schmerz aufgrund verschiedener Ansätze womöglich besser kontrollieren, auch wenn nur wenig Evidenz zu diesem Thema wie auch zur Vergleichbarkeit der Wirkstoffe besteht. Werden die Substanzen kombiniert, dann sollen Wirkstoffe unterschiedlicher Klassen verwendet werden, also Gabapentinoid und Antidepressivum (gegebenenfalls auch Opioide) [4, 9]. Kleine Cross-over-Studien fanden heraus, dass zum Beispiel die Kombination von Nortriptylin und Gabapentin bzw. Imipramin und Pregabalin den Einzelsubstanzen in ihrer Schmerzsenkung überlegen war [15, 16]. Oxycodon und Gabapentin in Kombination wirkten effektiver als Gabapentin allein [17]. Die große COMBO-DM-Studie mit über 800 Teilnehmern hingegen zeigte, dass die Kombination von 60 mg Duloxetin und 300 mg Pregabalin (Schmerzreduktion um 39,4%) nicht besser wirkte als die Einzelsubstanzen in der Hochdosistherapie (120 mg Duloxetin/600 mg Pregabalin; Schmerzreduktion um 34,3%) [18]. Letztes Jahr wurden die Ergebnisse der OPTION-DM-Studie publiziert, die an 130 Probanden zunächst die Einzelsubstanzen Amitriptylin, Pregabalin und Duloxetin untersucht hat, die bei Nichtansprechen jeweils mit Pregabalin, Amitriptylin oder Pregabalin kombiniert wurden [19]. Dabei unterschieden sich nicht nur die Monotherapeutika nicht in ihrer Wirksamkeit (durchschnittliche Schmerzreduktion ca. 43,9%), auch die drei Kombinationen wirkten insgesamt gleich gut, aber reduzierten die Schmerzen im Mittel mehr als die Monotherapie (Schmerzreduktion um 51,5%). Die Nationale VersorgungsLeitlinie empfiehlt in der abgelaufenen Version lediglich die Kombination mit Opioiden. Die an die Leitlinie angelehnten Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft raten aber bereits zu Kombinationen von unterschiedlichen Wirkstoffklassen, sodass hier eine Änderung erwartet werden kann [9].
Mögliche Alternativen
Topische Analgetika werden im Allgemeinen nicht empfohlen. Eine Cochrane-Studie fand zum Beispiel keinen Wirksamkeitsnachweis für gering dosierte Capsaicin-Pflaster (0,025 bis 0,075%) [20]. Jedoch zeigte eine Studie aus dem Jahr 2017 deutliche Effekte durch ein 8%iges Capsaicin-Pflaster (Qutenza®), das alle zwei bis drei Monate für 30 Minuten von medizinischem Fachpersonal appliziert werden muss. Nach acht Wochen reduzierte es neuropathische Schmerzen um 27,4% (vs. Placebo 20,9%; p = 0,025) [21]. Alpha-Liponsäure (auch Thioctsäure, z. B. Alpha Liponsäure AAA-Pharma®), ein zugelassenes Antioxidans, beeinflusste neuropathische Schmerzen günstig und nebenwirkungsarm, aber bei oft moderater Evidenz [22]. Beide Ansätze werden von der Deutschen Diabetes Gesellschaft mittlerweile als zusätzliche First-Line-Medikamente empfohlen [9]. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Nationale VersorgungsLeitlinie hier positionieren wird. Nichtpharmakologische Therapieverfahren wie Psychotherapie, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und Akupunktur können zusätzlich flankierend eingesetzt werden [3].
Änderung des Lebensstils
Wie sich die Krankheit entwickelt, das haben die Patienten aber auch selbst in der Hand. Lebensstilinterventionen sind deshalb fester Bestandteil der Therapie. Auch im Beratungsgespräch in der Apotheke können verschiedene Hinweise gegeben werden. Ganz oben auf der Liste steht der Rauchstopp [3]. Auch der Genuss von Alkohol sollte auf unter 10 g bzw. 20 g pro Tag für Frauen bzw. Männer begrenzt werden. Das entspricht einem oder zwei kleinen Gläsern Bier pro Tag. Ein eventuelles Übergewicht sollte reduziert werden. Weitere Komorbiditäten wie zum Beispiel Hypertonie erfordern eine entsprechende Therapie. Eine Ernährungsberatung kann eine wichtige Rolle spielen, wobei mediterrane, vegetarische oder vegane Diäten von der Deutschen Diabetes Gesellschaft für Diabetiker empfohlen werden [23]. Diabetiker sollten auch auf einen möglichen Mangel an Vitamin D, Vitamin B12 und anderen B-Vitaminen achten [4]. Ob eine Magnesium-Substitution notwendig ist, ist noch umstritten [4]. Diabetiker sollten ihre Füße regelmäßig untersuchen und zum Arzt gehen, wenn sie Auffälligkeiten bemerken. Zu guter Letzt sollte den Patienten nahegelegt werden, jährlich zu den Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, um eine Neuropathie frühzeitig aufzuspüren. |
Interessenkonflikte
Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur
[1] Goffrier B et al. Administrative Prävalenzen und Inzidenzen des Diabetes mellitus von 2009 bis 2015. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 17/03, www.versorgungsatlas.de/themen/alle-analysen-nach-datum-sortiert/?tab=6&uid=79
[2] Dyck PJ et al. Toronto Expert Panel on Diabetic Neuropathy. Diabetic polyneuropathies: update on research definition, diagnostic criteria and estimation of severity. Diabetes Metab Res Rev 2011;27:620-628
[3] Nationale VersorgungsLeitlinie Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter. Hrsg. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. AWMF-Register-Nr.: nvl-001e. Stand Juni 2016, abgelaufen, in Überarbeitung, www.leitlinien.de
[4] Ziegler D et al. Screening, diagnosis and management of diabetic sensorimotor polyneuropathy in clinical practice: International expert consensus recommendations. Diabetes Res Clin Pract 2022;186:109063
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[6] Domènech-Estévez E et al. Distribution of monocarboxylate transporters in the peripheral nervous system suggests putative roles in lactate shuttling and myelination. J Neurosci 2015;35:4151-4156
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[9] Ziegler Dan et al. Diabetische Neuropathie. DDG Praxisempfehlungen. Diabetologie 2022;17:339-353
[10] Evoy EK et al. Abuse and Misuse of Pregabalin and Gabapentin: A Systematic Review Update. Drugs 2021;81:125-156
[11] Gaskell H et al. Oxycodone for neuropathic pain in adults. Cochrane Database Syst Rev 2016;7:CD010692
[12] Duehmke RM et al. Tramadol for neuropathic pain in adults. Cochrane Database Syst Rev 2017;6:CD003726
[13] Busse JW et al. Opioids for chronic noncancer pain: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2018;320:2448-60
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[17] Hanna M et al. Prolonged-release oxycodone enhances the effects of existing gabapentin therapy in painful diabetic neuropathy patients Eur J Pain 2008;12:804-813
[18] Tesfaye S et al. Duloxetine and pregabalin: high-dose monotherapy or their combination? The „COMBO-DN study“ – a multinational, randomized, double-blind, parallel-group study in patients with diabetic peripheral neuropathic pain. Pain 2013;154:2616-2625
[19] Tesfaye S et al. Comparison of amitriptyline supplemented with pregabalin, pregabalin supplemented with amitriptyline, and duloxetine supplemented with pregabalin for the treatment of diabetic peripheral neuropathic pain (OPTION-DM): a multicentre, double-blind, randomised crossover trial. Lancet 2022;400:680-690
[20] Derry S, Moore RA. Topical capsaicin (low concentration) for chronic neuropathic pain in adults. Cochrane Database Syst Rev 2012;9:CD010111
[21] Simpson DM et al. Capsaicin 8% Patch in Painful Diabetic Peripheral Neuropathy: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Study. J Pain 2017;18:42-53
[22] Amato Nesbit S et al. Non-pharmacologic treatments for symptoms of diabetic peripheral neuropathy: a systematic review. Curr Med Res Opin 2019;35:15-25
[23] Skurk T et al. Empfehlungen zur Ernährung von Personen mit Typ-2-Diabetes mellitus. Diabetologie 2021;16:255-289
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