Kongresse

„Machste dreckig, machste sauber“

Nachhaltigkeit in der Pharmazie – eine Chance für pharmazeutische Dienstleistungen?

gg | Tagtäglich tragen Arzneimittel zur Heilung, Linderung und Prävention von Erkrankungen bei. Gleichzeitig führt die Herstellung, Anwendung und Entsorgung von Medikamenten im globalen Maßstab auch zu Umweltschäden – etwa durch die Akkumulation von Arzneimittelrückständen in den Gewässern – und wird damit selbst zu einem Gesundheitsrisiko. Wie der Weg in Richtung einer nachhaltigeren Welt und einer zugehörigen Pharmazie gelingen kann, fragten Professor Volker Mosbrugger, Universität Frankfurt, und Apothekerin Karina Witte, Universität Freiburg, sich und das Publikum.
Foto: DAZ/gg

Prof. Dr. Volker Mosbrugger

Gleich zu Beginn seines Vortrages stellte Professor Volker Mosbrugger vom Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main fest, dass es der Menschheit nie besser als heute ging – der Natur aber nie schlechter. Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Versauerung der Ozeane – all diese drängenden Probleme der heutigen Zeit haben einen gemein­samen Ursprung: der Mensch geht mit den natürlichen Ressourcen nicht nachhaltig um. In Hinblick auf diese lebt der Mensch „nicht von der Rendite, sondern vom Kapital“ und ist damit im Begriff, immer weitere Herausforderungen heraufzubeschwören, wie etwa vermehrt auftretende Natur­katastrophen, Zoonosen oder massenhafte Migrationsbewegungen. Die Lage ist also ernst und der Übergang in eine nachhaltige, und damit zukunftsfähige Welt, die beste Alternative.

Der Weg zu einer ökosozialen Marktwirtschaft

Aber wie gelingt dieser Übergang? Mosbrugger erläuterte, dass natürliche Ressourcen und Ökosystemdienstleistungen trotz ihres immensen Wertes in den gegenwärtigen Wirtschafts­modellen nicht berücksichtigt werden. Er schlägt den Übergang von der das menschliche und das produzierte Kapital einbeziehenden sozialen Marktwirtschaft in die ökosoziale Marktwirtschaft vor, bei welcher auch das natürliche Kapital einen bezifferten Wert erhält. Konkret würde also der monetäre Gegenwert der durch die Herstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung verursachten Umweltschäden auf den Verkaufspreis aufgeschlagen. Die so erzielten Zusatzeinnahmen werden anschließend für Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur verwendet, etwa zur Abwasseraufbereitung. Dieses Konzept fasste Mosbrugger prägnant zusammen mit: „Machste dreckig, machste sauber“. Als positiven Nebeneffekt erwartet der Referent von diesem Ansatz, dass die Produktion von Arzneimitteln in asiatischen Ländern künftig nicht mehr günstiger wäre als die Herstellung in Europa. Um diesen Ansatz umzusetzen, braucht es zum einen globale Regeln, zum anderen aber auch das freiwillige Engagement aller, so sein Resümee.

Zum Abschluss warf Mosbrugger noch einen Blick in den Responsible-Care-Bericht des Verbandes der chemischen Industrie. Hier ist etwa zu lesen, dass sich der produktspezifische Wasserverbrauch seit 1995 um ein Drittel reduziert hat. Was diese Zahl aber nicht verrät, ist, dass in diesem Zeitraum jedoch auch die Produktmenge gestiegen und der gesamte Wasserverbrauch über den Zeitraum somit konstant geblieben ist. Einen Netto-Mehrwert für den Umweltschutz hat diese Einsparung damit nicht. Allerdings zeigt der Bericht auch tatsächliche Einsparungen: So wurde die Abfallmenge seit 1995 auf etwa ein Drittel reduziert.

Pharmazie hat ein Nachhaltigkeitsproblem

Foto: DAZ/gg

Dipl.-pharm. Karina Witte

Noch fachspezifischer in das Thema Nachhaltigkeit einsteigen konnte das Publikum im Seminar „Nachhaltige Pharmazie“ von Apothekerin Karina Witte, Universität Freiburg. Hier erfuhren die Teilnehmenden, dass die Hälfte aller etwa 2300 in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe vom Umweltbundesamt als „umweltrelevant“ eingestuft wird, also sich auf die Umweltqualität auswirkend. Über die Ent­sorgung von Arzneimitteln, aber vor allem durch die Ausscheidungen von medikamentös behandelten Menschen und Tieren werden jedes Jahr erheb­liche Mengen an Wirkstoffen in Boden und Wasser eingetragen. Diese hier zu detektieren ist aufwendig, sie wieder zu entfernen aktuell kaum möglich. So führen die zurzeit verfügbaren Klärmethoden in der Regel nur zu einer unvollständigen Transformation der Wirkstoffe in bisweilen noch schäd­lichere Abbauprodukte und nicht zu einer vollständigen Umsetzung in anorganische Verbindungen (Mineralisierung). Aus den Daten, die Witte ihren Seminarteilnehmenden präsentierte, wird schnell klar: Auch die Pharmazie hat ein massives Nachhaltigkeitsproblem. Dass eine Lösung für dieses nicht in der Einführung einzelner vermeintlich „grüner“ Produkte liegen kann, sondern Änderungen an den der Gesellschaft und Wirtschaft zugrunde liegenden Systemen erfordert, verdeutlichte Witte am Beispiel der Einführung der LEDs. Zwar benötigen diese deutlich weniger Strom als die zuvor üblichen Glühbirnen, in der Gesamtrechnung hat die Einführung aber sogar zu einer Steigerung des Stromverbrauches geführt: Die vermeintlich grüne Lichtquelle wird deutlich mehr genutzt als ihre Vor­gängerin. Dieses Phänomen wird als Rebound-Effekt bezeichnet.

Foto: DAZ/ck

Die Seminarteilnehmenden wurden daher aufgefordert, sich konkreter mit den Strukturen des Gesundheitssystems zu beschäftigen. In diesem verdienen Apothekerinnen und Apotheker aktuell ihr Geld insbesondere durch die Herstellung oder den Verkauf von Arzneimitteln. Im Rahmen der Suche nach nachhaltigen Systemen könne es sich auch lohnen, sich Gedanken über mögliche Alternativen zu dieser Entlohnungsstruktur und dem pharmazeutischen Dienstleistungsspektrum zu machen: Denn das nachhaltigste Arzneimittel ist eines, das weder hergestellt noch konsumiert wurde – beispielsweise weil die zu therapierende Erkrankung durch Prävention vermieden wurde. |

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